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]]>Johann Ludwig Tieck, geb. 31. Mai 1773 in Berlin, gest. 8. April 1853 ebendaselbst, Sohn eines wackern Seilermeisters, zeigte schon auf dem Gymnasium ein frühreifes Talent, schrieb später für den alten Nicolai Erzählungen unbedeutender Art, wie „Peter Lebrecht“ u. dgl., aber auch Bedeutendes, wie den Roman „William Lovell“, lebte 1799—1800 zu Jena im Verkehr mit den Brüdern Schlegel, Novalis, Brentano, Fichte, Schelling, daneben auch mit Goethe und Schiller, und erwuchs zum dichterischen Haupte der romantischen Schule, in welcher Eigenschaft er mit der „Genoveva“, dem „Kaiser Octavianus“, dem späteren „Fortunat“ und mit den im „Phantasus“ gesammelten Märchen, Märchennovellen und Märchendramen geraume Zeit die deutsche Geisteswelt beherrschte. Er half die ersten kindlichen Anfänge des Studiums unserer mittelalterlichen Poesie heraufführen, das er nachher mit Shakespeare'schen Stücken vertauschte, die jedoch ziemlich unfruchtbar geblieben sind. In der Mitte seines Lebens, 1819, ließ er sich dauernd zu Dresden nieder, wo er als Dramaturg am Theater wirkte, besonders aber durch seine berühmten abendlichen Vorlesungen einen von nah und fern um ihn versammelten Kreis begeisterte. Dort schrieb er die Novellen, welche die dritte Periode seiner schriftstellerischen Laufbahn bezeichnen. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. wurde er von diesem Freunde der romantischen Dichtungen und Strebungen 1841 nach Berlin gezogen, wo ihm in heiterer, doch nicht ganz ungetrübter Muße sein Lebensabend verfloß. Ein Verdienst, das ihm bei keiner Gelegenheit vergessen werden darf, ist, daß er, neben den Schriften von Maler Müller, Lenz, Schröder, die Schriften Heinrichs v. Kleist herausgegeben hat, die ohne ihn vielleicht noch lange unbeachtet geblieben wären.
Treck ist nächst Goethe der Begründer derjenigen Gattung, die man die moderne oder auch die Gesellschaftsnovelle nennt. Er selbst hat sich über den Grund und Boden derselben klar ausgesprochen. „Alle Stände“, sagt er, „alle Verhältnisse der neuen Zeit, ihre Bedingungen und Eigenthümlichkeiten sind dem klaren dichterischen Auge gewiß nicht minder zur Poesie und edlen Darstellung geeignet, als es dem Cervantes seine Zeit und Umgebung war, und es ist wohl nur Verwöhnung einiger vorzüglicher Kritiker, in der Zeit selbst einen unbedingten Gegensatz vom Poetischen und Unpoetischen anzunehmen. Gewinnt jene Vorzeit für uns an romantischem Interesse, so können wir dagegen die Bedingungen unseres Lebens und der Zustände desselben um so klarer erfassen.“
Die Forderung, welche Tieck an die Novelle stellt, ist die, daß sie, zum Unterschiede von Begebenheit, Erzählung, Geschichte, „einen großen oder kleinern Vorfall ins hellste Licht stelle, der, so leicht er sich ereignen kann, doch wunderbar, vielleicht einzig ist.“ „Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt, wich sich der Phantasie des Lesers um so fester einprägen, als die Sache, selbst im Wunderbaren, unter andern Umständen wieder alltäglich sein könnte.
Ein Beispiel dieses natürlich Wunderbaren, das ihm an die Stelle des romantischen Wunders getreten ist, findet er in der Novelle der Goethe'schen Ausgewanderten von dem leichtsinnigen Sohne, der durch den aufspringenden Schreibtisch seines Vaters (Tieck sagt in der Zerstreuung „Ladentisch“, wodurch die Sache bedeutend unerbaulicher würde) zu schlimmen Griffen verleitet wird. Eine ähnlich wunderbare Fügung stellt auch er gleich in seiner ersten Novelle „Die Gemälde“ dar, indem dort die verloren geglaubten Kunstschätze durch einen ungemein sinnig angelegten Zufall wieder zu Tage gebracht werden und das Glück des Helden, eines jungen Mannes von freilich etwas zweifelhaftem Charakter, wieder herstellen.
Diesen Umschlag, der keineswegs immer von außen kommen muß, sondern oft nur eine plötzliche eigenthümliche Wendung des Gemüthes sein kann, in welcher eine ursprüngliche Anlage hervorbricht, hat Tieck in den meisten seiner Novellen, jedoch mit sehr ungleichem Glücke durchgeführt. Aber nicht nur ist der Kern derselben von ungleichem Werth, sondern sie leiden auch fast ohne Ausnahme, auch die besseren, an dem gleichen Fehler. Fast nirgends kommt es zu einer vollen runden Gestaltung, die Figuren haben fast alle etwas Schattenhaftes, sie thun gelegentlich dieses oder jenes, aber meist ziehen sie es vor, sich gegen einander auszusprechen. Und in diesem übermäßigen Gespräche, das die eigentliche Handlung vertritt, ja oft die ganze Handlung ist, führt der Dichter beständig durch den Mund seiner Personen mit wohlbekannter Stimme selbst das Wort. Hoch und Niedrig bekunden die gleiche Culturstufe; die mittelalterlichen Figuren
So ist denn die That, mit welcher die neue Epoche begann, eigentlich nicht weit über den guten Vorsatz hinaus gekommen. Aber auch diese unvollkommene Stufe brachte einen Fortschritt von großer Wirkung, indem die Nachstrebenden ein Vorbild vor sich hatten, dessen richtiger Intention sie nur zu folgen brauchten, um über die mangelhafte Gestaltung hinweg zu künstlerischer Plastik zu gelangen; ein Vorbild, durch welches um so mehr das Bewußtsein geweckt werden mußte, weil es von dem alten Zauberer selbst herrührte, der seinen Stab wegwarf und aus der „mondbeglänzten Zaubernacht“ hervor an das Licht des Tages trat.
