GedichteMeyerConrad FerdinandGeykenAlexanderHaafSusanneJurishBryanSchulzMatthiasSteinmannJakobThomasChristianWiegandFrankCLARIN-DLangfristige Bereitstellung der DTA-AusgabeVollständige digitalisierte Ausgabe.353352509933235290dta@bbaw.deDeutsches TextarchivBerlin-Brandenburg Academy of Sciences and HumanitiesBerlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermanyBerlin2014-08-25T11:48:43Z
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Fraktur
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GermanBelletristikLyrikBelletristikLyrikcorereadyocrGedichtevonConrad Ferdinand Meyer.Leipzig,Verlag von H. Haeſſel.1882.
III. In den Bergen.Der Reiſebecher 71Das weiße Spitzchen 72Firnelicht 73Himmelsnähe 74Allerbarmen 75Göttermahl 76Das Seelchen 77Das Glöcklein 78Spiel 80Die Bank des Alten 81SeiteDie alte Brücke 82Der Kaiſer und das Fräulein 84Der Rheinborn 85Die Felswand 86Hohe Station 87Viſion 88Der Hengert 89Bacchus in Bünden 93Wundfieber 96Frag mir nicht nach 98Geſpenſter 99Alte Schrift 100Das Gemälde 101Die Rehe 105Die Zwingburg 108
IV. Reiſe.Tag, ſchein herein, und Leben, flieh hinaus! 111La Röſe 112Die Schlacht der Bäume 114Der Triumphbogen 115Auf dem Canal grande 116Venedig 120Die Narde 121Nach einem Niederländer 122Ja 123Die Cartäuſer 124Der römiſche Brunnen 125Tarpeja 126Die gegeißelte Pſyche 128Der todte Achill 129Der Muſenſaal 131Alte Schweizer 135Abſchied von Corſica 137Napoleon im Kreml 139Die Corſin 140SeiteDer Geſang des Meeres 141Das Strandkloſter 142Nicola Pesce 144Zwiegeſpräch 145Möwenflug 146
V. Liebe.Alles war ein Spiel 149Zwei Segel 150Hesperos 151Das beerdigte Herz 153Ohne Datum 154Die Ampel 156Unruhige Nacht 157Der Kamerad 158Spielzeug 160Weihgeſchenk 161Der Blutstropfen 164Stapfen 166Wetterleuchten 168Lethe 169Einer Todten 171Ihr Heim 172Liebesjahr 174Weihnacht in Ajaccio 175Schneewittchen 176Hirtenfeuer 177Laß ſcharren deiner Roſſe Huf! 178Dämmergang 179Die todte Liebe 180
VI. Götter.Die Schule des Silen 185Pentheus 186Vor einer Büſte 187Die ſterbende Meduſe 188Nächtliche Fahrt 190SeiteDer Stromgott 191Theſpeſius 193Der trunkene Gott 195Der Botenlauf 199Der Geſang der Parze 200Der Ritt in den Tod 202Das Joch am Leman 203Das Geiſterroß 206Das verlorene Schwert 210Das Heiligthum 211Die wunderbare Rede 213
VII. Frech und Fromm.König Etzel's Schwert 219Galaſwinte 221Bettlerballade 222Die Söhne Haruns 224Der Berg der Seligkeiten 226Die Gaukler 229Der Pilger und die Sarazenin 231Am Himmelsthor 237Mit zwei Worten 238Kaiſer Friedrich der Zweite 239Die gezeichnete Stirne 241Die Gedanken des Königs René243Der Mars von Florenz 244Die Ketzerin 247Der Mönch von Bonifazio 250Jung Tyrrel 253La Blanche Ref 255Der gleitende Purpur 259Das Goldtuch 262Frau Agnes und ihre Nonnen 263Die drei gemalten Ritter 266Einſiedel 268Das Münſter 271Die Krypte 276
VIII. Genie.SeiteCamoëns 279Michel Angelo und ſeine Statuen 281Conquiſtadores 282Don Fadrique 286Die Schweizer des Herrn von Tremouille 288Die Seitenwunde 291Cäſar Borja's Ohnmacht 292Papſt Julius 295Michel Angelo 298Der Schreckliche 299Auf Ponte Siſto 300
IX. Männer.Huſſen's Kerker 303Der Landgraf 305Der Rappe des Comturs 307Die ſpaniſchen Brüder 309Der ſchöne Tag 312Das Auge des Blinden 313Die verſtummte Laute 316Das Weib des Admirals 318Hugenottenlied 319Die Karyatide 320Mourir ou parvenir! 321Das Reiterlein 323Die Füße im Feuer 326Die Roſe von Newport 329Der ſterbende Cromwell 331Milton's Rache 332Der Daxelhofen 334
I.Vorſaal.
Fülle.Genug iſt nicht genug! Geprieſen werdeDer Herbſt! Kein Aſt, der ſeiner Frucht entbehrte!Tief beugt ſich mancher allzureich beſchwerte,Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde.Genug iſt nicht genug! Es lacht im Laube!Die Pfirſche hat dem Munde zugewunken!Ein helles Zechlied ſummt die Wespe trunken —Genug iſt nicht genug! — um eine Traube.Genug iſt nicht genug! Mit vollen ZügenSchlürft Dichtergeiſt am Borne des Genußes,Das Herz, auch es bedarf des Ueberflußes,Genug kann nie und nimmermehr genügen!1*
Das heilige Feuer.Auf das Feuer mit dem goldnen StrahleHeftet ſich in tiefer MitternachtSchlummerlos das Auge der Veſtale,Die der Göttin ewig Licht bewacht.Wenn ſie ſchlummerte, wenn ſie entſchliefe,Wenn erſtürbe die verſäumte Glut,Eingeſargt in Gruft und GrabestiefeWürde ſie, wo Staub und Moder ruht!Eine Flamme zittert mir im Buſen,Lodert warm zu jeder Zeit und Friſt,Die entzündet durch den Hauch der MuſenIhnen ein beſtändig Opfer iſtUnd ich hüte ſie mit heil'ger Scheue,Daß ſie brenne rein und ungekränkt;Denn ich weiß, es wird der ungetreueWächter lebend in die Gruft verſenkt.
Schillers Beſtattung.Ein ärmlich düſter brennend Fackelpaar, das SturmUnd Regen jeden Augenblick zu löſchen droht.Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner TannenſargMit keinem Kranz, dem kargſten nicht, und kein Geleit!Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.Die Träger haſteten. Ein Unbekannter nur,Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht,Schritt dieſer Bahre nach. Der Menſchheit Genius war's.
Lieder-Seelen.In der Nacht, die die Bäume mit Blüten deckt,Ward ich von ſüßen Geſpenſtern erſchreckt,Ein Reigen ſchwang im Garten ſich,Den ich mit leiſem Fuß beſchlich;Wie zarter Elfen Chor im RingEin weißer, lebendiger Schimmer ging.Die Schemen hab' ich keck befragt:Wer ſeid ihr, luftige Weſen? Sagt!„Ich bin ein Wölkchen, geſpiegelt im See.“„Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee.“„Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!“„Ich bin ein Geheimnis, geflüſtert ins Ohr.“„Ich bin ein frommes, geſtorbenes Kind.“„Ich bin ein üppiges Blumengewind —“„Und die du wählſt, und der's beſchiedDie Gunſt der Stunde, die wird ein Lied.“
Schwarzſchattende Kaſtanie.Schwarzſchattende Kaſtanie,Mein windgeregtes Sommerzelt,Du ſenkſt zur Flut dein weit Geäſt,Dein Laub, es durſtet und es trinkt,Schwarzſchattende Kaſtanie!Im Porte badet junge BrutMit Hader oder Luſtgeſchrei,Und Kinder ſchwimmen leuchtend weißIm Gitter deines Blätterwerks,Schwarzſchattende Kaſtanie!Und dämmern See und Ufer einUnd rauſcht vorbei das Abendboot,So zuckt aus rother SchiffslaternEin Blitz und wandert auf dem SchwungDer Flut, gebrochnen Lettern gleich,Bis unter deinem Laub erliſchtDie räthſelhafte Flammenſchrift,Schwarzſchattende Kaſtanie!
Nachtgeräuſche.Melde mir die Nachtgeräuſche, Muſe,Die ans Ohr des Schlummerloſen fluthen!Erſt das traute Wachtgebell der Hunde,Dann der abgezählte Schlag der Stunde,Dann ein Fiſcher-Zwiegeſpräch am Ufer,Dann? Nichts weiter als der ungewiſſeGeiſterlaut der ungebrochnen Stille,Wie das Athmen eines jungen Buſens,Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,Dann des Schlummers leiſe leiſe Tritte.
Die todten Freunde.Das Boot ſtößt ab von den Leuchten des Geſtads.Durch föhnige Wellen dreht ſich der Schwung des Rads.Schwarz qualmt des Rohres Rauch ... Heut hab' ich ſchlecht,Das heißt mit lauter jungem Volk gezecht —Du, der geſtürzt iſt mit zerſchoſſener Stirn,Und du, verſchwunden auf einer Gletſcherfirn,Und du, verlodert wie ſchwüler Blitzesſchein,Meine todten Freunde, ſaget, gedenkt ihr mein?Wogen ziſchen um Boot und Räderſchlag,Dazwiſchen jubelt ein dumpfes Zechgelag,In den Fluthen braust ein ſturmgedämpfter Chor,Becher läuten aus tiefer Nacht empor.
Lenzfahrt.Am Himmel wächſt der Sonne Glut,Aufquillt der See, das Eis zerſprang,Das erſte Segel theilt die Flut,Mir ſchwillt das Herz wie Segeldrang.Zu wandern iſt das Herz verdammt,Das ſeinen Jugendtag verſäumt,Sobald die Lenzesſonne flammt,Sobald die Welle wieder ſchäumt.Verſcherzte Jugend iſt ein SchmerzUnd einer ew'gen Sehnſucht Hort,Nach ſeinem Lenze ſucht das HerzIn einem fort, in einem fort!Und ob die Locke dir ergrautUnd bald das Herz wird ſtille ſtehn,Noch muß es, wann die Welle blaut,Nach ſeinem Lenze wandern gehn.
Ueber einem Grabe.Blüthen ſchweben über deinem Grabe.Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,Den wir Alle liebten, die dich kannten,Deſſen Augen wie zwei Sonnen brannten,Deſſen Blicke Seelen unterjochten,Deſſen Pulſe ſtark und feurig pochten,Deſſen Worte ſchon die Herzen lenkten,Den wir weinend geſtern hier verſenkten.Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ...Dort! ich ſeh' es aus der Erde ſteigen!Unterm Raſen quillt hervor es leiſe,Flatterflammen drehen ſich im Kreiſe,Ungelebtes Leben zuckt und lodertAus der Körperkraft, die hier vermodert,Abgemähter Jugend letztes Walten,Letzte Glut verraucht in Wunſchgeſtalten,Eine blaſſe Jagd:Voran ein Zecher,In der Fauſt den überfüllten Becher!Weh'nde Locken will der Buhle faſſen,Die entflatternd nicht ſich haſchen laſſen,Luſtgeſtachelt raſt er hinter jenen,Ein verhülltes Mädchen folgt in Thränen.Durch die Brandung mit verſtürmten HaarenSeh' ich einen kühnen Schiffer fahren.Einen jungen Krieger ſeh' ich toben,Helmbedeckt, das lichte Schwert erhoben.Einer ſtürzt ſich auf die Rednerbühne,Weites Volksgetos beherrſcht der Kühne.Ein Gedräng, ein Kämpfen, Ringen, Streben!Arme ſtrecken ſich und Kränze ſchweben —Kränze wenn du lebteſt, dir beſchieden,Nicht erreichte!Knabe, ſchlaf' in Frieden!
Der Marmorknabe.In der Capuletti Vigna grabenGärtner, finden einen Marmorknaben,Meiſter Simon holen ſie herbei,Der entſcheide, welcher Gott es ſei.Wie den Fund man dem Gelehrten zeigte,Der die graue Wimper forſchend neigte,Kniet' ein Kind daneben: Julia,Die den Marmorknaben finden ſah.„Welches iſt dein ſüßer Name, Knabe?Steig' ans Tageslicht aus deinem Grabe!Eine Fackel trägſt du? Biſt beſchwingt?Amor biſt du, der die Herzen zwingt?“Meiſter Simon, ſtreng das Bild betrachtend,Eines Kindes Worte nicht beachtend,Spricht: „Er löſcht die Fackel. Sie verloht.Dieſer ſchöne Jüngling iſt der Tod.“
Liebesflämmchen.Die Mutter mahnt mich Abends:„Trag Sorg zur Ampel, Kind!Jüngſt träumte mir von Feuer —Auch weht ein wilder Wind.“Das Flämmchen auf der Ampel,Ich löſch' es mit Bedacht,Das Licht in meinem HerzenBrennt durch die ganze Nacht.Die Mutter ruft mich Morgens:„Kind, hebe dich! 's iſt Tag!“Sie pocht an meiner ThüreDreimal mit ſtarkem SchlagUnd meint, ſie habe grauſamMich aus dem Schlaf geſchreckt —Das Licht in meinem HerzenHat längſt mich aufgeweckt.
Hochzeitslied.Aus der Eltern Macht und HausTritt die zücht'ge Braut herausAn des Lebens Scheide —Geh und lieb' und leide!Freigeſprochen, unterjocht,Wie der junge Buſen pochtIm Gewand von Seide —Geh und lieb' und leide!Frommer Augen helle LuſtUeberſtrahlt an voller BruſtBlitzendes Geſchmeide —Geh und lieb' und leide!Merke dir's, du blondes Haar:Schmerz und Luſt Geſchwiſterpaar,Unzertrennlich beide —Geh und lieb' und leide!
Die Jungfrau.Wo ſah ich, Mädchen, deine Züge,Die droh'nden Augen, lieblich, wild,Noch rein von Eitelkeit und Lüge?Auf Buonarotti's großem Bild:Der Schöpfer ſenkt ſich ſachten FlugesZum Menſchen, welcher ſchlummernd liegt,Im Schoße ſeines MantelbugesRuht himmliſches Geſind geſchmiegt:Voran ein Weſen nicht zu nennen,Von Gottes Mantel keuſch umwallt,Des Weibes Züge, zu erkennenIn einer ſchlanken Traumgeſtalt.Sie lauſcht, das Haupt hervorgewendet,Mit Augen ſchaut ſie tief erſchreckt,Wie Adam Er den Funken ſpendetUnd ſeine Rechte mahnend reckt.Sie ſieht den Schlumm'rer ſich erheben,Der das bewußte Sein empfängt,Auch ſie ſehnt dunkel ſich zu leben,An Gottes Schulter ſtill gedrängt —So harrſt du vor des Lebens Schranke,Noch ungefeſſelt vom Geſchick,Ein unentweihter Gottgedanke,Und öffneſt ſtaunend deinen Blick.
Die Fei.Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel,Umklammert mit den Armen ihn,Sie treibt ein grauſam lüſtern Spiel,Den Nachen in den Grund zu ziehn.Der Ferge ſtöhnt: „In SeegeſträuchReißt nieder uns der blanke Leib!Raſch, Herr! Von Sünde reinigt Euch,Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!“Der Ritter hält den SchwertesgriffSich als das heil'ge Zeichen vor —Aus dunkeln Haaren lauſcht am SchiffEin ſchmerzlich bleiches Haupt empor.„Herr Chriſt! Ich beichte Ritterthat,Streit, Flammenſchein und ſtrömend Blut,Doch nichts von Frevel noch Verrat,Denn Treu und Glauben hielt ich gut.“Er küßt das Kreuz. Gell ſchreit die Fee!Auflangen ſieht er eine HandAm Steuer, blendend weiß wie Schnee,Und ſtarrt darauf, von Graun gebannt.C. F. Meyer, Gedichte. 2„Herr Chriſt! Ich beichte Miſſethat!Ich brach den Glauben und die Treu,Ich übt' an einem Lieb Verrat.Es ſtarb. Ich thue Leid und Reu!“Sie löſt die Arme. Sie verſinkt.Das Ruder ſchlägt. Der Nachen fliegt.Vom Strand das Licht des Erkers winkt,Wo Weib und Kind ihm ſchlummernd liegt.
Die Dryas.O Liebe, wie ſchnell verrinneſt du,Du flüchtige, ſchöne Stunde,Mit einer Wunde beginneſt duUnd endeſt mit einer Wunde.Ein Jüngling irrt in Waldesraum,Umſpielt von goldnen Schimmern,Und ſpäht nach einem ſchönen Baum,Sich draus ein Boot zu zimmern.Jungeiche mit dem ſtolzen Wuchs,Du biſt mir gleich die rechte,Dich zeichn' ich mit dem Beile flugs,Dann ruf ich meine Knechte.Er führt den Streich. Ein ſchmerzlich AchMacht jählings ihn erbleichen.„Ich ſterbe!“ ſtöhnt's im Stamme ſchwach,„Die jüngſte dieſer Eichen!“Ein Tröpfchen Blutes oder zweiSieht er am Beile hangenUnd ſchleudert's weg mit einem Schrei,Als hätt' er Mord begangen.2*Schnell flüſtert's aus dem Baume jetzt:„Der Mord iſt nicht vollendet!Ich bin nur leicht am Arm verletzt.Ich hatt' mich umgewendet.“„Komm, Göttin“, fleht er, „Waldeskind,Daß ich Vergebung finde!“Die Schultern ſchmiegend ſchlüpft geſchwindDie Dryas aus der Rinde.Ein Dämmer lag auf Stirn und Haar,Ein Brüten und ein Weben,Von grünem Blätterſchatten warDer ſchlanke Wuchs umgeben.Er fing den Arm zu küſſen an,Die Stelle mit dem Hiebe,Und, der er viel zu Leid gethan,Die that ihm viel zu Liebe.„In meinem Baum — iſt lauter Traum“ ...Sie ſchlüpft zurück behendeUnd lispelt in den Waldesraum:„Ich weiß, wen ich dir ſende!“Der Botin Biene Dienſt iſt ſchwer,Sie muß ſich redlich plagen,Honig und Wermuth hin und her,Waldaus, waldein zu tragen.Einmal kam Bienchen wild gebrummt.Dryas, mich kann's entrüſten!“Es ſetzt ſich an den Stamm und ſummt:„Ich ſah's wie ſie ſich küßten!Sie iſt ein blühend Nachbarkind,Muß ihn beſtändig necken —Dich läßt er nun bei Wetter und WindIn deinem Baume ſtecken!“Ein ſchmerzlich Ach, als wände ſichEin ſchlanker Leib und ſtürbe!Das Laub vergilbt, die Krone blich,Die Rinde bröckelt mürbe.
Ein Lied Chaſtelard's.Sehnſucht iſt Qual!Der Herrin wag ich's nicht zu ſagen,Ich will's den dunkeln Eichen klagenIm grünen Thal:Sehnſucht iſt Qual.Mein Leib vergehtWie ſchmelzend Eis in bleichen Farben,Sie ſieht mich durſten, lechzen, darben,Bleibt unerfleht —Mein Leib vergeht.Doch mag es ſein,Daß ſie an ihrer Macht ſich weide!Ergetzt ſie grauſam ſich an meinem Leide;So denkt ſie mein —Drum mag es ſein.Sehnſucht iſt Qual!Dem Kühnſten macht die Folter bange,Ein Grab, darin ich nichts verlange,Gieb mir, o Thal!Sehnſucht iſt Qual.
Fingerhütchen.Liebe Kinder, wiſſt ihr, woFingerhut zu Hauſe?Tief im Thal von AcherlooHat er Herd und Klauſe;Aber ſchon in jungen TagenMuß er einen Höcker tragen,Geht er, wunderlicher nieWallte man auf Erden!Sitzt er, ſtaunen Kinn und Knie,Daß ſie Nachbarn werden.Körbe flicht aus Binſen er,Früh und ſpät ſich regend,Trägt ſie zum Verkauf umherIn der ganzen Gegend,Und er gäbe ſich zufrieden,Wär' er nicht im Volk gemieden;Denn man ziſchelt mancherlei:Daß ein Hexenmeiſter,Daß er kräuterkundig ſeiUnd im Bund der Geiſter.Solches iſt die Wahrheit nicht,Iſt ein leeres Meinen,Doch das Volk im DämmerlichtSchaudert vor dem Kleinen.So die Jungen wie die AltenWeichen aus dem Ungeſtalten —Doch vorüber wohlgemutAuf des Schuſters RäppchenTrabt er. Blauer FingerhutNickt von ſeinem Käppchen.Einmal geht er heim bei NachtNach des Tages Laſten,Hat den halben Weg gemacht,Darf ein bischen raſten,Setzt ſich und den Korb daneben,Schimmernd hebt der Mond ſich eben:Fingerhut iſt gar nicht bang,Ihm iſt gar nicht ſchaurig,Nur daß noch der Weg ſo lang,Macht den Kleinen traurig.Etwas hört er klingen fein —Nicht mit rechten Dingen,Mitten aus dem grünen RainEin melodiſch Singen:„Silberfähre, gleiteſt leiſe“ —Schon verſtummt die kurze Weiſe.Fingerhütchen ſpähet ſcharfUnd kann nichts entdecken,Aber was er hören darf,Iſt nicht zum Erſchrecken.Wieder hebt das Liedchen anUnter Buſch und Hecken,Doch es bleibt der ReimgeſpanStets im Hügel ſtecken.„Silberfähre, gleiteſt leiſe“ —Wiederum verſtummt die Weiſe.Lieblich iſt, doch einerleiDer Geſang der Elfen,Fingerhütchen fällt es bei,Ihnen einzuhelfen.Fingerhütchen lauert ſtillAuf der Töne Leiter,Wie das Liedchen enden willFührt er leicht es weiter:„Silberfähre, gleiteſt leiſe“— „Ohne Ruder, ohne Gleiſe.“Aus dem Hügel ruft's empor:„Das iſt dir gelungen!“Unterm Boden kommt hervorKleines Volk geſprungen.„Fingerhütchen, Fingerhut,“Lärmt die tolle Runde,„Faß dir einen friſchen Mut!Günſtig iſt die Stunde!Silberfähre, gleiteſt leiſeOhne Ruder, ohne Gleiſe!“Dieſes haſt du brav gemacht,Lernet es, ihr Sänger!Wie du es zu Stand gebracht,Hübſcher iſt's und länger!Zeig dich einmal, ſchöner Mann!Laß dich einmal ſehen!Vorn zuerſt und hinten dann!Laß dich einmal drehen!Weh! Was müſſen wir erblicken!Fingerhütchen, welch ein Rücken!Auf der Schulter, liebe Zeit,Trägſt du grauſe Bürde!Ohne hübſche LeiblichkeitWas iſt Geiſteswürde?Eine ganze Stirne vollGlücklicher Gedanken,Unter einem Höcker ſollLänger nicht ſie ſchwanken!Strecket euch, verkrümmte Glieder!Garſt'ger Buckel, purzle nieder!Fingerhut, nun biſt du grad,Deines Fehls geneſen!Heil zum ſchlanken Rückengrat!Heil zum neuen Weſen!“Plötzlich ſteckt der ElfenchorWieder tief im Raine,Aus dem Hügelrund emporTönt's im Mondenſcheine:„Silberfähre, gleiteſt leiſeOhne Ruder, ohne Gleiſe.“Fingerhütchen wird es ſatt,Wäre gern daheime,Er entſchlummert laß und mattAn dem eignen Reime.Schlummert eine ganze NachtAuf derſelben Stelle,Wie er endlich auferwacht,Scheint die Sonne helle:Kühe weiden, Schafe graſenAuf des Elfenhügels Raſen.Fingerhut iſt bald bekannt,Läßt die Blicke ſchweifen,Sachte dreht er dann die Hand,Hinter ſich zu greifen.Iſt ihm Heil im Traum geſchehn?Iſt das Heil die Wahrheit?Wird das Elfenwort beſtehnVor des Tages Klarheit?Und er taſtet, taſtet, taſtet:Unbebürdet! Unbelaſtet!„Jetzt bin ich ein grader Mann!“Jauchzt er ohne Ende,Wie ein Hirſchlein jagt er dannUeber Feld behende.Fingerhut ſteht plötzlich ſtill,Taſtet leicht und leiſe,Ob er wieder wachſen will?Nein! in keiner Weiſe!Selig preiſt er Nacht und Stunde,Da er ſang im Geiſterbunde —Fingerhütchen wandelt ſchlank,Gleich als hätt' er Flügel,Seit er ſchlummernd niederſankNachts am Elfenhügel.
Traumbeſitz.„Fremdling, unter dieſem SchutteWölbt ſich eine weite Halle,Blüht des Inka goldner Garten,Prangt der Seſſel meines Ahns!Alles Laub und alle FrüchteUnd die Vögel auf den AeſtenUnd die Fiſchlein in den TeichenSind vom allerfeinſten Gold.“— „Knabe, du biſt zart und dürftig,Deine greiſen Eltern darben —Warum gräbſt du nicht die nahenSchätze, die dein Erbe ſind?“„Solches, Fremdling, wäre ſündlich!Nein, ich laſſe mir genügenAn dem kleinen Waizenfelde,Das mir oben übrig blieb.Im Geheimniß meines Herzens,Mit den Augen meines GeiſtesSchwelg' ich in den lichten Wundern,In dem unermeſſnen Hort:O des Glanzes! O der Fülle!Siehſt du dort die Büſchel MaiſesMit den ſchön geformten Kolben?Siehſt du dort den goldnen Thron?“
Die gefeſſelten Muſen.Es herrſcht' ein König irgendwoIn Dazien oder Thrazien,Den ſuchten einſt die Muſen heim,Die Muſen mit den Grazien.Statt milden Nectars RebenblutGeruhten ſie zu nippen,Die Seele des Barbaren hingAn ihren ſel'gen Lippen.Erſt ſang ein jedes HimmelskindIm Tone, der ihm eigen,Dann ſchritt der ganze Chor im TactUnd trat den blüh'nden Reigen.Der König klatſchte: „Morgen willIch wieder euch beſtaunen.“Die Muſen ſchüttelten das Haupt:„Das hangt an unſern Launen.“„An euern Launen? ...“ Der DeſpotBegann zu ſchmähn und läſtern.„Ihr Knechte,“ ſchrie er, „Feſſeln her!“Und feſſelte die Schweſtern.Der König wacht', um MitternachtVernahm er leiſes Schreiten,Geflüſter: „Seid ihr alle da?“Und Schüttern zarter Saiten.Er fuhr empor. „Den hellen ChorErgreift, getreue Wächter!“Die Schergen griffen in die LuftUnd ſilbern klang Gelächter.Am Morgen war der Kerker leer,Der Reigen über die Grenze —Drin hingen ſtatt der Ketten ſchwerZerrißne Blumenkränze.
II.Stunde.C. F.Meyer, Gedichte. 3
Morgenlied.Mit edeln PurpurröthenUnd hellem Amſelſchlag,Mit Roſen und mit FlötenStolziert der junge Tag.Der Wanderſchritt des LebensIſt noch ein leichter Tanz,Ich gehe wie im ReigenMit einem friſchen Kranz.Ihr thaubenetzten KränzeDer neuen Morgenkraft,Geworfen aus den LüftenUnd ſpielend aufgerafft —Wohl manchen ließ ich welkenNoch vor der Mittagsglut;Zerriſſen hab' ich manchenAus reinem Uebermut!Mit edeln PurpurröthenUnd hellem Amſelſchlag,Mit Roſen und mit FlötenStolziert der junge Tag —Hinweg, du dunkle Klage,Aus all dem Licht und Glanz!Den Schmerz verlorner TageBedeckt ein friſcher Kranz.3*
Eppich.Eppich, mein alter Hausgeſell,Du biſt von jungen Blättern hell,Dein Wintergrün, ſo ſtill und ſtreng,Verträgt ſich's mit dem Lenzgedräng?— „Warum denn nicht? Wie meines hatDein Leben alt und junges Blatt,Eins ſtreng und dunkel, eines lichtVon Lenz und Luſt! Warum denn nicht?“
Das todte Kind.Es hat den Garten ſich zum Freund gemacht,Dann welkten es und er im Herbſte ſacht,Die Sonne ging und es und er entſchlief,Gehüllt in eine Decke weiß und tief.Jetzt iſt der Garten unverſehns erwacht,Die Kleine ſchlummert feſt in ihrer Nacht.Wo ſteckſt du? ſummt es dort und ſummt es hier.Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr.Die blaue Winde klettert ſchlank emporUnd blickt ins Haus: Komm hinterm Schrank hervor!Wo birgſt du dich? Du thuſt dir's ſelbſt zu leid!Was haſt du für ein neues Sommerkleid?
Lenz Wanderer Mörder Triumphator.
I.Ich lag an einem RaineMit meinem dürren Stab.Was lauf' ich? Meine BeineErlaufen nur das Grab ...Ein Wandrer zog derenden,War noch ein Knabe faſt,Der hielt als Stab in HändenDen blüthenreichſten Aſt.„Grüß Gott dich, ſchöner Wandrer!Biſt du es, Knabe Lenz?“Er rief: „Ich bin kein AndrerUnd komme von Florenz!“Das mußte mich erwecken.„Kind Lenz, ich wandre mit!“Wir hoben unſre SteckenIn einem Schritt und Tritt.Die beiden Stäbe hobenKind Lenz und ich zugleich;Auch meiner ward von obenBis unten blüthenreich.
II.Nieder trägt der warme FöhnDer Lawine fern Getön,Hinter jenen hohen FöhrenKann den dumpfen Schlag ich hören.In des Lenzes blauen ScheinAus der Scholle dunkelm SchreinDrängt und drückt das neue Leben,Lüftet Kleid und Decken eben —Von derſelben Kraft und LuſtWächſt das Herz mir in der Bruſt,Heute kann es noch ſich dehnenMit den Liedern, mit den Thränen!Aber blauen wird ein Tag,Da ſich's nicht mehr dehnen mag —Dann kommt mich der Lenz zu tödtenMit den Veilchen, mit den Flöten.
III.Frühling mit der Vöglein LautAllerenden, allerorten!Frühling, der die Welt umblaut,Deine blüh'nden SiegespfortenHaſt du niedrig aufgebaut!Ueber alle Pfade herSchießen blüthenſchwere ZweigeUngebändigt, kreuz und quer,Daß dir jedes Haupt ſich neige,Und die Demuth iſt nicht ſchwer.
Maientag.Englein ſingen aus dem blauen Tag,Mägdlein ſingen hinterm Blüthenhag,Jubelnd mit dem ganzen LenzgeſindSingt mir in vernarbter Bruſt — ein Kind.
Der geſchändete Baum.Sie haben mit dem Beile dich zerſchnitten,Die Frevler — haſt du viel dabei gelitten?Ich ſelber habe ſorglich dich verbundenUnd traue: Junger Baum, du wirſt geſunden!Auch ich erlitt zu ſchier derſelben StundeVon ſchärferm Meſſer eine tiefre Wunde.Zu unterſuchen komm' ich täglich deineUnd unerträglich brennen fühl' ich meine.Du ſaugeſt gierig ein die Kraft der Erde,Mir iſt, als ob auch ich durchrieſelt werde!Der friſche Saft quillt aus zerſchnittner RindeHeilſam. Mir iſt, als ob auch ich's empfinde!Indem ich deine ſich erfriſchen fühle,Iſt mir, als ob ſich meine Wunde kühle!Natur beginnt zu wirken und zu weben,Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben!Wie viele, ſo verwundet, welkten, ſtarben!Wir beide prahlen noch mit unſern Narben!
Wund.Zu Walde flücht' ich, ein gehetztes Wild,Indeß der Abendhimmel purpurn quillt.Ich lieg und keuche. Zu mir rinnt hereinEin ſtilles Bluten über Moos und Stein.
Jetzt rede du!Du wareſt mir ein täglich Wanderziel,Viellieber Wald, in dumpfen Jugendtagen,Ich hatte dir geträumten Glücks ſo vielAnzuvertraun, ſo wahren Schmerz zu klagen.Und wieder ſuch' ich dich, du dunkler Hort,Und deines Wipfelmeers gewaltig Rauſchen —Jetzt rede du! Ich laſſe dir das Wort!Verſtummt iſt Klag' und Jubel. Ich will lauſchen.
Die Lautenſtimmer.Schlummernd jüngſt in WaldesraumHatt' ich einen hübſchen Traum:Etwas regt ſich in der Hecke,Etwas klimpert im Verſtecke.Das Geſträuch mit leiſer HandTheilt' ich, bis das Neſt ich fand:Kinder, rings im Graſe ſitzend,Mit den hellen Augen blitzend!Rutſchend auf dem nackten Knie,Stimmten eine Laute ſie —„Sagt, was lagert ihr im Runde?Sprecht, was ſchaffet ihr im Bunde?“Auf das zarte Werk erpicht,Hörten ſie die Frage nicht.„Seht, wie iſt ſie zugerichtet!Wundgeriſſen! Faſt vernichtet!“Emſig ward geklopft, geſpäht,An den Saiten flink gedreht,Ließen eine tiefer klingen,Ließen eine hohe ſpringen, —Endlich klang die Laute reinUnd die Kinder ſpielten fein,Bis ich aus dem Traum erwachteUnd mir ſeinen Sinn bedachte:Dumpf entſchlummert, jetzo hell,Ganz ein anderer Geſell!Was die Kinder ohne FehleStimmten, es war meine Seele!
Sonntags.Ich liebe, Nymphe, deine keuſche Flut,Die kühl im allertiefſten Walde ruht.Du ſpiegelſt weder Stadt noch Firneſchnee,Den Himmel ſchimmerſt du, mein kleiner See!Dein Antlitz ſagt mir Alles, raſch erregt,Was dir das kindliche Gemüth bewegt,Und leicht erhellt, verdunkelt ohne Grund,Macht es mir alle deine Launen kund.Der Kahn, verborgen tief im Schilfe dort,Gefeſſelt iſt er durch ein Zauberwort.Nie hat gelöſt ihn eine trunkne Schaar,Nie hat ſich eine Dirn im Flatterhaar,Von rohen Buhlen durch den Wald gehetzt,Vor deinen Spiegel keuchend hingeſetzt.Nie hat ein unſtet zuckend FackelrotDir über deine kühle Stirn geloht!Horch! Stimmen durch den Wald! Ein Luſtgeſchrei!Gekreiſch! Gewieher! Freches Volk, vorbei!Den Gaſſenhauer, liederlich gejohlt —Schäme dich, Echo! — haſt du wiederholt!Verhülle, Nymphe, deiner Augen Schein,Verbirg dich tiefer in den Wald hinein!Und zürnend gegen den Tumult gewandt:„Hinweg!“ gebot ich mit erhobner Hand.„Nicht näher!“ Und im Walde ward es Ruh.Der Jubel zog ſich einer Schenke zu.Du bliebſt in deinem blauen Kleide rein,In deinem grünen Waldesdämmerſchein —Indeſſen hat die Sonne ſich geneigt,Wie ſüß in jedem Blatt die Stille ſchweigt!In Tannenduft und unter Himmelsruh,Bewacht von meinem Blick, entſchlummerſt du!
Schwüle.Trüb verglomm der ſchwüle Sommertag,Dumpf und traurig tönt mein Ruderſchlag —Sterne, Sterne — Abend iſt es ja —Sterne, warum ſeid ihr noch nicht da?Bleich das Leben! Bleich der Felſenhang!Schilf, was flüſterſt du ſo frech und bang?Fern der Himmel und die Tiefe nah —Sterne, warum ſeid ihr noch nicht da?Eine liebe, liebe Stimme ruftMich beſtändig aus der Waſſergruft —Weg, Geſpenſt, das oft ich winken ſah!Sterne, Sterne, ſeid ihr nicht mehr da?Endlich, endlich durch das Dunkel bricht —Es war Zeit! — ein ſchwaches Flimmerlicht —Denn ich wußte nicht wie mir geſchah.Sterne, Sterne, bleibt mir immer nah!
In Harmesnächten.Die Rechte ſtreckt' ich ſchmerzlich oftIn HarmesnächtenUnd fühlt' gedrückt ſie unverhofftVon einer Rechten —Was Gott iſt, wird in EwigkeitKein Menſch ergründen,Doch will er treu ſich allezeitMit uns verbünden.
Eingelegte Ruder.Meine eingelegten Ruder triefen,Tropfen fallen langſam in die Tiefen.Nichts das mich verdroß! Nichts das mich freute!Niederrinnt ein ſchmerzenloſes Heute!Unter mir — ach, aus dem Licht verſchwunden —Träumen ſchon die ſchönern meiner Stunden.Aus der blauen Tiefe ruft das Geſtern:Sind im Licht noch manche meiner Schweſtern?
Ein bischen Freude.Wie heilt ſich ein verlaſſen Herz,Der dunkeln Schwermuth Beute?Mit Becher-Rundgeläute?Mit bitterm Spott? Mit frevlem Scherz?Nein. Mit ein bischen Freude!Wie flicht ſich ein zerriſſner Kranz,Den jach der Sturm zerſtreute?Wie knüpft ſich der erneute?Mit welchem Endchen bunten Bands?Mit nur ein bischen Freude!Wie ſühnt ſich die verjährte Schuld,Die bitterlich bereute?Mit einem ſtrengen Heute?Mit Büßerhaſt und Ungeduld?Nein. Mit ein bischen Freude!C. F. Meyer, Gedichte. 4
Im Spätboot.Aus der Schiffsbank mach' ich meinen Pfühl,Endlich wird die heiße Stirne kühl!O wie ſüß erkaltet mir das Herz!O wie weich verſtummen Luſt und Schmerz!Ueber mir des Rohres ſchwarzer RauchWiegt und biegt ſich in des Windes Hauch.Hüben hier und wieder drüben dortHält das Boot an manchem kleinen Port:Bei der Schiffslaterne kargem ScheinSteigt ein Schatten aus und niemand ein.Nur der Steurer noch, der wacht und ſteht!Nur der Wind, der mir im Haare weht!Schmerz und Luſt erleiden ſanften TodEinen Schlumm'rer trägt das dunkle Boot.
Vor der Ernte.In reiner Nacht die Sichel gehtUnd macht ein leis Getön,Im reifen Korne wogt und wehtUnd rauſcht und wühlt der Föhn.Sie wandert voller MelodieHochüber durch das Land,Früh morgen ſchwingt die Schnitt'rin ſieMit ſonnenbrauner Hand.4*
Erntegewitter.Ein jäher Blitz. Der Erntewagen ſchwankt.Aus ſeinen Garben fahren Dirnen aufUnd ſpringen ſchreiend in die Nacht hinab.Ein Blitz. Auf einer goldnen Garbe throntNoch unvertrieben eine frevle Maid,Der das gelöſte Haar den Nacken peitſcht.Sie hebt das volle Glas mit nacktem Arm,Als brächte ſie's der Gluth die ſie umflammt,Und leert's auf einen Zug. Ins Dunkel wirftSie's weit und gleitet ihrem Becher nach.Ein Blitz. Zwei ſchwarze Roſſe bäumen ſich.Die Peitſche knallt. Sie ziehen an. Vorbei.
Schnitterlied.Wir ſchnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen,Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen,Von ſteigenden dunkeln Gewittern bedroht —Gerettet das Korn! Und nicht Einer der darbe!Von Aehre zu GarbeIſt Raum für den Tod —Wie ſchwellen die Lippen des Lebens ſo rot!Hoch thronet ihr Schönen auf güldenen SitzenIn ſtrotzenden Garben umflimmert von Blitzen —Nicht Eine die darbe! Wir bringen das Brot!Zum Reigen! Zum Tanze! Zur toſenden Runde!Von Becher zu MundeIſt Raum für den Tod —Wie ſchwellen die Lippen des Lebens ſo rot!
Auf Goldgrund.Durch den Bilderſaal bin ich gegangenIn der letzten Stunde noch, der ſpäten,Wo, von ſchimmernd goldnem Grund umfangen,Heil'ge mit gehobnen Händen beten.Dann durchs blache Feld bin ich geſchritten.Letzter Sommerabendgluth entgegen,Und die heut das reife Korn geſchnitten,Sah ich Garben auf den Wagen legen.Raſch gedieh das Werk der braunen Arme,Um den Schnitter und die dunkle GarbeFloß das Abendlicht, das glühend warme,Mit der wunderbaren Goldesfarbe.Unter Bürden ſchwankende GeſtaltenLautlos in der ſtillen Feierſtunde!Müder Arme unermüdlich Walten,Auch auf ſchimmernd heilig-goldnem Grunde!
Requiem.Bei der Abendſonne WandernWann ein Dorf den Strahl verlor,Klagt ſein Dunkeln es den andernMit vertrauten Tönen vor:„Viele Schläge, viele SchlägeThut an einem Tag das Herz,Wenig Schläge, wenig SchlägeThut im Dämmerlicht das Erz!“Noch ein Glöcklein hat geſchwiegenAuf der Höhe bis zuletzt.Nun beginnt es ſich zu wiegen,Horch, mein Kilchberg läutet jetzt!
Die Veltlinertraube.Brütend liegt ein heißes SchweigenUeber Thal und Bergesjoch,Evoë und WinzerreigenSchlummern in der Traube noch.Purpurne Veltlinertraube,Kochend in der Sonne Schein,Heute möcht' ich unterm LaubeDeine vollſte Beere ſein!Mein unbändiges Geblüte,Strotzend von der Scholle Kraft,Trunken von des Himmels Güte,Sprengte ſchier der Hülſe Haft!Aus der Laube niederhangend,Gluthdurchwogt und üppig rund,Schwebt' ich dunkelpurpurprangendUeber einem rothen Mund!
Weinſegen.Heut athm' ich mit den SommerlüftenDie allerfeinſten Würzen ein,Ich kenne dieſes ſeltne Düften:Heut blüht der echte Kloſterwein.Hier zog im Land die erſten TraubenZum erſten Liebesmahl der Abt,Der mit dem theuern ChriſtenglaubenUns öde Heiden einſt begabt.Das Kloſter, längſt iſt's ſchon verſchwunden,Zerſtäubt mit Altar, Gruft und Chor,Doch ſteigt in dieſen Mittagsſtunden —So heißt's — der erſte Abt empor.Nicht will er zu der Leſe kommen,Wo wild die Kelter überſchäumt,Nein, wie ſich ziemt für einen Frommen,Wann myſtiſch ſüß die Blüthe träumt.Was dort? Wer öffnet ſtill das Gatter?Berauſcht die ſtarke Würze mich?Ein wallend blankes RockgeflatterBewegt ſich ſacht und feierlich!Es iſt der Abt. Ich ſehe bückenDas edelgreiſe Haupt ihn dort,Die frechen Nachbarskinder drückenSich ſchleunig durch die Hecke fort.Er prüft genau die zarte Blüte,Die jungen Schoße licht und grün,Sein Angeſicht iſt voller GüteUnd voll von herzlichem Bemühn.Hochwürden blickt ſo hell und heiter,Dies Jahr geräth der Wein wie nie!Er wandelt zu den Stufen weiterUnd geiſterleicht erſteigt er ſie.Schon auf des Weinbergs Höhe ſchreitetEr bei dem kleinen Winzerhaus.Er ſetzt ſich auf die Bank. Er breitetDie Geiſterhände mächtig aus.Er ſegnet ſeine Kloſterreben,Sein eigen vielgeliebtes Kind,Uns Ketzer ſegnet er daneben,Die ſeines Weinbergs Erben ſind.
Säerſpruch.Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung!Die Erde bleibt noch lange jung!Dort fällt ein Korn das ſtirbt und ruht.Die Ruh iſt ſüß. Es hat es gut.Hier eins das durch die Scholle bricht.Es hat es gut. Süß iſt das Licht.Und keines fällt aus dieſer WeltUnd jedes fällt wie's Gott gefällt.
Novembersonne.In den ächzenden GewindenHat die Kelter ſich gedreht,Unter meinen alten LindenLiegt das Laub hoch aufgeweht.Dieſer Erde Werke raſten,Schon beginnt die Winterruh —Sonne, noch mit unverblaßten,Warmen Strahlen wanderſt du!Ehe ſich das Jahr entlaubte,Gingen, traun, ſie müßig nie,Nun an deinem lichten HaupteFlammen unbeſchäftigt ſie.Erſt ein Ackerknecht und Schnitter,Noch ein Traubenkoch zuletzt,Biſt du jetzt der freie Ritter,Der ſich auf der Fahrt ergetzt.Und die Schüler, zu den BänkenKehrend, grüßen jubelvollHingelagert vor den SchenkenDich als Muſengott Apoll.
Aus der Höhe.Schreitend meinen Höhenpfad,Seh' ich ſtatt lebend'ger FluthUnter mir des Eiſes Flur,Drauf der Wettlauf TauſenderUnermüdlich ſich ergötzt.Horch! Ein dunkel Geiſterlied,Wie des Bienenkorbs Geſums:Dröhnend ſonder UnterbruchDurch die reine WinterluftDes geſtählten Schuhes Ton —Meiner Jugend einz'ge LuſtLäutet dumpf zu mir empor.
Die Schlittſchuhe.„Hör', Ohm! In deiner Trödelkammer hangtEin Schlittſchuhpaar, danach mein Herz verlangt!Von London haſt du einſt es heimgebracht,Zwar iſt es nicht nach neu'ſter Art gemacht,Doch damaszirt, verteufelt elegant!Dir roſtet ungebraucht es an der Wand,Du gibſt es mir!“ Hier, Junge, haſt du Geld,Kauf dir ein ſchmuckes Paar, wie dir's gefällt!„Ach was! Die damaszirten will ich, deine:Du läufſt ja nimmer auf dem Eis, ich meine?“Der liebe Quälgeiſt läßt mir keine Ruh,Er zieht mich der verſcholl'nen Stube zu;Da lehnen Masken, Klingen, kreuz und querAn Bayle's ſtaubbedecktem Dictionär,Und ſeine Beute ſchon erblickt der KnabeIn dunkelm Winkel hinter einer Truhe:„Da ſind ſie!“ Ich betrachte meine Habe,Die Jugendſchwingen, die geſtählten Schuhe!Mir um die Schläfen zieht ein leiſer Traum ...„Du gibſt ſie mir!“ ... In ihrem blonden Haar,Dem aufgewehten, wie ſie lieblich war,Der Wangen edel Blaß geröthet kaum! ...In Nebel eingeſchleiert lag die Stadt,Der See, ein Boden ſpiegelhell und glatt,Drauf in die Wette flogen, Gleis an Gleis,Die Läufer; Wimpel flaggten auf dem Eis ...Sie ſchwebte ſtill, zuerſt umkreiſt von vielenGeflügelten wettlaufenden Geſpielen —Dort ſtürmte wild die purpurne Bacchantin,Hier maß den Lauf die peinliche Pedantin —Sie aber wiegte ſich mit ſchlanker KraftUnd leichten Leibes, luftig, elfenhaft,Sie glitt dahin, das Eis berührend kaum,Bis ſich die Bahn in einem weiten RaumVerlor und dann in ſchmal're Bahnen theilte.Da lockt es ihren Fuß in Einſamkeiten,In blaue Dämmerung hinauszugleiten,Ins Märchenreich; ſie zagte nicht und eilteUnd ſah, daß ich an ihrer Seite fuhr,Nahm meine Hand und eilte raſcher nur.Bald hinter uns verſcholl der Menge Schall,Die Winterſonne ſank, ein Feuerball,Doch nicht zu hemmen war das leichte Schweben,Der ſel'ge Reigen, die beſchwingte FluchtUnd warme Kreiſe zog das raſche LebenAuf harterſtarrter, geiſterhafter Bucht.An uns vorüber ſchoß ein Fackellauf,Ein glüh Phantom, den grauen See hinauf ...In ſtiller Luft ein ungewiſſes Klingen,Wie Glockenlaut, des Eiſes ſurrend Singen ...Ein dumpf Getos, das aus der Tiefe droht —Sie lauſcht, erſchrickt, ihr graut, das iſt der Tod!Jäh wendet ſie den Lauf, ſie ſtrebt zurück,Ein ſcheuer Vogel, durch das Abenddunkel,Schon wieder naht das wirre Lichtgefunkel,Der Lärm, ſie löſt die Hand .... o Märchenglück!Sie wendet ſich nicht um und ſucht die Stadt,Dem Kinde gleich, das ſich verlaufen hat —„Ei, Ohm, du träumſt? Nicht wahr, du gibſt ſie mir,Bevor das Eis geſchmolzen? ...“ Junge, hier.
Im Konzert.Heut im Konzerte hielt ich ZwiegeſprächMit einem allerliebſten Mädchenhals,Der aus derſelben Bank geſchimmert ſchonEin früher Mal ... Du hatteſt, ſagt' ich ihm,Ein ſchmales Kettlein an, beſinne dich!Vielteilig, ſein gefügt, von blaſſem Gold,Süß leuchtend aus dem Dunkel des Gewands.Verloren ging's? Vielleicht iſt's nur verlegt?Zerbrach es eben erſt der Finger Haſt?Trug's ein Geſpiel davon, ein ſchmeichelndes?Warf, dich betörend, eine Hand dir's um,Die Treue brach? Du haſſeſt jetzt das Band?Du trauerſt, Hälschen? Heute neigſt du dichEin bischen tiefer als das letzte Mal?Der eigenartige Satz: Die Flöte klagt:„Das Hälschen neigt ſich etwas tiefer heut!“„O dunkles Schickſal!“ dröhnt verhängnisvollDas melancholiſche Violoncell ...Ein feines Glöckchen aber ſpottet hell:„Das Kettlein ſteckt im blauen Sammt des Schreins.Aus einer reinen Laune blieb's zu Haus.“C. F. Meyer, Gedichte. 5
Begegnung.Mich führte durch den TannenwaldEin ſtiller Pfad, ein tief verſchneiter,Da, ohne daß ein Huf gehallt,Erblickt' ich plötzlich einen Reiter.Nicht zugewandt, nicht abgewandt,Kam er, den Mantel umgeſchlagen,Mir däuchte, daß ich ihn gekanntIn alten, längſt verſchollnen Tagen.Der jungen Augen wilde Kraft,Des Mundes Trotz und herbes Schweigen,Ein Zug von Traum und LeidenſchaftBerührte mich ſo tief und eigen.Sein Röſſlein zog auf weißer BahnVorbei mit ungehörten Hufen.Mich faßt's mit Luſt und Grauen anIhm Gruß und Namen nachzurufen.Doch keinen Namen hab' ich dannAls meinen eigenen gefunden,Da Roß und Reiter ſchon im TannUnd hinterm Schneegeflock verſchwunden.
Neujahrsglocken .In den Lüften ſchwellendes Gedröhne,Leicht wie Halme beugt der Wind die Töne.Leis verhallen die zum erſten riefen,Neu Geläute hebt ſich aus den Tiefen.Große Heere, nicht ein einzler Rufer!Wohllaut fluthet ohne Strand und Ufer.5*
Das Heute.Das Heut iſt einem jungen Weibe gleich.Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich.Es ſchaudert. Einen vollen Becher faßtEs gierig noch und ſchlürft in toller Haſt.Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt,Entfärbt ſich und verwelkt. Der Becher ſinkt.Langſam zieht es den Kranz ſich aus dem Haar.Das Haar ergraut, das eben braun noch war.Tiefrunzelt ſich das ſchöne ſchuld'ge Haupt.Zuſammenbricht das Knie, der Kraft beraubt.Die Horen kleiden dicht in Schleier einUnd führen weg ein greiſes Mütterlein.
III.In den Bergen.
Der Reiſebecher.Geſtern fand ich, räumend eines langvergeſſnen Schrankes Fächer,Den vom Vater mir vererbten, meinen erſten Reiſebecher.Währenddeß ich leiſe ſingend reinigt' ihn vom Staub der Jahre,War's als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen Haare,War's als dufteten die Matten, drein ich ſchlummernd lag verſunken,War's als rauſchten alle Quelle, draus ich wandernd einſt getrunken.
Das weiße Spitzchen.Ein blendendes Spitzchen blickt über den Wald,Das ruft mich, das zieht mich, das thut mir Gewalt:„Was ſchaffſt du noch unten im Menſchengewühl?Hier oben iſt's einſam! Hier oben iſt's kühl!Der See mir zu Füßen hat heut ſich enteiſt,Er kräuſelt ſich, fluthet, er wandert, er reiſt,Die Moosbank des Felſens iſt dir ſchon bereit,Von ihr iſt's zum ewigen Schnee nicht mehr weit!“Das Spitzchen, es ruft mich, ſobald ich erwacht,Am Mittag, am Abend, im Traum noch der Nacht.So komm ich denn morgen! Nun laß mich in Ruh!Erſt ſchließ' ich die Bücher, die Schreine noch zu.Leis wandelt in Lüften ein Heerdegeläut:„Laß offen die Truhen! Komm lieber noch heut.“
Firnelicht.Wie pocht' das Herz mir in der Bruſt,Trotz meiner jungen Wanderluſt,Da, heimgewendet, ich erſchaut'Die Schneegebirge, ſüß umblaut,Das große ſtille Leuchten!Ich athmet' eilig, wie auf Raub,Der Märkte Dunſt, der Städte Staub.Ich ſah den Kampf. Was ſageſt du,Mein reines Firnelicht, dazu,Du großes ſtilles Leuchten?Nie prahlt' ich mit der Heimath nochUnd liebe ſie von Herzen doch,In meinem Weſen und GedichtAllüberall iſt Firnelicht,Das große ſtille Leuchten.Was kann ich für die Heimath thun,Bevor ich geh' im Grabe ruhn?Was geb ich, das dem Tod entflieht?Vielleicht ein Wort, vielleicht ein Lied,Ein kleines ſtilles Leuchten!
Himmelsnähe.In meiner Firne feierlichem KreisLagr' ich an ſchmalem Felſengrate hier,Aus einem grün erſtarrten Meer von EisErhebt die Silberzacke ſich vor mir.Der Schnee, der am Geklüfte hing zerſtreut,In hundert Rinnen rieſelt er davonUnd aus der ſchwarzen Feuchte ſchimmert heutDer Soldanelle zarte Glocke ſchon.Bald nahe toſt, bald fern, der Waſſerfall,Er ſtäubt und ſtürzt, nun rechts, nun links verweht,Ein tiefes Schweigen und ein ſteter Schall,Ein Wind, ein Strom, ein Athem, ein Gebet!Nur neben mir des Murmelthieres Pfiff,Nur über mir des Geiers heiſ'rer Schrei,Ich bin allein auf meinem FelſenriffUnd ich empfinde daß Gott bei mir ſei.
Allerbarmen.An dem Bauerhaus vorüberSchritt ich eilig, weil mir grauſte,Weil im dumpfen Hof ein trüber,Brütender Cretine hauſte.Schaudernd warf ich einen halbenBlick in ſeinen feuchten Kerker —Eben war die Zeit der Schwalben,Wo ſie baun an Dach und Erker.Den Enterbten ſah ich kauern,Ueber ſeiner LagerſtätteBlitzten Schwalben um die Mauern,Neſter bauend in die Wette.Der erloſchne Blick erfreuteSich, in einem kleinen blauenRaum das Werk der Schwalben heute,Dieſes kluge Werk zu ſchauen.Blitzend kreiſte das GeſchwirreAn dem engen Horizonte,Und das Lachen klang, das irre,Drin ſich doch der Himmel ſonnte.
Göttermahl.Wo die Tannen finſt're Schatten werfenUeber Hänge goldbeſonnt,Unverwundet von der Firne SchärfenBlaut der reine Horizont,Wo das Spiel den raſtlos weh'nden WindenKein Gebälk und keine Mauer wehrt,Wo, wie einer dunkeln Sorge Schwinden,Jede Wolke ſich verzehrt,Wo das braune Rind wie Juno ſchauendWeidet und mit heller Glocke tönt,Wo das Zicklein lüſtern wiederkauendDen bemooſten Felſen krönt,Schlürf' ich kühle Luft und wilde Würzen,Mit den ſel'gen Göttern koſt ich da —Die mich nicht aus ihrem Himmel ſtürzen —Nectar und Ambroſia!
Das Seelchen.Ich lag im Gras auf einer Alp,In ſel'ge Bläuen ſtarrt' ich auf —Mir war als ob auf meiner BruſtMich etwas ſacht betaſtete.Ich blickte ſchräg. Ein Falter ſaßAuf meinem grauen Wanderkleid.Mein Seelchen war's. So lernt' ich einſtIn Rom an einem Basrelief.Wie ſieht es aus? Das wüßt' ich gern,Ich blinzle mein Gewand entlang —Blank war's, betupft mit Tropfen Bluts.
Das Glöcklein.Er ſteht an ihrem Pfühl in herber Qual,Den jungen Buſen muß er keuchen ſehn —Er iſt ein Arzt. Er weiß, ſein traut GemahlErblaßt, ſobald die Morgenſchauer wehn.Sie hat geſchlummmertgeſchlummert. „Lieber, du bei mir?Mir träumte, daß ich auf der Alpe war,Wie ſchön mir träumte, das erzähl ich dir —Du ſchickſt mich wieder hin das nächſte Jahr!Dort vor dem Dorf — du weißt den mooſ'gen Stein —Saß ich, umhallt von lauter Heerdgetön,An mir vorüber zogen mit SchalmeinDie Heerden nieder von den Sommerhöhn.Die Heerden kehren alle heut nach Haus —Das iſt die letzte wohl? Nein, eine noch!Noch ein Geläut klingt an und eins klingt aus!Das endet nicht! Da kam das letzte doch!Mich überfluthet' fliehend Abendroth,Die Matten dunkelten ſo grün und rein,Die Firne brannten ſtill — und lagen todt,Darüber glomm ein leiſer Sternenſchein —Da horch! ein Glöcklein noch aus finſt'rer Schlucht,Verirrt, verſpätet, wandert's ohne Ruh,Ein armes Glöcklein, das die Heerde ſucht —Auf wacht' ich dann und bei mir wareſt du!Mann, ſchick mich wieder auf die lieben Höhn —Sie haben, ſagſt du, mich geſund gemacht ...Dort war es ſchön! Dort war es wunderſchön!Das Glöcklein! Wieder! Hörſt du's? Gute Nacht ...“
Spiel.Denkſt, Freund, des wilden Knabenſpiels du noch,Das wir getrieben einſt am Bergesjoch,Wann unſer freud'ge Wandertag verglommUnd höher ſtets und immer höher klomm?Wir ſprangen jubelnd über Stock und SteinBergan und wieder in das Licht hineinUnd noch einmal und noch einmal,Bis uns entſchlüpft' der letzte Sonnenſtrahl.Das Spiel das wir im Alpenthale dortGetrieben, Freund, wir ſpielen's heut noch fort.Wann neben uns das ſüße Licht erbleicht,Wir ſteigen, bis von neuem wir's erreicht.Wir ſpringen muthig über Stock und SteinUnd mitten wieder in den Tag hineinUnd noch einmal und noch einmal,Bis uns entſchlüpft der letzte Lebensſtrahl.
Die Bank des Alten.Ich bin einmal in einem Thal gegangen,Das fern der Welt, dem Himmel nahe war,Durch das Gelände ſeiner Wieſen klangenDie Senſen rings der zweiten Mahd im Jahr.Ich ſchritt durch eines Dörfchens ſtille Gaſſen.Kein Laut. Vor einer Hütte ſaß alleinEin alter Mann, von ſeiner Kraft verlaſſen,Und ſchaute feiernd auf den Firneſchein.Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,Seh' ich den Himmel jenes Thales blaun,Den Müden ſeh' ich wieder auf die Firne,Die nahen, ſelig klaren Firne ſchaun.S'iſt nur ein Traum. Wohl iſt der Greis geſchiedenAus dieſer Sonne Licht, von Jahren ſchwer;Er ſchlummert wohl in ſeines Grabes FriedenUnd ſeine Bank ſteht vor der Hütte leer.Noch pulſt mein Leben feurig. Wie den Andernkommt mir ein Tag, da mich die Kraft verrät;Dann will ich langſam in die Berge wandernUnd ſuchen wo die Bank des Alten ſteht.C. F. Meyer, Gedichte. 6
Die alte Brücke.Dein Bogen, grauer Zeit entſtammt,Steht manch Jahrhundert außer Amt;Ein neuer Bau ragt über dir:Dort fahren ſie! Du feierſt hier.Die Straße, die getragen du,Deckt Wuchs und rothe Blüthe zu!Ein Nebel netzt und tränkt dein Moos,Er ſteigt aus dumpfem Reußgetos:Mit einem luftgewobnen KleidUmſchleiert dich VergangenheitUnd ſtatt des Lebens geht der TraumAuf deines Pfades engem Raum.Das Carmen, das der Schüler ſang,Träumt noch im Felſenwiederklang,Gewieher und DrommetenhallTräumt und verdröhnt im Wogenſchwall.Der Kaiſer ritt auf deinem Steg,Du warſt nach Rom der arge Weg,Und Parricida, frevelblaß,Ward hier vom Staub der Welle naß!Du brachteſt nordwärts manchen Brief,Drin römiſche Verleumdung ſchlief —Gemengt mit Söldnern beuteſchwerSchlich Peſt und ſchwarzer Tod daher!Vorbei! Vorüber ohne Spur!Du fieleſt heim an die Natur,Die dich umwildert, dich umgrünt,Vom Tritt des Menſchen dich entſühnt!6*
Der Kaiſer und das Fräulein.Hoch am Septimer, dem Kaiſerpaſſe,(Denn die Kaiſer pflegten nach ItalienUeber dieſes Bergesjoch zu reiten)Hielt ich unter ſteilen SonnenſtrahlenMittagsraſt. Mir gegenüber wand ſichUm den Felſen noch ein Stück des altenSaumwegs ſchwebend über jähem Abgrund.Mittag iſt des Berges Geiſterſtunde.In die Sonne blinzelt' ich. Ein Hornruf!Banner flattern. Schwert und Bügel klirren.Frau'n und Ritter gleiten aus den Sätteln.Sorglich leiten Säumer ſcheue Roſſe.Die geſtrenge Kaiſ'rin ſeh' ich ſchreiten,Ein verſteinert Weib mit harten Zügen.Hinter ihr die Fräulein. Einer ZartenSchwindelt plötzlich. Ihre Kniee wanken.Sich entfärbend lehnt ſie an die Bergwand ...Raſch ein Held — er trägt das KaiſerkrönleinUm die Kappe — fängt in ſeinen mächt'genArmen auf das wanke Kind und trägt esAn die Bruſt gedrückt. Das Mädchen ſchwebteSicher überm Abgrund und er raubt' ihrEinen flücht'gen Kuß. Da ſchwand das Blendwerk.Weiter pilgernd räthſelt' ich ein Weilchen:War es einer der Ottonen oderWar's ein Heinrich oder war's ein Friedrich,Der die wehrlos Schwebende geküßt hat?
Der Rheinborn.Ich bin den Rhein hinaufgezogenDurch manches ſchatt'ge Felſenthor,Entlang die blauen, friſchen WogenZu ſeinem hohen Quell empor.Dem hellſten Borne, weit und offen,Darin ein Ruder weinumlaubtSich ſpiegle, wie ein heiter Hoffen,Entſpring' er leicht, hatt' ich geglaubt.Ich klomm empor auf ſchroffen Stiegen,Verwognen Pfaden, öd und wild,Und ſah mir ihn zu Füßen liegenAls einen erzgegoßnen Schild.Fernab von Heerdgeläut und MattenLag er in eine Schlucht verſenkt,Bedeckt von ſchweren Rieſenſchatten,Aus Eis und ew'gem Schnee getränkt —Hier jauchzt kein Senn, hier ſchallt kein Reigen.In kurzen, dunkeln Wellchen gehtDer See. Hier wird die Welt zum Schweigen,Wenn nicht ein Stein in Fall gerät —Ein Sturz! Ein Schlag! Und aus den TiefenUnd aus den Wänden brach es los:Heerwagen rollten! Stimmen riefenBefehle durch ein Schlachtgetos!
Die Felswand.Gigantiſch, wildzeriſſen ſteigt die Felswand.Das Auge ſchrickt zurück. Dann irrt es unſtätDaran herum. Bang ſucht es wo es hafte.Dort! Ueber einem Abgrund ſchwebt ein BrückleinWie Spinnweb. Höher um die ſcharfe KanteSind Stapfen eingehaun, ein Bruchſtück Weges!Faſt oben ragt ein Thor mit blauer Füllung:Dort klimmt der Weg empor zu Licht und Höhe!Nicht ruht das Aug, bis ihn es aufgefunden:Den ganzen Weg entlang die ganze Felswand.Feindſelig blickte ſie. Nun blickt ſie gaſtlich,Geeinigt im Zuſammenhang des Pfades!
Hohe Station.Hoch an der Windung des Paſſes bewohn' ich ein niedrigesBerghaus —Heut iſt vorüber die Poſt, heut bin ich oben allein.Lehnend am Fenſter belauſch' ich die Stille des dämmerndenAbends,Rings kein Laut! Nur der Specht hämmert im harzigen Tann.Leicht aus dem Wald in den Wald hüpft über die Matte dasEichhorn,Spielend auf offenem Plan; denn es iſt Herr im Bezirk.Jammer! Was hör' ich? Ein ſchrilles Geſurre: „Gemordet iſtGarfield!“„Bismarck zürnt im Gezelt!“ „Väterlich ſegnet der Papſt!“Schwirrt in der Luft ein Gerücht? Was gewahr' ich? Einſchwärzliches Glöcklein!Unter dem Fenſtergeſims bebt der electriſche Draht,Der, wie die Schläge des Pulſes beſeelend den Körper derMenſchheit,Durch das entlegenſte Thal trägt die Geberde der Zeit.
Viſton.Als ich jüngſt vom Pfad verirrt war,Wo kein Jäger und kein Hirt war,Führt' ein Licht aus dunkelm TannMich an eines Hüttleins Schwelle,Drin bei matter AmpelhelleEine greiſe Parze ſpann.Draußen ſchlug der Wind die Schwingen,Und die Bergesſtröme ſingenHört' ich ihren dunkeln Sang ...Und ich ſah den Faden ſchweben,Und der Faden ſchien ein Leben —Meines? dacht' ich zauberbang.Wage, Menſch, die höchſten Flüge,Deiner Parze ſtarre ZügeSehen längſt das nahe Ziel!Tummle dich, ein kühner Ringer:Ihre hagern, harten FingerEnden bald das edle Spiel ...Eine Thräne ſeh' ich ſchimmern?An der Wand mit SilberflimmernHangt ein dürrer Todtenkranz ...Irgend einen alten JammerIn der Alpenhütte KammerSpinnt ein Weib im Ampelglanz.
Der Hengert.Vater Lucas ſprach beim Frühſtück:„Heute, Herr, iſt hier ein Hengert!“Und ich fragte: „Was iſt Hengert?“Mich belehrte Vater Lucas:„Hengert, Herr, bedeutet Reigen,Ball und Sprung und FußgezappelIn der Sprache der GriſonenUnd Ihr möchtet böſe ſchlummern,Sucht Ihr heut nicht ſtill're Ruhſtatt!“„Vater Lucas, keine Sorge!Hab' ich erſt mich müd' gewandert,Schlief' ich auch in einem Meerſturm!“Freudig nahm ich meinen Bergſtock,Stieg hinan die ſaft'gen Weiden,Wo ſich tummeln braune Fohlen,Durch bewegliches GerölleKlomm ich auf zum ſel'gen Gipfel,Den mit leichtem Kuß berührenHeimatloſe Wanderwolken.Müde kehrt' ich heim ins BerghausUm die Zeit der erſten Lichter.Vor der Pforte ſtand ein Häuflein,In der Mitte Muſikanten,Rechts die Burſche, links die Mädchen,Doch kein Scherzwort flog herüberUnd hinüber flog kein Trutzwort.Läſſig mit gekreuzten ArmenStanden ſie geſchieden, feindlichSich mit dunkeln Blicken meſſend.Und ich ſtieg in meine Kammer,Legte mich getroſt zur Ruhe.Bald erklang Muſik piano,Allgemach begann der Hengert,Sachte ſchritt er, ſchläfrig ſchleift' er,Wie Geſchlurfe von Pantoffeln.Heimlich ſpottet' ich der trägenFüße, der bequemen HerzenIm Gebirge der GriſonenUnd verſank in ſüßen Schlummer ....Horch! Ein Ton, ein feurig greller,Schlägt empor wie eine Flamme!Jach erhitzen ſich die BlecheUnd die Geige ſtreicht ein Dämon!Mir zur Rechten, mir zur Linken,Mir zu Häupten, mir zu Füßen,Ungezügelt, ungebändigt,Erderſchütternd ſtampft der Reigen,Immer lauter, wilder, tollerTobt und rast und dröhnt und tritt er,Daß erbeben alle Balken,Toſend ſauſten durch die LüfteBerghaus, Hengert, Folterkammer,Wie voreinſt die hochgelobteCaſa ſanta durch die LüfteFuhr von Iſtrien nach Loretto,Doch von Engeln ſie getragen,Ich von hölliſchen GewaltenAn den Sabbat auf dem Blocksberg ..Alſo ging es bis zum Morgen,Da die heil'ge Frühe löſchteStern an Stern am ew'gen LeuchterUeber ſchwarzen Tannenbergen.Lechzend öffnet' ich das Fenſter,Einzuſchlürfen Morgenlüfte,Abzukühlen die zertanzteFieberſchwüle Stirn im Winde ....Wagen rollten in die Ferne,Trugen fort die letzten Gäſte.Unterm Vordach ein Geflüſter —Ein aus tiefſter Bruſt geſeufztes,Ein aus tiefſter Bruſt erwiedertLeidenſchaftliches Addio ....