Auch war das erste Auftreten ein glänzendes, ja glänzender als die meisten der späteren Hervorbringungen, sofern „Die Gemälde“ in Gehalt und Kraft der Behandlung sich mehr gleich bleiben, mehr aus Einem Gusse gearbeitet sind, als ihre jüngeren Geschwister. Die Redner sind noch frisch bei Athem, nicht so müde und ermüdend, wie sie im Laufe der Tieck'schen Novellenproduction immer mehr werden; sie sprechen sich so lebhaft aus, daß sie etwas lebendiger scheinen, als sie vielleicht in Wirklichkeit sind. Ueberdies erhebt sich das Gespräch mitunter zu
Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die „Verlobung“ erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouqué, der in der Vorrede zum „Zauberring“ das Publicum unter-
An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die „Ahnenprobe“, die „Gesellschaft auf dem Lande“, der “15 November“ und etwa die „Wundersüchtigen“ dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften
In den späteren Novellen erscheint zum Theil an der Stelle des natürlich Wunderbaren, das der Dichter so richtig aufgestellt hat, das unnatürlich Wunderliche, wo nicht noch Schlimmeres. Vieles läßt sich wohl aus dem unbekümmerten Fluge der Feder erklären: denn man glaubt mitunter wahrzunehmen, wie die Blätter einzeln in die Druckerei gewandert sein müssen, so daß es z. B. vorkommen kann, daß eine Heldin auf einem folgenden Bogen unversehens einen ganz andern Namen führt als auf dem vorhergehenden. Nachgerade sind es nur noch in Gespräche eingekleidete Leitartikel, worin der Verfasser gegen literarische und sociale Richtungen polemisirt. Zuletzt griff er gar wieder in die alte romantische Rumpelkammer und putzte seine Gegner mit phanastischen Larven auf, die aber nur traurige Revenants sind und nicht einmal das eigenthümliche Scheinleben der früheren Romantik haben.
Unerwartet jedoch trat er 1839 mit einer im Verhältniß zu dieser Umgebung allerliebsten Novelle hervor, in welcher wir zumal eine seiner spätesten Productionen zu begrüßen haben: „Des Lebens Ueberfluß.“
Das aber möchte noch hervorzuheben sein, daß er, der einst das Wesen der Novelle so scharf definirt hatte, gegen das Ende seines Lebens den merkwürdigen Ausspruch thut: „Es ist nicht leicht zu sagen, was eigentlich die Novelle sei, und wie sie sich von den verwandten Gattungen, Roman und Erzählung, unterscheide. — Es ist sehr schwer, hier einen allgemeinen Begriff zu finden, auf den sich alle Erscheinungen dieser Art zurückbringen ließen.“
Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte der Diener, indem er den jungen Eduard herein ließ, der alte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.
Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durch die Thüre. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er bei sich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vater durch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich mich zu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte sein. Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mir und der Welt anders denke.
Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltes Gemälde an die Wand stellte. Wie man nur so unter leblosen Bildern ausdauern kann und einzig in ihnen und für sie da sein! so setzte er seine stummen Betrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiasten in einem verzauberten Reiche untergehen? Für sie ist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Natur und die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen, indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen. Und so verträumte doch auch mein Vater seine Jahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte,
Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendet oder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obern Region des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmens hing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrten Locken und muthwilligem Lächeln guckte herab, im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt, die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingern hielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühend rothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut, wenn dies Bild von Rubens ist, wie es sein muß, so hat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alle andern Meister übertroffen! Das lebt, das athmet! Wie die frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht! Wie sanft und zart die Nöthe beider in einander leuchtet und doch so sicher getrennt ist! Und dieser Glanz der vollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnung gestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stück so hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da all das andere Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?
Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen, welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denn das Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen! sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren;
Und so war es auch in der That: denn in diesem Augenblick erhob sich das reizende Bild und warf mit dem Ausdruck schelmischen Muthwillens die Rose herab, die dem jungen Mann in's Gesicht flog, trat dann zurück und verschloß klirrend das kleine Fenster.
Erschrocken und beschämt nahm Eduard die Rose vom Boden auf. Er erinnerte sich nun deutlich des schmalen Ganges, welcher oben neben dem Saale weglief und zu den höhern Zimmern des Hauses führte; die übrigen kleinen Fenster waren mit Bildern verhangen, nur dieses hatte man, um Licht zu gewinnen, in seinem Zustande gelassen, und der Hausherr selbst pflegte von dort oft die Gäste zu mustern, die seine Gallerie besuchen wollten. Ist es möglich, sagte Eduard, nachdem er sich aller dieser Umstände erinnert hatte, daß die kleine Sophie in einem Zerrraume von vier Jahren zu einer solchen Schönheit hat erwachsen können? — Er drückte unbewußt und in sonderbarer Zerstreuung die Rose an den Mund, stellte sich dann, starr auf den Boden sehend, an die Mauer und bemerkte nicht, daß der alte Walther schon seit einigen Sekunden neben ihm stand, bis dieser ihn mit einem freundlichen Schlage auf die Schulter aus seiner Träumerei erweckte. Wo waren Sie, junger Mann? sagte er scherzend; Sie sind wie einer, der eine Erscheinung gehabt hat.
So ist es mir selbst, sagte Eduard; vergeben Sie, daß ich Ihnen mit meinem Besuche lästig falle.
Wir sollten uns nicht so fremd sein, junger Freund, sagte der Alte herzlich; es ist nun schon länger als vier Jahre, daß Sie mein Haus nicht betreten haben. Ist es recht, den Freund Ihres Vaters, Ihren ehemaligen Vormund, der es gewiß immer gut mit Ihnen meinte, wenn wir gleich damals einige Differenzen mit einander hatten, so ganz zu vergessen?