Bacchus in Bünden.Wo ſtürzend aus rätiſchen Klüften der RheinUm ſilberne Hüften ſich gürtet den Wein,Ziehn paukende Masken mit Cymbelgeläut:„Du Traube von Trimmis, dich wimmeln wir heut!“Sie treten den Reigen, ſie ſtampfen den Chor,Da dunkelt's und lodern die Fackeln empor:Ein Kranz in den Lüften! Ein wirbelndes Paar!Ein brennender Nacken! Ein purpurnes Haar!Die Fackeln verlöſchen. Es hebt ſich der GlanzDes ſchimmernden Monds und vergeiſtert den Tanz —Ein adliger Jüngling von fremder GeſtaltBemeiſtert den Reigen mit Herrſchergewalt.Er ſchwebt in der Mitte bekränzt und alleinMit leuchtenden Füßen in himmliſchem Schein,Die Schulter umflattert getigertes Fell,Er trägt einen Scepter, der kühne Geſell.Er neigt ihn vor Irma, der träumenden Maid:„In nachtdunkle Haare taugt blitzend Geſchmeid!“Er greift in den Himmel mit mächtiger Hand,Er raubt aus den Sternen ein flimmerndes Band:Schön Irma ſchwebt hin mit dem Krönlein von Licht,Als feſſelte fürder die Erde ſie nicht,Er ſchwingt ihr zu Häupten den Thyrſus umranktMit üppigem Laube, von Trauben umſchwankt ...Zwölf Schläge verkünden die Mitte der Nacht.Der Reigen ermüdet. Das Feſt iſt vollbracht!„Herunter die Masken! So will es der Brauch!Du Führer des Reigens, entlarve dich auch!Wir ſind unſer zwanzig, und voll iſt die Zahl!Wer biſt du, der frech in die Gilde ſich ſtahl?Ein Gaukler? Ein Zaub'rer? Sprich wie du dich nennſt!Sonſt fürcht' unſre Meſſer, biſt du kein Geſpenſt!“Ein Mönchlein, ein zechend entſchlafnes, wird reg:„Wer biſt du? Der Satan? Dir weiſ' ich den Weg!“Er zeichnet ein Kreuz. „Nun entmumme dich nur!Ich bin der gelehrte Pancrazi von Cur!“Der Jüngling entlarvt ein von Eppich umlaubt,Ein hohes, ein mildes, ein gnädiges Haupt:„Zu Füßen dem Herrſcher, vermeſſen Geſind!Ich bin Dionyſus, des Donnerers Kind!“Er lächelt dem Mönch in das feiſte Geſicht:„Silenos, Silenos, verleugne mich nicht!Mich hat ſeine Gnaden, der Biſchof, gebanntUnd iſt doch mein treu'ſter Bekenner im Land.Weinfröhliche Räter, etruriſch Geſchlecht,Ihr habt ſchon am Reno Ein italieniſcher Fluß. gehörig gezecht,Doch hüben am Rhein in germaniſcher MarkBezecht ihr euch doppelt und dreimal ſo ſtark.“
Wundfieber.„Berggeiſt, ich höre deine Ströme rauſchen —Gieb mir Gehör! Wir wollen Rede tauſchen!Du von der Firne mondenhellen Hängen,Ich aus der Krankenkammer ſchwülen Engen!Denn wiſſe, Geiſt, ich liege hier gefangenUnd laſſe den geknickten Flügel hangen.Ich ächz' und ſtöhne, den gelähmten, wunden,Gebrochnen Arm dicht an den Leib gebunden.Zwei kurzer Wandertage ſüßes Träumen —Und dich verdroß ein Gaſt in deinen Räumen.Vom Tiſche ſtießeſt du den freud'gen Zecher,Entriſſeſt mir den eisgewürzten BecherUnd rollteſt mich hohnlachend durch die KlüfteHinunter in des Fieberlagers Grüfte.Verräther, ſchmählich haſt du mich betrogen!Haſt du mich leiſe rufend nicht gezogen?Warſt du mir lange Jahre nicht gewogen?Und wann in deinem Reich ich mich verirrte,Schritt nicht, wie Zufall, mir voran ein HirteUnd ließ in ſeine ſichern Stapfen tretenBergab mich — ungerufen, ungebeten?Du biſt mir gram geworden? Laß dich fragen!Muß ich der führerloſen Fahrt entſagen?Des hohen Irreganges mich entwöhnen?“Mir gab Beſcheid der Geiſt mit tiefen TönenIm Flutenſturz und in der Laue Dröhnen,Es klang wie Droh'n und wieder klang's wie Höhnen:„Ein junger Wand'rer kam zu mir gefahrenMit haſt'gen Schritten und mit weh'nden Haaren.Ein bleiches Bild, ſo iſt er ohne BangenAuf meinen ſchmalen Gräten umgegangen,Und über Klüften, ſchwindelnd abgrundtiefen,Aus welchen jubelnd ihn die Wogen riefen,Iſt er gewandelt auf geſtürzten FöhrenUnd ſchien in meine Wildniß zu gehören,Ein dumpfer Ton in meinen dumpfen Chören —Du warſt's! Und gingſt an eines Abgrunds Saume,Unkundig der Gefahr, in wachem Traume,Doch mir gefiel der Kühne und der Blinde,Und Sorge trug ich dir als einem Kinde —Jetzt, lieber Herr, biſt leidlich du vernünftig,Haſt Weib und Hof, biſt in der Gilde zünftig,Verlaß dich nicht auf meine Flügel künftig!“C. F. Meyer, Gedichte. 7
Frag mir nicht nach.Wo weiß die Landquart durch die Tannen ſchäumt,Irrt' unbekümmert ich um Weg und Zeit,Da ſtand ein grauer Thurm — wie hingeträumtIn ungebrochne Waldeseinſamkeit.Ich ſah mich um und frug: „Wie heißt das Schloß?“Ein bucklig Mütterlein, das Kräuter brach;Da grollte ſie, die jedes Wort verdroß:„Fragmirnichtnach.“Ich ſchritt hinan; im Hof ein Brünnlein ſcholl,Durch den verwachsnen Thorweg drang ich ein,Ein dünnes kühles Rieſeln überquollAuf einer Gruft den ſchwarz bemooſten Stein.Ich beugte mich nach des Verſchollnen Spur,Entziffernd, was des Steines Inſchrift ſprach,Nicht Zahl, nicht Namen — ein Begehren nur:Frag mir nicht nach!
Geſpenſter.Am Horizonte glomm des Abends Feuer;Ich ſtieg, indeß die Purpurglut verblich,Zum Römerthurm empor und lehnte michRandüber auf das dunkelnde Gemäuer —Und ſah, wie ſich am Hange ſcheu und ſcheuerDie Beerenleſerin vorüberſchlich.Das arme Weibchen drückt' und duckte ſich,Und ſchlug ein Kreuz: ihr war es nicht geheuer . . . .Mich flog ein Lächeln an. Im Eppich nebenDer Brüſtung flüſtert's: „Freund, in deinem LebenIſt auch ein Ort, wo die Geſpenſter ſchweben!Führt dich Erinn'rung dem zerſtörten OrtVorbei, du huſcheſt noch geſchwinder fort,Als das von Graun gepackte Weibchen dort.“7*
Alte Schrift.Jüngſt verlockt' es mich im Abendglimmen,Zum Lombardenthurm emporzuklimmen,Dem verſchollnen Herrſcher hier im Gaue,Der die Ferne noch beherrſcht, die blaue.In den Trümmern bin ich lang geblieben:Wandrernamen ſtanden rings geſchriebenHoch im Raum — der Boden war gewichen,Lettern und Gebilde halb erblichen.Einer dichtet ANNO MD:„Gott hab' ich in der Natur bewundert!“„Gaudeamus!“ gräbt ein flotter ZecherUm den keck entworfnen Rieſenbecher.Dort ein Herz von einem Pfeil durchſchnitten:„Hedewig“ ſteht auf des Bolzes Mitten;Dicht daneben ſetzt ein ZeitgenoſſeGut lateiniſch eine derbe Poſſe —Dann zur Raſt in des Caſtelles SchattenLegten ſich die Schüler auf die Matten,Schlürften eines Humpens rothe WellenUnd mir iſt: ich trink' mit den Geſellen.
Das Gemälde.Trüb brennt der Schenke Kerzenlicht,Der Wirthin junges Angeſicht,Ermüdet, ſchlummertrunken,Nickt auf die Bruſt geſunken,Denn ſchon iſt Mitternacht vorbei.Am Schiefertiſche ſpielen Zwei,Die weißen Würfel ſchallen,Schlecht iſt der Wurf gefallen —Ein junges wildes AugenpaarDroht aus verworrnem Lockenhaar:„Das war mein letztes Silberſtück!Doch wenden muß ſich jetzt das Glück!Du, Alter, mußt mir borgen!Wir ſpielen bis zum Morgen!“Mit grünen Katzenaugen blitztDer Alte, der im Dunkel ſitzt:„Laß dich zu Bette legen,Die Mutter ſpricht den Segen!“Des Jungen Fauſt zerdrückt das GlasMit einem Fluch — „Kind, weißt du was?„Ein Schlößlein ſteht auf grünem Plan“So fängt ein altes Märchen an.Ich meine das im Walde,Hier oben an der Halde.Verſchloſſen ſind die Fenſter,Drin hauſen nur GeſpenſterFür den der an Geſpenſter glaubt —Sobald das Jahr den Wald entlaubt,Macht ſich der Herr von hinnenVon dieſen luft'gen Zinnen —Schwelgt in der Stadt im MarmorſaalUnd ſpielt bei luſt'gem Kerzenſtrahl.Kling, kling! Ich hör' es klingen,Wie goldne Füchſe ſpringen ...Dein Vater — ward mir recht geſagt? —War Pächter und iſt ausgejagt ...Da weißt du droben ein und aus,Du kennſt den Hund, du kennſt das Haus —Ich borgte mir mein Spielgeld friſchVon dieſes reichen Mannes Tiſch!Nimm was da liegt, nimm was da ſteht:Ein Prunkgeſchirr, ein Goldgerät,Mir darfſt du's gleich verhandeln,Ich kann's in Münze wandeln.Von ſelber öffnet ſich der Schrein,Du müßteſt nicht ein Schloſſer ſein ...“Der Burſche lauſcht mit dumpfem HirnDem hölliſchen Gemunkel,Ein Schatten ſteht auf ſeiner Stirn,Ein Schatten tief und dunkel:Und wieder leis und lüſternBeginnt das grimme Flüſtern:„Kurt, ſieh den Lauf der Welt dir an!Was wohl gelingt, iſt wohl gethan!Betrachte dir die ThatenDer großen Diplomaten,Die klugen Herrn verſtehn den Pfiff,Ein leiſer Schritt, ein ſich'rer Griff!Dann ſpielt man hübſch VerſteckenUnd läßt ſich nicht entdecken —Du blickſt ſo wild als wollt'ſt du michErſtechen, Kurt, beſinne dich!Wo ſuchſt du deine Schlüſſel, Kurt?Du trägſt den ganzen Bund am Gurt! ...“Er ſtürzt hinaus, empört, bethört,Die Wirthin, die ihn ſchreiten hört,Lallt halb im Traum, ſie weiß nicht wie:„Wie geht's der Mutter? Grüße ſie!“Er taumelt in die Nacht hinaus,Um ſeine Stirn fliegt ein GebrausBetrunkener GedankenUnd ſeine Schritte wanken.Er ſtürmt empor die StreckeZum Schloß auf Schneees Decke,Das Gitter überſteigt er leisUnd kniſternd bricht das Tannenreis,Er ſchleicht und nach der Leiter langtEr, die am Dach der Scheune hangt,Er ſteht am Herrenhauſe ſchon,Er klettert über den Balkon,Sein Herz, er hört es pochenUnd hat die Thür erbrochen.Raſch iſt ein Wachslicht angebrannt,Laut kracht es in der Täfelwand,Ihm ſteigt das Haar, hin ſtarrt er wildUnd ſieht ein farbenlieblich Bild,Von lichtem Reif umgeben,Sich aus dem Düſter heben:Den Schlummer eines Knaben ſiehtEr, neben dem die Mutter kniet,Die blauen Augen ſtrahlen lichtVon einer guten Zuverſicht,Nicht kann den Blick er wendenVon dieſen fleh'nden Händen ...Da muß mit ThränenbächenDie harte Rinde brechen —Dumpf klirrend fällt der Schlüſſelbund.Die Mutter dankt mit frohem Mund.Er flüchtet über den Balkon,Die Leiter trägt er ſchnell davon,Als wandelt' er auf Gluten —Und wendet ſich zum Guten.
Die Rehe.Fern von dem fürſtlichen keuſchen GemahlJubelt ein blühender Jüngling im Saal:„Hebet die Becher und ruft daß es ſchallt:Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“All die Genoſſen der weidlichen LuſtBringen das Hoch aus erglühender Bruſt:„Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt!Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“Schmetternde Hörner! Dann flüſtern ſie ſacht,Scherzen und locken die Elfen der NachtAus ihren Waldesverſtecken hervor —Aengſtliche Schläge beſtürmen das Thor.„Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!“Lärmt im erleuchteten Hof das Geſind.„Fürſtlich bewirthen mit Kuchen dich wir!Drinnen was ſuchſt du? Beſcheide dich hier!“Raſch in den Saal, in den fürſtlichen, trittEine Geſcheuchte mit haſtigem Schritt,Ueber den Buſen, vom Laufe bewegt,Kreuzweis die flehenden Arme gelegt —Blätter am Röcklein, herbſtröthlich und falb!Krausdunkle Haare, noch flattern ſie halb,Süßbraune Augen und ſchmerzlich dabei,Blutende Füße — nicht die einer Fei!„Sage, wer biſt du, krauslockiges Haupt,Schimmernd von purpurnen Blättern umlaubt?“— „Rehe, die Rehe, ſo heiß' ich im LandVon meinem braunen Gelock und Gewand“ —„Mein iſt die Rehe! Des Herrn iſt die Jagd!“Jubelt der Jüngling, es ſträubt ſich die Magd ...Halali! hetzt es und tobt es und hallt.Ringend entwindet ſie ſich der Gewalt.Lodernde Augen, wie Blitze der Nacht —Doch ſie beſinnt ſich. Dann redet ſie ſacht:„Rehe, die Rehe, ſo heiß' ich im Land,Wilpert, der Schütz, iſt der Vater genannt —Auf eine Jagd, die dem Herrn nur gebührt,Hat ihn ein ätzendes Rudel verführt.Siehe, da kniet er, da zielt er und knallt —Heut hat der Vater gefrevelt im Wald!Doch deine Förſter ergriffen ihn, weh,Ihn und das ſündlich erbeutete Reh.Ich, von der Angſt und dem Jammer gejagt,Lief in den Wald, eine hilfloſe Magd.Da ſchier das Herz mir im Buſen zerſprang,Sah ich die Kerzen und hörte den Klang —Glaubte die gütige Herzogin hierUnd nun erzittr' ich und ſteh' ich vor dir.Gieb mir den Vater und gieb mir ihn bald,Daß ich getröſtet verlaſſe den Wald.Gnade!“Der Herzog geſteht ſich verwirrt,Daß man ſich leichtlich im Walde verirrt.Und er bekennt, vom Gewiſſen gerührt,Daß eine Rehe vom Wege verführt.Murmelnd verlangt er ein Blatt, einen Stift,Schreibt eine Zeile mit ſchwankender Schrift:„Wilpert, dem Schützen, gewähr' ich Pardon!“Und ſie bedankt ſich und fort iſt ſie ſchon.Er tritt ans Fenſter und öffnet es ſacht:Leuchtende Sterne der ruhigen Nacht!Dort eine flüchtige dunkle GeſtaltUnd eine Rehe verſchwindet im Wald.
Die Zwingburg.Gebrochen iſt der alte Twing,Ringsum ergrünt ſein Mauerring,Der Eppich ſchwankt im Fenſter,Verſunken in der Erde SchooßTief unter das beſonnte MoosSind Ritter und Geſpenſter.Wo durch das tiefgewölbte ThorDie zorn'ge Fehde ſchritt hervorUnd ließ die Hörner ſchmettern,Da hat ſich, duftig eingeengt,Ein Zicklein ans Geſträuch gehängtUnd naſcht von jungen Blättern.Wo wild verträumt Frau Minne ſtund,Zerrann auf blauem HimmelsgrundDer kecke Bau des Erkers.Wo tief der ſtumme Haß gegrollt,Liegt weich, ins hohe Gras gerollt,Ein feuchter Stein des Kerkers.Und wo den Teich vom HügelhangHerab die trotz'ge Feſte zwangEin finſter Bild zu ſpiegeln,Da rudert, von der Flut benetzt,Der Burg zerſtörtes Wappen jetzt:Ein Schwan mit Silberflügeln.
IV.Reiſe.
„Tag, ſchein' herein und, Leben, flieh hinaus!“Shakespeare.Tag, ſchein' herein! Die Kammer ſteht dir offen!Holdſel'ger Lenzesmorgen, ſchein' herein!Schon glitzert, von der Sonne Strahl getroffen,Das Tintenfaß, der eichne Bücherſchrein.Vogt Winter muß dem Lenze Rechnung geben,Dem ſchönen Erben über Hof und Haus —Auch mir zu gut geſchrieben iſt ein Leben —Tag, ſchein' herein und, Leben, flieh hinaus!Ich war von einem ſchweren Bann gebunden.Ich lebte nicht. Ich lag im Traum erſtarrt.Von vielen tauſend unverbrauchten StundenSchwillt ungeſtüm mir nun die Gegenwart.Aus dunkelm Grunde grüne Saat zu weckenBedarf es Sonnenſtrahles nur und Thaus,Ich fühle wie ſich tauſend Keime ſtrecken.Tag, ſchein' herein und, Leben, flieh hinaus!Ein Segel zieht auf wunderkühlen Pfaden,In Flutendunkel ſpiegelt ſich der Tag.Was hat die Barke dort für mich geladen?Vielleicht iſt's etwas das mich freuen mag!Entgegen ihr! Was wird die Barke bringenDurch blauer Wellen freudiges Gebraus?Entgegen ihr! Mit weitgeſtreckten Schwingen!Tag, ſchein' herein und, Leben, flieh hinaus!
La Röſe.Als der Bernina FelſenthorDurchdonnerte der WagenUnd wir im Süden ſahn emporDie Muſchelberge ragen,Blies ſchmetternd auf dem Rößlein vornDer in der Lederhoſe.„Wen grüßeſt du mit deinem Horn?“„Die Roſe, Herr, die Roſe!“Mit flachem Dach ein Säulenhaus,Das erſte welſche Bildniß,Schaut Röſe weinumwunden ausVerworr'ner Gartenwildniß —Es iſt, als ob des Baches FlutMelod'ſcher ſchon ertoſe,Hell brennt in AbendſonnenglutDie Roſe, ja, die Roſe.Nun, Herz, beginnt die WonnezeitAuf Wegen und auf Stegen,Mir ſtrömt ein Hauch von UeppigkeitUnd ew'gem Lenz entgegen —Mir gaukelt um die helle StirnEin Falter mit Gekoſe —Den Wein bringt eine junge Dirn,Die Roſe, ja, die Roſe.Noch einmal darf in ſüdlich LandIch Nordgeborner wallen,Vertauſchen meine FelſenwandMit weißen Marmorhallen.Gegrüßt, Italien, Licht und Luſt!Ich preiſe meine Looſe!Du biſt an unſrer Erde BruſtDie Roſe, ja die Roſe!C. F. Meyer, Gedichte. 8
Die Schlacht der Bäume.Hier am Sarazenenthurme,Der die Straße hielt geſchloſſen,Iſt in manchem wilden SturmeDeutſch und welſches Blut gefloſſen.Nun ſich in des Thales RäumenLänger nicht die Völker morden,Ringen noch mit ihren BäumenHier der Süden und der Norden.Arvbaum iſt der deutſchen BandeBannerherr, der düſter kühne,Ueppig Volk der Sonnenlande,Rebe führt's, die ſonnig grüne.Ohne Schild- und Schwertgeklirre,Ohne der Drommete SchmetternKämpfen in der FelſenirreHier die Nadeln mit den Blättern.
Der Triumphbogen.Ein leuchtend blauer Tag. Ein wogend Aehrenfeld,Daraus ein wetterſchwarzer Mauerbogen ſteigt.In ſeinem kurzen Schatten ſchläft das Schnittervolk.Allein emporgerichtet ſitzt die ſchönſte Maid,Des Landes Kind, doch welchen Lands? Italiens!Ein ſtrenggeſchnittnes, muſenhaftes Angeſicht,Am halbzerſtörten Sims des Bogens hangt der Blick,Als müht' er zu enträthſeln dort die Inſchrift ſich.(Wenn nicht des Auges Dunkel von dem Liebſten träumt.)Sie hebt die erſte ſich, erweckt die Schnitterſchaar,Ergreift die blanke Sichel, die im Schatten lag,Und ſchreitet herrlich durch das golden wogende Korn,Umblaut vom Himmel als ein göttliches Gebild.S'iſt Klio, die das Alterthum enträthſelnde,Vergilbten Pergaments und der Archive müd,Gelockt vom Rauſchen einer überreifen Saat,Wird ſie zur ſtarken Schnitterin. Die Sichel klingt.8*
Auf dem Canal grande.Eine glückgefüllte Gondel gleitet auf dem Canal grande,An Giorgione lehnt die Blonde mit dem rothen Sammtgewande.„Giorgio, deiner Laute Saiten hör' ich leiſe, leiſe klingen“ —„Julia Vendramin, Erlauchte, was befiehlſt du mir zu ſingen?“„Nichts von ſchönen Augen, Giorgio! Solches Thema ſollſt du
laſſen!Singe, wie dem Meer entſtiegen dieſe wunderbaren Gaſſen!Feſſle kränzend keine Locken, die ſich ringeln los und ledig!Giorgio, ſinge mir von meinem unvergleichlichen Venedig!“„Meine ſüße Muſe will es! Es geſchieht!“ Er präludierte.„Weiland, eh' des heil'gen Marcus Flagge dieſes Meer regierte,Drüben dort, wo duftverſchleiert Iſtriens ſchöne Berge blauen,Sank vor ungezählten Jahren eine Dämm'rung voller Grauen.Durch das Dunkel huſchen Larven, angſtgeſchreckte Hunde winſeln,Schreie gellen, Stimmen warnen: „Löſt die Böte! Nach den
Inſeln!“In den Lüften haucht ein Odem, wie es in den Gräbern
modert —Schaurig tagen Meer und Himmel! Aquileja brennt und lodert!Von der Stätte, wo die ſtillen, ungezähmten Flammen wogen,Kommt ein dumpfes Menſchenbrauſen nach dem freien Strand
gezogen:Attila, die Gottesgeißel, jagt auf blutbeſprengten PfadenKrieger mit zerbrochnen Schwertern, Fraun mit Schätzen ſchwer
beladen.Wie zum Hades Schatten wandern, ziehn zum Meere die
Geſcheuchten,Das die purpurroth gefärbten Wolken weit hinaus beleuchten,Wittwen, Waiſen ſchreiten jammernd, ſchweigend ſtürzen wunde
Männer,Mitten im Gewühle bäumen Wagen ſich und ſcheue Renner.Kniee wanken, Füße gleiten, Käſtchen brechen, draus die hellenGoldnen Reife rollend ſpringen und die weißen Perlen quellen.Nackte Küſtenkinder ſtarren gierig auf das rings zerſtreuteGold, und doch betaſtet's keines, — Etzel's iſt die ganze Beute!Schiffer rüſten dunkle Nachen, drüber Wogen ſchäumend ſchlagen,Durch die weiße Brandung werden bleiche Fraun an Bord
getragen —Mit der Rechten an die phryg'ſche Mütze langt der Meerplebejer,Beut zum Sprung ins Boot die Linke dem behelmten Aquilejer.Schon entflieht ein Schiff mit weh'nden Segeln, flatternden
Gewanden,Drin ſich weitgetrennte Looſe ſonder Wahl zuſammenfanden,Unbekannte Hände drücken ſich in angſtbeklommnem Traume,Aquileja's Ueberbleibſel ſchmiegen ſich in engem Raume.Letzte Scheideblicke wendend, ſehn ſie noch den Himmel bluten,Aber tiefer ſtets und ferner brennen die geſunknen Gluten.Still verglimmt der Heimat müde Todesfackel. Auf die RuderBeugt ſich Unglück neben Unglück, Bruder ſeufzend neben Bruder.Eine Fürſtin küſſt ein Knäblein, ein dem Edelblute fremdes,Eine Sclavin wärmt ein fürſtlich Kind im Schooß des Wollen¬
hemdes —Unter ihnen Eine Tiefe, über ihnen Eine Wolke —Liebe thaut vom Himmel, Liebe wächſt in dieſem neuen Volke.Ueber eines Mantels Flattern, ſturmverwehten greiſen HaarenWill das Schweben einer Glorie einen Heil'gen offenbaren,Dieſes iſt der heil'ge Marcus, rüſtig rudernd wie ein Andrer —Nach den nahenden Lagunen lenkt die Fahrt der ſel'ge Wandrer.Neben ihm der Jugendſchlanke ſchlägt die Wellen, daß ſie ſchallen,Wirren Locken ſind die Kränze ſchwelgeriſcher Luſt entfallen.Der Bacchant wird zum Aeneas. Niederbrannte Troja's Feuer.Mit den rudernden Genoſſen ſucht er edles Abenteuer.Mälig lichtet ſich der Oſten. In der erſten Helle ſchauenKecke Männer tief ins Antlitz morgenſtiller ſchöner Frauen —Lieblich Haupt, das blonde Flechten wie mit lichtem Ring
umwinden,Bald an einem tapfern Herzen wirſt du deine Heimat finden!Scharfgezeichnet neigt ſich eines Helden narb'ge Stirne denkend,In das göttliche Geheimniß ew'gen Werdens ſich verſenkend;Rings in Stücke ſprang zerſchmettert Roma's roſt'ge Rieſenkette,Neue Weltgeſchicke gönnen junger Freiheit eine Stätte ....Wie geworfen aus dem Himmel heiter ſpielend von Auroren,Schwimmt ein lichter Kranz von Inſeln in die blaue Flut ver¬
loren —Jubelnd grüßen den beſchwingten, den beſeelten RuderſchlägenFiſcher bis zum Gurt umbrandet, netzezieh'nde, ſchon entgegen.„Fleh'nde kommen wir, Veneter! Drüben flammt ein weit
Verderben!Unſre Seelen ſind entronnen einem ungeheuern Sterben!“„Freuet euch! Ihr lebt und athmet! Hier iſt euch Aſyl gegeben!Friede ſei mit euren Todten! Freude denen, die da leben! ...“Schwert und Ruder tragend wallen ernſte Genien vor den Böten;Auch ein Schwarm von Liebesgöttern flügelt durch die jungen
Röten —Ueber das Geſtein der Inſeln geht ein Hauch von Luſt und
Wonne,Ahnungsvollem Meer entſteigend, prangt Venedigs erſte Sonne.Blonde Julia, Deiner Heimath Urſprung hab' ich dir verkündet,Liebe hat die Stadt Venedig, Liebe hat die Welt gegründet —Deiner Augen ſtrahlend blauer Himmel würde bleichen ohneLiebesfeuer und verſtummen, wie die Laute des Giorgione.“
Venedig.Venedig, einen Winter lebt' ich dort —Paläſte, Brücken, der Lagune Duft!Doch hier im harten Licht der GegenwartVerdämmert mälig mir die Märchenwelt.Vielleicht vergaß ich einen Tizian.Ein Frevel! Jenen doch vergaß ich nicht,Wo über einem Sturm von Armen ſichDie Jungfrau feurig in die Himmel hebt,So wenig als den andern Tizian —Doch kein gemalter war's — die Wirklichkeit:Am Quai, dem nächt'gen, der Slavonen war's.Im Dunkel ſtand ich. Fenſter ſchimmerten.Zwei dürft'ge Frauen kamen hergerannt.Hart an die Scheibe preßt' das junge WeibDie bleiche Stirn. Was drinnen ſie erblickt,Das ſie erſtarren machte, weiß ich nicht.(Vielleicht den Herzgeliebten, welcher ſieAn eines andern Weibes Bruſt verrieth.)Ich aber ſah den feinſten MädchenkopfVom Tod entfärbt! Ein Antlitz voller Tod!Die Mutter führte weg die Schwankende ...Die beiden Tiziane blieben mirStets gegenwärtig; löſchen ſie, ſo liſchtDie Göttin vor dem armen Menſchenkind.
Die Narde.
(Nach einem venezianiſchen Bilde.)
Die brave Marthe that, was ſie vermocht',Sie rupfte, ſpickte, briet und ſott und kocht',Sie ſchob dem Herrn die braunſten Kuchen zu,Und: „Dieſen“, ſagt' ſie, „Herr, verſuche Du!“Maria nahte, die den ſchlanken Krug,Gefüllt mit einer ſeltnen Narde, trug.Sie neigt' das Knie, den Krug. Die Narde floß.Sie neigt' das Herz, das ſtrömend ſich ergoß.In der beſeelten Hand Mariens ruht'Der edle Fuß. Drauf quoll der Narde Flut.Ihn abzutrocknen löſte ſie des HaarsGeſchlungenen Knoten. Blond und ſeiden war's.Ein ſpitz Geflüſter regte ſich am Tiſch,Wie der getretnen Viper ſcharf Geziſch:„Das duftet! Tauſend oder mehr DenarVerduften mit! Ich wollt' wir hätten's baar!Bei Levi legten wir's auf Zins geſchwindUnd draus erzögen wir ein Waiſenkind —“„Still,“ ſagt' der Göttliche, „laß unentweiht,Judas! Wer liebt, verſchwendet allezeit.“
Nach einem Niederländer.Der Meiſter malt ein kleines zartes Bild,Zurückgelehnt, beſchaut er's liebevoll.Es pocht. „Herein.“ Ein vlämiſcher Junker iſt'sMit einer drallen, aufgedonnerten Dirn,Der vor Geſundheit faſt die Wange birſt.Sie rauſcht von Seide, flimmert von Geſchmeid.„Wir haben's eilig, lieber Meiſter. Wißt,Ein wackrer Schelm ſtiehlt mir das Töchterlein.Morgen iſt Hochzeit. Malet mir mein Kind!“„Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinſelſtrich!“Sie treten luſtig vor die Staffelei:Auf einem blanken Kiſſen ſchlummernd liegtEin feiner Mädchenkopf. Der Meiſter ſetztDes Blumenkranzes tiefſte Knospe nochAuf die verblichne Stirn mit leichter Hand.— „Nach der Natur?“ — „Nach der Natur. Mein Kind.Geſtern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienſt.“
Ja.
(Nach einer alten Skizze.)
Als der Herr mit mächt'ger SchwingeDurch die neue Schöpfung fuhr,Folgten in gedrängtem RingeGeiſter ſeiner Flammenſpur.Seine ſchönſten Engel walltenIhm zu Häupten ſelig leis,Rieſenhafte NachtgeſtaltenSchloſſen unterhalb den Kreis.„Eh' ich euern Reigen löſe,“Sprach der Allgewalt'ge nun,Schwöret, Gute, ſchwöret, Böſe,Meinen Willen nur zu thun!“Freudig jubelten die Lichten:„Dir zu dienen, ſind wir da!“Die zerſtören, die vernichten,Die Dämonen knirſchten: „Ja.“
Die Cartäuſer.Ich ſehe ſie auf Sacchi's ſüßem BildeBeſchreiten ihrer todten Brüder Grüfte,Gegürtet mit dem Knotenſtrick die Hüfte,In weißen Kleidern, feſtlich, göttlich milde —Manch einer ſchleppte ſich mit Schwert und Schilde,Gepanzert ſauſt' zu Roß er durch die Lüfte,Bevor er ſuchte die verlornen KlüfteUnd weltentſagend trat in dieſe Gilde.Sie alle wollen hier in öder WildnißVergeſſen ein verführeriſches Bildniß,Sie alle wollen hier ein Stündlein büßen,Um mit den Reinen rein ſich zu begrüßen,Sie alle wollen hier ein Stündlein beten,Bevor ſie vor den ſtrengen Richter treten.
Der römiſche Brunnen.Aufſteigt der Strahl und fallend gießtEr voll der Marmorſchaale Rund,Die, ſich verſchleiernd, überfließtIn einer zweiten Schaale Grund;Die zweite giebt, ſie wird zu reich,Der dritten wallend ihre Flut,Und jede nimmt und giebt zugleichUnd ſtrömt und ruht.
Tarpeja.Am Brunnen überfluthet im DämmerlichtDer volle Krug und die Mägde merken's nicht,Denn Nina plaudert: „Freundinnen, wiſſt ihr wohl,Daß Eine ſitzt im Geſtein am Capitol?Mein Schatz, der Beppo, hat ſie unlängſt geſehnVor ihrem runden Silberſpiegel ſtehn,Die ſich zu Haupt das güldene Krönlein hub —Mein Schatz, der Beppo, da er nach Münzen grub.Er ſchlüpfte durch einen ſchmalen Felſengang,Er tappte ſich einen finſtern Pfad entlang —Sie glomm in Höllenlicht! Er rief: „Wie ſchön!“Die Treppe brach mit donnerndem Getön.Sie war des römiſchen Caſtellanes KindUnd ſie verrieth die Burg und das Burggeſind!Mit Fingerdeut bedang ſich die ſchlaue MaidDes Feindes Helmgekrön und Schildgeſchmeid!Die Krönlein all und die Stein' und die goldnen Ring'Beäugelt' ſie, die in Feindes Lager ging!Sie öffnet' ihm ein Thor mit ſünd'gem MutUnd ſah des Vaters Haupt, es ſchwamm in Blut.Doch da am Feinde ſie die Löhnung ſucht',Ward ſie mit Hohn erdrückt und mit Schildeswucht,Sie ſtürzte, von ihrem eigenen Hort entſeelt,Erſtickt vom Lohne den ſie ſelbſt gewählt.Dann grub die Zeit ſie tief und tiefer ein,Sie ſank hinunter, hinab ins Felsgeſtein,Hinab, hinunter viel hundert Klafter tiefMit ihrem gleißenden Hort, darin ſie ſchlief.Da ſitzt die arme Seele nun in PeinUnd putzt, die eitle, ſich mutterſeelallein —Tarpeja, gieb heraus der Kettlein drei!Wir tragen's den Knaben zu Luſt in Lüften frei!Tarpeja, gleite durch den FelſenſpaltDrei Kettlein und drei goldene Ringlein bald!Tarpeja lieb! Wir ſind zufrieden, giebſtDu nur, was du verächtlich bei Seite ſchiebſt.Der Beppo ſagt: weil du begingſt Verrat,Biſt du verdammt für deine Miſſethat!Behüt' mich Gott! In Ewigkeit verdammt!Weil dir nach rothem Gold das Herz geflammt.Man hört es oft — ſo ſagt er — wie du lachſtWann du dich ſchön vor deinem Spiegel machſt!Man hört es oft — ſo ſagt er — wie du weinſt,Weil nicht du kommſt in den ſchönen Himmel einſt!Tarpeja lieb, entſage der böſen Luſt!Tarpeja, gieb die Kettlein um Hals und Bruſt!Wir beten, Arge, für dich den Roſenkranz,Du ſteigſt empor, empor in den Himmelsglanz!“
Die gegeißelte Pſyche.Wo von alter Schönheit TrümmernMarmorhell die Säle ſchimmern,Windet blaß und lieblich einePſyche ſich im Marmelſteine.Unſichtbarem GeißelhiebeBeugt ſie ſich in Qual und Liebe,Auf den zarten Knieen liegend,Enge ſich zuſammenſchmiegend.Flehend halb und halb geduldigTrägt ſie Schmach und weiß ſich ſchuldig,Ihre Schmerzensblicke fragen:Liebſt du mich? und kannſt mich ſchlagen?Soll dich der Olymp begrüßen,Arme Pſyche, mußt du büßen!Eros, der dich ſucht und peinigt,Will dich ſelig und gereinigt.
Der todte Achill.Im Vatican vor dem vergilbten Marmorſarg,Dem ringsum bildgeſchmückten, träumt' ich heute lang,Betrachtend ſeines feinen Zierats üpp'gen Kranz:Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht,Den Renner, dem die Knie' erſchlafften, welchem ſchwerDie Lider ſanken — von Delphinen rings umtanzt —Im Muſchelwagen durch des Meers erregte Fluth.Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete,Bärt'ge Geſellen, ſchilfbekränztes, ſtumpfes Volk,Geberden ſich als Pferdelenker. Es bedarfDer muth'gen Roſſe Paar, das, Haupt an kühnem Haupt,Die weite Fluth durchrudert mit dem Schlag des Hufs,Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hatSich ſchäkernd ein leichtſinniges Geſind getheilt:Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und zieht'sUnd lacht und haut und ſticht und wundet Licht und Luft.Ein ſchlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm,In ſchwach geballter Fauſt den unbeſiegten Speer,Der auf und nieder, wie der Wage Balken, ſchwankt.Die dritte ſchiebt der blanken Schulter feinen BugDem Erzſchild unter, ganz als zöge ſie zu Feld,Dann deckt damit den ſanften Buſen gaukelnd ſie,Als ſchirmt' das Eiſen eines Kriegers tapf're Bruſt.Die vierte — Held, du zürnteſt, ſchlummerteſt du nicht! —Setzt jubelnd ſich den Helm, den wildumflatterten,Auf das gedankenloſe Haupt und nickt damit.Scherzt, Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter!C. F. Meyer, Gedichte. 9(Denn mit der Mutter, die dein ſchlummerſchweres HauptIm Schooß gebettet hält, der dir das Leben gab,Der ſchmerzverſunknen Mutter, plaudert es ſich nicht.)Pelide, ſprich! Was iſt der Tod? Wohin die Fahrt?Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf?Zu deines Grabes Schmuck und düſtern Ehren nur?Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte That,Verglimmend, wie der Abend eines heißen Schlachtentags?Die Morgenſonnen eines neuen Kampfgefilds?Bedarfſt du deines Schwertes noch, du Schlummernder?Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer.Den Odem neiden einem kleinen AckerknechtSieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährſtDu einer Geiſterinſel bleichem Frieden zuUnd trägſt den Myrtenkranz, beſeligt und geſtillt,Mit den Geweihten! Doch auch ſolches ziemt dir nicht!Was einzig dir geziemt, iſt Kampf und Kampfespreis —Pelide! ein Erwachen ſchwebt vor deinem BootUnd ſchimmert unter deinem mächt'gen Augenlid!Du lebſt, Achill? Gieb Antwort! Wohin wanderſt du?Er ſchweigt! Er ſchweigt. Der Wagen rollt. Ein Triton bläſtSein Muſchelhorn, daß leis und dumpf der Marmor ſchallt.
Der Muſenſaal.Jüngſt trug ein Traum auf dunkler Schwinge michNach Rom der ew'gen Stadt. Den VaticanBetrat ich. Ich betrat den MuſenſaalVerwundert, denn er war ein andrer heut,Als ich geſchaut mit jungen Augen ihn,Da Pio Nono höchſter Prieſter war.Verſchwunden aus dem edeln Octogon,Dem kuppelhellen, war der Muſaget,Apollo, der die Cither zierlich ſchlug,Voranzugehn dem Chor tanzmeiſterlich.Die Neune ſaßen oder ſtanden nichtUmher vertheilt in ſchönen Stellungen —In wilder Gruppe ſchritten eilig ſie,Wie Schnitterinnen, die auf blachem FeldEin leuchtendes Gewitter überraſcht:Voran die blutige Melpomene,Die an den Söhnen rächt der Vater Schuld.Sie trägt das Schwert und auch den Kranz von Wein.„Ein Reich“, ſo jubelt ſie, „zerſtör' ich jetzt!Das Feuer kniſtert unter ſeinem Thron!9*Die nordiſche Barbarin preßt den Fuß,Den plumpen, auf den Nacken eines Weibs,Das ſchmerzenreicher blickt als Niobe —Sklavin, empor! Zerbrich die Feſſel! WirfDie grinſende Barbarin in den Staub! ...“So jauchzt die blutige Melpomene —Wer ſchreitet, ſchlicht gewandet, neben ihr?Kalliope, die keuſch und kindlich blickt,Die den erblindeten Homer geführt,Die tapfre Helden liebt und SchildgetosUnd Roſſgeſtampf und dann abſeits der SchlachtIn jugendzartem Buſen Looſe wägt —Mit beiden Armen in die Ferne grüßtSie jetzt: „Behelmte! Blonde Herzogin!Ins rauhe Heerhorn ſtößeſt du mit Macht!Erzklirrend ſpringen dir die Söhne auf!Die Völker richteſt und beherrſcheſt du,Gerechte Herrin, beilgewalt'ge Frau!“Weithallend redet jetzt ein mächtig Paar,Terpſichore und Polyhymnia:„Der Tag iſt fern und er erfüllt ſich doch:Die Völker ſchreiten einen Reigen einſt,Sich an den Händen haltend, frei geſellt,Vieltauſendſtimmig dröhnt der Chorgeſang!“— „Dann weicht das Leid! Nicht alles, aber dochDas meiſte Leid!“ Euterpe flötet es,Das liebliche Geſchöpf, die Schmeichlerin!— „Dann füllt“, Erato lacht's mit blüh'ndem Mund,Die ſchöne Schelmin, die das Liebeslied,Das Zechlied für allein unſterblich hält,„Dann füllt ein Jeder ſeine Schaale ſichMit duft'gem Wein und ſchlürft und Keiner darbt“ —„Thörinnen!“ gellt ein ſcharfgeſchnittner Mund,„Verſpotte ſie, mein Ariſtophanes! ...Doch eure Kampfgeſellin bin ich auch!Ich morde lachend, was nicht ſterben kann!Im Angeſicht den hippokrat'ſchen ZugZeig' ich der ſelbſtgefäll'gen GegenwartMit meinem Spiegel, der getreu verzerrt,Die Prahlerei der Zeit zerreißt mein HohnIn trunkner Luſt, wie die Bacchante jachEin Zicklein oder Reh in Stücke reißt.Mordluſt'ger bin ich noch und tragiſcherAls du, mein Schweſterchen Melpomene,Denn du erhelleſt unter Zähren dich,Doch mein Gelächter, Thränen ſchluchzen drin!“Thalia rief's und unterm EpheukranzVerlarvte mit der Satyrmaske ſieDie wehmuthvoll ergriffnen Züge ſichUnd hob mit nerv'gem Arm das Tympanum.Die letzte wandelt noch Urania,Die Gläubige mit dem gehobnen Blick(Die andern heißen ſie die Schwärmerin),Doch trennt ſie ſich von den Geſchwiſtern nicht.Sie ſieht den Sturm der Erdendinge ruhnIn friedevollen Händen immerdar —Aufflattert das Gewand! Die Locken wehn!Ein Sturm erbrauſt! Die Säule birſt entzwei!Die Kuppel bricht! In leuchtend tiefem BlauEntfeſſelt ſchwebt der Muſenchor einher.
Alte Schweizer. Bei der Thronbeſteigung Leo's XIII. brach im Vatican eine
kleine Palaſtrevolte aus, weil der ſparſame Papſt den Schweizern
das übliche Donativ zurückhielt.Sie kommen mit dröhnenden Schritten entlangDen von Raphael's Fresken verherrlichten GangIn der puffigen alten geſchichtlichen Tracht,Als riefe das Horn ſie zur Murtener Schlacht:„Herr Heiliger Vater, der Gläubigen Hort,So kann es nicht gehn und ſo geht es nicht fort!Du ſparſt an den Kohlen, Du knickerſt am Licht —An Deinen Helvetiern knauſre Du nicht!Wann den Himmel ein Heiliger Vater gewann,Ergiebt es elf Thaler für jeglichen Mann!So galt's und ſo gilt's von Geſchlecht zu Geſchlecht,Wir pochen auf unſer hiſtoriſches Recht!Herr Heiliger Vater, Du weißt wer wir ſind!Beſcheidene Leute von Ahne zu Kind!Doch werden wir an den Moneten gekürzt,Wir kommen wie brüllende Löwen geſtürzt!Herr Heiliger Vater, die Thaler heraus!Sonſt räumen wir Kiſten und Kaſten im Haus —Potz Donner und Hagel und hölliſcher Pfuhl!Wir verſteigern Dir den apoſtoliſchen Stuhl!“Der Heilige Vater bekreuzt ſich entſetztUnd zaudert und langt in die Taſche zuletzt —Da werden die Löwen zu Lämmern im Nu:„Herr Heiliger Vater, jetzt ſegne uns Du!“
Abſchied von Corſica.Oelbaumſilber, Myrte, Lorbeer, Pinie,Bald im Schnee der Heimath denk' ich euer —Sanfte Buchten, blaue Meereslinie,Auf dem Abend dunkelnd Burggemäuer!Aus der Schlucht erſtrahlend Hirtenfeuer!Lebet, Corſen, wohl, mir lieb geworden!Vor den Kirchen lüpft ihr leicht die Hüte!Gerne knallt ihr und ein bischen MordenSteckt ſeit alter Zeit euch im Geblüte —Daß die heil'ge Jungfrau euch behüte!Klimmend am Geſtein des InſellandesLebet wohl, ihr hitz'gen, kleinen Pferde!Wallend um die Krümmungen des Strandes,Lebet, Schafe, wohl! Gedrängte HeerdeMit den weichſten Vließen auf der Erde!Lebet wohl, ihr grellen Hirtenflöten,Um die Gunſt der jungen Corſin werbend!Lebet wohl, ihr warmen Abendröten,In den weiten Himmeln ſelig ſterbend,Erſt die Wolken, dann die Fluten färbend!Märchen, aus dem Tageslicht verſchollen,An Ajaccio's nächt'ger HafenſtiegeLebe wohl im dumpfen Wogenrollen!Ehernes Gedröhn der hundert SiegeUm des todten Welterob'rers Wiege!Schwer entſagt das Aug der offnen Ferne,Schwer das Ohr dem Meereswellenſchlage —Unter kält're Sonnen, blaſſ're SterneFolget mir, ihr Inſelwandertage,Und umklingt mich dort, wie eine Sage ...
Napoleon im Kreml.Er nickt mit ſeinem großen HauptAm Feuer eines fremden Herds:Im Traum erblickt er einen Geiſt,Der ſeines Purpurs Spange löſt.Der Dämon ſchreit mit wilder Gier:„Mich lüſtet nach dem rothen Kleid!In ungezählter Menſchen BlutGetaucht, verfärbt der Purpur nicht!“Die Beiden rangen Leib an Leib.„Gieb her!“ „Gieb her!“ Der Dämon fleuchtMit ſpitzen Flügeln durch die NachtUnd ſchleift den Purpur hinter ſich.Und wo der Purpur flatternd fliegt,Sprühn Funken, lodern Flammen auf!Der Corſe fährt aus ſeinem TraumUnd ſtarrt in Moskau's weiten Brand.
Die Corſin.Als das Mütterlein erkrankt,Zog es ächzend aus die Schuh,Iſt dem Bettlein zugewankt,Bettet' ſich zur ew'gen Ruh,Seine Haare, weiß wie Flachs,Seine Füße, gelb wie Wachs —Statt wie Mütterlein zu thun,Sterb' ich ſtracks in meinen Schuhn!Heute war ich in der StadtMit dem letzten Silberling,Schaute, was der Krämer hat,Kramte weder Kreuz noch Ring,Kaufte Mehl von WeizenkornUnd ein volles Pulverhorn —Zu dem Liebſten lauf' ich nun,Sterbe ſtracks in meinen Schuhn!Ritten juſt die Blauen Die Gendarmerie. aus,Tranken beim Battiſta Wein,Luden ſcharf am Zollerhaus,Sprengten ins Gebirg hinein.Raſch bin links ich abgeſchweift.Psss ... Die erſte Kugel pfeift —Nächtens bei dem Liebſten ruhnWerd' ich ſtracks in meinen Schuhn!
Der Geſang des Meeres.Wolken, meine Kinder, wandern gehenWollt ihr? Fahret wohl! Auf Wiederſehen!Eure wandelluſtigen GeſtaltenKann ich nicht in Mutterbanden halten.Von der Erde ſeid ihr angezogen:Blaue Gipfel! Küſten weit gebogen!Dort der Stern iſt eines Leuchtthurms Feuer!Ziehet, Kinder! Suchet Abenteuer!Segelt, kühne Schiffer, in den Lüften!Ruhet, ſel'ge Geiſter, über Klüften!Bauet Thürme! Blitzet! Liefert Schlachten!Traget glüh'nden Kampfes Purpurtrachten!Rauſcht im Regen! Murmelt in den Quellen!Füllt die Brunnen! Rieſelt in die Wellen!Brauſt in Strömen durch die Lande nieder —Kommet, meine Kinder, kommet wieder!
Das Strandkloſter.Bollwerk und Mauer trutzenDem Wellenwurf ſchon ein Jahrtauſend ja,Wir ſingen, elf Capuzen,Ein kräftig ſchallend Deo gloria!Die Kutten, ſtark gewoben,Umhingen uns in braunen Lappen lang,Sie ſind gemach verſtoben,Die Stäubchen irrten durch den Kloſtergang.Die Orgel im EmporeSpielt unſer zwölftes todtes Brüderlein,Hier rieſelt uns im ChoreDer morſche Kalk ſanft ins Geripp herein.Es glitt vor tauſend JahrenDem Strand ein Sarazenenſegel nah,Sobald's vorbeigefahren,Anſtimmten wir ein kräftig Gloria.Ergötzt von unſerm Singen,Nahm der Pirat zu uns zurück den Lauf,Zwölf Köpfe ließ er ſpringen,Das Blut ſchoß wie aus Brunnenröhren auf.Wir ſingen ohne Kehlen,Wir ſitzen fröhlich ohne Schädel da,Wir ſingen mit den SeelenEin kräftig ſchallend Deo gloria!Der Morgenſtrahl, der ſchiefe,Durchs rechte Fenſter äugelt er herein,Vergoldend in der TiefeEin luſtiglich pſallierend Todtenbein.Der Abendſtrahl, der ſchräge,Durchs linke Fenſter blinzelt er herein,Und zählt, ob allerwegeWir richtig unſer elf Geſpenſter ſei'n.Oft übertäubt das DröhnenDes Meers die Noten unſrer Litanei,Aus unſern OrgeltönenErhebt ſich oft ein ſchriller Möwenſchrei —Bollwerk und Mauer trutzenDem Wellenwurf noch tauſend Jahre ja,Wir ſingen, elf Capuzen,Ein kräftig ſchallend Deo gloria!
Nicola Pesce.Ein halbes Jährchen hab' ich nun geſchwommenUnd noch behagt mir dieſes kühle Gleiten,Der Arme läſſig Auseinanderbreiten —Die Faſtenſpeiſe mag der Seele frommen!Halb ſchlummernd lieg' ich ſtundenlang, umglommenVon Wetterleuchten, bis auf allen SeitenSich Wogen thürmen. Männlich gilt's zu ſtreiten.Ich freue mich. Stets bin ich durchgekommen.Was machte mich zum Fiſch? Ein MißverſtändnißMit meinem Weib. Vermehrte Menſchenkenntniß.Mein Wanderdrang und meine Farbenluſt.Die Furcht verlernt' ich über Todestiefen,Faſt bis zum Frieren kühlt' ich mir die Bruſt —Ich bleib' ein Fiſch und meine Haare triefen!
Zwiegeſpräch.Sonne:Meine Strahlen ſind geknickte Speere,Ich verſank in blut'ger Heldenehre —Abendröthe:Wie der Ruhm, will ich mit lichten HändenIn das nahe Dunkel Grüße ſpenden.Sonne:Folge deiner Sonne! Längs dem StrandeSchleppe nicht die dämmernden Gewande!Abendröthe:Darf ich nicht ans Sterben mich gewöhnenMit den milden abgeſtuften Tönen?Sonne:Eile dich! Bevor den jungen HeldenEines neuen Tages Fackeln melden!Abendröthe:Ich bin dein, dir folg' ich unaufhaltſam!Ich bin dein, doch zieh mich nicht gewaltſam ...C. F. Meyer, Gedichte. 10
Möwenflug.Möwen ſah um einen Felſen kreiſenIch in unermüdlich gleichen Gleiſen,Auf geſpannter Schwinge ſchweben bleibend,Eine ſchimmernd weiße Bahn beſchreibend,Und zugleich in grünem MeeresſpiegelSah ich um die ſelben FelſenſpitzenEine helle Jagd geſtreckter FlügelUnermüdlich durch die Tiefe blitzen.Und der Spiegel hatte ſolche Klarheit,Daß ſich anders nicht die Flügel hobenTief im Meer, als hoch in Lüften oben,Daß ſich völlig glichen Trug und Wahrheit.Allgemach beſchlich es mich wie Grauen,Schein und Weſen ſo verwandt zu ſchauen,Und ich fragte mich, am Strand verharrend,Ins geſpenſtiſche Geflatter ſtarrend:Und du ſelber? Biſt du ächt beflügelt?Oder nur gemalt und abgeſpiegelt?Gaukelſt du im Kreis mit Fabeldingen?Oder haſt du Blut in deinen Schwingen?
V.Liebe.10*
Alles war ein Spiel.In dieſen Liedern ſuche duNach keinem ernſten Ziel!Ein wenig Schmerz, ein wenig LuſtUnd Alles war ein Spiel.Beſonders forſche nicht danach,Welch Antlitz mir gefiel,Wohl leuchten Augen viele drin,Doch Alles war ein Spiel.Und ob verſtohlen auf ein BlattAuch eine Thräne fiel,Getrocknet iſt die Thräne längſtUnd Alles war ein Spiel.
Zwei Segel.Zwei Segel erhellendDie tiefblaue Bucht!Zwei Segel ſich ſchwellendZu ruhiger Flucht!Wie eins in den WindenSich wölbt und bewegt,Wird auch das EmpfindenDes andern erregt.Begehrt eins zu haſten,Das andre geht ſchnell,Verlangt eins zu raſten,Ruht auch ſein Geſell.
Hesperos.Ueber ſchwarzem TannenhangeSchimmerſt mir zum Abendgange,Eine Liebe fühl' ich neigenSich in deinem Niederſteigen,Unbemerkt biſt du gekommen,Aus der blaſſen Luft entglommen —So mit ungehörten TrittenDurch die Dämm'rung hergeglittenKam die Mutter, die mir legteAuf die Schulter die bewegteHand, daß ich ihr nicht verhehle,Was ich leide, was mich quäle,Und warum ich ohne KlageMich verzehre, mich zernage.Und ich ſchwieg und unter ZährenLieß ſie meinen Trotz gewähren.Hat ſie Wohnung jetzt, die Milde,Dort in deinem Lichtgefilde?Deiner Strahlen ſaug' ich jeden,Durch das Dunkel hör' ich reden,(Und mir iſt als ob die kühleHand ich auf der Schulter fühle)Reden nicht von Seligkeiten,Nur Erinn'rung alter Zeiten —Jetzt verſteht ſie ohne KundeWer ich bin im Herzensgrunde,Dies und jenes muß ſie ſchelten,Andres läßt ſie heiter gelten,Und ſie meint, wie ſich's entſchieden,Gebe ſie ſich auch zufrieden ...Abendſtern, du eilſt geſchwinde!Laß ſie plaudern mit dem Kinde!Freundlich zitternd gehſt du nieder ...Mutter, Mutter, komme wieder!
Das beerdigte Herz.Mich denkt es eines alten Traums.Es war in meiner dumpfen Zeit,Da junge Wildheit in mir gohr.Bekümmert war die Mutter oft.Da kam einmal ein ſchlimmer Brief.(Was er enthielt errieth ich nie.)Die Mutter fuhr ſich mit der HandZum Herzen, faſt als ſtürb' es ihr.Die Nacht darauf hatt' ich den Traum:Die Mutter ſah verſtohlen ichNach unſerm Tannenwinkel gehn,Den Spaten in der zarten Hand,Sie grub ein Grab und legt' ein HerzHinunter ſacht. Sie ebneteDie Erde dann und ſchlich davon.
Ohne Datum.
(An meine Schweſter.)
Du ſcherzeſt, daß ein Datum ich vergaß,Und meinſt, ich dürfte bei dem StundenmaßMit einem Federſtriche mich verweilen.Du ſchreibſt: „Datire künftig deine Zeilen!“Doch war das Zählen meine Sache nie,Nach dem Wievielten ſuch' ich ſtets vergebens,Auch dieſe Zeilen, wie datir' ich ſie?„Aus allen Augenblicken meines Lebens!“Kurz iſt und eilig eines Menſchen Tag,Er drängt, er pulſt, er flutet, Schlag um Schlag,Wie eines Herzens ungeſtümes Klopfen ...Wer teilt die Jagd des Bluts und ſeiner Tropfen?Es iſt ein Sturm, der nie zur Rüſte geht,Die Wechſelglut des Nehmens und des Gebens,Und meine Haare flattern windverwehtIn allen Augenblicken meines Lebens.Zu ruhn iſt mir verſagt, es treibt mich fort,Die Stunde rennt — doch hab' ich einen Hort,Den keine mir entführt, in deiner Treue;Sie iſt die alte wie die ewig neue,Sie iſt die Raſt in dieſer Flucht und Flut,Ein fromm Geleite leiſen Flügelſchwebens,Sie iſt der Segen, der beſtändig ruhtAuf allen Augenblicken meines Lebens.Ich hemme die beſchwingten Roſſe nicht,Ich freue mich, mit jedem neuen LichtDas Feld geſtreckten Laufes zu durchmeſſen —Ein fernes, dunkles Geſtern zu vergeſſen —Ich fliege — hinter mir verſinkt die Zeit —Im Morgenſonnenſtrahl verjüngten Strebens! ...Vorbei! ... Nur du allein weißt noch BeſcheidVon allen Augenblicken meines Lebens.
Die Ampel.An des Jahres Wende ſprach ich: Muſe,Keiner Mutter Hand beſcheert mich! Gieb mirDu mein Angebinde, Muſe! fleht' ich.In die Kammer lauſchend von dem Lager,Sah ich bald der Schweſtern eine ſchreiten.Auf mein Tiſchchen ſetzt' ſie einer AmpelZarte Form mit ſchlankgeſchweiften Henkeln,Aber die mir keineswegs antik ſchien.Ich erſchrack. Was meinſt Du, Muſe? Räthſt DuNächtlich auszufeilen meine Verſe?Schon entſchwebend wandte ſie das AntlitzHalb. Ich ſah des Muſenhauptes edelnUmriß mit den ſpottend feinen Lippen ...Als ich dann in neuem Jahr erwachte,Keine Ampel! Doch ich fand ſie wieder —Und erkannte gleich ſie an der zartenForm und an den ſchlankgeſchweiften Henkeln —In des Liebchens Hand, das mir die TreppeNächtlich hellt mit ſtillen Ampelſtrahlen.Scheidend auf die letzte Stufe ſetzt' ſieDas Geſchenk der Muſe ſacht und küßt' mich.
Unruhige Nacht.Heut ward mir bis zum jungen TagDer Schlummer abgebrochen,Im Herzen ging es Schlag auf SchlagMit Hämmern und mit Pochen,Als trieb' ſich eine BubenſchaarWild um in beiden Kammern,Gewährt hat, bis es Morgen war,Das Klopfen und das Hammern.Nun weiſt es ſich bei TagesſcheinWas drin geſchafft die Rangen:Sie haben mir im HerzensſchreinDein Bildniß aufgehangen!
Der Kamerad.Mit dem Tode ſchloß ich Kameradſchaft.Ueber einem vollen Humpen ſaßenOft wir nächtens und philoſophirten.Auch zuſammen gingen wir ſpaziren,Lauſchten mit elegiſchen GefühlenNach dem Pilgerruf der Abendglocke.Aber männlich auch an meiner SeiteStand der Kamerad und ſecundirte,Oder wann ich im Gebirg verirrt war,Hangend über ſchwindelnd tiefem Abgrund,Sprach er: Blick mir in das Auge ruhigUnd ich that es und ich war gerettet —Lange ſtanden wir auf gutem Fuße,Bis mich volles Leben überſtrömteGlühend warm mit unbekannter Fülle,Und mir ſchauderte vor meinem Freunde ...Als das Liebchen heute mir am Hals hing,Ueber ſeine Schulter weg erblickt' ichMeines Kameraden leichten UmrißAuf dem Abendhimmel und er grollte:„Bin ich dir verleidet? Deine feigenLippen meiden meinen ſchlichten Namen?Iſt das hübſch von einem Kameraden?“In demſelben Augenblick umarmteLiebchen mich und rief: „So möcht' ich ſterben!Komme, Tod, und raub' mich, Tod, im Kuſſe!“Und der Tod, von ſchwellend jungen LippenHeiß und leidenſchaftlich angerufen,Hörte ſeinen Namen mit Vergnügen.Ueber ſein geheimnißvolles AntlitzGlitt ein Leuchten und er ſchied in Minne.
Spielzeug.Liebchen fand ich ſpielend. Einen KaſtenHatte ſie entdeckt voll längſt vergeßnenStaub'gen Kinderſpielzeugs: Mauern, Thore,Rathhaus, Häuſer, Häuſerchen und Kirche ...Sie erbaut' das Städtchen mit gelenkenHänden, ſtellt' den Kirchthurm in die Mitte.Doch ein Häuschen hatt' ſie vorbehalten,Vorbehalten ſieben grüne PappelnFür ein allerliebſtes kleines Landgut.Nicht zu nah! Im Städtchen klatſcht man ſündlich.Nicht zu ferne! Man bedarf der Menſchen.„Eben ſind wir eingezogen!“ jubelt'Sie und klatſcht' in ihre kleinen Hände.In der Wonne des erworbnen HeimesRiß ich Liebchen an mich ſo gewaltſam,Daß den Arm ſie ſtreckte wie ertrinkend ...Was erwiſchte ſie mit ſchnellen Fingern,Eng an meine Bruſt gepreßt? Die Kirche,Ja, die Kirche mit dem rothen Dach war'sUnd ſie ſtellt' ſie dicht vor unſer Landhaus.
Weihgeſchenk.Heil Dir, Königin der Nacht,
Die Dein Mägdlein umgebracht!Shakeſpeare.Heute deiner zu gedenken,Deren Grab die Nacht bethaut,Nahen wir mit WeihgeſchenkenUnd gedämpftem Klagelaut!Warum war dir's nicht gegeben,Muthig deinen Tag zu leben?Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!Braune, ſchwermuthvolle Augen,Oeffnet euch ein letztes Mal!Laßt aus euren Tiefen ſaugenMich noch einen ſüßen Strahl!O wie hatt' ich euch ſo gerne,Traute, träumeriſche Sterne!Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!C. F. Meyer, Gedichte. 11Wie das Schüttern zarter Saiten,Schlichen ſich in jedes HerzDeine ſtillen Lieblichkeiten,Deiner Züge leiſer Schmerz!Feuchte Waldesſchatten lagenUeber dir in Lenzestagen —Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!Wie ein Reh dem Wald entronnen,Das ein üppig Thal entdeckt,Nahteſt ſchüchtern du den Bronnen,Flohſt, vom eignen Bild geſchreckt!Aengſtlich, wo ſich Wege theilen,Seh' ich zweifeln dich und weilen —Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!Zeigte jung ein arger SpiegelDir den Wurm in jeder Frucht?Schwebte nahen Todes FlügelUeber dir mit Eiferſucht?Nie hat dich ein Arm umſchloſſen,Liebe haſt du nie genoſſen —Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!Willig ſtiegeſt du die StufenNieder in dein frühes Grab,Wandteſt dich, von uns gerufen,Lächelnd um — und ſtiegſt hinab!Mit gelaſſener GeberdeSchiedeſt du vom Grün der Erde —Heil Dir, Königin der Nacht,Die Dein Mägdlein umgebracht!11*
Der Blutstropfen.Zur Zeit der Leſe war's im WinzerhausDes Herdes goldne Flamme praſſelte,Die Fenſterſcheiben überhauchten ſichUnd draußen ſcholl das Evoë geiſterhaftAus Nebeldämmer. Becher klangen. JungUnd Alt empfand die bacchiſche Gewalt.Mit einem zarten Schimmer rötetenSelbſt ihr die Wangen ſich, die unſer GaſtUnd dieſer Erde Gaſt nicht lange war,Ein ſtilles, ſcheues, ungezähmtes Kind.Zum Reigen rief Lyaeus. Jene ſchlichSich weg. Ins Freie blickte ſie hinausDurchs Fenſter. Dann beſchrieb ſie träumeriſch,Die ganz ſich unbeachtet Wähnende,Die Scheibe mit dem Finger. Weh! umſtellt,Belauert wurde ſie von einem SchwarmUnd überfallen. Raſch in Trümmer ſchlug,Das Antlitz glutbedeckt, die Scheibe ſie,Sich ſelbſt verwundend. Dieſes Tüchlein hier,Das als Reliquie mir im Schreine liegt,Fing, über die verletzte Hand gelegt,Das Quellen eines Tropfen Blutes auf,Der warm ihr eben erſt im Herzen rann.Jung ſchwand ſie hin, und kein Lebend'ger weiß,Was dort geſchrieben auf der Scheibe ſtand —Als dieſer bleiche Tropfen Bluts vielleicht.
Stapfen.In jungen Jahren war's. Ich brachte dichZurück ins Nachbarhaus, wo du zu Gaſt,Durch das Gehölz. Der Nebel rieſelte,Du zogſt des Reiſekleids Capuze vorUnd blickteſt traulich mit verhüllter Stirn.Naß ward der Pfad. Die Sohlen prägten ſichDem feuchten Waldesboden deutlich ein,Die wandernden. Du ſchritteſt auf dem Bord,Von deiner Reiſe ſprechend. Eine noch,Die läng're, folge drauf, ſo ſagteſt du.Dann ſcherzten wir, der nahen Trennung klugDas Angeſicht verhüllend, und du ſchiedſt,Dort wo der Firſt ſich über Ulmen hebt.Ich ging denſelben Pfad gemach zurück,Leis ſchwelgend noch in deiner Lieblichkeit,In deiner wilden Scheu, und wohlgemuthVertrauend auf ein baldig Wiederſehn.Vergnüglich ſchlendernd, ſah ich auf dem RainDen Umriß deiner Sohlen deutlich nochDem feuchten Waldesboden eingeprägt,Die kleinſte Spur von dir, die flüchtigſte,Und doch dein Weſen: wandernd, reiſehaft,Schlank, rein, walddunkel, aber o wie ſüß!Die Stapfen ſchritten jetzt entgegen demZurück dieſelbe Strecke Wandernden:Aus deinen Stapfen hobſt du dich emporVor meinem innern Auge. Deinen WuchsErblickt' ich mit des Buſens zartem Bug.Vorüber gingſt du, eine Traumgeſtalt.Die Stapfen wurden jetzt undeutlicher,Vom Regen halb gelöſcht, der ſtärker fiel.Da überſchlich mich eine Traurigkeit:Faſt unter meinem Blick verwiſchten ſichDie Spuren deines letzten Gangs mit mir.
Wetterleuchten.Im Garten ſchritt ich durch die Lenzesnacht.Des Jahres erſte Blitze loderten.Die jungen Blüten glommen feuerrothUnd blichen wieder dann. Ein ſchönes Spiel,Davor ich ſtille hielt. Da ſah ich dich!Mit einem Blütenzweige ſpielteſt du,Die jung gebliebne Todte! Durch die HaſtUnd Flucht der Zeit zurück erkannt' ich dich,Die juſt des Himmels Feuer überglomm.Erglühend ſtandeſt du, wie dazumal,Da dich das erſte Liebeswort erſchreckt,Du Ungebändigte, du Flüchtende!Dann mit den Blüten wieder blicheſt du.
Lethe.Jüngſt im Traume ſah ich auf den FlutenEinen Nachen ohne Ruder ziehn,Strom und Himmel ſtand in matten GlutenWie bei Tages Nahen oder Fliehn.Saßen Knaben drin mit Lotoskränzen,Mädchen beugten über Bord ſich ſchlank,Kreiſend durch die Reihe ſah ich glänzenEine Schale, draus ein Jedes trank.Jetzt erſcholl ein Lied voll ſüßer Wehmuth,Das die Schaar der Kranzgenoſſen ſang —Ich erkannte deines Nackens Demuth,Deine Stimme, die den Chor durchdrang.In die Welle taucht' ich. Bis zum MarkeSchaudert' ich, wie ſeltſam kühl ſie war.Ich erreicht' die leiſe zieh'nde Barke,Drängte mich in die geweihte Schaar.Und die Reihe war an dir, zu trinkenUnd die volle Schale hobeſt du,Sprachſt zu mir mit trautem Augenwinken:„Herz, ich trinke dir Vergeſſen zu.“Dir entriß in trotz'gem LiebesdrangeIch die Schale, warf ſie in die Flut,Sie verſank und ſiehe, deine WangeFärbte ſich mit einem Schein von Blut.Flehend küßt' ich dich in wildem Harme,Die den bleichen Mund mir willig bot,Da zerrannſt du lächelnd mir im ArmeUnd ich wußt' es wieder — du biſt todt.
Einer Todten.Wie fühl' ich heute deine Macht,Als ob ſich deine Wimper ſchatteVor mir auf dieſem ampelhellen BlatteUm Mitternacht!Dein Auge ſiehtBegierig mein entſtehend Lied.Dein Weſen neigt ſich meinem zu,Du biſt's! Doch deine Lippen ſchweigen,Und lieſeſt du ein Wort, das zart und eigen,Biſt's wieder du,Dein Herzensblut,Indeß dein Staub im Grabe ruht.Mir iſt, wann mich dein Athem ſtreift,Der ich erſtarkt an Kampf und Wunden,Als ſeiſt in deinen ſtillen GrabeſtundenAuch du gereiftAn Liebeskraft,An Willen und an Leidenſchaft.Die Marmorurne ſetzten dirDie Deinen — um dich zu vergeſſen,Sie erbten, bauten, freiten unterdeſſen,Du lebſt in mir!Wozu beweint?Du lebſt und fühlſt mit mir vereint!
Ihr Heim.Lang vorüber ging ich den Gehegen,Drin der Giebel deines Heimes ragt,Dieſer Pforte, dieſen Schattenwegen!Wer da wohne, hab' ich nicht gefragt.Wer da wohneHinter einer dunkeln Lindenkrone,Hat das Herz mir nicht vorausgeſagt.Pfade liefen durch die feuchte Wieſe,Kleine Sohlen ſah ich hier und dortEingezeichnet auf dem weichen Kieſe,Aber meines Weges zog ich fort.Ich begehrteZu verfolgen nicht die flücht'ge Fährte,Zu betreten nicht den ſtummen Ort.Auch ein Rauſchen hört' ich aus der Linde,Die der Hauch der Abendlüfte bog;„Komme, Wandrer“, rief es, „komm und finde!“Während raſcher ich des Weges zog.Ich vertrauteDem Verſprechen nicht der Geiſterlaute,Deren Wehn mir oft das Herz betrog.Und den Stern der Liebe ſah ich eilenDort zum dunkelſcharfen Bergesrand,Auf dem ſchlanken Giebel blitzend weilen,Wie ein zitternd Feuer, eh' er ſchwand.Im EntweichenGab der Freund am Himmel mir ein Zeichen,Wann er über meinem Glücke ſtand.Längſt verſunken glaubt' ich's in der Ferne,Das ſo nahe mir verborgen lag!Wer verſteht den ſtillen Wink der SterneVor dem rechten, dem beſtimmten Tag?Vor der Stunde,Die ihn zieht zu dem erſehnten Bunde,Den nicht Tod noch Leben trennen mag?Lang vorüber ging ich deiner LiebeDurch den Staub des Lebens unbewußt,Daß zur Wonne mir die Klage bliebeUnd ein leiſer Schmerz in ſel'ger Bruſt —Schmerz und KlageUeber ohne dich verdarbte Tage,Die mit deinem Kuß du ſtillen mußt.
Liebesjahr.Hat ſich die Kelter gedreht? Tanzt dort mit dem Laub eine Flocke?Zuckte der Blitz im Auguſt? Blühten die Kirſchen im Mai?Blüthen und Aehren und Trauben erblickt' ich in ſchwellendem
Kranz nurUm das geliebteſte Haupt und ich erblicke ſie noch.
Weihnacht in Ajaccio.Reife Goldorangen fallen ſahn wir heute, Myrte blühte,Eidechs glitt entlang der Mauer, die von Sonne glühte.Uns zu Häupten neben einem morſchen Laube flog ein Falter —Keine herbe Grenze ſcheidet Jugend hier und Alter.Eh' das welke Blatt verweht iſt, wird die Knospe neu geboren —Eine liebliche Verwirrung, ſchwebt der Zug der Horen.Sprich, was träumen deine Blicke? Fehlt ein Winter dir, einbleicher?Theures Weib, du biſt um einen lichten Frühling reicher!Liebſt du doch die langen Sonnen und die Kraft und Gluthder Farben!Und du ſehnſt dich nach der Heimath, wo ſie längſt erſtarben?Horch! Durch paradieſeswarme Lüfte tönen Weihnachtsglocken!Sprich, was träumen deine Blicke? Von den weißen Flocken?
Schneewittchen.Schneewittchen haſt im Scherz du dich genannt,Da plaudernd einſt zuſammen wir geſeſſen,Der Augen tiefes Blau, die Elfenhand,Des Nackens Blondgekraus, wer kann's vergeſſen?Noch jüngſt — ich ſchritt ein hohes Thal entlang,Es war gekrönt mit ſieben Silberſpitzen,Die von dem himmelnahen FelſenhangHerunter auf die grünen Pfade blitzen —„Schneewittchen!“ rief ich laut und unbewußt,„Schneewittchen! hinter deinen ſieben BergenFührſt droben pünktlich du mit kühler BruſtDen kleinen Haushalt deinen ſieben Zwergen?“Ein ſpottend Echo nur antwortet' mir,Die Felsſtirn rümpfte lachend ihre FaltenUnd doch, und doch, mir war's, ich hätt' von dir,Schneewittchen! einen lieben Gruß erhalten.
Hirtenfeuer.Ließeſt unter uns dich nieder,Liebe, liebenswerthe Frau,Aber heute ziehſt du wieder,Wie die Sterne ziehn im Blau.Siehſt den Abendſtern du blinkenDort vor ſeinem Untergang?Einen Augenblick im SinkenRuht er auf dem Bergeshang.In der flüchtigen Minute,In dem eilenden MomentIſt's als ob er gaſtlich ruhte,Wie ein Hirtenfeuer brennt.Aber nur die kleinſte WeileBringt er auf der Erde zu,Sieh — er zittert ja vor EileUnd verſchwindet, Frau, wie du.C. F. Meyer, Gedichte. 12
Laß ſcharren deiner Roſſe Huf!Geh nicht, die Gott für mich erſchuf!Laß ſcharren deiner Roſſe HufDen Reiſeruf!Du willſt von meinem Herde fliehn?Und weißt ja nicht, wohin, wohinDich deine Roſſe ziehn!Die Stunde rinnt! Das Leben jagt!Wir haben uns noch nichts geſagt —Bleib bis es tagt!Du darfſt aus meinen Armen fliehn?Und weißt ja nicht, wohin, wohinDich deine Roſſe ziehn ...