Eduard ward roth und wußte nicht gleich, was er antworten sollte. Ich glaubte nicht, daß Sie mich vermissen würden, stotterte er endlich. Es könnte Vieles, Alles anders gewesen sein; allein die Irrthümer der Jugend —
Lassen wir das, rief der Alte im frohen Muth; was hindert uns, unsre ehemalige Bekanntschaft und Freundschaft zu erneuern? Was führt Sie jetzt zu mir?
Eduard sah nieder, dann warf er einen eiligen, schnell abgleitenden Blick auf den alten Freund, zauderte noch, und ging nun mit zögerndem Schritt nach dem Pfeiler, wo das Gemälde stand, das er aus seiner Verhüllung nahm. Sehen Sie hier, sagte er, was ich noch unvermuthet in der Verlassenschaft meines seligen Vaters gefunden habe, ein Bild, das in einem Bücherschränke aufbewahrt war, den ich seit Jahren nicht eröffnet hatte; Kenner wollen mir sagen, daß es ein trefflicher Salvator Rosa sei.
So ist es, rief der alte Walther mit begeisterten
Er stellte das Bild in das rechte Licht, prüfte es mit leuchtenden Augen, ging näher und wieder zurück, begleitete aus der Ferne die Linien der Figuren mit einem Kennerfinger und sagte dann: wollen Sie mir es ablassen? Nennen Sie mir den Preis, und das Bild ist mein, wenn es nicht zu theuer ist.
Indem hatte sich ein Fremder herbei gemacht, der in einer andern Wendung des Saales nach einem Julio Romano zeichnete. Ein Salvator? fragte er mit etwas schneidendem Tone, den Sie wirklich als einen alten Besitz in einer Verlassenschaft gefunden haben?
Allerdings, sagte Eduard, den Fremden mit einem stolzen Blicke musternd, dessen schlichter Oberrock und einfaches Wesen etwa einen reisenden Künstler vermuthen ließen.
So sind Sie selbst hintergangen, antwortete der Fremde mit einem stolzen, rauhen Tone, im Fall Sie nicht hintergehen wollen; denn dieses Bild ist augenscheinlich ein ziemlich modernes, vielleicht ist es ganz neu, wenigstens gewiß nicht über zehn Jahre alt, eine Nachahmung der Manier des Meisters, gut genug, um auf einen Augenblick zu täuschen, das sich aber bei näherer Prüfung dem Kenner bald in seiner Blöße zeigt.
Ich muß mich sehr über diese Anmaßung ver-
So? sagte der Fremde mit langgedehntem Tone. Sie kennen also oder wissen um jenen Salvator auch? Freilich ist er von derselben Hand, wie dieser hier, das leidet keinen Zweifel. In dieser Stadt sind die Originale dieses Meisters selten, und Herr Erich und Walther besitzen keines von ihm; aber ich bin mit dem Pinsel dieses großen Meisters vertraut und gebe Ihnen mein Wort, daß er diese Bilder nicht berührte, sondern daß sie von einem Neueren herrühren, der Liebhaber mit ihnen hintergehen will.
Ihr Wort? rief Eduard in glühender Röthe; Ihr Wort! Ich sollte denken, daß das meinige hier eben so viel, und noch mehr gelte!
Gewiß nicht, sagte der Unbekannte, und außerdem muß ich noch bedauern, daß Sie Sich so von Ihrer Hitze übereilen und verrathen lassen. Sie wissen also um die Fabrikation dieses Machwerks und kennen den nicht ungeschickten Nachahmer?
Nein! rief Eduard noch heftiger; Sie sollen mir diese Beschimpfung beweisen, mein Herr! Diese Anmaßungen, diese Unwahrheiten, die Sie so dreist herausstoßen, kündigen einen mehr als gehässigen Charakter an.
Der Geheimrath Walther war in der größten Verlegenheit, daß diese Scene in seinem Hause vorfallen mußte. Er stand prüfend vor dem Bilde und hatte sich schon überzeugt, daß es eine moderne, aber treffliche Nachahmung des berühmten Meisters sei, die wohl auch ein erfahrenes Auge hintergehen konnte. Ihn schmerzte es innig, daß der junge Eduard in diesen bösen Handel verwickelt war; die beiden Streitenden aber waren so heftig erzürnt, daß jede Vermittlung unmöglich wurde.
Was Sie da sprechen, mein Herr! rief der Fremde jetzt auch in erhöhtem Tone; Sie sind unter meinem Zorn, und ich bin erfreut, daß ein Zufall mich in diese Gallerie geführt hat, um zu verhüten, daß ein würdiger Mann und Sammler hintergangen wurde.
Eduard schäumte vor Wuth. So ist es nicht gemeint gewesen, sagte begütigend der Alte.
Wohl war das die Meinung, fuhr der Fremde fort; es ist ein altes wiederholtes Spiel, bei dem man es nicht einmal der Mühe werth gefunden hat, eine neue Erfindung anzubringen. Ich sah in der Kunsthandlung jenen sogenannten Salvator Rosa; der Eigenthümer hielt ihn für ächt und wurde noch mehr darin bestärkt, als ein Reisender, der, der Kleidung nach, ein
Eduard hatte indessen mit zitternden Händen sein Bild schon wieder eingewickelt: er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit dem Fuße und schrie: der Teufel soll mir diesen Streich bezahlen! So stürzte er zur Thüre hinaus und bemerkte nicht, daß das Mädchen wieder von oben in den Saal herabschaute, die durch das Geschrei der Streiter herbeigezogen worden war.
Mein werther Herr, so wandte sich jetzt der Alte zu dem Unbekannten, Sie haben mir weh gethan; Sie sind zu rasch mit dem jungen Manne verfahren; er ist leichtsinnig und ausschweifend, aber ich habe bis jetzt noch keinen schlechten Streich von ihm gehört.