Dämmergang.Du lebſt meerüberIn blauer FerneUnd du beſuchſt michBeim erſten Sterne.Ich mach' im FeldeDie Dämmerrunde,Umkreiſt, umbollenVon meinem Hunde.Es rauſcht im Dickicht,Es webt im Düſter,Auf meine WangeHaucht warm Geflüſter.Das WeggeleiteWird trauter, trauter,Du ſchmiegſt dich näher,Du plauderſt lauter.Da giebt's zu ſchelten,Da giebt's zu fragen,Und hell zu lachenUnd leis zu klagen.Was wedelt BarrySo glückverloren?Du krauſt dem LieblingDie weichen Ohren ...12*
Die todte Liebe.Im Schatten wir,Das Dorf im Sonnenkuß,(Faſt wie das Jüngerpaar,Das ging nach Emmaus,Dazwiſchen leiſeRedend ſchrittDer Meiſter, dem ſie folgtenUnd der den Tod erlitt.)So ſchreitet zwiſchen unsIm DämmerlichtUnſre todte Liebe,Die leiſe ſpricht.Sie weiß für das GeheimnißEin heimlich Wort,Sie kennt der SeelenAllertiefſten Hort.Sie deutet und erläutertUns jedes Ding,Sie ſagt: So iſt's gekommen,Daß ich am Holze hing.Ihr habet mich verleugnetUnd ſchlimm verhöhnt,Ich ſaß im Purpur,Blutig, dorngekrönt,Ich habe Tod erlitten,Den Tod bezwang ich bald,Und geh' in eurer MittenAls geiſtige Geſtalt —Die WeggeſellinBlieb unerkannt,Doch hat uns wie den JüngernDas Herz gebrannt.
VI.Götter.
Die Schule des Silen.In der ſchattendunkeln Laube gab Silen, der weiſe, Stunde,Der ihm weich ans Knie geſchmiegte Bacchus hing an ſeinem Munde,Lieblich lauſchend.Unter ſeinem krauſen Barte lachte freundlich der Ergraute,Da er in das milde Feuer junger Götteraugen ſchaute,Dann begann er:„Kind, betrachte dieſes Antlitz, die gedankenſchweren Lider!Kind, in jedem greiſen Zecher ehre du die Züge wiederDeines Lehrers.Oft, wo die Veliten wankten, jene prahleriſchen Knaben,Sind es die Triarier, Liebling, die das Feld behauptet habenUnerſchüttert!Wenn auf Chios mit dem Mädchen theilt den Becher der Ephebe,Laß ſie nippen, laß ſie koſen — mit der vollſten Schale ſchwebeDu vorüber.Lenke deine götterleichten Schritte zu Homer dem alten,Netze ſeine heil'gen Lippen, glätte ſeiner Stirne Falten,Wunderthäter!Lös ihm jeder Erdenſchwere Feſſel mit der Hand, der milden,Fülle du des Blinden Auge mit unſterblichen Gebilden,Ewig ſchönen!“
Pentheus.Sie ſchreitet in bacchiſch bevölkertem RaumMit wehenden Haaren ein glühender Traum,Von Faunen umhüpft,Um die Hüfte den Gürtel der Natter geknüpft.Melodiſch gewiegt und von Eppich umlaubt,Ein flüſterndes rücklings geworfenes Haupt —„Ich opfre mich Dir.Verzehre, Lyaeus, was menſchlich in mir!“„Agave!“ ruft's und der bacchiſche SchwarmZerſtiebt und der Vater ergreift ſie am Arm.„Weg, trunken Geſind!Erwach und erröthe, verlorenes Kind!Du dienſt einem Gaukler!“ Im Schutz des GewandsVerhüllt er den Buſen, entreißt ihr den Kranz —Wild hebt ſie den Stab.Sie ſchlug! Aufſtöhnt der das Leben ihr gab.„Ich glaube den Gott! Ich empfinde die Macht!Ich ſtrafe den Frevler der Götter verlacht!Wer biſt du, Geſicht?Ich bin die Bacchantin! Ich kenne dich nicht!“Er betrachtet ſein Kind. Er erſtaunt. Er erblaßt.Er entſpringt, von entſetzlichem Grauen erfaßt.Er flieht im Gefild,Ein rennender Läufer, ein haſtendes Wild.„Herbei, alle Schweſtern! Mänaden, herbei!“Erhebt ſie den Weidruf, das helle Geſchrei:„Zur Jagd! Zur Jagd!“— „Wir folgen dir, blonde, begeiſterte Magd!“Sie jagen den König, Agave vorauf,Er ſpringt in den Strom und erneuert den LaufAm andern Geſtad,Sie ſtürzt ſich mit jubelnden Sprüngen ins Bad.Aufſpritzen die Waſſer. Er wirbelt den StaubMit bebenden Füßen. Sie hetzen den Raub —Was dämmert empor?Ein Felſengeſtein ohne Pfad, ohne Thor.Die Sonne verſank und die Wolke verglimmt.Er eilt und er ſchwankt und er keucht und er klimmt —Am Fuße der WandErreicht ihn die raſende mordende Hand.Am Grate des Berges verfärbt ſich die Glut,Im Schatten des Berges verſtrömt ſich das Blut,Nacht ſchwebt heranUnd erſchrickt und verhüllt was Agave gethan.
Vor einer Büſte.Biſt du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichſte biſt du!Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grauſamer Zug.
Die ſterbende Meduſe.Ein kurzes Schwert gezückt in nerv'ger Rechten,Belauert Perſeus bang in ſeinem SchildDer ſchlummernden Meduſe Spiegelbild,Das ſüße Haupt mit müden Schlangenflechten.Zur Hälfte zeigt der Spiegel längs der ErdeDes jungen Wuchſes athmende Geberde —„Raub' ich das arge Haupt mit raſchem Hiebe,Verderblich der Verderberin genaht?Wenn nur die blonde Wimper ſchlummernd bliebe!Der Blick verſteint! Gefährlich iſt die That.Die Mörderin! Sie ſchließt vielleicht aus LiſtDie wachen Augen! Sie die grauſam iſt!Durch weiße Lider ſchimmert blaues LichtUnd — ziſchte dort der Kopf der Natter nicht?Meduſen träumt daß einen Kranz ſie winde,Der Menſchen ſchöner Liebling der ſie war,Bevor die Stirn der Göttin AngebindeVerſchattet ihr mit wirrem Schlangenhaar.Mit den Geſpielen glaubt ſie noch zu wandernUnd ſpendet ihnen lockenſchüttelnd Grüße,In blüh'ndem Reigen regt ſie mit den AndernDie freudehellen, die beſchwingten Füße,Ihr Antlitz hat vergeſſen, daß es tödte,Es glaubt, es glaubt an die barmherz'ge LügeDes Traums. Es lauſcht dem Hauch der Hirtenflöte,Der weich melodiſch zieht durch ſeine Züge.Es lächelt ſtill, von ſchwerem Bann befreit,In unverlorner erſter Lieblichkeit.Der Mörder tritt an ihre Seite dichtUnd dunkler träumt Meduſens Angeſicht.Ihr iſt, ſie habe Haß empfunden ſchon,Vor ſich geſchaudert, dumpf und bang gelitten,Die Menſchen habe ſcheu ſie erſt geflohn,Dann ihnen nachgeſtellt mit Meuchlerſchritten —Sie ſinnt was Unheilbares ſie gequält,Daß ſie dem eignen Leben feind gewordenUnd andres Leben ſich ergötzt zu morden —Sie ſinnt umſonſt. Ihr hält's der Traum verhehlt.Die grauſe Larve, die ſie lang geſchreckt,Iſt wie mit einem Purpurtuch bedeckt.Das Graun iſt aufgelöſt in Seligkeit,Begonnen hat der Seele Feierzeit.Der Dämmer herrſcht. Das harte Licht verblich.Als eine der Erlöſten fühlt ſie ſich.Sie fürchtet keines Schreckens Wiederkehr,Sie weiß, die Qualen kommen nimmermehr,Nein, nimmermehr, und nun iſt Alles gut!Sie liegt, den Hals gebogen, auf dem Raſen,Sie hört die Hirtenflöte wieder blaſenUnd lauſcht. Sie zuckt. Sie windet ſich. Sie ruht.
Nächtliche Fahrt.Ein Schiff befuhr das Meer. Aufrauſchend quollDie Fluth am Kiel. Er ſuchte Pylos' Strand.Das Steuer führt' ein Jüngling kummervoll,Dem früh des Vaters Rath und Hilfe ſchwand.Der Glückbedürft'ge hieß TelemachosUnd ſchaute nach des Segels nächt'gem Flug,Dicht neben ihm der hohe Fahrtgenoß,Athene war's, die Mentors Züge trug.Unendlich brach hervor der Sterne Heer,Die lichten Waller wußten ihre Bahn ...Da ſprach die Tochter Zeus' auf dunkelm Meer:„Jetzt, Jüngling, ruf' mit mir die Götter an!“Die Hände, wie der Staubgeborne fleht,Erhob ſie ausgebreitet in die Nacht —Und ſie erhörte ſelber das Gebet,Von ihr für den Verlaſſnen dargebracht.
Der Stromgott.Morgengraun. Die Karavane windet ſich dem Nil zur Seite,Eine Rede dröhnt und murmelt über dunkler Stromesbreite.Längs dem Ufer nippen durſtig ſilbergrau geperlte Tauben,Trinken Ibiſſe mit blankem Flügelpaar und ſchwarzen Hauben.Nil, der ſegenreiche Vater, ſorgt für alle ſeine Kinder,Speiſt und tränkt aus ſeiner Fülle keines mehr und keines
minder —Neben einem braunen Reiter ein gebundner Knabe wandelt,Joſeph iſt's, den ſeine Brüder in die Sklaverei verhandelt.Taub' und Ibis flattern nur um wenig Flügelſchläge weiter.Joſeph lauſcht des Stromes Worten. Ruhig ſitzt der ſtumme Reiter.„Knabe, deine Blicke trauern! Jüngling, deine Füße bluten!Dich verkauften deine Brüder ... Sei willkomm an meinen
Fluten!Joſeph, fremder Knabe Joſeph, du gefeſſelter, du müder,Biſt du einſt der Herr der Ernten, ſpeiſe deine ſchlimmen Brüder!Knabe Joſeph!“ rauſcht es dumpfer. Das erſtaunte Kind in BandenTröſtet ſich des güt'gen Grußes, bleibt er auch ihm unverſtanden.Auf des Niles weiten Waſſern iſt des Stromgotts Wort ver¬
ſchollen,Nur ein Antlitz ſchwimmt und ſchimmert, deſſen Haare lockig
rollen ...Jetzt beleben ſich die Pfade. Schiffe blähen ihre Flügel.Kleebeladene Kamele wandern, ſacht bewegte Hügel.Frauen kommen mit dem ſchlanken Kruge, die gemeſſen ſchreitenIn verhülltem ſtillem Zuge, wie die Jahre, wie die Zeiten ...Aus der ahnungsvollen Ferne ragen Spitzen, hell beſonnte,Steigen wie beſchneite Gipfel weiß am reinen Horizonte —Joſeph ſchaut empor zum Reiter: „Mit dir meiner Väter Frieden!Herr, wie nennſt du dort die Berge?“ „Kind, du ſchauſt die
Pyramiden!“
Theſpeſtus.Zwei Greiſe ruhten unter einer Pinie,Stab neben Stab, an einer Quelle klarer Flut,Wo wandernd ſie begegnet ſich von ungefähr.Sie führten Zwiegeſpräch und ſie behagten ſich.— „Man nennt mich Eukrates, und wer, mein Freund, biſt du?“— „Mich nannten Aridaeus lange Jahre ſie,Seit langen Jahren bin ich nun Theſpeſius.“— „Zwei Namen trugſt du?“ — „Beide Namen, Eukrates.Hör' an! Ein Jüngling, peitſcht' ich raſend das Geſpann.Die Roſſe flogen. Becher, Buhlen, Würfelſpiel,Wuth, Zorn, vergoſſen Blut — verklagend Blut!Dem ich entfloh, die Eumeniden hinter mir —Sie folgten meiner raſchen Füße ſchnellſtem Lauf,Ich warf mich in den Fluß, ſie ſprangen jauchzend nachUnd hoben ſchwimmend ihrer Fackeln düſtre Glut.Ich klomm bergan — verirrt ſtürzt' ich von einer Wand —Die Sinne ſchwanden mir. Dann lebt' ich wieder — war'sIm Traum? — und ſchritt auf einem weichen Wieſengrün,Wo Sel'ge — ſolche ſchienen ſie — luſtwandeltenIn ſtill bewegten Schaaren. Kränze trugen ſie.Den Einen kannt' ich wohl und ward von ihm erkannt:Mein Blutsverwandter, welcher jüngſt geſchwunden warAus dieſer Erde Staub nach einem reinen Lauf.C. F. Meyer, Gedichte. 13Der ſprach mich an: „Ich grüße dich, Theſpeſius!“„Wozu der neue Name, wunderſamer Ohm?Wie nennſt du mich? Dein Aridaeus bin ich ja!“Die Locken ſchüttelt' leis er, die ambroſiſchen:„Und abermals, ich grüße dich, Theſpeſius!“ —Jetzt wacht' ich wirklich auf. Am Hange lagIch blutbedeckt, von gier'gen Raben ſchon umſchwärmt —Was mehr? Ich ward ein Andrer. Nicht mit kleinem Kampf!Der Kampf iſt groß! Mein neuer Name ſtärkte mich,Der makelloſe, der ſo rein und göttlich klang!Hab' gute Fahrt!“ — „Fahr' wohl auch du, Theſpeſius!“
Der trunkene Gott.Weiße Marmorſtufen ſteigenDurch der Gärten laub'ge Nacht,Schlanke Palmenfächer neigenIn des Himmels blaue Pracht.Ueber Tempeln, Hainen, GrüftenZecht in abendweichen LüftenAlexander's Lieblingsſchaar;Daß der Erde Herr ſich labe,Bietet ihm ein ſchöner KnabeWein in goldner Schaale dar.Kleitos neben Philipp's SohneFurcht die Stirne kummervoll,Der benarbte MacedoneSchlürft im Weine Zorn und Groll:Er gedenkt der Heergenoſſen,Die die erſte Phalanx ſchloſſenIn den Bergen kühl und fern —Seinen dunkeln Muth zu kränkenLüſtet es den jungen SchenkenLagernd an dem Knie des Herrn.13*Die erhabne Stirn und BraueTräumt den Zug ins Inderland,Lauſchend lieſt den Traum das ſchlaueKind, den Blick emporgewandt:„Bacchus biſt du, der belaubte,Mit dem ſchwärmeriſchen Haupte,Der ins Land der Sonne zieht!Ohne Heer kannſt du bezwingen,Nur den Thyrſus darfſt du ſchwingen,Winke nur und Indien kniet!“Finſter grollt der tapfre Streiter:„Durch der Wüſte heißen Sand?Immer ferner, immer weiter?Nach des Indus Fabelſtrand?Siegſt du mit der Wimper Winken,Warum fechten wir und ſinkenWir für dich? Zum Schein und Spott?Lebende kannſt du belohnen,Deine todten Macedonen,Wecke ſie, biſt du ein Gott!“— „Welchen dampfenden AltaresFreuſt du auf der Erde dich?Biſt du die Gewalt des Ares,Helmumflattert, fürchterlich?Herr, bevor den niedern ThalenDu dich nahteſt ohne Strahlen,Welches war dein himmliſch Amt?Biſt du Zeus? Biſt du ein Andrer?Biſt du Helios, der Wandrer,Deſſen Stirne ſonnig flammt?“ —Traulich neigt der graue FechterSich zum Ohr des Gottes hin,Mit unſeligem GelächterRührt er an der Schulter ihn:„Gaſt des Himmels, merklich ſinkenHaupt und Schulter dir zur LinkenAlexander war ſchief, ſeine rechte Schulter etwas höher
als die ſchwächere linke.,Laſtet dir der Erde Raub?Macht der Knabe dich zum Gotte,Dein Gebrechen ſchreit mit Spotte:Alexander, du biſt Staub!“Eine tödtende Geberde!Eines Gottes Rachewut!Ein Erdolchter an der Erde!Alter Treue ſtrömend Blut!Auf den Mörder, auf die LeicheStarrt der Schenk, der ſchreckensbleiche:Kranz und Wunde! Feſt und Grab!Stumme, ſteingewordne Zecher —Hier ein herrenloſer BecherRollt die Stufen ſacht herab ...
Der Botenlauf.Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme!Murmeln und ſchallender Ruf! Knieende Mädchen undFraun!„Götter, beflügelt den Boten! Entſcheidung! Lieber als Bangniß!Seit ſich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin.Siehe, die Sonne verſinkt! Mitkämpfer, Caſtor und Pollux!Denkt der verlaſſenen Fraun! Sendet den Boten geſchwind!“Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei reiſige Reiter!Schon am heiligen Quell ſpülen die Waffen ſie rein.Dann, zwei gewaltige Jünglinge, ſtehn auf der ragenden Burg ſie,Gegen die ſchauernden Fraun hat ſich der eine gekehrt:„Freude, knoſpendes Mädchen! Entſchloſſene Römerin, Freude!Herrlicher Sieg iſt erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?“Einer ſpricht's und der Andere lauſcht, zu dem Bruder gewendet.Jetzt in das bleichende Licht ſpringen die Roſſe empor.Einer der Jünglinge ſchwindet im Abend, es ſchwindet der andre,Denn wie ein liebendes Paar laſſen die Brüder ſich nicht.Ueber der römiſchen Feſte gewaltigem dunkelndem UmrißHebt ſich in dämmernder Nacht ſeliges Doppelgeſtirn.
Der Geſang der Parze.In der Wiege ſchlummert ein ſchönes Römerkind,Die Parze ſitzt daneben und ſpinnt und ſpinnt.Sonſt ſchweigt ſie ſtreng. Iſt die lauſchende Mutter fort,So ſingt die Parze murmelnd ein dunkles Wort:Jetzt liegſt du, Kindlein, noch in der Traumesruh.Bald, kleine Claudia, ſpinneſt am Rocken du —Du wachſeſt raſch und entwächſt den Kleidlein bald!Du wachſeſt ſchlank! Du wirſt eine Wohlgeſtalt!Die Fackel lodert und wirft einen grellen Schein,Sie kleiden dich mit dem Hochzeitsſchleier ein!Die Knaben hüpfen empor am FeſtgelagUnd ſcherzen ausgelaſſen zum ernſten Tag.Eine Herrin wandelt in ihrem eignen Raum,Und ihre Mägd' und die Sklaven athmen kaum.Ihr ziemt daß all die Hände geflügelt ſind.Ihr ziemt daß all die Lippen gezügelt ſind.Die blühenden Horen ſchwingen im Reigen ſich:Dir ward ein Knabe, Julier, freue dich!Doch wann die Freude ſchwebt und die Flöte ſchallt,Dann — ſagt die Parze — kommt der Jammer bald.Der Tiber flutet und überſchwemmt den Strand,Das bleiche Fieber ſteigt empor ans Land,Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus:„Vernehmt! Den Julier tragen ſie heut hinaus!“Jetzt, kleine Claudia, trägſt du unträglich Leid!In ſtrenge Falten legſt du dein Wittwenkleid —Dein Römerknabe ſpringt dir behend vom SchooßUnd grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ...Die Tuben rufen Schlacht und ſie rufen Sieg ...Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen ſtieg:Vier Männer und die Bahre, Claudia, ſind'sMit der bekränzten Leiche deines Kinds!Jetzt, kleine Claudia, biſt du zu Tode wund“ —Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüſſelbund.Die Mutter tritt beſorgt in die Kammer einUnd die Parze bleicht im goldenen Morgenſchein.
Der Ritt in den Tod.„Greif' aus, du mein junges, mein feuriges Thier!Noch einmal verwachs' ich centauriſch mit dir!Umſchmettert mich, Tuben! Erhebet den Ton!Den Latiner beſiegte des Manlius Sohn!Voran die Trophä'n! Der latiniſche Speer!Der eroberte Helm! Die erbeutete Wehr!Duell iſt bei Strafe des Beiles verpönt ...Doch er liegt der die römiſche Wölfin gehöhnt!Lictoren, erfüllet des Vaters Gebot!Ich beſitze den Kranz und verdiene den Tod —Bevor es ſich rollend im Sande beſtaubt,Erheb' ich in ewigem Jubel das Haupt!“
Das Joch am Leman.„Die Einen liegen todt mit ihren Wunden,Die Andern treiben wir daher gebunden —Den Römeraar der Zwillingslegion,Der eingegarnten Wölfin ſcharfen BiſſenIm Männerkampf, im Roßgeſtampf entriſſen,Schwingt Divico, der Berge Sohn!“Weit blaut die Seeflut. Scheltend jagen TreiberAm Ufer einen Haufen Menſchenleiber,Die nackte Schmach umjauchzt Triumphgeſang,Ein Jüngling kreiſt auf einem falben PferdeUm die zu Zwei'n gepaarte RömerheerdeDie Krümmen des Geſtads entlang.Er knickt den Aar mit einem ſtolzen Schreie,Er ſchickt den Ruf zur nahen Firnenreihe —Die Grät' und Wände blicken groß und bleich —„Hebt, Ahnen, euch vom Silberſitz, zu ſchauenDie Pforte, die wir für den Räuber bauen,Der ſich verſtieg in euer Reich!Wir bauen nicht mit Mörtel noch mit Steinen,Zwei Speere pflanzt! Querüber bindet einen!Zwei Römerköpfe drauf! Es iſt gethan!“ —Das Joch umſtehn verwogne KriegsgeſellenMit Auerhörnern und mit BärenfellenUnd ſchauen ſich das Bauwerk an!Die Hörner dröhnen. Zu der blut'gen PforteStrömt her das Volk aus jedem Thal und Orte,Groß wundert ſich am Joch die Kinderſchaar,Ein Mädelreigen ſpringt in heller FreudeUm das von Schande triefende Gebäude,Den blüh'nden Veilchenkranz im Haar.Der Manlierſtirn verzogne Brauen grollen,Des Claudierkopfs erhitzte Augen rollen —Der Hirtenknabe geißelt wie ein RindDen Brutusenkel. Sich durchs Joch zu bücken,Krümmt jetzt das erſte Römerpaar den RückenUnd gellend lacht das Alpenkind.Mit ſtarren Zügen blickt, als ob er ſpotte,Ein Felſenblock, der eigen iſt dem Gotte,Drauf hoch des Landes Prieſterinnen ſtehn:Ein hell Geſchöpf in ſonnenlichten FlechtenUnd eine Drude mit geballter RechtenUnd rabenſchwarzer Haare Wehn.Die Dunkle höhnt: „Geht, Römer! Schneidet Stecken!Wir rüſten euch zur Fahrt mit Bettelſäcken!Euch peitſch' ein wildes Wetter durch die Schlucht!Verflucht der Steg, darüber ihr gekommen,Und wen ihr euch zum Führer habt genommen,Er ſei am ganzen Leib verflucht!“Die Lichte fleht: „Du blitzeſt in den Lüften,Umſchwebſt die Spitzen, niſteſt in den Klüften!Behüte, Geiſt der Firn', uns lange noch!“Die Zweie ſingen ſtarke Zauberlieder —Ein Geier hangt im Blau und ſtößt daniederUnd ſetzt ſich ſchreiend auf das Joch.
Das Geiſterroß.Durch den dreigetheilten Bogen,Des Triumphes prangend Thor,Durch die lauten MenſchenwogenDort zum Capitol emporLenkt den Tanz der weißen PferdeCäſar's läſſige Geberde.Hinter des Triumphes WagenDuldend oder grollend gehnUeberwundne. Ketten tragenCäſar's lebende Trophä'n.„Dieſer!“ höhnt es im Gedränge,„Dieſer Trotz'ge!“ ziſcht die Menge.Unberührt vom Hohn der Stunde,Starren, traumgefüllten Blicks,Geht, ein Singen auf dem Munde,Ruhig Vexcingetorix —Fremde Weiſe, fremde Worte,Mit dem Geiſt an fremdem Orte:„Cäſar, blendend weiße RoſſeHat Hiſpanien dir gebracht!Ellid, edler Ahnen Sproſſe,Dunkel iſt er wie die Nacht —Deine Schimmel, deine viere,Tauſcht' ich nicht mit meinem Thiere ...Ellid heißt der wackre JagerStark von Wuchs und feſt im Bug,Welcher mich ins RömerlagerMit gewalt'gen Sprüngen trug ...Der zum Opfer ich gegebenMich für meines Volkes Leben!Dreimal flog ich um im Kreiſe,In der Fauſt des Schwertes Blitz,Noch im Lauf, nach Gallier Weiſe,Sprang ich ab vor Cäſar's Sitz ...Ellid ſchickt' ich zu den TodtenMir voran als meinen Boten!Wie er mir ins Antlitz ſchnaubte,Stieß ich, Blick verſenkt in Blick,Hinter ſeinem mächt'gen HaupteStracks das Schwert ihm durchs Genick ...Daß mir eines Roſſes EhreMangle nicht im Geiſterheere.Ellid ſprengt ſeit langen JahrenMitten in der bleichen Jagd,Wann daheim die Todten fahrenDurch die Wälder, bis es tagt ...Sehn ſie meinen led'gen Renner,Wundern ſich die ſtillen Männer ...Lange Jahre lag gebundenIch in feuchter Kerkergruft —Kettenſchwere, dumpfe Stunden —Endlich wieder Tag und Luft —Ellid, ſchwarzer Ellid, ſputeDich! Du witterſt, wo ich blute!Heute endlich! Endlich heute!Wann der Kahle ſchwelgt am Mahl,Würgt er ſeine SiegesbeuteMit dem letzten müden Strahl ...Wann die Sonne niedergleitet,Wird mir Block und Beil bereitet.Henker, nimm das Beil zu Händen!Nicht das Beil? ... So nimm den Strang!Droßle mich! Nur enden, enden!Letzte Schmach! Sie währt nicht lang ...Ellid's kurzes HufgeſtampfeHör' ich nahn im Todeskampfe!Sterbend pack' ich Ellid's Haare,Ein Befreiter ſpring' ich auf,Fahre, ſchwarzer Ellid, fahre!Nach der Heimat nimm den Lauf!Wogen toſen! Rhodan's Stimme!In den Strom, mein Thier, und ſchwimme!“Cäſar's Schimmel blähn die Nüſtern.„Ave Triumphator!“ ſchallt.Des Gebundnen Lippen flüſtern:„In der Heimath bin ich bald!Ellid mit geſtrecktem JagenWird mich nach der Heimath tragen!“C. F. Meyer, Gedichte. 14
Das verlorene Schwert.Der Gallier letzte Burg und Stadt erlagNach einem letzten durchgekämpften TagUnd Julius Cäſar tritt in ihren Hain,In ihren ſtillen Göttertempel ein.Die Weihgeſchenke ſieht gehäuft er dort,Von Gold und Silber manchen lichten HortUnd edeln Raub. Doch über Hort und SchatzHangt ein erbeutet Schwert am Ehrenplatz.Es iſt die Römerklinge kurz und ſchlicht —Des Juliers ſcharfer Blick verläßt ſie nicht,Er haftet auf der Waffe wie gebannt,Sie däucht dem Sieger wunderlich bekannt!Mit einem Lächeln deutet er empor:„Ein armer Fechter der ſein Schwert verlor!“Da ruft ein junger Gallier aufgebracht:„Du ſelbſt verloreſt's im Gedräng der Schlacht!“Mit zorn'ger Fauſt ergreift's ein Legionar —„Nein, tapfrer Strabo, laß es dem Altar!Verloren ging's in ſteilem SiegeslaufUnd heißem Ringen. Götter hoben's auf.“
Das Heiligthum.Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter dieDes Blitzes greller Strahl geleuchtet nie!Dämmernde Wölbung, Aſt in Aſt verwebt,Von keines Vogels Luſtgeſchrei belebt!Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm geſtört,Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört,Darin, umblinkt von Schädel und Gebein,Sich ungewiß erhebt ein Opferſtein ...Es rauſcht. Es raſchelt. Schritte durch den Wald!Das kurze römiſche Commando ſchallt.Geleucht von Helmen! Eine reiſ'ge Schaar!Vorauf ein Gallier und ein Legionar:„Die Stämme können dienen. Beil in Schwung!Cäſar braucht Widder zur Belagerung!“
Von Maſſilia.Erbleichend ſpricht der Gallier ein Gebet,Den Römer auch ergreift die MajeſtätDes Orts, doch hebt gehorchend er die Axt —Der Gallier flüſtert: „Weißt du was du wagſt?Die Stämme — dieſe Rieſen — ſind gefeit,Hier wohnt ein mächt'ger Gott ſeit alter Zeit,In deſſen Nähe nur der Prieſter tritt,Ein todtenblaſſes Opfer ſchleppt er mit.Verſehrteſt nur ein Blatt du freventlich,Stracks kehrte ſich die Waffe wider dich!“ ...14*Die heil'gen Eichen drohen Baum an Baum,Die Römer lauſchen bang und athmen kaum,Schwer, ſchwerer wird der Hand des Beiles WuchtUnd ihr entſinkt's. Sie ſtürzen auf die Flucht.„Steht!“ Und ſie ſtehn. Denn es iſt Cäſar's Ruf,Der ſie durch ſtrenge Zucht zu Männern ſchuf!Er iſt bei ſeiner Schaar. Er deutet hinAuf eine Eiche. Sie umſchlingen ihn,Sie decken ihn wie im Gedräng der Schlacht,Sie flehn. Er ringt. Er hat ſich losgemacht,Er ſchreitet vor. Sie folgen. Er ergreiftEin Beil, hebt's, führt den Schlag, der ſauſt und pfeift ...Sank er verwundet von dem frevlen Beil?Er lächelt: „Schauet, Kinder, ich bin heil!“Erſtaunen! Jubel! Hohngelächter! Spott!Soldatenwitz: „Verendet hat der Gott!“Die Rinde fliegt! Des Stammes Stärke kracht!Von Laub zu dunklerm Laube flieht die Nacht.Die Beile thun ihr Werk. Die Wölbung bricht —Auf Rieſentrümmer fällt das weiße Licht.
Die wunderbare Rede.Auf der Appierſtraße zieht ein HeerSchnellen Schrittes, weit umwölkt von Staub.Weiß am Horizont das Häuſermeer —„Rom iſt morgen euer!“ zeigt Sever.„Flieget, Adler! Stoßt auf euren Raub!“Morgen? Rom ſorgt ſich um morgen nicht.„Die Gladiatoren ſpielen heut!“Weiber ſchmücken ſich. Oreſtes ficht!Manch unheimlich brennend AugenlichtBlitzt im Spiegel den die Sklavin beut.Sänften haſten zum Theater ſchon,Von Gewitterwolken überjagt,Schwüle Blicke, die wie Fackeln lohn,Finſt'rer Brauen ungeduldig Drohn —Giebt's ein Morgen? Spiel iſt angeſagt!Ueber Dach und Zinne ragt emporHimmelhoch ein rieſenſtarker Bau,Der ein Volk empfängt durch manches Thor.Hinter ſeinem Mauerkranz hervorSteigt es ſchwarz und ſchwärzer auf im Blau.Drinnen drängen ſie ſich Sitz an Sitz,Jede Stufe ſtrotzt und wogt und ſchwillt.Auf der Bühne züngeln hell und ſpitzKurze Schwerter. Schimmernd flirrt ein BlitzUnd ein erſter Sprudel Blutes quillt.Starren Blickes, blaß vor Leidenſchaft,Lauert vorgeneigt die RömerinAuf die Sterbewunde — Eine gafftLüſtern. Eine ſinnt dämonenhaft.Eine lauſcht mit hartem Mörderſinn.An der raſch gedrehten Klingen SpielHaften Seelen gierig, ohne Zahl —Traf der Stoß? Er ſaß. Ein Fechter fiel,Wälzt ſich um im Sand und iſt am ZielNach der kurz empfundnen Sterbequal.Mark und Herz erſchütternd gellt ein Schrei!Dort auf dem Balkon ein Weib im Traum!Um die Schultern wehn die Haare freiUnd als ob ſie die Sibylle ſei,Ruft ſie ehern durch den vollen Raum:„Wehe morgen! Fechter, du biſt todt!Gute Fahrt! Dir thun ſie nichts zu leid!Morgen wehe! Horch! Die Tuba droht!Eine weite Flamme weht und loht!Wehe! Sie zerreißen mir das Kleid!“In das Morgen blickt ſie voller Graun,Schaudernd wie vor Blutes tiefem Strom,Denn ihr Auge kann das Künft'ge ſchaun —Es iſt keine von den ird'ſchen Fraun!Es iſt Rom! Es iſt die Göttin Rom!Vor dem Volk auf hoher Stufe ragtRom die Herrin in verſteintem Schmerz,Rom, vor welcher einſt die Welt gezagt,Jetzt die wunde, die geſchlagne Magd!Leid und Mitleid füllen jedes Herz.Durch die Menge geht ein Flüſtern leis,Eine Rede ſchwirrt und irrt und rauſcht,Flutet höher, höher ſtufenweis,Brauſt wie Meeresbrandung, füllt den Kreis,Jeder ſpricht ſie mit und Jeder lauſcht:„Schande! Brandmal! Striemen! Sklavenjoch!Wehe! Sie zerreißen Dir das Kleid!Ach wie lange noch, wie lange noch?Stürbeſt, Göttin Roma, ſtürbſt Du doch!Aber Du biſt voll Unſterblichkeit!“
VII.Frech und fromm.
König Etzel's Schwert.Der Kaiſer ſpricht zu Ritter Hug:„Du haſt für mich dein Schwert verſpellt,Des Eiſens iſt bei mir genug,Geh, wähl' dir eins, das dir gefällt!“Hug ſchreitet durch den Waffenſaal,Wo ſtets der graue Schaffner ſitzt.„Der Kaiſer giebt mir freie WahlAus Allem was da hangt und blitzt!“Er prüft und wägt. Von ihrem OrtLangt er die Schwerter mannigfalt —„Sprich, weſſen iſt das große dort,Gewaltig, heidniſch, ungeſtalt?“„Des Würgers Etzel!“ flüſtert ſcheuDer Graue, der es hält in Hut.„Des Hunnenkönigs! Meiner Treu,So lechzt und dürſtet es nach Blut!“„Laß ruhn. Es hat genug gewürgt!Die todte Wuth erwecke nicht!“„Gieb her! Dem iſt der Sieg verbürgt,Der mit dem Schwert des Hunnen ficht!“Und wieder ſprengt er in den Kampf.„Du haſt dich lange nicht geletzt,Schwert Etzel's, an des Blutes Dampf!Drum freue dich und trinke jetzt!“Er ſchwingt es weit, er mäht und mähtUnd Etzel's Schwert, es ſchwelgt und trinkt,Bis müd die Sonne niedergehtUnd hinter rothe Wolken ſinkt.Als längſt er ſchon im Mondlicht brauſt,Wird ihm der Arm vom Schlagen matt.Er frägt das Schwert in ſeiner Fauſt:„Schwert Etzel's, biſt noch nicht du ſatt?Laß ab! Heut iſt genug gethan!“Doch weh, es weiß von keiner Raſt,Es hebt ein neues Morden anUnd trifft und frißt was es erfaßt.„Laß ab!“ Es zuckt in grauſer Luſt,Der Ritter ſtürzt mit ſeinem PferdUnd jubelnd ſticht ihn durch die BruſtDes Hunnen unerſättlich Schwert.