Einer muß immer der erste sein, sagte der Fremde mit kalter Bitterkeit; er hat wenigstens heute Lehrgeld gegeben und kehrt entweder um, oder lernt so viel, daß man seine Sachen klüger anfangen und auf keinen Fall die Fassung verlieren muß.
Er ist gewiß selbst hintergangen, sagte der alte Walther, oder er hat wirklich das Bild, wie er sagt,
Sie wollen es zum Besten kehren, alter Herr, sagte der Fremde; aber in diesem Falle wäre der junge Mensch nicht so unanständig heftig geworden. Wer ist er denn eigentlich?
Sein Vater, erzählte der Alte, war ein reicher Mann, der ein großes Vermögen hinterließ; er hatte eine so starke Leidenschaft für die Kunst, wie gewiß nur wenige Menschen ihrer fähig sind. Auf diese verwandte er einen großen Theil seines Vermögens, und seine Sammlung war unvergleichlich zu nennen. Darüber aber versäumte er wohl etwas zu sehr die Erziehung dieses seines einzigen Sohnes; sowie daher der Alte starb, war der junge Mensch nur darauf bedacht, Geld auszugeben, mit Schmarotzern und schlechtem Volke Umgang zu haben, sich Mädchen und Equipagen zu halten. Als er majorenn wurde, waren ungeheure Schulden bei Wucherern und Wechsel zu bezahlen, aber er setzte seinen Stolz darein, nun noch mehr zu verschwenden; die Kunstwerke wurden verkauft, da er keinen Sinn für diese hat; ich nahm sie für billige Preise. Jetzt hat er wohl, außer dem schönen Hause, so ziemlich Alles durchgebracht, und auch auf diesem mögen Schulden lasten; Kenntnisse hat er sich schwerlich erworben, Beschäftigung ist ihm unleidlich, und so muß man mit Bedauern sehen, wie er seinem Untergänge entgegen geht.
Die alltägliche Geschichte von so Vielen, bemerkte der Unbekannte, und der gewöhnliche Weg unwürdiger Eitelkeit, der die Menschen lustig in die Arme der Verachtung führt.
Wie haben Sie sich nur dieses sichere Auge erwerben können? fragte der Rath; auch erstaune ich über die Art, mit der Sie dem Julio nachzeichnen, da Sie doch kein Künstler sind, wie Sie sagen.
Aber ich studire seit lange die Kunst, antwortete der Fremde; ich habe die wichtigsten Gallerieen in Europa fleißig und nicht ohne Nutzen gesehen, mein Blick ist von Natur scharf und richtig und noch durch Uebung gebildet und sicher gemacht, so daß ich mir schmeicheln darf, wohl nicht so leicht, am wenigsten über meine Lieblinge zu irren.
Der Fremde empfahl sich jetzt, nachdem er dem Sammler hatte versprechen müssen, am folgenden Mittage bei ihm zu essen, denn der Alte hatte vor den Kenntnissen des Reisenden große Achtung gewonnen.
Mit unbeschreiblichem Zorne ging Eduard nach Hause. Er trat wüthend ein, warf alle Thüren heftig hinter sich zu und eilte durch die großen Gemächer nach einem kleinen Hinterstübchen, wo in der Dämmerung der alte Eulenböck bei einem Glase starken Weines seiner
Wäre Schade, sagte der alte Maler, um das gute Bildchen, indem er sich mit der größten Kaltblütigkeit ein neues Glas einschenkte. Hast dich erhitzt, Freundchen; und der Alte hat von dem Kauf Nichts wissen wollen?
Schelm! schrie Eduard, indem er das Bild heftig hinwarf; und um deinetwillen bin ich auch zum Schelm geworden! Beschimpft, gekränkt! O und wie beschämt vor mir selber, glühend Kopf und Hals hinunter, daß ich mir aus Liebe zu dir solche Lüge erlaubte.
Ist keine Lüge, liebes Männchen, sagte der Maler, indem er das Bild auswickelte, ist ein so veritabler Salvator Rosa, wie ich nur noch je einen gemalt habe. Hast mich ja nicht daran arbeiten sehen, und kannst also nicht wissen, von wem das Bild herrührt. Du hast kein Geschick, mein Hänschen; ich hätte dir die Sache nicht anvertrauen sollen.
Ich will ehrlich sein, rief Eduard und schlug mit der Faust auf den Tisch; ich will ein ordentlicher Mensch werden, daß Andre und ich selber wieder Achtung vor mir haben! Ganz anders will ich werden, einen neuen Lebenswandel will ich anfangen!
Warum dich erbosen? sagte der Alte und trank. Ich will dich nicht hindern; mich wird's freuen, wenn
Hund von Kerl! rief Eduard, dein Junge, dein Farbenreiber sollt' ich werden? Aber freilich, ich bin ja heute noch tiefer gesunken, da ich mich zum Spitzbuben eines Spitzbuben habe gebrauchen lassen.
Was das Kind für ehrenrührige Ausdrücke braucht sagte der Maler und schmunzelte in sein Glas hinein; wenn ich mir so was zu Herzen nähme, so hätten wir die Schlägerei oder bittre Feindschaft hier zur Stelle. Er meint es aber gut in seinem Eifer; der Junge hat was Nobles in seinem ganzen Wesen, allein zum Bilderhändler taugt er freilich nicht.
Eduard legte sich mit dem Kopf auf den Tisch, und der Maler wischte schnell einen Weinfleck ab, damit der Jüngling nicht mit dem Aermel hineinfahre. Der gute liebe Salvator, sagte er dann bedächtig, soll auch nicht das beste Leben geführt haben; sie geben ihm gar Schuld, er sei Bandit gewesen. Als Rembrandt sich bei lebendigem Leibe für todt ausgab, um den Preis seiner Werke zu erhöhen, war er auch nicht ganz der Wahrheit treu geblieben, ob er gleich wirklich einige Jahre später starb und sich also nur in der Jahreszahl etwas verrechnet hatte. So, wenn ich nun solch Bildchen in aller Liebe und Demuth male, mich in den alten
Er hob den Kopf des Liegenden auf, verwandelte aber seine grinsende Freundlichkeit in eben so verzerrten Ernst, als er die Wangen des Jünglings voll Thränen sah, die in einem heißen Strome unaufhaltsam aus den Augen stürzten. O meine verlorne Jugend! schluchzte Eduard: o ihr goldnen Tage, ihr Wochen und Jahre! wie seid ihr doch so sündlich verschleudert worden, als läge nicht in euern Stunden der Keim der Tugend, der Ehre und des Glücks; als sei dieser köstliche Schatz der Zeit jemals wieder zu gewinnen. Wie ein Glas abgestandenes Wasser hab' ich mein Leben und den Inhalt
Eulenböck wußte nicht, welch Gesicht er machen, noch weniger, was er sagen sollte, denn in dieser Stimmung, mit solchen Gesinnungen hatte er seinen jungen Freund noch niemals gesehen; er war endlich nur froh und beruhigt, daß dieser ihn nicht bemerkte, so daß er in behaglicher Heimlichkeit seinen Wein ausleerte.
Tugendhaft also willst du werden, mein Sohn? fing er endlich an. Auch gut. Wahrlich! wenige Menschen sind für die Tugend so portirt, als ich selber, denn es gehört schon ein scharfer Blick dazu, um nur zu wissen, was Tugend ist. Knausern, den Leuten abzwacken, sich und unserm Herrgott etwas vorlügen, ist gewiß keine. Wer aber das rechte Talent dazu hat, der findet's auch. Wenn ich einem verständigen Mann zu einem guten Salvator oder Julio Romano von meiner Hand verhelfe, und er freut sich dann, so habe ich immer noch besser gehandelt, als wenn ich einem Pinsel einen echten Rafael verkaufe, den der Gimpel nicht zu schätzen weiß, so daß ihm im Grunde seines
Diese armseligen Sophistereien, sagte Eduard, können auf mich nicht mehr wirken; diese Zeit ist vorüber, und du magst dich nur in Acht nehmen, daß sie dich nicht ertappen; denn mit Laien mag es dir wohl gelingen, aber nicht mit Kennern, wie der alte Walther einer ist.
Laß gut sein, mein Kindchen, sagte der alte Maler, die Kenner sind gerade am besten zu betrügen, und mit einem Unerfahrnen möcht' ich gar nicht einmal anfangen. O dieser gute, alte, liebe Walther, dies feine Männchen! Hast du nicht den schönen Höllenbreughel gesehen, der am dritten Pfeiler zwischen der Skizze von Rubens und dem Portrait von Van Dyk hängt? Der ist von mir. Ich kam zu dem Männchen mit dem Gemälde: Wollen Sie nicht etwas Schönes kaufen? „Was! rief er; solche Fratzen, Tollheiten? Das ist nicht meine Sache; zeigen Sie doch. Nun, ich nehme sonst dergleichen Unsinn bei mir nicht auf, indessen weil in diesem Bilde doch etwas mehr Anmuth und Zeichnung ist, als man sonst bei diesen Phantasieen trifft, so will ich mit ihm einmal eine Ausnahme machen.“ In. Summa, er hat's behalten, und zeigt's den Leuten, um seinen vielseitigen Geschmack zu beurkunden.
Eduard sagte: aber willst du denn nicht auch
Mein junger Bekehrer, rief der Alte, ich bin es längst; du verstehst das Ding nicht, auch bist du mit deinem heißen Anlauf noch nicht durch. Stehst du am Ziel und bist glücklich allen Klippen, Halseisen, Leuchtpfählen vorüber, dann winke mir nur dreist, und ich steure dir vielleicht nach. Bis dahin laß mich ungeschoren.
So trennt sich also unsre Laufbahn, sagte Eduard, indem er ihn wieder freundlich anblickte; ich habe viel versäumt, aber doch noch nicht Alles, mir bleibt noch etwas von meinem Vermögen, mein Haus. Hier will ich mich einfach einrichten und beim Prinzen, der binnen Kurzem hier ankommen wird, eine Stelle als Secretär oder Bibliothekar suchen, vielleicht reise ich mit ihm; vielleicht, daß anderswo ein Glück — oder, wenn das nicht, so beschränke ich mich hier und suche Arbeit und Beschäftigung in meiner Vaterstadt.
Und wann soll das Tugendleben losgehen? fragte der Alte mit grinsendem Lachen.
Gleich, sagte der Jüngling, morgen, heut, diese Stunde!
Narrenspossen! sagte der Maler und schüttelte den greisen Kopf; zu allen guten Dingen muß man sich Zeit lassn, sich vorbereiten, einen Anlauf nehmen, die alte Periode mit einer Feierlichkeit beschließen und die neue eben so beginnen. Das war eine herrliche Sitte, daß
Schlemmer! sagte Eduard lächelnd: wenn du nur einen Vorwand findest, dich zu betrinken, so ist dir Alles recht. Es sei also am heiligen Dreikönigs-Abend.
Da ist ja noch vier Tage hin, seufzte der Alte, indem er den letzten Rest ausschlürfte und sich dann schweigend entfernte.
Wir werden heut eine kleine Tischgesellschaft haben, sagte der Rath Walther zu seiner Tochter.
So? fragte Sophie. Und wird der junge Eduard auch herkommen?
Nein, antwortete der Vater. Wie fällst du auf diesen?
Ich dachte nur, sagte Sophie, daß Sie ihm viel-
Heute würde es am wenigsten passen, erwiderte der Alte, da gerade der Mann mit uns speisen wird, von dem der junge Mensch beleidigt ward.
So? der? sagte das Mädchen mit gedehntem Tone.
Es scheint, der fremde Mann ist dir unangenehm.