Galaſwinte.Im Saale jubelt Hochzeit —Die Arme vor dem BuſenKreuzt Fredegund in Demut,Des Königs liſt'ge Buhlin:„Ich bin die Magd und leuchteDem Bräutchen auf die Kammer!“Die AlabaſterampelMit römiſchen Sculpturen,Die ſchwebend einſt geſchimmertIn ſtillem Grabesdunkel,Trägt Fredegund in DemutUnd hellt die Hochzeitskammer,Sie ſetzt die Ampel niederUnd geht und lächelt tückiſch.Die zarte GalaſwinteBlickt in die weh'nde Flamme,Die Flamme loht und flackert,Die Ampel ſpringt in Scherben,Die Fürſtin weint im Dunkel:„Die mich gebracht aus Spanien,Dein Kind dem Frankenkönig,Jetzt drehſt du auf dem RoſſeIm Schein der WanderfackelNoch einmal dich und breiteſtNach mir die Arme, Mutter!“
Bettlerballade.Prinz Bertarit bewirthet Verona's BettlerſchaftMit Weizenbrot und Kuchen und edlem Traubenſaft.Gebeten iſt ein Jeder, der ſich mit Lumpen deckt,Der, heiſchend auf den Brücken der Etſch, die Rechte reckt.Auf edlen Marmorſeſſeln im Saale thronen ſie,Durch Riſſ' und Löcher gucken Ellbogen, Zeh' und Knie.Nicht nach Geburt und Würden, ſie ſitzen grell gemiſcht,Jetzt werden noch die Haſen und Hühner aufgetiſcht.Der taſtet nach dem Becher. Er durſtet und iſt blind.Den Krüppel ohne Arme bedient ein frommes Kind.Ein reizend ſtumpfes Näschen geckt unter ſtrupp'gem Schopf,Mit wildem Moſesbarte prahlt ein Charakterkopf.Die Herzen ſind geſättigt. Beginne, Muſica!Ein Dudelſack, ein Hackbrett und Geig' und Harf' iſt da —Der Prinz, noch ſchier ein Knabe, wie Gottes Engel ſchön,Erhebt den vollen Becher und ſingt durch das Getön:„Mit friſch gepflückten Roſen bekrön' ich mir das Haupt,Des Reiches eh'rne Krone hat mir der Ohm geraubt.Er ließ mir Tag und Sonne! Mein übrig Gut iſt klein!So will ich mit den Armen als Armer fröhlich ſein!“Ein Bettler ſtürzt ins Zimmer. „Grumell, wo kommſt du her?“Der Schreckensbleiche ſtammelt: „Ich lauſcht' von ungefähr,Gebettet an der Hofburg — Dein Ohm ſchickt Mörder aus,Nimm meinen braunen Mantel!“ Erzſchritt umdröhnt das Haus.„Drück in die Stirn den Hut dir! Er ſchattet tief! Geſchwind!Da haſt du meinen Stecken! Entſpring, geliebtes Kind!“Die Mörder nahen klirrend. Ein Bettler ſchleicht davon.— „Wer biſt du? Zeig das Antlitz!“ Gehobne Dolche drohn.— „Laß ihn! Es iſt Grumello! Ich kenn' das Loch im Hut!Ich kenn' den Riß im Aermel! Wir opfern edler Blut!“Sie ſpähen durch die Hallen und ſuchen Bertarit,Der unter dunkelm Mantel dem dunkeln Tod entflieht.Er fuhr in fremde Länder und ward darob zum Mann.Er kehrte heim gepanzert. Den Ohm erſchlug er dann.Verona nahm er ſtürmend in rothem Feuerſchein.Am Abend lud der König Verona's Bettler ein.
Die Söhne Haruns.Harun ſprach zu ſeinen Kindern Aſſur, Aſſad, Scheherban:„Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann?Seit ich Bagdads Thron beſtiegen, bin von Feinden ich umgeben!Wie befeſtigt ihr die Herrſchaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?“Aſſur ruft, der feurig ſchlanke: „Schleunig werb' ich Dir ein Heer!Zimmre Maſten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer!Roſſe ſchul' ich. Säbel ſchmied' ich. Ich erbaue Dir Caſtelle.Dir gehören Stadt und Wüſte! Dir gehorchen Strand und
Welle!“Aſſad mit der ſchlauen Miene ſinnt und äußert ſich bedächtig:„Sicher ſchaff' ich Deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig.Traue Deinem Aſſad! Wähle mich zum Polizeiminiſter!Jeden Athemzug belauſch' ich, jedes heimliche Geflüſter.Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem ſetz' ich einen Sold,Daß ein jeder mir berichte, wer Dich liebt und wer Dir grollt.“Harun lächelt. Zu dem jüngſten, ſeinem Liebling, ſagt er:
„Ruhſt du?Wie beſchämſt du deine Brüder? Zarter Scheherban, was
thuſt du?“„Vater“, redet jetzt der Jüngſte keuſch erröthend, „es iſt gut,Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus Deinem Blut!Ueber ungezählte Looſe biſt allmächtig Du auf Erden,Das iſt Raub an Deinen Brüdern — und Du wirſt gerichtet werden!Dein erhaben Loos zu ſühnen, das ſich thürmt den Blitzen zu,Laß mich in des Lebens dunkle Tiefe niedertauchen Du!Such mich nicht! Ich ging verloren! Sende weder Kleid noch
Spende!Wie der Aermſte will ich leben von der Arbeit meiner Hände!Mit dem Hammer, mit der Kelle laß mich, Herr, ein Maurer ſein!Selber maur' ich mich in Deines Glückes Grund und Boden ein!Jedem Hauſe wird ein Zauber, daß es unzerſtörlich dauert,Etwas Liebes, etwas Theures in den Grundſtein eingemauert!Höreſt Du die Straße rauſchen unter Deinem Marmorſchloß?Morgen bin ich dieſer Menge namenloſer Tiſchgenoß —Wenn Dich die Beherrſchten läſtern, ſegnet Einer, Herr, Dich
ſtündlich!Wenn Dich die Enterbten haſſen, Einer, Vater, liebt Dich kindlich!“C. F. Meyer, Gedichte. 15
Der Berg der Seligkeiten.Ein Bergesrücken ſtill beſonnt,Allum der duft'ge Horizont —Hier ſaß der Chriſt und rings im KreisDie Galiläer ſtufenweisGelagert auf den ſteilen Triften —Der Meiſter lobt' der Lilie Kleid,Hieß göttlich Werk das FriedeſtiftenUnd rühmte die Barmherzigkeit.Er ließ die Segensſchwingen breitenAll ſeines Reiches Seligkeiten.Dann iſt er ſacht hinabgegangen ...Und hat am Kreuzesſtamm gehangen.Am Berg der Seligkeiten irrtenDer Hirtin Stapfen und des Hirten,Wie Wolken ſtill, wie Stürme brauſend,Zog dran vorüber ein Jahrtauſend,Die Lilie blieb des Lobes froh,Sie kleide ſich wie Salomo,Die Luft, drin nie das Erz erſcholl,Iſt noch von Friedeworten voll.Drommetenſtoß! Jach klimmt emporEin Heer, das Schlacht und Raum verlor.Kreuzritter ſind's, von SaladinVerſprengt, die wild zur Höhe fliehn,Heiß unter ihren Schritten herEntflammt den dürren Raſen er,In ſchwarzen Wolken wallt der Qualm.Schlachtroſſe ſchnauben auf der Alm.Scharf pfeifen SarazenenpfeileDurch das Gedräng der Flucht und Eile.Fort! Ein verfärbter Purpur weht,Ein junger König wankt entkräftet,Doch dieſes Reiches MajeſtätIſt König Chriſt, ans Kreuz geheftet.Drum tragen ſie das Kreuz voran,Der Welterbarmer ſchwebte dran,Das bittre Kreuz, davon herabEr ſeines Mordes Schuld vergab.Sie wuſchen's dann mit rothen Bächen,Um des Erbarmers Tod zu rächen ...Das Wüthen, Morden, Bluten, StreitenErſteigt den Berg der Seligkeiten.Erklommen iſt der Gipfel jetztUnd hinter ihm erbrauſt das Meer,Der Kurdenſchleuder ausgeſetzt,Steht auf dem Kulm das Chriſtenheer.Drommetenſtoß! „Der Heiland lebt!Chriſtus regiert!“ Der Berg erbebt.„Hilf, König, der gekreuzigt wurde!“„Zielt auf das Kreuz!“ befiehlt der Kurde.15*„Wie blöde Falter um die Flamme,So flattern ſie am Kreuzesſtamme!“Es ſauſt. Steilnieder zu der BuchtStürzt Roß und Reiter in die Schlucht.Das Kreuz, mit Glut und brünſt'ger HaſtUmfängt's ein Mönch und hält's umfaßt:„Hörſt, König, Du der Heiden Spott?Vernichte ſie, verhöhnter Gott!In heller Rüſtung komm gefahrenMit Deines Vaters Engelſchaaren!Lebſt Du, regierſt Du, Chriſte, nicht?“Kein Engelſchwert erblitzt im Licht.Die Luft verfinſtert Pfeilgeſaus —„Komm!“ ſchreit der Mönch und athmet aus.Des Himmels innig tiefer ScheinUmfaßt ein menſchenleer Geſtein.Vom Schwert erkämpft, vom Schwert zerſtört,Dies Reich hat nicht dem Chriſt gehört.
Die Gaukler.Am Strande des gelobten LandsIn glühem Stich des SonnenbrandsKämpft Ludowig der Fromme;Er trägt in ſich des Todes Keim,Ihm ahnt es, daß er nimmer heimIns ſchöne Frankreich komme.Scheu lauſcht in Zeltes DämmerſcheinEin junger Edelknecht hereinUnd hinter ihm die andern:„Herr König, es ſind Gaukler da,Drei Brüder aus Armenia,Die nach dem Grabe wandern.Es heißt, ſie ſpielen wunderſchön!Erlaubt ein friſches HorngetönUns allen anzuhören!“Der König ſeufzt: „Betrug der Welt!Bringt mir die Gaukler in das Zelt,Daß ſie euch nicht bethören!“Jetzt heben an den Mund die DreiDas Horn und ſpielen frank und frei,Als ging' es aus zum Jagen.Dann wie ein Quell im Walde quillt,So rieſelt ſanft und wächſt und ſchwilltEin Jubeln und ein Klagen.Gemach vertönt der Hörner Schall,Laut ruft Renaud von Reineval:„Du Herzenstroſt der Minne!Lucinden, die ſich um mich kränkt,In Treuen ihres Pilgers denkt,Sah ich auf ſtiller Zinne!“„Ich ſchaute“, fällt jung Walter ein,„In meinem Teich den WiederſcheinVon Eichen kühl und düſter,Ich ſah mein Boot, der Ruder bar,Das halb ans Land gezogen war,Umneigt von Schilfgeflüſter!“Ein Jeder hat im HorneslautSein Herz belauſcht, ſein Lieb geſchaut,Sein Minnen und ſein Sehnen.— „Herr König, ſagt, was ſinnet Ihr?Was ſehnet Ihr? Was minnet Ihr?Was rinnen Euch die Thränen?“Herr Ludwig flüſtert: „Sel'ger Traum!Mich hoben durch den HimmelsraumAngeliſche Geſtalten.„Getreuer Knecht, willkomm!“ erſchollEin Ruf — ich konnte wonnevollDie Thränen nicht verhalten.“
Der Pilger und die Sarazenin.Jüngſt am Libanon in einem Kloſter,Drin ich eine kurze Reiſeraſt hielt,Langſam durch die kühlen Hallen wandelnd,Blieb ich ſtehn vor einem alten Bilde,Wohlbewahrt in eigener Capelle.Es berührte mich mit leiſem ZauberTrotz der byzantiniſchen Geſtalten,Denn darüber lag ein Glanz der Liebe:Durch das Thor des Paradieſes ſchrittenEine Sarazenin und ein Pilger,Hand in Hand verſenkt und Blick in Blick auch.„Was bedeutet dieſes ſüße Märchen?“Frug ich Anaklet, den Kloſterbruder,Der mich ſchleichend überall begleitet.Mit geſenkten Augen gab er Antwort:„Guter Herr, kein ſüßes Märchen iſt es,Sondern eine tröſtliche Legende,Auf ein altes Pergament verzeichnetZur Erbauung aller gläub'gen Chriſten.Dieſer Pilger iſt ein heilger Märtrer,Eine Märtrin iſt die Sarazenin,Er verſchied, geſteinigt und gepeinigt,Sie verblich, umarmend eine Schwelle!“Märchenluſtig bin ich wie Scheherban,Wie die plaudernde Scheherezade!Und ich bat den Mönch: „Erzähle, Vater,Deinem Sohn die tröſtliche Legende.“Bruder Anaklet willfahrte ſprechend:„Einſt, vor ungezählten vielen Jahren —Alſo ſteht's im Pergament verzeichnet,Das ich gründlich lernte ſchon als Knabe —Zogen Pilger nach dem Grab vorüberOhne Raſt und ohne Trunk und SpeiſeScheuen Fußes an der Stadt Damaskus,Denn verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!Vor der Stadt Damaskus rauſcht ein Brunnen,Wo ein Löwenkopf aus ſeines MaulesTief herabgezognen Winkeln ſprudeltEin begehrtes köſtlich kühles Waſſer.Dort am Brunnen ſtand die Sarazenin.Schleierlos, die jungen warmen AugenFünfzehnjährig oder ſechszehnjährig,Stand am Brunnen eine Sarazenin,Die den ſchlanken Krug gelaſſen füllte.Alle Pilger zogen ihr vorüberMit geſenktem Haupte niederblickend,Denn die Moslimweiber treiben Künſte.(Aber überwunden hat ſie Chriſtus!)Nur ein zarter Jüngling, faſt ein KnabeNoch, entwich der Pilgerreihe durſtig,Nahte ſich der jungen SarazeninFlehend, forderte von ihr zu trinken.Langſam ſenkte ſie den Krug. Er ſchlürfte.Langſam hob den Krug zu Haupt ſie wieder,Heimwärts wandelnd. Vor des Thores WölbungWandte ſie das Haupt mitſammt dem Kruge,Schritte fühlend hinter ihren Sohlen:„Pilger, hüte dich vor dieſem Thore!Denn es würde dir zum Thor des Todes!Meine dunkeln Augen ſind verderblichUnd verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!“Und ſie wandelt durch des Thores Wölbung,Und ſie wandelt durch die dunkeln Gaſſen,Schritte fühlend hinter ihren Sohlen.Ihre Thüre öffnet ſie und ſchließt ſieUnd empor zum innern Söller ſteigendSieht ſie mit den Sinnen ihres GeiſtesEinen Pilger liegen auf der Schwelle,Auf der Schwelle vor des Hauſes Pforte.In der erſten Morgenhelle ſtand ſieVor dem Pilger, heftig ihn zu ſchelten:„Pilger, hebe dich von dieſer Schwelle,Die zur Schwelle würde dir des Todes!Will nicht ſchuldig ſein an deinem Tode!Meine dunkeln Augen ſind verderblich!Alle ſchlügen heute dich mit Stäben,Alle würfen heute dich mit Steinen,Und du lägeſt todt in deinem Blute!Denn verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!Weiche, Pilger! Heb' dich, läſt'ger Bettler!Fremdling! Abergläub'ſcher! Götzendiener!Dieſen Lippen einen Kuß! Entweiche!“Doch er weigerte ſich mit dem Haupte,Zornig wich von ihm die Sarazenin.In der letzten Abendhelle ſtand ſieVor dem Pilger, dem das Blut aus vielenWunden ſtrömte, heftig ihn zu ſchelten:„Weiche, Pilger! Heb' dich, läſt'ger Bettler!Fremdling! Abergläub'ſcher! Götzendiener!Meine dunkeln Augen ſind verderblichUnd verhaßt iſt Chriſtus in Damaskus!Will nicht ſchuldig ſein an deinem Tode!Waſchen will ich deine rothen Striemen,Küſſen will ich deine blut'gen Wunden,Läugneſt du den bleichen Mann am Holze!“Doch er weigerte ſich mit dem Haupte,Weinend wich von ihm die SarazeninUnd empor zum innern Söller ſteigendHört ſie mit den Sinnen ihres GeiſtesLeiſe ſtöhnen einen TodeswundenAuf der Schwelle vor des Hauſes Pforte.Ferne blieb der Schlummer ihren Lidern,Endlich kam der Schlummer und ein Traum kam.Rings empor an eines Gipfels AbhangKlommen mit erbaulichen GeſängenPilger auf zum Thor des Paradieſes.Einer klomm voran, ein heil'ger Märtrer,Den die andern grüßten ehrerbietig.In des Thores Wölbung ſtand der Heiland:„Tritt herein! Du haſt für mich geblutet!“Doch der Pilger weigerte ſich ſtandhaft:„Heiland, laß mich liegen auf der Schwelle,Bis ſie kommt die ſtündlich ich erwarte!Hand in Hand verſenkt und Blick in Blick auch,Tritt ſie, mir geſellt, in Deine Freude,Keine Sarazenin, eine Chriſtin.Solches träumend, ſtürzten ihr die ThränenSo gewaltig, daß ſie drob erwachte.Jählings ſpringt ſie auf von ihrem Lager,Fliegt hinab des Hauſes hundert Stufen:Leer und blutbegoſſen lag die SchwelleIn des ungebornen Tages Frühlicht.Auf die harte Schwelle kniet ſie nieder,Badet ſie mit unerſchöpften Thränen,Drängt den warmen Buſen ihr entgegen,Preßt ſie feſt, als klopft' ein Herz im Steine,Keines klopft, doch ihres zum Zerſpringen.Als die Füße derer wiederkehrten,Die den Todten vor das Thor getragen,Eilten ſie der Schwelle ſcheu vorüber,Auf der Schwelle ſahn ſie eine Todte,Auf der Schwelle lag die Sarazenin.Keine Sarazenin, eine Chriſtin!“Endet' Bruder Anaklet erbaulich.
Am Himmelsthor.Mir träumt', ich komm' ans HimmelsthorUnd finde dich, die Süße!Du ſaßeſt bei dem Quell davorUnd wuſcheſt dir die Füße.Du wuſcheſt, wuſcheſt ohne RaſtDen blendend weißen Schimmer,Begannſt mit wunderlicher HaſtDein Werk von Neuem immer.Ich frug: „Was badeſt du dich hierMit thränennaſſen Wangen?“Du ſprachſt: „Weil ich im Staub mit dir,So tief im Staub gegangen.“
Mit zwei Worten.Am Geſtade Paläſtina's, auf und nieder, Tag um Tag,„London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag.„London!“ bat ſie lang vergebens, nimmer ward ſie müd und zag,Bis zuletzt an Bord ſie brachte eines Bootes Ruderſchlag.Sie betrat das Deck des Seglers und ihr wurde nicht gewehrt.Meer und Himmel. „London?“ frug ſie, von der Heimath abgekehrt,Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgeſtreckte Hand belehrt,Nach den Küſten wo die Sonne ſich in Abendgluth verzehrt ...„Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng der großen Stadt,Und die Menge lacht und ſpottet, bis ſie dann Erbarmen hat.„Tauſend Gilbert giebt's in London!“ Doch ſie ſchreitet nimmer
matt.„Labe dich mit Trank und Speiſe!“ Doch ſie wird von Thränen ſatt.„Gilbert!“ „Nichts als Gilbert? weißt du keine andern
Worte? nein?“„Gilbert!“ ... „Hört, das wird der weiland Pilger Gilbert
Becket ſein —Den gebräunt in Sklavenketten glüher Wüſte Sonnenſchein —Dem die Bande löste heimlich eines Emirs Töchterlein —“„Pilgrim Gilbert Becket!“ dröhnt es, brauſt es längs der Themſe
Strand.Sieh, da kommt er ihr entgegen, von des Volkes Mund genannt,Ueber ſeine Schwelle führt er, die das Ziel der Reiſe fand.Liebe wandert mit zwei Worten gläubig über Meer und Land.
Kaiſer Friedrich der Zweite.In den Armen ſeines JüngſtenPhantaſirt der ſieche Kaiſer,An dem treuen Herzen ManfredsKämpft er ſeinen Todeskampf.Mit den geiſterhaften, blauenAugen ſtarrt er in die Weite,Während ſeine fieberheißeRechte preßt des Sohnes Hand:„Manfred, lauſche meinen Worten!Drüben auf dem MarmortiſcheMit den Greifen liegt mein gültigUnterſchrieben Teſtament.Eine Kutte, drin zu ſterben,Schenkten mir die braven Mönche,Daß ich meine Seele retteTrotz dem Bann des heil'gen Stuhls.Manfred, meines Herzens Liebling,Laß den Herold auf den SöllerTreten und der Erde melden,Daß der Hohenſtaufe ſchied.Manfred mit den blonden LockenSarge prächtig ein die Kutte,Führe ſie mit SchaugeprängeNach dem Dome von Palerm!Weißt du, Liebling, das Geheimniß?Dieſe Nacht in einer SänfteTragen meine SarazenenSacht mich an den Strand des Meers.Meiner harrt ein ſchwellend Segel.Auf des Schiffes Deck gelagert,Fahr' entgegen ich dem MorgenUnd dem neugebornen Strahl.Fern auf einem Vorgebirge,Das in blaue Flut hinausragt,Steht ein halb zertrümmert KloſterUnd ein ſchlanker Tempelbau.Zwiſchen Kloſter und RotundeSchlagen wir das Zelt im Freien.Selig athm' ich Meer und Himmel,Bis mich Schlummer übermannt.“
Die gezeichnete Stirne.„Weib, verrathe mir, von wem gerufenDu zur Leidgeſellin dich gegeben?Wer herunter dieſes Kerkers StufenDich gezogen, du mein ſüßes Leben?“— König Enzio, keine Menſchen habenMich vermocht im Kerker zu verbleichen!Nein, ein Schickſal war mir eingegraben,Meine junge Stirne trug ein Zeichen.Unſre Väter nahmen dich gefangenUnd wir Kinder hatten's bald erfahren,Daß du nimmer wirſt ans Licht gelangen,König Enzio mit den Ringelhaaren!Daß du nimmer tragen eine helleRüſtung wirſt, wo die Drommeten klingen,Daß du nimmer rauſchen Wald und QuelleHörſt, noch einen freien Vogel ſingen!Und wir Kinder lauſchten ſachte, ſachteDurch das Gitter in des Kerkers Tiefe,Leis und heftig ſtreitend, ob Er wachteSchwerbekümmert oder ob Er ſchliefe —C. F. Meyer, Gedichte. 16Meine Stirne drückt' ich an das Eiſen,Drinnen lagſt du ſchlummernd, wie mir deuchte,Blickte ... blickte, war nicht wegzuweiſen,Bis der Wächter drohend mich verſcheuchte.Mütterlein erſah mich und wehklagte,Schlug die Hände jammervoll zuſammen:„Kind, wer hat dir in die Stirne“ — fragteSie — „gezeichnet dieſes Kreuz von Flammen?“Hieß mich dann in ihren Spiegel ſchauen —Theuer werther Herr, ſo wahr ich lebe,Eingezeichnet über meinen BrauenWaren deines Kerkers Eiſenſtäbe!Außen wich das Zeichen; aber innenBlieb's, da ich zur Maid erwuchs, geſchriebenHerr, ſeit jenem Tag war all mein SinnenDich und deinen Kerker nur zu lieben.
Die Gedanken des Königs René.Der fromme Lautenſchläger Herr RenéTrug braune Locken — ſie ſind weiß wie Schnee.An ſeiner Stirn verglomm der Kronen Glanz,Da haftet nichts als nur ein Lorbeerkranz.Schloß Tarascon — er bietet's zum Verkauf —Dran ſpritzt die blaue Rhone ſcherzend auf,Von hoher Warte wandert rings der BlickDer König wägt als Denker ſein Geſchick:„S'iſt eigen daß man immer mich vertreibt!S'iſt eigen daß mir nichts in Händen bleibt!Lothringen erbt' ich, wo die Trift ſich ſonnt,Das nahm mir weg Anton von Vaudemont.Dann erbt' ich flugs das Fürſtenthum AnjouUnd noch das nette Ländlein Bar dazu —Herr König Ludwig trat in mein GelaßAls Gaſt und ſchrieb mir meinen Wanderpaß.Reich Napel war's, das dann zu Erb mir fiel,Dort miſchte ſich der Aragon ins Spiel —Das ſchöne Napel! Richtig werd' ich ſchlemm!Mir bleibt das himmliſche Jeruſalem!Da ſchimmert unvergänglich Dach und Fach —Ich erb' es ſchon. Das Erben iſt mein Sach!Doch geht mein Sach, wie hier, ſo droben dort,Jagt aus dem Himmel mich der Teufel fort.“16*
Der Mars von Florenz.Die Thürme von Florenz umblautDer ſüße Lenz, der junge Lenz,Die Frauen ſingen leis und lautIn allen Gaſſen von Florenz.Am Rand der Arnobrücke ſtehtEin ſchwarzverwittert MarmelbildMit Helmgeflatter, Kriegsgerät,Gott Mars, und lächelt falſch und wild.— „Gott Mars, wohl magſt du finſter ſchaun,Drommete dröhnt im Lenze nie,Raub' eine dir von unſern Fraun!Hoch über Venus preiſ' ich ſie!“Ein Jüngling ruft's dem Gott emporMit lachend ausgeſtreckter Hand —Ihm dringt ein Erzgedröhn ans Ohr,Er eilt und ſteht am andern Strand.Raſch tritt aus einem Haus hervorEin Edelweib, das höhnt und lacht:„Zur Amidei? Junger Thor!Dir war das Schön're zugedacht!Nach Gottes Rathſchluß iſt's geſchehn!Heut wirſt du — heißt's — mit ihr getraut —Jetzt ſollſt du die Donati ſehn:Blick her! Vergleich' mit deiner Braut!“Sie zerrt ein Mägdlein an das Licht,Es kämpft ins dunkle Haus zurück,Im jungen bangen AngeſichtErräth er aller Himmel Glück.„Hinweg! Die Amidei harrt!Hinweg! Mein Kind iſt keine Dirn!Ihr blicket frech!“ Der Jüngling ſtarrtAuf die geſenkte Mädchenſtirn.Der Wunſch iſt Glut! Die Scham iſt Glut!Die hohe Doppelflamme loht!Er ſtreckt die Hand. Das höchſte GutErgreift er und ergreift den Tod.„Frau, ſtrafet mich nicht allzuſchwer!Das ſüße Haupt! Das blonde Haar!Gewähret ſie mir!“ ſtammelt er.„Ich führe ſtracks ſie zum Altar!“Den Ring der ihm die Hand bereift,Der Amidei Trauungsring,Hat raſend er ſich abgeſtreiftUnd ſchleudert ihn. Da rollt er. Kling ...Jetzt kniet er im Capellenraum,An Freveln und an Wonnen reich,Zur Linken kniet ſein ſünd'ger Traum,Wie Engel ſchön, wie Todte bleich.Dem Paar zu Häupten murmelt leerUnd ſchnell ein feiles Prieſterwort —„Die Roſſe her! Die Roſſe her!Zum Thor hinaus! Ins Freie fort!Du lieb Geſchöpf! Du bebſt wie Laub!Verlarve dir das Angeſicht!Faß Muth! Ich bringe meinen Raub,In eine Burg die Keiner bricht!“Am Rand der Arnobrücke ſtehtEin ſchwarzverwittert MarmelbildMit Helmgeflatter, Kriegsgerät,Gott Mars, und lächelt falſch und wild.Das Schwert des Gottes ſchüttert leis.Da ſpringt hervor mit ErzeslautEin Hinterhalt, ein Mörderkreis,Die Sippe der verrathnen Braut.„Verdammter, ſtirb!“ — „Geliebte, flieh!“Wild ringend ſtürzt er umgebracht,An ſeinen Buſen gleitet ſieUnd ſinkt mit ihm in Eine Nacht.Herab von aller Thürme HangVerkündet gellend SturmgeläutDen Bürgerkampf. Das Schwert erklangDem Gott, der ſich des Mordes freut.
Die Ketzerin.Fra Dolcin, der Ketzer, der von DanteIn der Hölle neunten Kreis Gebannte,Hat ein Weib geliebt, von dem ſie ſagen,Daß kein ſchön'res lebt' in jenen Tagen.Kamen ſeine Jünger ihn zu grüßen,Saß die Blonde ſchon zu ſeinen Füßen,Segnet' er das Volk mit frevler Rechten,Neigte ſie zuerſt die goldnen Flechten;Dem Verfehmten folgte ſie, dem Flieh'nden,Durch die Schluchten des Gebirges Zieh'nden —Da er von den Schergen ward gefangen,Iſt ſie ſeinen Feſſeln nachgegangen;Wo er in der Flamme ſich gewunden,Steht auch ſie am Marterpfahl gebunden.Lieblich iſt, die Fra Dolcin verführte,Wie noch nie ein Weib die Herzen rührte;Augen, unergründlich wunderbare,Schaun, als ob ſie zu den Sel'gen fahre.Die ſie richten, fragen ſich mit Grauen:Kann die Hölle wie der Himmel ſchauen?Und es zittern vor dem unſchuldsvollenEngelsantlitz, die ſie martern wollen.Selbſt der Prieſter ſpricht mit ihr gelinde,Als mit einem irrgegangnen Kinde:„Schwaches Weib, der dich verleitet hatte,Weder Bruder war er dir noch Gatte!Seine Aſche treibt im Wind! VerflogenSind die Stapfen, die dich nachgezogen!Büße! Folge reuig den GebotenUnſrer heil'gen Kirche! Laß den Todten!“In den Banden kann ſich nicht bewegenMargherita, nur die Lippen regen:„Leiden muß ich, was Dolcin gelitten ...Horch, er ruft! Ich folge ſeinen Schritten“ —Und die warmen, tiefen Blicke ſtrahlen —„Durch die Martern folg' ich, durch die Qualen!“— „Ketzerin, dich ſtärken finſtre Mächte!Brände her!“ .... Es rühren ſich die Knechte.Siehe da! Wie eines Blitzes LeuchtenFährt ein Ritter unter die Geſcheuchten,Will den ſchönen Dämon ſich erſtreiten;Er bemächtigt ſich der Maledeiten,Ihre Kniee faſſt er mit der Linken,In der Rechten droht des Schwertes Blinken:„Tretet aus die Glut! Bei Gottes Leibe,Löſcht die Fackeln! Weg von meinem Weibe!Sage Ja ... Mit einem Wink der Lider ...Und vom Scheiterhaufen ſteigſt du nieder!Keiner wird auf meiner Burg es wagen,Dich um deinen Glauben zu befragen!“— „Laß mich ziehn! ... Ich darf mich nicht verweilen .. .Horch, Dolcino ruft! ... Ich muß mich eilen .. .Gieb mich frei!“ Er weicht mit einem herbenHohngelächter. „Mag die Thörin ſterben!“Ueber ihrem blonden Haupt zuſammenSchlagen Todesflammen, Liebesflammen.
Der Mönch von Bonifazio.„Corſen, löſt des Portes Ketten! Jede Hoffnung iſt verſchwunden!Nirgend weht ein rettend Segel! Gebt euch! Pfleget eure Wunden!Genua, euer hat's vergeſſen! Spähet aus von eurem Riffe!Sucht im Meere! Schärft die Augen! Nirgend, nirgend
Genua's Schiffe!Eure Kinder hör' ich wimmern, eure Fraun, die hungermatten,Blicken hohl wie Nachtgeſpenſter und ihr ſelber wankt wie Schatten!“Vom Verdeck des Schiffes ruft's empor zu Bonifazio's WalleKönig Alfons milden Sinnes, aber droben ſchweigen Alle.Nimmer würden ſich dem Dränger dieſe tapfern Corſen geben,Gölt' es nur das eigne, gölt' es nicht der Knaben junges Leben!Finſter vor ſich niederſtarrend, treten flüſternd ſie zuſammen —Eines Mönchs empörte Augen ſchießen Blitze, ſchleudern Flammen:„Feige Hunde! Keine Corſen! In die Hölle der Verräther!“„Schweige Mönch! Wir haben Herzen. Wir ſind Gatten, wir
ſind Väter.“Auf dem preisgegebnen Felſen kniet der Mönch in wildem Harme:„Leihe, Gott, mir Deine Hände! Gieb mir Deine ſtarken Arme!Heute komm' ich Lohn zu fordern. Alles gab ich. Nichts gebliebenIſt mir außer meinem Felſen. Aber etwas muß ich lieben.Gott, Du kannſt mit Deinen Kräften eines Menſchen Kräfte
ſteigern!Was Du thatſt für Deine Juden, darfſt Du keinem Corſen weigern!Genua's Schiffe will ich ſuchen! Will ſie bei den Schnäbeln faſſen!Spannen will ich weite Segel und ſie nicht ermatten laſſen!“Alle ſeine Muskeln ſchwellen, alle ſeine Pulſe beben,Schiffe durch das Meer zu ſchleppen, Segel aus der Flut zu heben.Aufgeſprungen, überwindend Raum und Zeit mit ſeinem GotteDeutet er ins Meer gewaltig: „Dort! ich ſehe dort die Flotte!“Aber keine Segel blinken aus des Meeres farb'ger Weite,Unbevölkert flutet eine ſchrankenloſe Waſſerbreite.Nur die Sonne wandert höher, ihre Strahlen brennen wärmer.Nichts als Meer und nichts als Himmel. Alfons lächelt: „Armer
Schwärmer!“Dort! Am Saum des Meers das Pünktchen ... Sichtbar kaum ...
Der zweit' und drittePunkt und jetzt ein viert' und fünfter und ein ſechſter in der Mitte!Winde blaſen, Wellen ſtoßen. Meer und Himmel ſind im Bunde.Segel, immer neue Segel ſteigen aus dem blauen Grunde.Wende deine Schiffe, König! Sonſt verlierſt du Ruhm und Ehre!Woge, Fürſtin Genua, woge, du Beherrſcherin der Meere!Alle Glocken Bonifazio's ſchlagen ſchütternd an und ſtürmen,Jubel wiegt ſich in den Lüften über den zerſchoſſnen Thürmen.Und der Mönch, der mit der Allmacht ſeinen ird'ſchen Arm bewehrte?An der Erde liegt er ſterbend, der von ihrem Hauch Verzehrte.
Jung Tyrrel.„Jung Tyrrel, fuhreſt über See?Jung Tyrrel, mir willkommen hie!Sahſt du ſo dunkle Forſte je?So ſtolze Forſte ſahſt du nie!Ein engliſch Wild erſt umgebracht!Dann geb' ich dir ein engliſch Lehn!“Jung Tyrrel, dem das Herze lacht,Läßt ſeine blanken Zähne ſehn.„Wer heut den beſten Schuß mir thut,Den Achtzehnender mir erlegt,Der nehme ſich als LehensgutDen Königsforſt der ihn gehegt!Zu ſchwör' ich dir's auf dieſen Bart,Der feuerroth die Bruſt mir deckt!Zu Wald! Zu Wald! Der Rappe ſcharrt!Die Bracke ſpürt! Der Rüde bleckt!“Herr Wilhelm ſtößt ins Jägerhorn,Ein Geier krächzt in ſeinem Horſt,Die Wipfel peitſcht ein dunkler Zorn,Es braust und tost. Dann ſchweigt der Forſt.Herr Wilhelm ſchlägt mit Tyrrel Rath:„Ich links, du rechts! Fort! Gute Birſch!“Es knirſcht das Laub darauf er trat.In heller Lichtung ätzt ein Hirſch:Ein Rothhirſch der vier Ellen mißt,Daß ſich ein Jägerherze freut,Der dieſes Forſtes König iſt,Mit weit veräſtetem Geſtäud.Her raunt's aus WaldesfinſternißZu Tyrrel, der ſich duckt ins Moos:„Verdammt daß mir die Sehne riß!Du drück in Teufels Namen los!“Herr Tyrrel lauſcht. „Wer ſprach das Wort?“Ein Weilchen ſchweigt's im Laubesdach.„Schieß, Tyrrel!“ raunt's von anderm Ort.Er ſchießt. Genüber ſtöhnt ein Ach.Herr Tyrrel, das war ſchlimme Birſch!Im Dickicht rinnt ein Bächlein rot.Ihr fehltet Englands größten HirſchUnd ſchoſſet Englands König todt.