Recht sehr, rief Sophie; denn erstlich kann ich es von Niemand leiden, wenn man nicht genau weiß, wer er ist; solch Incognito ist in der Fremde allerliebst, um für etwas Besonderes zu gelten, wenn hinter dem Menschen gerade gar nichts steckt, und so ist es gewiß mit diesem Unbekannten, der ganz das Wesen eines vacirenden Hofmeisters oder Secretärs hat, der sich gestern in Ihrer Gallerte ein Ansehen gab, als wenn er der oberste Director aller Heiden-Bekehrungsanstalten wäre.
Du sagtest: erstens! fragte der Vater lächelnd; nun also zweitens?
Zweitens ist er fatal, sagte sie lachend, und drittens ist er unausstehlich, und viertens hasse ich ihn wahrhaft.
Das ist freilich erstens und letztens bei euch, sagte der Alte. Uebrigens erscheint noch mein Freund Erich und der junge Maler Dietrich, so wie der wunderliche Eulenböck.
Da haben wir ja alle Zeitalter beisammen, rief Sophie aus, alle Arten von Geschmack und Gesinnung!
Der Vater hob den Finger drohend auf, sie ließ sich aber nicht irren, sondern fuhr schnell und unwillig fort: es ist ja wahr, daß ich in dieser Gesellschaft meines Lebens niemals froh werde; das schwatzt, und guckt, und ist artig, und lügt, und wird unausstehlich durch einander, daß ich statt solcher Mahlzeiten lieber drei Tage hungern möchte. Solche verliebte Leute sind mir so zuwider, wie unreife Johannisbeeren! jedes Wort von ihnen schmeckt mir noch sauer nach acht Tagen und verdirbt mir auch die Zunge für alle besseren Früchte. Der alte krummnasige, kupfrige Sünder ist mir noch von allen der liebste, denn er denkt doch nicht daran, mich wie ein Möbel in seine Stuben hinzustellen.
Diese Art und Weise, sagte der Vater, ist mir an dir selbst leid, ja recht verdrießlich, weil ich bei deinem starren Eigensinn noch gar nicht absehen kann, wie du dich je ändern möchtest. Du weißt nun, wie ich über die Ehe und die sogenannte Liebe denke, wie sehr du mich glücklich machen würdest, wenn du deinen Willen brechen wolltest —
Ich muß nach der Küche sehen, rief sie plötzlich; ich muß Ihnen heute Ehre machen; vergessen Sie nur nicht die guten Weine, damit der röthliche Eulenböck nicht Ihren Keller in schlechten Ruf bringt. So lief sie hinaus, ohne eine Antwort abzuwarten.
Der Alte ging an seine Geschäfte, indessen die
So war der Vormittag verstrichen, und die Gäste fanden sich nach und nach ein. Zuerst der jüngste, Dietrich, im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen, das sein rosenrothes durchsichtiges Antlitz nicht entstellte. Er erkundigte sich sogleich angelegentlich nach der Tochter, und diese erschien, geschmückt, in einem grünseidenen Kleide, das den Glanz ihres Ge-
Sophie saß zwischen Erich und dem Unbekannten, obgleich Dietrich einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich an ihre Seite einzuschieben. Eulenböck, der Alles bemerkte, und der am liebsten seine Bosheit in das Gewand der Gutmüthigkeit hüllte, drückte dem jungen Menschen die Hand und dankte ihm wie gerührt, daß er so
Indessen diese Beiden sich so zu täuschen suchten, war das Gespräch des Fremden und des Wirthes zum Theil zufällig, und von der andern Seite klug gelenkt, auf die Ehe gefallen; denn der alte Walther ließ nicht leicht eine Gelegenheit vorübergehen, seine Gedanken über diesen Gegenstand auszusprechen. Ich habe niemals, sagte er, mit den Ansichten übereinstimmen können, die nun etwa seit fünfzig Jahren zur allgemeinen Mode geworden sind. Ich nenne sie Mode, weil ich mich nie, obgleich ich auch jung gewesen bin, habe überzeugen können, daß sie in der Natur gegründet sind. Kann man läugnen, daß
Der Unbekannte sah den Wirth ernsthaft an und nickte ihm zu, worauf der Alte mit erhöhter Stimme fortfuhr:
Möchte man am Ende auch einer gewissen Billigkeit nachgeben und diese Zustände der sogenannten Liebenden, in denen, wie sie uns erzählen, die ganze Welt ihnen im schönern Lichte erscheint, und in welchen sie sich aller ihrer Seelenkräfte erhöht und vielfacher bewußt werden (obgleich sie in jenem Schlummerwachen in der Regel träge und zu keiner Arbeit zu bringen sind), natürlich finden: was thut, frag' ich nun. Alles dies, auch noch so glücklich sich wendend, um eine vernünftige und gute Ehe zu schließen? Ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn ich das Unglück hätte, an meiner Tochter einmal diese Verstandesverwirrung zu bemerken.
Sophie lächelte; der junge Dietrich sah sie er-
Sehr bitter, aber wahr, sagte der Unbekannte mit nachdenklicher Miene.
Es ist wie mit allen Bitterkeiten, flüsterte Sophie ihrem Nachbar zu, sie fallen zu schwer auf die Zunge; man kann nicht recht unterscheiden, ob es schmeckt, oder nur allen Geschmack betäubt; dergleichen ist natürlich für den wahr, der Liebhaber davon ist.
Eulenböck, der diesen Ausspruch auch gehört hatte, lachte, und der Vater, der die Sache nur halb verstanden, wandte sich mit Heiterkeit zu seinem fremden Gaste: wir sind also darüber einig, daß nur die sogenannten Conventionsheirathen glücklich sein können; ich werde auch niemals Anstand nehmen, meine einzige und nicht unbegabte oder arme Tochter einem Manne zu geben, sei er von welchem Stande er wolle, dessen Charakter mir werth ist, und dessen Kenntnisse ich, vorzüglich in der Kunst, achten muß, damit auch meine Enkel noch die Früchte meines Fleißes ärnten, und nicht in alle Winde und in die Häuser der Unwissenden das verstreut werde, was Liebe, Aufopferung, Studium und unermüdeter Fleiß in dieser Wohnung versammelt haben.
Er sah den Fremden mit gefälligem Lächeln an; doch dieser, der bis jetzt ihm freundlich erwidert hatte, machte eine fast finstere Miene und sagte nach einer kleinen Pause: die Sammlungen von Privatpersonen können niemals lange bestehen; wer die Kunst liebt, sollte, falls er gesammelt hat, seine Schätze um ein Billiges Fürsten verkaufen, oder sie größern Gallerieen durch Testament einverleiben. Darum kann ich auch den Plan mit Ihrer Tochter nicht billigen, wenn ich auch
Der Alte wurde roth und sah vor sich nieder, dann fing er mit seinem Nachbar, nicht ohne Verlegenheit, ein anderes Gespräch an. Die neuliche Auction der Kupferstiche, sagte der Gemäldehändler, ist bei Weitem nicht so ergiebig ausgefallen, als es der Eigenthümer sich versprochen hatte. Das ist häufig mit Auctionen der Fall, warf die Tochter mit schnippischem Tone dazwischen: darum sollte sich kein Mensch damit einlassen, den nicht die äußerste Noth dazu treibt.
Dietrich war noch zu unerfahren, um den Zusammenhang dieser Gespräche einzusehen; er redete treuherzig und eifrig über die Barbarei der Auctionen, in denen oft die kostbarsten Seltenheiten übersehen, viele Kunstwerke durch die Gaffer und Handlanger beschädigt, und der Ruhm großer Meister, so wie das Gefühl ächter Bewunderer, schmerzlich verletzt würden. Dadurch gewann er die gute Meinung des Vaters, der die getrübte Miene erheiterte und ihm mit Freundlichkeit Recht gab. Sophie, welche fürchten mochte, daß ein neuer Antrag im verdeckten Wege des Kunstenthusiasmus vorgeschoben werden sollte, fragte schnell den jungen Maler, ob er
Sie malen also auch dergleichen rührende Gegenstände? fragte der Unbekannte, indem er mit einem fast schielenden Blicke zum jungen Manne herüber blinzelte. Mich wundert es immer von Neuem, daß Menschen in ihren besten und heitersten Jahren mit dergleichen Gegenständen ihre Zeit und Imagination verderben können. Der heiligen Familien haben mir wohl, dächte ich, in der Kunst genug; da ist nichts Neues anzubringen und zu erfinden, und jene Leichname und Verzerrungen des Schmerzes widerstreben so völlig allem Reiz und dem Genuß der Sinne, daß ich mein Auge immer davon abwenden muß. Die Kunst soll unser Leben erhöhen und erheitern, alle Dürftigkeiten desselben und aller Jammer der Welt soll uns in ihrer Nähe verschwinden; nicht aber darf unsre Phantasie durch ihre Hervorbringungen geängstigt und gefoltert werden. Im heitern, frischen Licht soll die Sinnenwelt spielen und in freundlichem Reiz uns schmeicheln und auf diese Weise erheben. Schönheit ist Freude, Leben, Kraft. Der hat sich noch wenig verstanden, der Nacht und düstre Gefühle sucht. Oder gehören Sie auch etwa zu denen, die sich vor dergleichen Bildern mit erzwungener Gläubigkeit entzücken und verlangen, daß in uns eine Art von Andacht sich entzünden soll, um den Gegenstand zu verstehen und christlich zu würdigen?
Und wäre denn das, rief Dietrich mit einer ge-
Junger Mann, sagte der Unbekannte mit der schneidendsten Kälte: ich müßte zehn Jahre jünger, oder Sie einige älter sein, wenn ich über so wichtigen Gegenstand mit Ihnen streiten sollte. Dieser neue phantastische Traum hat sich der Zeit bemächtigt, das ist freilich nicht zu läugnen, und muß nun bis zum Erwachen fortgeschlummert werden. Waren jene, die Sie tadeln wollen, vielleicht zu nüchtern, so sind dafür die jetzt Gepriesenen in einem kränklichen Rausch befangen, indem ihnen ein wenig schwaches Getränk zu Kopfe gestiegen ist.
Sie wollten nicht streiten, rief der junge Maler, und thun mehr, Sie sind bitter. In der Leidenschaft ist man wenigstens keines freien Urtheils fähig. Ob die Partei, für die Sie mit solchen Waffen kämpfen, dadurch gewinnen kann, muß die Zukunft entscheiden.
Sophie sah den Jüngling ermuthigend mit einem schadenfrohen Blicke an, Walther war schon besorgt; doch nahm der Bilderhändler Erich das Gespräch beruhigend auf und sagte: sobald sich ein heftiger Widerstreit in der Zeit regt, so ist es ein Zeichen, daß etwas Wirkliches in der Mitte liegt, das den Streit wohl verdient, und
Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.
Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter
Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.
Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.
Gewiß, erwiderte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht Alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens,
Der junge Dietrich sah seinen abtrünnigen Anhänger schon seit lange mit großen Augen an; er konnte diesen Abfall nicht begreifen und nahm sich vor, mit dem Alten in einer vertrauten Stunde darüber zu sprechen; denn wenn er auch die Bewunderung des Julius gelten ließ, so schien ihm doch die erste Hälfte des Gesprächs geradezu im Widerspruch mit der früheren Aeußerung Eulenböck's zu stehen, der sich aber um dergleichen Nebendinge nicht kümmerte, sondern sich mit dem fremden Kunstfreunde in so lebhaften Enthusiasmus hineinschwatzte, daß Beide auf lange Zeit weder die Uebrigen hörten, noch sie zu Worte kommen ließen.