La Blanche Nef.„Herr König, ich bin Steffens Kind,Der den Erobrer einſt geführt!Es iſt ein Lehn, daß mein Geſind,Mein Schiff allein den König führt!Voraus den ſchnellſten Seglern fliegtMein Boot, La Blanche Nef genannt,Es weiß wo ſichre Tiefe liegt,Es furcht das Meer, es kennt den Strand!“— „Nicht mich, doch meinen beſten Hort,Vier Königskinder, führeſt du —Sie knoſpen, weil mein Leben dorrt —Die junge Normandie dazu!Gelobe mir dein himmliſch Theil,Gelobe mir dein männlich Wort:Du bringſt an Leib und Seele heilDie Kinder mir nach England dort!“— „Ich ſchwöre Dir mein himmliſch Theil,Ich ſchwöre Dir mein männlich Wort:An Leib und Seele bring' ich heilDie Kinder Dir nach England dort!“Des Schiffers geller Pfiff erſcholl,In See das Boot des Königs ſtach —Ein Korb von friſchen Blumen voll,Glitt Blanche Nef, la Belle, nach.So leicht beſchwingt wie nie zuvor,Durchfurchte Blanche Nef die SeeMit ihrem kräft'gen KnabenflorUnd Mägdlein ſchlank wie Hirſch und Reh.Die Königskinder hell und zartErhöht inmitten ſaßen ſie,Ringsum gepaart in Zucht und ArtDas Edelblut der Normandie.Vier helle Stimmen ſangen ſchönUnd hundertſtimmig ſcholl der Chor,Es zog das junge LuſtgetönDie Nixen aus der Fluth empor.— „Ich warne junge HerrlichkeitUnd dich, normänniſch Edelblut,Das Singen ſchafft der Nixe Leid,Dem freudeloſen Kind der Flut!“— „Und ſchaffen dem Gezücht wir LeidUnd quälen wir das HalbgeſchlechtUnd reizen wir der Nixe Neid,Das, Steffen, iſt uns eben recht!“Gemach verloſch das Abendrot,Des Tages Gluten ſchliefen ein,Ausbreitet' über Meer und BootDer Mond den bleichen Geiſterſchein.Die See iſt wunderlich erregt.Was wandert um des Kieles Lauf?Von Armen wird die Flut bewegt,Beglänzte Nacken tauchen auf.Der Steffen ernſt am Steuer ſtand:„Das Meer iſt klar, doch droht Gefahr ...“Er deutet mit geſtreckter Hand:„Da naht ſie ſchon, die Nixenſchaar!“Umklammert hält den ſchrägen MaſtEin blanker Leib als Schiffsfigur,Daß Blanche Nef, von Graun erfaßt,In wilder Flucht von dannen fuhr.— „Ich warne junge Herrlichkeit,Vergeßt die Nachtgebete nicht!“— „Ei Steffen, Kind der alten Zeit,Süß herzt es ſich im Mondenlicht“ ...Es klimmt und überklimmt das Bord,Es läßt ſich nieder aus den Taun,Es kichert wie ein freches Wort,Es ſchaudert wie ein lüſtern Graun ...C. F. Meyer, Gedichte. 17Es reizt, es quält, es ſchlüpft, es ſchmiegtSich zwiſchen Edelknecht und Maid,Bis ſich das Paar in Armen liegtZu früher Luſt, zu Tod und Leid ...Dem Steffen ſteigt das Haar. Er ſtarrtAuf ein geſpenſtig Bacchanal:Die Königskinder hell und zartVerblühen all im Mondenſtrahl.„Verloren geht mein himmliſch Theil,Gebrochen iſt mein männlich Wort:Nicht bring' an Leib und Seele heilDie Kinder ich nach England dort!Geh nieder, Blanche Nef! Es ragtLinks unterm Waſſer hier ein Riff ...“Er dreht das Steuer ſtracks und jagtDer Klippe zu das Sündenſchiff.Der König lauſcht zurück: „Das ſchollWie Sterbeſchrei!“ Klar iſt der Sund.Ein Korb von welken Blumen voll,Sinkt Blanche Nef zum Meeresgrund.
Der gleitende Purpur.„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“Schallt im Münſterchor der Pſalm der Knaben.Kaiſer Otto lauſcht der Mette,Diener hinter ſich mit Spend' und Gaben.Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!Heute, da die Himmel niederſchweben,Wird dem Elend und der BlößeMäntel er und warme Röcke geben.Hundert Bettler ſtehn erwartend —Einer hält des Kaiſers Knie umfangenMit den wundgeriebnen Armen,Dran zerriſſner Feſſeln Enden hangen.— „Schalk! Was zerrſt du mir den Purpur?Harr und beite! Kennſt du mich als Kargen?“Doch der Bettler hält den MantelFeſt und jammert: „Kennſt Du mich, den Argen?Du Geſalbter und Erlauchter!Kennſt Du mich? ... Du haſt mit mir gelegen,Mit dem Siechen, mit dem Wunden,Unter Eines Mutterherzens Schlägen.17*Aus demſelben WollentucheSchnitt man uns die Kappen und die Kleider!Aus demſelben PſalmenbucheSang das friſche Jugendantlitz Beider!Heinz wo biſt du? Heinz wo bleibſt du?Haſt zum Spiele Du mich oft gerufenDurch die Säle, durch die Gänge,Auf und ab der Wendeltreppe Stufen ...Dann als einen falſchen BruderUnd Verräther haſt Du mich erfunden!Du ergrimmteſt und Du warfeſtIn die Kerkertiefe mich gebunden ...In der Tiefe meines KerkersHab' ich ohne Mantel heut gefroren ...Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!Heute wird der Welt das Heil geboren!“„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“Hundert Bettler ſtrecken jetzt die Hände:„Gieb uns Mäntel! Gieb uns Röcke!Sei barmherzig! Gieb uns Deine Spende!“Eine Spange löſt der KaiſerSacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitetUeber ſeinen ſünd'gen BruderUnd der erſte Bettler ſteht bekleidet ...Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!Jubelt Erd' und Himmelreich mit Schallen.Glorie! Glorie! Friede! Freude!Und am Menſchenkind ein Wohlgefallen!
Das Goldtuch.„Ihr Mägde, ſchaut, was ihr im Schreine habt!Nicht darfſt du mir von hinnen unbegabt,Mein blonder Enkel, der der Ahne botMit prieſterlichen Händen Gott im Brot!“Mathilde ſprach's die Fürſtin, ſterbeſchwach.Richburg die Schaffnerin ſeufzt' Weh und Ach!„Hin gabſt den Armen Alles du! AlleinDein goldgewoben Bahrtuch liegt im Schrein!“— „Die goldne Decke! Gebt dem Biſchof die!Brauthemd und Bahrtuch fehlt den Frauen nie!“ ...Der Jüngling zaudert ... „Nimm die Decke! Kränk'Mich nicht!“ Er nimmt und zieht mit dem Geſchenk.Sie athmet aus. Es läutet lang und ſchönMit allen Glocken von des Münſters Höhn.Was wandert dort im letzten Sonnenblick?Mathildens Bahrtuch kehrt zu ihr zurück.Abſpringt ein Reiter, der den Thurm erſteigt.„Den Biſchof warf das Roß. Ein Todter ſchweigt.Wir bringen ihn! Verdoppelt das Geläut!Ihr Glöckner, zwier bekommt ihr Löhnung heut!“
Frau Agnes und ihre Nonnen.Ein Kloſterhof, ein Lenzestag!Ein ſchwarzer Lindenſchatten,Wo der gekrönte Habsburg lagErſtochen auf den Matten.Frau Agnes, die geſtrenge Frau,Des Vaters Blut zu rächen,Rief mordend aus: „Ich bad' in Thau!“Und ſchritt in rothen Bächen.Sie freute ſich in warmes BlutDie Knöchel einzutauchen,Sie warf in ſtille Dörfer Glut,Sie ließ die Burgen rauchen.Nachdem Gericht gehalten war,Vollbracht die Todtenfeier,Verbarg ſie das MeduſenhaarMit einem Nonnenſchleier.Sie ſchuf ein Kloſter, wo hervorAus Grüften Geiſter ſchweben,Sie füllt' mit Blumen an den Chor,Mit lauter jungem Leben:Sie raubt das krauſe BlondgelockManch einem Edelkinde,Beſchert ihm einen ſchwarzen RockUnd eine blanke Binde.Sie geißelt ſich den weißen Leib,Bis rothe Tropfen rinnen,Sie will, das unbarmherz'ge Weib,Den zarten Heiland minnen.Dort ſitzt ſie unter LindennachtAm kühlen Kloſterbronnen,Sie hat die Bibel mitgebrachtZur Andacht ihrer Nonnen.Am Gatter lauſchen Kinder ſcheuMit friſchgepflückten Veilchen,Ein Weiblein hinkt mit Holz vorbei,Bückt tief ſich vor der Heil'gen.Dem jüngſten Nönnchen giebt das BuchSie jetzt, der lieblich Bleichen:„Wir blieben bei Sankt Pauli Spruch.Sieh her! Da ſteckt das Zeichen!“Die Zarte, die das Buch empfing,Beſchaut Sankt Paulum denkend.Sie lieſt. Ihr lauſcht der Schweſtern Ring,Die Wimper züchtig ſenkend —„Was frommte mir die Faſtenzeit,Was frommten Geißelhiebe,Was frommt' es, trüg' ich hären Kleid,Und mangelte der Liebe?“Da hebt ein Seufzer manche BruſtIm Nonnenrock erbaulichUnd manche kecke LebensluſtBlickt traurig und beſchaulich ...
Die drei gemalten Ritter.„Frau Berte, hört: Ihr dürftet nunMir einmal einen Gefallen thun!“— „Was denkt Ihr, Graf? Wohin denket Ihr?Vor den drei gemalten Rittern hier?“Drei Ritter prahlen auf der WandMit rollenden Augen, am Dolch die Hand.„Wer, Frau, iſt dieſe Ritterſchaft?“— „Drei Vettern und alle drei tugendhaft!Gelobt Ihr, Graf, die Ehe mirBei den drei gemalten Rittern hier,Will ich — Ihr laßt es doch nicht ruhn —Euch einmal einen Gefallen thun.“Das Gräflein zwinkert den Rittern zu.(„Frau Berte, welch eine Gans biſt du!“)Das Gräflein hebt die Finger flink.(„Frau Berte, du biſt ein dummes Ding!“)„Trautlieb, ich ſchwör' und beſchwör' es dirBei den drei gemalten Rittern hier!“Jetzt rufen aus einem Mund die Drei:„Es iſt geredet und bleibt dabei!“Die Wand verſinkt: dahinter ſtehnDrei gült'ge Zeugen. So iſt's geſchehn.
Einſiedel.„Was pocht mir an das Fenſter?Wer klopft an meine Thür ſo laut?“— „Ich bin ein junger WildfangUnd naß bis auf die Haut.Ich bin der Gerold Wendel,Wir ziehen an den Hof zu Zwein,Der Andre iſt ein KonradUnd nennt ſich Lützelſtein.Der duckt ſich etwo andersVor Blitzgezuck und WetterzornUnd bläſt mich morgen munterMit ſeinem Jägerhorn.Einſiedel, frommer Bruder,Ihr ſehet wie es um mich ſteht!Gewährt mir Euer LagerUnd ſprecht mein Nachtgebet!“Er lallt es halb entſchlummertUnd ſtreckt die Glieder aus zur RuhEinſiedel deckt ſein LämpchenMit beiden Händen zu.„Wie lieblich iſt die Jugend!Hätt' ich ein Füllhorn voller Glück,Ich leert' es dir zu Häupten,Es bliebe nichts zurück.“Der Schlumm'rer wird zum Träumer,In haſt'gen Worten redet er,Lacht, weint in Einem AthemUnd wirft ſich hin und her.— „Ich habe Blut vergoſſen!“Einſiedel faßt beſorgt ihn an.„Du träumſt nicht gut. Erwache!Die Augen aufgethan!“Er ſtarrt mit wilden Blicken.„Mein Kind, wie haſt du mich erſchreckt!“— „Einſiedel, frommer Bruder,Ich bin mit Blut bedeckt.Wir ſaßen unter Linden,Ich und der Konrad Lützelſtein,Ein Fräulein von dem HofeBot lachend uns den Wein.Sie ſtreift' mich mit dem AermelDie binſenſchlank gewachſen war,Sie hatte ſchnelle AugenUnd aſchenblondes Haar.Sie ſtreift' mich mit der AchſelUnd liſpelt mir ins Ohr hinein:„Wilt, junger Edelknabe,Mein Trautgeſelle ſein?“Da ſchwang man einen Reigen,Sie reigte mit dem Lützelſtein —„Wilt, junger Edelknabe,Mein Trautgeſelle ſein?“Mir ſchwoll die Bruſt vor Eifer,Ein Hader reißt die Klingen bloß —„Herzbruder, mein Herzbruder,Gabſt mir den Todesſtoß!“Einſiedel mahnt: „Erwache!“Und ſchiebt zurück ſein Fenſterlein.Da ſtrömt mit TannendüftenEin Erdgeruch herein.Und horch, ein Hifthorn ſchmettertUnd eine friſche Stimme ſchallt:„Wo ſteckt der Gerold Wendel?Den ſuch' ich durch den Wald!“
Das Münſter.Des Meiſters hohle Wange brennt,Sie bringen ihm das Sacrament,Er ißt des ew'gen Lebens Brot,Im Stubenwinkel grinſt der Tod.Fort trägt der Pfaffe die Monſtranz.Mit Augen ſcharf von FieberglanzWinkt weg der Meiſter ſeinem Weibe,Dem Sohn, dem einz'gen, winkt er: Bleibe!Und deutet auf den Eichenſchrein:Was mag da Köſtlich's drinnen ſein?Der Jüngling hebt ein PergamentAus einer Lade die er kenntUnd breitet auf die LagerſtattEin langſam aufgerolltes Blatt.Da dehnt ſich feierlich gewaltigEin Münſter eins und mannigfaltigVom obern bis zum untern Rand —Ein Riß von jugendkühner Hand.Der Meiſter ſieht am Bret ſich ſtehnUnd ſeine Zeichenkohle gehn,Sieht über blühendfriſche WangenVerworrne Haare niederhangen —Und vor dem erſten ſeiner PläneErſtaunt er und zerdrückt die Thräne.Auflodern ſeine Lebensgeiſter,Mit raſchen Pulſen ſpricht der Meiſter:„Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder,Wo in der Vaterſtadt ich niederGelegt den Stab der Wanderſchaft —Ich ſchritt in voller Jugendkraft.Daheim war ein begeiſtert Leben,Ein Münſter wollten ſie erhebenMit andern Ländern um die WetteUnd höher noch als andre Städte,Gott und den Heil'gen all zum Ruhm,Zur Ehre deutſchem Bürgerthum.Mich ließ auf ſeine Stube kommenDer Rath. „Laß, junger Meiſter, frommen,Was du erwandert haſt! Wohlan!Entwirf uns eines Münſters Plan!“Da ſaß ich auf in langen Nächten,Zur Linken ſtanden mir und Rechten,Der Chriſt mit ſeiner Märtrerſchaar,Die Kaiſer mit den Kronen gar,Viel reine Fraun und Helden gut,Die nahmen mich in Zucht und Hut,Wollt' ich in ſchwelgendes Verzieren,In üppig Blattwerk mich verlieren,Und opfert's nicht mit keuſchem SinnDem Ganzen ſtreng ich zu Gewinn,Gleich ſchlug ein altes HeldenbildErzürnt an ſeinen ehrnen Schild,Den Finger hob (das Haupt von LichtUmrahmt) ein Heil'ger: Tändle nicht!Das Amt, das dir zu Lehen fiel,Das iſt ein Werk und iſt kein Spiel!Da war's als ich die Kohle führte,Daß Gott der Geiſt das Werk berührte:Gemach begann der Dom zu ſchwebenUnd regte ſich aus eignem Leben,Mich riß es über mich empor,Mit ſchlanken Stämmen wuchs der Chor,Gen Himmel blüht' in Laub und Ranke.Der menſchlich göttliche Gedanke —Das Münſter ſtand auf meinem Blatte,Still dacht' ich, Wer's vollendet hatte.Im Flur auf unſerm ſtädt'ſchen HausStellt' ich das Blatt den Blicken aus,Und wie die Bürger nahe traten,Sprach Aller Mund: Du haſt's errathen!So und nicht anders ſoll es ſein.Da legt' ich meinen erſten Stein,Aus allen Herzen, allen HändenIn freud'ger Fülle quollen Spenden.Beſchattend ſchon die HäuſermaſſeEntſtieg der Dom dem Lärm der GaſſeUnd wuchs mit abgemeſſnen Schritten,Die Wolken und die Jahre glitten,Doch karger werdend mit den Jahren,Begannen Hand und Herz zu ſparen,Die Flamme der Begeiſtrung fielIn müde Aſche vor dem Ziel.Erſt ſprach der Rath von kurzen Friſten,Und ſtiller ward's auf den Gerüſten,Dann ſetzten neue Friſt ſie wieder,Das Baugeſtelle faulte nieder.C. F. Meyer, Gedichte. 18Laut feilſchte rings der Markt und ſummte,Sobald der Hammerſchlag verſtummte,Mit ekeln Buden ward verklebtDer Pfeiler, der nach oben ſtrebt.Ich aber ging dem Brote nach,Baut' Erkerlein und Giebeldach,Ein wackrer Lohnknecht wie die Andern.Doch Abends im NachhauſewandernBei trauter Dämmerglocke KlangStand ich vor meinem Münſter lang,Die Glut erklomm den höchſten Trümmer,Verglomm in letztem Tagesſchimmer,Noch ging das Knabenſpiel im BrausRings um das dunkelnd hohe Haus.Wohl hemmt ein Junge kurz den LaufUnd ſchaut am Münſter trotzig auf —Dann runzelt' ich die weißen BraunUnd dachte: Werden's Dieſe baun?Inzwiſchen ſchoſſen auf die Reiſer,Sie wurden ſaft'ger und ich greiſer.Jüngſt irrt' ich traurig und alleinUm meinen Dom im Abendſchein,Ernſt ſtand das junge Volk beiſammen,Die kräft'gen Augen ſprühten Flammen,Sie ſchienen warm ſich zu verſchwörenUnd redend nur auf ſich zu hören,Ich ſchlich in ihre Nähe leis,Aus Einem Munde ſprach der Kreis:„Bei Gottes Haupte! Wir vollendenDen Dom mit dieſen unſern Händen!“ ...Ob ſie den erſten Meiſter kennenDes Werks, das ſie zu enden brennen?Nach den Geſichtern keck und neuBlickt' ich hinüber ſtill und ſcheu ...Mit einem Male rief ein dreiſterGeſell: „Begrüßt den alten Meiſter!“Und riß die Kappe ſich vom Haar,Da grüßte mich die ganze Schaar.Habt Dank und Gottes Lohn, Geſellen!Ihr wollet die Gerüſte ſtellen?Nicht ich — Habt Dank und Gottes Lohn —Geht hin und rufet meinen Sohn!Wie wird mir? ... Schallt im Dom das Amt?Die Glocken dröhnen alleſammt ...“Er faßt des Sohnes Rechte. „Schau!Es ſteigt ... Mein Münſter ſteigt im Blau!“Er ſtarrt, den Blick emporgewendet.Er neigt das Haupt. Er ſeufzt: „Vollendet!“18*
Die Krypte.Baut junge Meiſter, bauet hell und weitDer Macht, dem Muth, der That, der Gunſt der Stunde,Der Dinge wahr und tief geſchöpfter Kunde,Dem ganzen Genienkreis der neuen Zeit!Des Lebens unerſchöpften Kräften weihtDie freud'ge, lichtdurchfluthete Rotunde —Baut auch die Krypte drunter, wo das wundeGemüth ſich flüchten darf in Einſamkeit:Vergeßt die Krypte nicht! Dort ſoll ſich neigenDas heil'ge Haupt, das Dornen ſcharf umwinden!Ich glaube: Ein'ge werden niederſteigen.Dort unten werden Ein'ge Troſt empfinden.Wir mögen, wenn die Leiden uns umnachten,Nicht Glück noch Ruhm, nur größern Schmerz betrachten.
VIII.Genie.
Camoëns.Camoëns, der Muſen Liebling,Lag erkrankt im Hoſpitale.In derſelben armen KammerLag ein Schüler aus Coimbra,Ihm des Tages Stunden kürzendMit unendlichem Geplauder.„Edler Herr und großer Dichter,Was ſie melden, iſt es Wahrheit?Daß geſcheitert eines TagesAm Geſtad von CoromandelSei das undankbare Fahrzeug,Das beehrt war, Euch zu tragen?Daß Ihr, kämpfend in der Brandung,Mit der Rechten kühn gerudert,Doch in ausgeſtreckter Linken,Unerreicht vom Wellenwurfe,Hieltet Eures Liedes Handſchrift?Schwer wird ſolches mir zu glauben.Herr, auch mir, wann ich verliebt bin,Sind Apollo's Schweſtern günſtig;Aber ging' es mir ans Leben,Flattern meine ſchönſten VerſeLieß' ich wahrlich mit dem Winde,Brauchte meine beiden Arme!“Antwort gab der Dichter lächelnd:„Solches that ich, Freund, in Wahrheit,Ringend auf dem Meer des Lebens!Wider Bosheit, Neid, VerleumdungKämpft' ich um des Tages NothdurftMit dem einen dieſer Arme.Mit dem andern dieſer ArmeHielt ich über Tod und AbgrundIn des Sonnengottes StrahlenMein Gedicht, die Luſiaden,Bis ſie wurden, was ſie bleiben.“
Michel Angelo und ſeine Statuen.Du öffneſt, Sklave, deinen Mund,Doch ſtöhnſt du nicht. Die Lippe ſchweigt.Nicht drückt, Gedankenvoller, dichDie Bürde der behelmten Stirn.Du packſt mit nerv'ger Hand den Bart,Doch ſpringſt du, Moſes, nicht empor.Maria mit dem todten Sohn,Du weinſt, doch rinnt die Thräne nicht.Ihr ſtellt des Leids Geberde dar,Ihr meine Kinder, ohne Leid!So ſieht der freigewordne GeiſtDes Lebens überwundne Qual.Was martert die lebend'ge Bruſt,Beſeligt und ergötzt im Stein.Den Augenblick verewigt ihrUnd ſterbt ihr, ſterbt ihr ohne Tod.Im Schilfe wartet Charon mein,Der pfeifend ſich die Zeit vertreibt.
Conquistadores.Zwei edle Spanier halten WachtUnd einer ſpricht zum andern:„Señor, mir däucht, der Teufel lacht,Wie wir ins Leere wandern!Das Segel rauſcht, es rauſcht der Kiel,Noch keines Strandes Boten —Die Hölle treibt mit uns ihr Spiel,Wir wandern zu den Todten!Wer einem Genueſen traut,Hat den Verſtand verloren!Die Klugen hat er ſchlecht erbaut,Doch lockt er alle Thoren —Rund ſei die Erde, log er mir,Wie Pomeranzenbälle,Doch unermeßlich fluthet hierNur Welle hinter Welle!“Der Andre blickt ins Meer hinausUnd runzelt finſtre Brauen:„Señor, mich zog Columb ins Haus,Ließ mich die Karten ſchauen,Was er docirt', verſtand ich nicht,Ich ließ es alles gelten —Sein übermächtig AngeſichtVerhieß mir neue Welten!Betrog er ſich und haben wirUns in das Nichts verlaufen,Ein räud'ger Hund, Seor, wie IhrDarf fröhlich mit erſaufen!“— „Seor, da betet Ihr nicht gut!Zurück Euch in den RachenDen räud'gen Hund! Ihr raucht von BlutUnd Ihr entſprangt den Wachen!“„Seor, ich dolcht' ein falſches Weib,Bekenn' ich unverhohlen!Nicht hab' dem Bäcker einen LaibVom Bret ich weggeſtohlen!Seor, Ihr ſeid ein Galgenſtrick!“— „Seor, Ihr ſeid nicht beſſer!“Sie ziehen mit entflammtem BlickUnd kreuzen blanke Meſſer ...Da zwiſchen ihre Meſſer walztIn tollem Freudenſprunge,Mit ölgetränkten Fingern ſchnalztMiguel, der Küchenjunge.Er drückt die Lider blinzelnd einMit ſchlauem Wimperzwinken,Bald hüpft er auf dem rechten Bein,Bald hopſt er auf dem linken,In Lüften bläht ſich ſein Gewand,Es puffen ihm die Hoſen —Neugierig kommen hergeranntSoldaten und Matroſen.Der Junge redet kunterbunt,Als ob's im Kopf ihm fehle,Dann öffnet er den großen MundUnd ſingt aus voller Kehle:„Das Heimchen zirpt, das Heimchen zirpt,Stimmt Laudes an und Pſalmen!Und wenn's mir nicht vor Freude ſtirbt,Bald weidet's unter Halmen!Ich ſchwör' es Euch bei Gottes Haupt:Es athmet duft'ge Weiden,Es wittert Wälder dichtbelaubtUnd unermeſſne Haiden!Erlauchte Herren, gebet Acht,In meinem engen RäumchenHat unſre Meerfahrt mitgemachtEin andaluſiſch Heimchen —Mitnahm ich's aus dem Vaterland,Mich ſcheidend zu beſchenken,Ich fing's mit flinkem Griff der HandZu einem Angedenken.Da wir zu Schiffe ſtiegen dort,Die Zierden aller Lande,Zirpt' Heimchen mir im Buſen fort,Als weidet's noch am Strande.Das grüne Vorgebirg verſchwand,Dem Heimchen ward es ſchaurig,Beklommen ſaß es an der WandUnd wurde faul und traurig.So darbt's und dämmert's langezeit,Schon gab ich es verloren,Und nun, bei meiner Seligkeit,Iſt Heimchen neu geboren!Bedenkt, es hockte gram und lahmAn Dielen und an Wänden,Jetzt jubelt's wie ein BräutigamUnd kann nur gar nicht enden!“Miguel iſt fort und wieder da,Die Fingerſpitze zeigend:Da ſitzt es ja! da ſingt es ja!Die Männer lauſchen ſchweigend —Dann ſinnen ſie der Sache nach,Den Luſtgeſang im Ohre,Sie ſchütteln ſich die Hände jachUnd ſchrei'n in wildem Chore:„Das Heimchen zirpt! Das Heimchen zirpt!Bald ſchwelgen wir in Beute!Wer ſpielt, gewinnt! Wer wagt, erwirbt!Wir ſind gemachte Leute!Die Küſte winkt! Das Gold erblinkt,Davon die Sagen melden!Das Morgen ſteigt! Das Geſtern ſinkt!Wir ſind berühmte Helden!“
Don Fadrique.Don Fadrique bringt ein StändchenSeiner drolligen Pepita:„Liebchen, ſtrecke durch die ThüreDeines Füßchens Spitze nur!“Und die drollige PepitaStreckt durch eine ſchmale SpalteEines allerliebſten FußesWeißes Spitzchen in die Luft.Don Fadrique krümmt den Rücken,Will das weiße Spitzchen küſſen,Knabe Amor ſteht bei Seite,Der den Bogen lachend ſpannt.Nach dem ewig jungen HerzenZielt er, doch wer lacht, der zielt ſchlecht:In des Ritters alten RückenSchießt er einen Hexenſchuß.Don Fadrique's Knochen raſſeln,Don Fadrique ſtürzt zuſammen,Figaro holt eine Sänfte,Figaro bringt ihn zu Bett.„Frommer Bruder Agoſtino,Exorcire mir das frevleAllerliebſte weiße FüßchenDas durch meine Beichte tanzt!“Don Fadrique ſucht den Hades,Zierlich ſchreitend wie ein Stutzer,Tänzelnd leuchtet ihm ein weißesFüßchen durch die Unterwelt.
Die Schweizer des Herrn von Tremouille.Herr Karl war verdroſſen,Sein Pulver verſchoſſen:„O Gunſt der Bellona, du wandelndes Glück!Umſtarrt aller EndenVon Felſen und WändenLaß ich meine herrlichen Büchſen zurück?“Da kam aus der PouilleHerr Ludwig TremouilleUnd ſprach: „Ich bezwinge die ſchwindelnde Bahn!Nicht Roſſe, nicht FarrenVor Büchſen und Karren!Ich ſpanne mich ſelbſt und die Schweizer daran.Die kennen die Berge!Das ſind keine Zwerge,Wie deine Gascogner, die zapplige Brut!Die haben dir Arme,So harte, ſo warme!Herr König, ich ſteh' für die Büchſen dir gut!Ihr Herrn aus den Bünden,Bedenkt eure Sünden:Den rollenden Würfel, den Becher, die Dirn!Die wollen wir fegenAuf brennenden Wegen,Die büßen wir heute mit triefender Stirn!Weg warf er die Jacke,Daß feſter er packeDas Seil um die erſte Kanone geknüpft —Da jauchzten die BubenUnd ſchoben und huben,Im Nu aus den puffigen Wämſern geſchlüpft.Der ſtämmige Berner,Der luſt'ge LuzernerSie ſtreiften die nervigen Arme ſich nackt;Die Kinder der Rhone,Der braune Griſone,Sie zogen die raſſelnden Büchſen im Takt.Ein knarrendes Stöhnen,Metallenes Dröhnen!Sie fuhren zu Berg mit der Heerde von Erz,Vorüber den Schründen,Die Herrn aus den Bünden,Als ging' es zum Reigen mit Jubel und Scherz.Ein prächtiges Wetter!DrommetengeſchmetterErſchüttert die blaue, die ſtrahlende Luft.Ihr ſchollt, Apenninen,Von hellen ClarinenUnd klangt bis in eure verborgenſte Schluft!C. F. Meyer, Gedichte. 19Doch hartes Bedenken!Da gab's keine SchenkenFür durſtige Gaumen und ſiedendes Blut.Herr Ludwig ruft munter:„Bald geht es bergunter!“Und reißt an dem Seil in der ſengenden Glut.Wie kicherte Flore,Wie höhnte Aurore,Erblickten hemdärmlich den Ritter ſie hier!Mit keuchender Lunge,Mit lechzender Zunge,Den zierlichen Helden an Feſt und Turnier!Noch einmal geſchobenUnd jetzt ſind ſie oben!Sie raſten, auf glühende Felſen geſtreckt,Und ſehen mit WeidenUnd goldnen GetreidenDie fette lombardiſche Fläche bedeckt.Der Liebling der FrauenNahm, ſich zu beſchauen,In Züchten ſein ſilbernes Spieglein hervor,Beſah in der WildnißSein ſchreckliches BildnißUnd fluchte: „Potz Blitz! Ich bin Ludwig der Mohr!“
Die Seitenwunde.Ueber ihre Thore ſtatt der MuſeMeißeln die Baglioni die MeduſeUnd an ihren grauſen HochzeitsfeſtenKämpft der Bräutigam mit ſeinen Gäſten.Heute liegen wieder ſie wie Garben:Blutsgenoſſen, die ſich würgend ſtarben!Wo des Bruderhaſſes Fackel brannte,Sucht das Kind und findet's Atalante.Niederſtarrend, auf das Knie geſunken,Hebt des Sohnes Haupt ſie jammertrunken,Drüber hebt ſie die geballte Rechte,Daß ſie fluche dieſem Mordgeſchlechte ...Ihrem Knaben ſteht die Seite offen,Wo der Speer Longin's den Herrn getroffen,Ihres Knaben Haupt, ein blondes iſt es,Wie das dorngekrönte Haupt des Chriſtes ...Wie des Chriſtes Haupt iſt's ein erbleichtes,Auf die Schulter friedevoll geneigtes,Haß und Fluch erliſcht auf ihrem Munde,Sie verehrt die heil'ge Seitenwunde ...19*
Cäſar Borja's Ohnmacht.Wer bin ich? Einer welcher unterging,Den Kranz im Haar, den Becher in der Fauſt,Mit einem herculaniſchen GelagVon einem ungeheuren Sturz bedeckt?Ich weiß den Becher nur und meinen Sturz ...Im Belvedere ... Geſtern ... Am Bankett .. .Den Becher, ihn kredenzte ſchlürfend mirDer Papſt, der ewig heiter lächelnde,Denn Cäſar Borja bin ich, Sohn des Papſts!Die Ampel über meinem Lager kämpftMit eines neuen Tages fahlem Schein ...Ob's geſtern oder ehegeſtern war,Ich weiß es nicht, doch Eines weiß ich wohl:In jenem Becher gohr der Borja Gift.Er galt dem Gaſt, dem Biſchof. Selbſt gewürztHat ſich der Vater ew'gen Schlummers Trunk!Ein Becher ward verwechſelt. Warum nicht?Verrath des Schenken? Zufall? ... Es geſchah.Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwangDas Drachengift. Die Stunde ruft. Zur That!Leer ſteht ein Thron und eine Krone rollt.Verbraucht iſt das Apoſtelmärchen. WegDamit! Der Vater war der letzte Papſt!Ein König folgt ihm nach und der bin ich.Entſcheidungsſtunde, nicht erſchreckſt du mich,Ich habe lange dich voraus bedacht:Entlarve mir dein kühnes Angeſicht!Du heißeſt Heute! Kämmrer, gieb das Schwert!Reif ſtehn die Ernten und die Sichel blitzt.Marſch, meine Banden! Richtet das GeſchützAuf des Conclave Kammern! Suchſt du mich,Hauptmann? Im Borgo, ſagſt du, wird gekämpft?Ich komme! Ich vertauſendfache mich!Ich ſteige mordend auf das CapitolUnd mit Italiens Krone krön' ich mirDies Haupt das ſeine Frevel überragt!Ich träume nur und komme nicht vom Platz.Sturmlaufend bleib' ich eingewurzelt ſtehn.Gelähmte Sehnen! Meuchleriſches Gift!Auf einem Krankenlager krümm' ich mich.Kein Diener hier! Kein Arzt an meinem Pfühl!Miethlinge! Meine Stunde ſchwebt vorbei,Mit flieh'ndem Fuß berührt ſie ſpottend mirDie Fauſt, die ein erdichtet Schwert umkrampft.Verweile, Schickſalsſtunde! ... Doch ſie ſchwebt.Ich fühle meiner Feinde heimlich Werk:Sie ſchaufeln, ſie miniren, während ichGeſchleudert aus der Schranke liege ... Dort!Die grüne Feuerkugel! Ein SignalVon meinen Banden? Nein, ein MeteorZuckt flüchtig durch die ſchwüle Sommernacht.Hier über Roma's Kuppeln loht es auf:Nahn fackelſchwingend meine Banden ſich?Nein, es iſt Borja's Glück das flammt und brenntUnd ſeine Zinnen ſtürzen! Wehe mir!Dem Valentino netzt die Wimper ſich ...Pfui! Iſt das eines Weibes Augenlid?Verzweiflung! Göttin! Stähle meinen Leib!Ich winde mich von meinem Lager auf,Ich ſchreite ... Keiner ſieht's ... Ich ſchreite. BeiDer nackten Hölle, Sehnen, ſtrammet euch! ...Verdammniß! ... Wieder lieg' ich hingeſtreckt ...Und ein erdolchter Knabe feſſelt michMit Ringen an den Stein ... Dort gafft ein Weib,Die Haare triefend, mit geſchwollnem Hals ...Blutloſe Brut! Weg in des Tibers Grab! ...Aus allen Wänden quillt es ſchwarz hervorUnd dunkelt über mir ... Unſagbar Graun ...
Papſt Julius.Halb vom Hades ſchon bezwungen,Von Lemuren ſchon umſchwebt,Hat er doch ſich losgerungen —Sieh er athmet! Sieh er lebt!Hinter ſeinen greiſen BrauenFlammt's! Jetzt langt er nach dem Bart,Zürnt und ſchilt den Tod mit rauhen,Ungeſtümen Worten hart:„Weg mir aus dem Angeſichte,Larven, die mir bleich gedroht!Charon, aus dem SonnenlichteWeg ins Schilf mit deinem Boot!Keine Macht iſt dir gegeben,Bis ich ſelbſt dich rufen mag!Heute hab' ich noch zu lebenEinen vollgedrängten Tag!Arzt, ſtatt deiner faden TropfenGieb mir des Falerners Glut!Laſſe meine Pulſe klopfen,Wirf mir Feuer in das Blut!Auf die Thüren! Weg die Kiſſen!Meine Feldherrn, tretet ein!Meine Meiſter, laßt ſie wiſſen,Daß ſie dreifach emſig ſei'n!Regſt, Bramante, die geſchicktenHände du? Vollende doch!Dieſe Augen, ſie erblicktenGerne deine Kuppel noch!Michel Angelo, willkommen!Warum ſchauſt du wieder ſcheel?Dort erblick' ich meinen frommen,Meinen ſüßen Raphael!Als den Hirten nicht des Lammes,Bildet mich als Moſen ab,Der den Dränger ſeines StammesNiederſchlug mit wucht'gem Stab —Wo die Waſſerſtürze toſenIn die Brunnenſchale jach,Setzet, Meiſter, mich als Moſen,Der die Felſenwand zerbrach!Moſes bin ich, in dem BlitzeSinai's, in Rauch und Dampf:Meine donnernden GeſchützeEnden flammend jeden Kampf!Mit den neugegoßnen StückenBring' ich Burg und Stadt zu Fall,Schmettre Breſchen, breche LückenIn den ſtärkſten Mauerwall!Falkner, ſprich, was macht mein Sperber,Der die Klaue ſich zerſtieß?Marſchalk, ſag, wie lebt mein Berber,Den zu ſcharf ich jagen ließ?Tummelt, Diener, zum ErgötzenMir im Hof ein feurig Thier!Laßt es ſpringen, laßt es ſetzenVor den alten Augen mir!Helmt mir die gefurchte Stirne!Harniſcht mir die welke Hand!Der Italien macht zur Dirne,Jagt den Fremdling aus dem Land!Reicht ein Schwert! Ich will es retten!Ruft, Drommeten, ruft zur Schlacht!In der Fauſt zerrißne Ketten,Schreit' ich durch des Hades Nacht!“
Michel Angelo.In der Siſtine dämmerhohem Raum,Das Bibelbuch in ſeiner nerv'gen Hand,Sitzt Michel Angelo in wachem Traum,Umhellt von einer kleinen Ampel Brand.Laut ſpricht hinein er in die Mitternacht,Als lauſcht' ein Gaſt ihm gegenüber hier,Bald wie mit einer allgewalt'gen Macht,Bald wieder wie mit Seinesgleichen ſchier:„Umfaßt, umgrenzt hab' ich Dich, ewig Sein,Mit meinen großen Linien fünfmal dort!Ich hüllte Dich in lichte Mäntel einUnd gab Dir Leib, wie dieſes Bibelwort.Mit weh'nden Haaren ſtürmſt Du feurig wildVon Sonnen immer neuen Sonnen zu,Für Deinen Menſchen biſt in meinem BildEntgegenſchwebend und barmherzig Du!So ſchuf ich Dich mit meiner nicht'gen Kraft:Damit ich nicht der größre Künſtler ſei,Schaff mich — ich bin ein Knecht der Leidenſchaft —Nach Deinem Bilde ſchaff mich rein und frei!Den erſten Menſchen formteſt Du aus Thon,Ich werde ſchon von härterm Stoffe ſein,Da, Meiſter, brauchſt Du Deinen Hammer ſchon,Bildhauer Gott, ſchlag zu! Ich bin der Stein.
Der Schreckliche.Benvenuto, ſprich, was ſchmiedeſtDu wie raſend in der Werkſtatt?Welches ungeheure Kunſtwerk?— „Meſſer! Scharfe feine Meſſer!“Benvenuto, ſprich, was prahlſt du?Welche ungeheure LügeTiſcheſt auf du den Geſellen?— „Ich bin ſtummer als ein Fiſchchen.“Benvenuto, ſprich, was drohſt du?Welche ungeheure Mordthat,Die vor Abend du begehn wirſt?— „Ich bin frömmer als ein Lämmlein.“Benvenuto bringt die EiſenMeiſter Jakob von Perugia,Der den kranken Finger ſchneidetDem geduld'gen Kind des Goldſchmieds.Benvenuto's glühnde BlickeFolgen jedem Schnitt des Stahles.„Rafaella, ſchmerzt mein Meſſer?“„Benvenuto, nein, es ſchmerzt nicht.“
Auf Ponte Siſto.Süß iſt das Dunkel nach Gluten des Tags! Auf dämmernder
BrückeSchau' ich die Ufer entlang dieſer unſterblichen Stadt.Burgen und Tempel verwachſen zu Einer gewaltigen Sage!Unter mir hütet der Strom manchen verſchollenen Hort.Dort in der Flut eines Nachens Geſpenſt! Iſt's ein flüchtiger
Kaiſer?Iſt es der „Jakob vom Kahn“In den dreißiger Jahren des ſechszehnten Jahrhunderts ſetzte
Meiſter „Jakob vom Kahn“ zwiſchen Ponte Siſto und St. Angelo die
Leute über die Tiber., der Buonarotti geführt?Gellend erhebt ſich Geſang in dem Boot zum Ruhme des Liebchens.Horch! Ein lebendiger Mund fordert lebendiges Glück.
IX.Männer.
Huſſens Kerker.Es geht mit mir zu Ende,Mein Sach und Spruch iſt ſchonHoch über MenſchenhändeGerückt vor Gottes Thron,Schon ſchwebt auf einer Wolke,Umringt von ſeinem Volke,Entgegen mir des Menſchen Sohn.Den Kerker will ich preiſen,Der Kerker, der iſt gut!Das Fenſterkreuz von EiſenBlickt auf die friſche FlutUnd zwiſchen ſeinen StäbenSeh' ich ein Segel ſchweben,Darob im Blau die Firne ruht.Wie nah die Flut ich fühle,Als läg' ich drein verſenkt,Mit wunderſamer KühleWird mir der Leib getränkt —Auch ſeh' ich eine TraubeMit einem rothen Laube,Die tief herab ins Fenſter hängt.Es iſt die Zeit zu feiern!Es kommt die große Ruh!Dort lenkt ein Zug von ReihernDem ew'gen Lenze zu,Sie wiſſen Pfad und Stege,Sie kennen ihre Wege —Was, meine Seele, fürchteſt du?
Der Landgraf.Mir ſitzt zu Hauſe jung gezähmtUnd leicht gelähmtEin Steinaar im Verließe,Der martert ſich den Hals zu drehn,Ins Blau zu ſehn,Aus dem er gerne ſtieße.So ſtreck' ich Landgraf ebenfallsDen Kopf und HalsWohl durch das Kerkergitter,Ob etwas auf der Straße ziehtFür mein Gemüt,Ein Schüler oder Ritter.Der Kaiſer, der vergichtet iſt,Drum gerne mißtDie Koſt der harſchen Lüfte,Vergaß wie ſchwer ein ganzer MannEntrathen kannDas Jagdhorn an der Hüfte.Ich wurde hinterrücks gefällt,Ein Netz geſtelltWard mir mit falſchen Schriften!Wer mir mit lächelndem GeſichtDie Treue bricht,Der kann mich auch vergiften!C. F. Meyer, Gedichte. 20Wär' ich ein römiſch blöder Mann,Ich wähnte dann:Damit hätt' ich's verbrochen,Daß triumphirend ich hinausZum GotteshausSchmiß Mühmchen Lisbeths Knochen! Die Reliquien der heiligen Eliſabeth.Jüngſt warf ich auf den FeſtungsrainEin StüberleinDem Bettler hin, dem lahmen:Den ſchlug der Spanier bis aufs Blut —Mich fraß die Wuth —Der Teufel hol' ihn! Amen!Wohl läg' ich beſſer auf dem Feld —„Ade, du Welt!“ —Gewundet und erſtochen!Wie Meiſter Ulrich Zwingli lag,Am grünen Hag,Den hellen Blick gebrochen!Nun tröſtet mich das Eine doch:Das päpſtlich JochIſt in den Dreck getreten!Wir dürfen ohne CleriſeiUnd HeucheleiGetroſt zum Herrgott beten!
Der Rappe des Comturs.Herr Konrad Schmid legt' um die Wehr,Man führt' ihm ſeinen Rappen her:„Den Zwingli laß ich nicht im Stich,Und kommt ihr mit, ſo freut es mich.“Da griffen mit dem Herren wertVon Küsnach dreißig friſch zum Schwert:Mit Mann und Roß im MorgenrotStieß ab das kriegbeladne Boot.Träg ſchlich der Tag; dann durch die NachtFlog Kunde von verlorner Schlacht.Von drüben rief der Horgnerthurm,Bald ſtöhnten alle Glocken Sturm,Und was geblieben war zu Haus,Das ſtand am See, lugt' angſtvoll aus.Am Himmel kämpfte lichter ScheinMit ſchwarz geballten Wolkenreihn.„Hilf Gott, ein Nachtgeſpenſt!“ Sie ſahnEs drohend durch die Fluten nahn.Wo breit des Mondes Silber floß,Da rang und rauſcht' ein mächtig RoßUnd wilder ſchnaubt's und näher fuhr's ...„Hilf Gott, der Rappe des Comturs!“Nun trat das Schlachtroß feſten Grund,Die bleiche Menge ſtand im Rund.Zur Erde ſtarrt' ſein Augenſtern,Als ſucht' es dort den todten Herrn ...Ein Knabe hub dem edeln Thier20*Die Mähne lind: „Du bluteſt hier!“Die Wunde badete die Flut,Jetzt überquillt ſie neu von Blut,Und jeder Tropfen ſchwer und rotVerkündet eines Mannes Tod.Die Comturei mit Thurm und ThorRagt weiß im Mondenglanz empor.Heim ſchritt der Rapp das Dorf entlang,Sein Huf wie über Grüften klang,Und Alter, Wittwe, Kind und MaidZog ſchluchzend nach wie Grabgeleit.
Die ſpaniſchen Brüder.„Da find' ich dich! In WintergrausHält dich ein deutſches Donauneſt,Ein ſchneebelaſtet Giebelhaus,Kind einer heißen Sonne, feſt.Was treibſt du hier? Mit toller BrunſtBohrſt du dich in Folianten ein?Vom Teufel kommt die ſchwarze Kunſt!Griechiſch? Die Kirche ſpricht Latein!Darüber ſitzeſt, Nacht um Nacht,Du auf? Noch qualmt der Lampe Docht!Auch ſiehſt du bleich und überwacht,Der ſonſt ſo weidlich ritt und focht!Du darbſt? Du meideſt jede Luſt?Von allem Denken mach dich frei!Verbrenn' an einer warmen Bruſt,Ertränk' in Wein die Ketzerei!Ergreife Schwert und Eiſenhut!Dem Spanier ward die Welt zum Raub!Nach Flandern! Eh dein EdelblutVerſiegt in ekelm Bücherſtaub!Mein Bruder Juan, komm mit mir,Beflecke nicht der Diaz Ruhm!Erſäuf' im QuadalquivirDas gottverdammte Lutherthum!In Wittenberg haſt du — abſurd! —Auf einer Schule Bank gehockt!Bei dieſem Dolch an meinem Gurt,Ich morde den der dich verlockt!Der Vater iſt ein alter ChriſtUnd ſähe lieber dich im Grab!Die Mutter, welche gläubig iſt —Der Mutter drückſt das Herz du ab!Nie hat ein Diaz falſch geglaubt!Nicht wahr? Uns thuſt du nicht die Schmach,Geliebter Bruder, theures Haupt!Ich eilte deinen Schritten nach!Juan, ich reiße dich herausMit dieſer meiner Arme Kraft!Die Roſſe ſtampfen vor dem Haus,Geführt von meiner Dienerſchaft.Du ſchweigſt? Bekenn mir ob's geſchah!Thatſt du den Schritt? Du ſchüttelſt: Nein!Wirſt du ihn thun? Ja? Du nickſt: Ja? ...Juan, es muß geſchieden ſein!“Eng hält den Bruder er umfaßt,Bang ſtöhnend ſenkt er Blick in Blick,Küſſt, küſſt ihn noch einmal in Haſt —Und ſtößt den Dolch ihm durchs Genick.Er hält den Bruder lang im Arm,Mit unerſchöpften Thränen netztUnd badet er den Todten warm:„Noch ſtarbeſt als ein Chriſt du jetzt!“
Der ſchöne Tag.In kühler Tiefe ſpiegelt ſichDes Juli-Himmels warmes Blau,Libellen tanzen auf der Flut,Die nicht der kleinſte Hauch bewegt.Zwei Knaben und ein ledig Boot —Sie ſpringen jauchzend in das Bad,Der eine taucht gekühlt empor,Der andre ſteigt nicht wieder auf.Ein wilder Schrei: „Der Bruder ſank!“Von Booten wimmelt's ſchon. Man fiſcht.Den Einen rudern ſie ans Land,Der fahl wie ein Verbrecher ſitzt.Der andre Knabe ſinkt und ſinktGemach hinab, ein Schlummernder,Geſchmiegt das ſanfte LockenhauptAn einer Nymphe weiße Bruſt.
Das Auge des Blinden.Durch das Marktgedräng von NamurStelzt ein narb'ger armer Krüppel.— „Leute, bringt mich zu Don Juan!“— „Schweigſt du wohl, da iſt Don Juan!“„Schweigſt du wohl, da iſt Don Juan!“In des Volkes Gaſſe reitetEin Geſpenſt am hellen Tage:Don Juan der Oeſterreicher —Don Juan der Oeſterreicher,Der im Wein das Gift getrunkenKönig Philipps, ſeines Bruders,Und Don Juan kennt den Mörder.Seinen Mörder kennt Don Juan,Auch den armen Krüppel kennt er,Der den Bügel ihm betaſtet,Der die Hand ihm deckt mit Küſſen —Der ihm deckt die Hand mit Küſſen:„Bin zerfetzt wie eine Fahne!Wohne jetzt in Barcelona —Braves Volk, bei meiner Ehre!Braves Volk, bei meiner Ehre:„Alter, leere dieſes Glas mir!“„Alter, kannteſt du Don Juan?“„Sprich uns immer von Don Juan!“Immer ſprech' ich von Don Juan!In den Schenken an dem HafenGab ich tauſendmal zum BeſtenDie Victoria von Lepanto!Die Victoria von LepantoGab ich tauſendmal zum Beſten ...Hergeſtelzt bin ich nach FlandernZu dem Abgott meines Lebens!O Du Freude meines Lebens!Sohn des Kaiſers! Kind des Glückes!Deines Volkes Held und Liebling!Ruhmgekrönter junger Feldherr!Ruhmgekrönter junger FeldherrMit den goldnen Ringelhaaren,Mit den ſtrahlend blauen Augen,Eia ſchöner Engel Gottes!Eia ſchöner Engel Gottes ...“Durch die Menge die des TodesBild betrachtet, geht ein Schauder.Juan der geſpenſtig bleiche,Juan der geſpenſtig bleicheSucht erſtaunt das Aug des Krüppels —Iſt es trunken? Loht's im Wahnſinn?Es iſt leer. Es iſt erloſchen.Es iſt leer. Es iſt erloſchen.Don Juans zerſtörte JugendBlüht in eines Blinden AugeFort in unverſehrter Schönheit.
Die verſtummte Laute.Sie mochte gern an ſeiner Schulter lehnenIn einem weichen Abenddämmerlicht,Sie barg vor ihm das Rieſeln ihrer Thränen,Den halbenthüllten Reiz der Seele nicht:„Freund, einz'ger Freund auf dieſem düſtern Eiland,Ich welke! Chaſtelard, auch du biſt bleich!Schlag deine Laute! Singe mir von weiland!Von meinem erſten Königreich!“Er ſtürmte durch die Saiten: „Jener TageIns Meer geſunkne Sonnen ſind verblaßt!Maria Stuart! Ich erhebe Klage,Daß du geſchluchzt an meinem Herzen haſt!Mit deinen Zähren bade hier dem reinen,Entſeelten Gott die Marmorfüße bleich —Weib, ſündlich iſt's vor einem Menſchen weinenMit dieſen Augen warm und weich!Was war ich dir? Der nichtige Vertraute!Ein Echo, das von deinen Seufzern ſcholl!Ein Spiegel, drin ſie eitel ſich beſchaute,Die Zähre, die dir an der Wimper quoll!War dir die Laute nur, darauf zu breitenDie Fingerſpitzen und ich hallte ſchön —Ich haſſe dich!“ Er riß entzwei die SaitenMit einem gellen Mißgetön.Er floh davon hinaus in Wald und Wildniß,Doch wo er lechzend ſchlürft' aus einem Quell,Sah er im Brunnen ein geliebtes BildnißAus naher Tiefe ſchimmern dunkel hell,Sah er ein blaſſes Angeſicht in Zähren,Es ſchwand und blickte wiederum empor,Von Sehnen und Erfüllen und GewährenRauſcht's um den Born in Schilf und Rohr.„Maria!“ ſo beginnt in ihrer KammerAm Lager knieend ſie das Nachtgebet,„Maria!“ wiederholt voll Glut und JammerEin Mund, der neben ihr im Dunkel fleht.Sie ſchreit. Man kommt. Von Fackelglut umlodertBebt ſie vor Zorn: „Ein Mörder! feſſelt ihn!“Er lächelt: „Biſt du ſchön!“ UnaufgefordertGiebt er den Schergen ſich dahin.Er ſchreitet ſeinem Blutgerüſt entgegenIn einem klaren kühlen Morgenrot,Ins Ohr des Sünders flüſtert angelegenEin Capuziner, der vermummte Tod:„Freund, du bekommſt es gut! Du wirſt entlaſtet!Ich abſolvire dich von Luſt und Pein!Von keiner weichen weißen Hand betaſtet,Wirſt du die ſtumme Laute ſein!“
Das Weib des Admirals.Auf mondenhellem Lager wälzt ein Weib,Ein ſchlummerloſes, ſich: „O banger Pfühl!Auch du, mein ſorgender Gemahl, du wachſt!Wer dürfte ſchlafen? Horch, die Folter ſtöhnt ...Erwürgte modern ohne Leichentuch,Sieh unſer Linnen, Chatillon, wie fein!Gen Himmel ſchreit der Märtrer frommes Blut,Ich ſchreie, Herr, in deinen Armen mit!Mein Held, ich rede Zeugniß gegen dichVor Gott, entrolleſt du dein Banner nicht!“Sie ſchweigt in düſtrer Glut. Er ſinnt und ſagt:„Erwäge, Weib, die Schrecken die du wählſt!Dies Haus in Rauch und Trümmern! Dies mein HauptVerfehmt, dem Meuchelmord gezeigt — geraubt!Entehrt dies Wappen von des Henkers Hand!Du mit den Knaben bettelnd auf der Flucht!Wählſt du dir Solches? Nimm drei Tage Friſt!“— „Drei Tage Friſt? Sie ſind vorbei. Brich auf!“
Hugenottenlied.In die Schule bin ich gangenBei dem Meiſter Hans Calvin,Lehre hab ich dort empfangen:Vorbeſtimmt iſt Alles ewighin!Jeder volle Wurf im Würfelſpiele,Jeder Diebestritt auf Liebchens Diele,Jeder Kuß —Schickſalsſchluß!Dann bin ich zu Roß geſtiegenMit dem Hauptmann Des Adrets,Der das Kindlein in der WiegenWürgt und ſich ergötzt an Qual und Weh!Jeder Firſt, der raucht und dampft und lodert,Jeder Todte, der im Graben modert,Jeder Schuß —Schickſalsſchluß!
Die Karyatide.Im Hof des Louvre trägt ein WeibDie Zinne mit dem Marmorhaupt,Mit einem allerliebſten Haupt.Als Meiſter Goujon ſie geformtIn feinen Linien, überſchlank,Und ſtehend auf dem BaugerüſtDie letzte Locke meißelte,Erſchoß den Meiſter hinterrücks(Am Tag der Saint-Barthélemy)Ein überzeugter Katholik.Vorſtürzend überflutet' erDen feinen Buſen ganz mit Blut,Dann ſank er rücklings in den Hof.Die Marmormagd entſchlummerteUnd ſchlief dreihundert Jahre lang,Ein Feuerſchein erwärmte ſie(Am Tag da die Commüne focht)Sie gähnt' und blickte rings ſich um:Wo bin ich denn? In welcher Stadt?Sie morden ſich. Es iſt Paris.
Mourir ou parvenir!Herr Heinrich Guiſe ſchrieb. Da rauſcht' Gewand —Es war ſein Lieb, das aus der Kirche kam,Sein zärtlich Lieb, der ſchäkernd aus der HandEr das mit Gold beſchlagne Meßbuch nahm.Er blättert' drin. Hell war's von FarbenglutUnd keck verſchlungner Arabeskenzier —„Geliebter, dich verdirbt dein Uebermuth!Hinweg! Entflieh von hier!Du biſt zu hoch! Der König, feig und ſchlau,Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun!Dich haßt er tödtlich — glaub es einer Frau!Ihn ſah ich lächeln jüngſt — mich ſchüttelt Graun!“Zur Feder griff er. „Flora, ſchlanke Fei!Wie könnt' ich leben,“ ſeufzt' er, „fern von dir?“Und ſchrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei:Mourir —— „Verſuche Gott nicht! Das Verderben reift!Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Luſt!Ich weiß: in dieſem Augenblicke ſchleiftDer Meuchelmord ein Schwert für deine Bruſt!“Der Herzog ſchrieb in ihrem Buche fort,So viel ihm Raum gewährte das Papier,Als wär' es ein erbaulich Bibelwort:— Ou parvenir!C. F. Meyer, Gedichte. 21„Mich ſo zu quälen! Schlimm hat mir geträumt!Mein Gott! Du wandeſt dich in Todesſchmerz!Hinweg! Jetzt! Heute! Hörſt du? Nicht geſäumt!“Sein Liebchen zog er koſend an das Herz,Sie ſenkte des bethränten Auges Glanz —In kühnen Zügen ſtand der Spruch vor ihr,Umrankt von einem üpp'gen Blumenkranz:Mourir ou parvenir!
Das Reiterlein.Das Bächlein nimmt nach der Loire den Gang,An beiden SeitenAuf und ab, die Ufer entlangSpähn ſie und reiten.Sie ſind ſich ſo nahe! Sie ſind ſich ſo fern!„Bon jour! meine Herrn!“Grüßt keck eine Stimme.Ein feurig, unbändig ReiterleinSpringt ab behende,Setzt rechts ein Bein und links ein BeinIn beide Gelände:„Groß iſt der Sonne Glut —Herrn, meint Ihr's gut,Schafft eins zu trinken!“Rechts kommt ein Pokal und links ein PokalVon verſchiedener Helle,Der: ſchäumender ChampagnerſtrahlDer andere: Purpurwelle —„Katholik? Calviniſt?Hier ein Chriſt! Dort ein Chriſt!“Er ſchlürft aus beiden Bechern.„Mit ſtreitender TheologieMach' ich mir nichts zu ſchaffen,Den Guiſen überlaß ich ſie,Den Weibern und den Pfaffen!Pred'gerrock? Meßgewand?Stich und Schuß! Mord und Brand!Ins Meer geſchwemmte Leichen!21*Bekennt mir, Herren, frei und frank:Wie thut Ihr, wann Ihr dürſtet?Ihr ſetzt Euch rittlings auf die BankUnd ruft nach Wein und bürſtet!Zug und Schluck! Schluck und Zug!Noch ein Trunk! Nie genug!Die Einen wie die Andern.Genießt Ihr wonn'ge MinneluſtNach Dogmen oder Schulen?Kost alle nicht Ihr Bruſt an BruſtMit Euren trauten Buhlen?Thört Ihr nicht? Trügt Ihr nicht?Schwört Ihr nicht? Lügt Ihr nicht?Die Einen wie die Andern.Drum laſſen wir auf ſich beſtehnDie Lehren die uns trennten,Da wir erbaulich einig gehnIn allen Elementen:Erntefeſt! Winzertanz!Aehrenkranz! Traubenkranz!Feldruhm und edle Waffen!Spricht's und es fährt ein elektriſcher SchlagRundum und ſetzt Alles in Flammen:Frankreich hoch! Freudetag!Heut wächſt es zuſammen!Sie ſpringen ins Waſſer, ſie waten im Fluß,Sie ſpitzen die bärtigen Lippen zum Kuß,Sie fallen ſich all in die Arme.Der Kleine drückt und küßt und herztSie alle wie alte Bekannte.„Wie aber, Herren, ſteht es,“ ſcherztEr, „mit dem Proviante?Alles her! Fleiſch oder Fiſch!Ihr ſeid geladen heut zu TiſchBei Heinrich von Navarra.“
Die Füße im Feuer.Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte ſteht ein Thurm.Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit ſeinem Roß,Springt ab und pocht ans Thor und lärmt. Sein Mantel ſauſtIm Wind. Er hält den ſcheuen Fuchs am Zügel feſt.Ein ſchmales Gitterfenſter ſchimmert golden hellUnd knarrend öffnet jetzt das Thor ein Edelmann ...— „Ich bin ein Knecht des Königs, als Courier geſchicktNach Nimes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!“— „Es ſtürmt. Mein Gaſt biſt Dein Kleid, was kümmert's mich?Tritt ein und wärme dich! Ich ſorge für dein Thier!“Der Reiter tritt in einen dunklen Ahnenſaal,Von eines weiten Herdes Feuer ſchwach erhellt,Und je nach ſeines Flackerns launenhaftem LichtDroht hier ein Hugenott im Harniſch, dort ein Weib,Ein ſtolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild ...Der Reiter wirft ſich in den Seſſel vor dem HerdUnd ſtarrt in den lebend'gen Brand. Er brütet, gafft ...Leis ſträubt ſich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...Die Flamme ziſcht. Zwei Füße zucken in der Glut.Den Abendtiſch beſtellt die greiſe SchaffnerinMit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder BlickHangt ſchreckensſtarr am Gaſt und hangt am Herd entſetzt ...Die Flamme ziſcht. Zwei Füße zucken in der Glut.— „Verdammt! Daſſelbe Wappen! Dieſer ſelbe Saal!Drei Jahre ſind's ... Auf einer Hugenottenjagd ...Ein fein, halsſtarrig Weib ... „Wo ſteckt der Junker? Sprich!“Sie ſchweigt. „Bekenn!“ Sie ſchweigt. „Gieb ihn heraus!“
Sie ſchweigt.Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geſchöpf ...Die Füße pack' ich ihr und blöße ſie und ſtrecke ſieTief mitten in die Glut ... „Gieb ihn heraus!“ ... Sie
ſchweigt ...Sie windet ſich ... Sahſt du das Wappen nicht am Thor?Wer hieß dich hier zu Gaſte gehen, dummer Narr?Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.“Ein tritt der Edelmann. „Du träumſt! Zu Tiſche, Gaſt ...“Da ſitzen ſie. Die Drei in ihrer ſchwarzen TrachtUnd er. Doch keins der Kinder ſpricht das Tiſchgebet.Ihn ſtarren ſie mit aufgeriſſnen Augen an —Den Becher füllt und übergießt er, ſtürzt den Trunk,Springt auf: „Herr, gebet jetzt mir meine Lagerſtatt!Müd bin ich wie ein Hund!“ Ein Diener leuchtet ihm,Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurückUnd ſieht den Knaben flüſtern in des Vaters Ohr ...Dem Diener folgt er taumelnd in das Thurmgemach.Feſt riegelt er die Thür. Er prüft Piſtol und Schwert.Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke ſtöhnt.Die Treppe kracht ... Dröhnt hier ein Tritt? ... Schleicht dort
ein Schritt? ...Ihn täuſcht das Ohr. Vorüber wandelt Mitternacht.Auf ſeinen Lidern laſtet Blei und ſchlummernd ſinktEr auf das Lager. Draußen plätſchert Regenflut.Er träumt. „Geſteh!“ Sie ſchweigt. „Gieb ihn heraus!“ Sie
ſchweigt.Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.Aufſprüht und ziſcht ein Feuermeer, das ihn verſchlingt ...— „Erwach! Du ſollteſt längſt von hinnen ſein! Es tagt!“Durch die Tapetenthür in das Gemach gelangt,Vor ſeinem Lager ſteht des Schloſſes Herr — ergraut,Dem geſtern braun ſich noch gekrauſt das Haar.Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt ſich heut.Zerſplittert liegen Aeſtetrümmer quer im Pfad.Die frühſten Vöglein zwitſchern, halb im Traume noch.Friedſel'ge Wolken ſchwimmen durch die klare Luft,Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.Die dunkeln Schollen athmen kräft'gen Erdgeruch.Die Ebne öffnet ſich. Im Felde geht ein Pflug.Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: „Herr,Ihr ſeid ein kluger Mann und voll BeſonnenheitUnd wißt, daß ich dem größten König eigen bin.Lebt wohl. Auf Nimmerwiederſehn!“ Der Andre ſpricht:„Du ſagſt's! Dem größten König eigen! Heute wardSein Dienſt mir ſchwer ... Gemordet haſt du teufliſch mirMein Weib! Und lebſt! ... Mein iſt die Rache, redet Gott.“
Die Roſe von Newport.Sprengende Reiter und flatternde Blüthen,Einer voraus mit geſcheitelten Locken —Iſt es der Lenz auf geflügeltem Renner?Karl iſt's, der Jüngling, der Erbe von England,Und die ſich nähern in goldener Mailuft,Das ſind die Giebel und Thore von Newport,Drüber das Wappen der Stadt: eine Roſe!Jubelnde Gaſſen und jubelnde WimpelUnd ein von treibender Jugend geſchwelltes,Jubelndes Herz in dem Buſen des Stuart ...Unter den blühenden Linden des MarktesSchreitet ein Reigen von blüh'nden GeſtaltenUnd eine Schönſte mit herzlichem BebenBietet dem Prinzen die Roſe von Newport:„Seliges Geſtern und Morgen und Heute,Herr, Dir die Roſe von Newport bedeute!“Morgen erzählen die Linden das MärchenVon der entblätterten Roſe von Newport.Sprengende Reiter und wirbelnde Flocken,Einer voraus mit verwilderten Haaren —Iſt es der Winter, der finſtre Geſelle?Karl iſt's, der Flüchtling, der König von England.Seit er das Blut ſeines Volkes vergoſſen,Reitet er neben zerſchmetterndem Abgrund ...Und die ſich nähern in weißem Geſtöber,Das ſind die Giebel und Thore von Newport,Drüber das Wappen der Stadt: eine Roſe!Nirgend ein Jubel und nirgend ein Wimpel,Polternde Hämmer und kreiſchende Feilen —Und ein von eiſernen Fäuſten gepreſſtes,Aechzendes Herz in dem Buſen des Stuart ...Unter den frierenden Linden des MarktesBettelt ein Kind mit verſchatteten Augen,Bietet dem König ein dorrendes Röschen:„Seliges Geſtern und Morgen und Heute,Herr, Dir die Roſe von Newport bedeute!“Karl, der die Züge des Kindes betrachtet,Schmal und geſpenſtig im Spiegel des ElendsSieht er das eigene Antlitz und ſchaudert.Morgen erzählen die Linden das MärchenVon dem enthaupteten König in England.
Der ſterbende Cromwell.Vor der Königsburg in nächt'ger StundeKnickt der Tod die Eichen in die Runde,Drinnen ſucht er dann ein zäher LebenAus den Wurzeln allgemach zu heben —Whitehall iſt Cromwell's Sterbeſtätte,Ein Waldenſer kniet an ſeinem Bette!„Herr, ich komm', ein Kind des welſchen Thales,Wo Du biſt der Schutzgott jedes Mahles,Unſern Dank auf Deine Knie zu legen,Leben, Cromwell, mußt Du unſertwegen!Rom befehdet uns mit ſeinen Pfaffen,Unſer Herzog rüſtet frevle WaffenGegen unſer Thal, den lautern GlaubenWill er oder uns das Leben rauben!Doch Du ſahſt in Deinen SchmerzensnächtenUns gefoltert ſchon von HenkersknechtenUnd Du hobeſt Dich in FieberſchwüleAuf den Arm geſtützt empor vom PfühleUnd Du drohteſt über Meer gewendet,Pfaffen, Henker blieben ungeſendet —Wenn wir, Cromwell, Deine Söhne wären,Herber könnten wir Dich nicht entbehren!Deine bangen Athemzüge gebenUns den Odem, friſten uns das Leben.Dennoch — Wie Du leideſt, Herr — unſäglich —Deine Qualen werden unerträglich? —Dennoch — ob uns Hartes ſei beſchieden —Friedeſtifter, fahre hin in Frieden!“
Milton's Rache.Am Grab der Republik iſt er geſtanden,Doch ſah er nicht des Stuart Schiffe landen,Ihn hüllt' in Dunkel eine güt'ge Macht:Er iſt erblindet! Herrlich füllt mit lichtenGebilden und dämoniſchen GeſichtenDie Muſe ſeines Auges Nacht ...Ein eifrig Mädchenantlitz neigt ſich nebenDer müden Ampel, feine Finger ſchweben,Auf leichte Blätter ſchreibt des Dichters KindMit eines Stiftes ungehörtem GleitenDie Wucht der Worte, die für alle ZeitenIn Marmelſtein gehauen ſind ...Er ſpricht: „Zur Stunde, da“ — Hohnrufe gellen,Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen,Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauſcht ...Durch Londons Gaſſen wandern um die HordenDer Cavaliere, Schlaf und Scham zu morden,Von Wein und Uebermuth berauſcht:„Schaut auf! Das iſt des Puritaners Erker!Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker!Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz!Wir ſchreiten ſchlank und jung, wir ſind die SündenUnd kommen ihr das Herzchen zu entzündenMit Saitenſpiel und Reigentanz!Vertreibt den Kauz vom Neſt! Umarmt die Dirne!“Geklirr! Ein Stein! ... Still blutet eine Stirne,Den Vater ſchirmt das Mädchen mit dem Leib,Die Bleiche drückt er auf den Schemel nieder,Ein Richter, kehrt zu ſeinem Lied er wieder:„Nimm deinen Stift, mein Kind, und ſchreib!Zur Stunde, da des Laſterkönigs KnechteUmwandern, die Entheiliger der Nächte ...Zur Stunde, da die Hölle frechen SchallsAufſchreit, empor zu den erhabnen Thürmen ...Zur Stunde, da die Rieſenſtadt durchſtürmenDie blut'gen Söhne Belials .....“So ſang mit wunder Stirn der geiſterblaſſePoet. Verſchollen iſt der Lärm der Gaſſe,Doch ob Jahrhundert um Jahrhundert flieht,Von einem bangen Mädchen aufgeſchrieben,Sind Miltons Rächerverſe ſtehn geblieben,Verwoben in ſein ewig Lied.
Der Daxelhofen.Den Hauptmann DaxelhofenBeſtaunten in der Stadt ParisDie Kinder und die ZofenUm ſeines blonden Bartes Vließ —Prinz Condé zog zu Felde,Der Hauptmann Daxelhofen auch,Da fuhr am Bord der ScheldeDer Blitz und quoll der Pulverrauch.Die Lilienbanner hobenSich ſachte weg aus NiederlandUnd ſchoben ſich und ſchobenTout doucement zum Rheinesſtrand.„Herr Prinz, welch köſtlich Düften!So duftet nur am Rhein der Wein!Und dort der Thurm in Lüften,Herr Prinz, das iſt doch Mainz am Rhein?In meinem Pakt geſchriebenSteht: Ewig nimmer gegens Reich!So ſteht's und iſt gebliebenUnd bleibt ſich unverbrüchlich gleich!Ich bin von Schwabenſtamme,Bin auch ein Eidgenoſſe gut,Und daß mich Gott verdamme,Vergieß ich Deutſcher deutſches Blut!In Mainz als Feind zu rückenReißt mich kein Höllenteufel fort,Betret' ich dort die Brücken,So ſei mir Hand und Schlund verdorrt!Nicht dürft' ich mich bezechenMit frommen Chriſtenleuten mehr!Mein Waffen lieber brechen,Als brechen Eid und Mannesehr!“„La, la“, kirrt Condé, „fernerDient Ihr um Doppel-Tripellohn.“Da bricht vorm Knie der BernerIn Stücke krachend ſein Sponton,Dem Prinzen wirft zu FüßenDie beiden Trümmer er und ſpricht:„Den König laß ich grüßen,Das deutſche Reich befehd' ich nicht!“