Erich wollte eine Aehnlichkeit des Fremden mit einem Verwandten Walther's bemerken; darüber kam man in das Kapitel der Aehnlichkeiten, und wie sonderbar sich in den Familien, oft in der fernsten Verzweigung am deutlichsten, gewisse Formen wiederholen. Sonderbar ist es auch, sagte der Wirth, daß die Natur oft ganz wie
Erinnern Sie sich des wunderbaren Porträts, fragte Erich, welches Ihr alter Freund in seiner Sammlung besaß, und welches sich mit so vielen andern Sachen auf eine unerklärliche Weise verloren hat?
Ja wohl! rief der alte Walther aus, wenn es
Wie, sagen Sie, so wandte sich der Fremde lebhaft zum alten Rath, es sind außer diesem trefflichen Stück noch andere merkwürdige Gemälde verloren gegangen? Auf welche Weise?
Ob verloren, sagte Walther, kann man so eigentlich nicht sagen; aber sie sind unsichtbar geworden, und vielleicht ins ferne Ausland verkauft. Mein Freund, der Herr von Essen, der Vater des jungen Menschen, den Sie neulich in meinem Saale trafen, wurde mit zunehmendem Alter launenhaft und wunderlich. Die Liebe zur Kunst hatte uns befreundet, und ich kann sagen, daß ich sein ganzes Vertrauen besaß. Wir ergötzten uns an unsern Sammlungen, und die seinige übertraf damals bei Weitem die meinige, die ich erst durch die Nachlässigkeit seines Sohnes so ansehnlich habe vermehren können. Wenn wir uns einmal ein rechtes Fest geben wollten, so setzten wir uns in sein Cabinet, in welchem die ausgesuchtesten seiner Werke versammelt waren. Diese hatte er mit vorzüglich prächtigen Rahmen einfassen lassen und sie sinnreich bei einer sehr vortheilhaften
Der Alte war so erschüttert, daß er seine Thränen nicht zurück halten konnte, und Eulenböck zog ein ungeheures gelbseidenes Tuch aus der Tasche, um in auffallender Rührung sein dunkelrothes Gesicht abzutrocknen. Erinnern Sie sich wohl noch, hub er schluchzend an, des sonderbaren Bildes von Quintin Messys, auf dem ein junger Schäfer und ein Mädchen in seltsamer Tracht abgebildet waren, beide herrlich ausgearbeitet, und wovon er behauptete, die Figuren sähen seinem Sohne und Ihrer Tochter ähnlich.
Die Aehnlichkeit war damals auffallend, erwiderte Erich. Sie haben aber noch den Johannes zu nennen vergessen, der wenigstens mit dem Guido wetteifern konnte. Dies Bild war vielleicht von Domenichino, wenigstens war es jenem berühmten äußerst ähnlich. Dieser Blick des Jünglings nach dem Himmel, die Be-
Wäre doch Alles an ihm verloren, rief Eulenböck aus. Er würde es doch nur wieder vergeuden. Was habe ich nicht an ihm ermahnt! Aber er hört auf den ältern Freund und die Stimme der Erfahrung nicht. Nun endlich, da ihm das Wasser doch wohl mag an die Seele gehen, ist er in sich geschlagen; er sah, daß ich über sein Unglück bis zu Thränen gerührt war, da hat er mir in meine Hand versprochen, sich von Stund' an zu bessern, zu arbeiten und ein ordentlicher Mensch zu werden. Wie ich ihn hierauf gerührt umarme, reißt er sich lachend los und ruft: „aber erst vom heiligen Dreikönigs-Abend an soll dieser Vorsatz gelten, bis dahin will ich noch lustig sein und in der alten Bahn fortlaufen!“ Was ich auch sagen mochte, Alles war umsonst; er drohte, wenn ich ihm nicht seinen Willen ließe, die ganze Besserung wieder aufzugeben. — Ei nun, das Fest ist in einigen Tagen, die Frist ist nur kurz; Sie können aber wenigstens daraus sehen, wie wenig auf seine guten Vorsätze zu bauen ist.
Von jeher, sagte Sophie, ist er zu sehr mit frommen Leuten umgeben gewesen; aus Widerspruch hat er
Sie haben gewissermaßen Recht, rief der alte Maler. Hat er sich nicht von dem Pietisten, dem langweiligen alten Musikdirector Henne, seit einiger Zeit wie belagern lassen? Aber ich versichere Sie, dessen trockne Predigten können unmöglich an ihm haften; auch wird der Alte beim dritten Glase betrunken, und so kommt er aus dem Text.
Er hat es zu arg getrieben, bemerkte der Wirth; dergleichen Menschen, wenn Unordnung und Verschwendung erst ihre Lebensweise geworden sind, können sich niemals wieder zurecht finden. Das rechtliche, wahre Leben erscheint ihnen gering und bedeutungslos; sie sind verloren.
Sehr wahr, sagte Eulenböck: und um Ihnen nur ein auffallendes Beispiel seiner Raserei zu geben, so hören Sie, wie er es mit seiner Bibliothek anfing. Er erbte eine unvergleichliche Büchersammlung von seinem würdigen Vater; die herrlichsten Ausgaben der Classiker, die größten Seltenheiten der italienischen Literatur, die ersten Ausgaben des Dante und Petrarca, nach denen man auch wohl in berühmten Städten umsonst fragt. Nun fällt es ihm ein, er müsse einen Secretär haben, der zugleich diese Bibliothek in Ordnung halten solle, die neu angekauften Werke in das Verzeichniß eintragen, die Werke systematisch aufstellen und dergleichen mehr. Ein
Ich weiß am besten, sagte der Rath, wie unverantwortlich man mit den Büchern umgegangen ist.
Das sind ja alles erschreckliche Geschichten, sagte Sophie: wer möchte sie nur von seinem Feinde so wieder erzählen?
Das Schlimmste aber, fuhr Eulenböck fort, war
Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, Den öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! — Sie stieß ihn mit Bewegung zurück und eilte dann aus dem Zimmer.
Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der
Ein gutes, liebes Kind, schmunzelte Eulenböck. Sie sind recht glücklich, Herr Geheimer Rath, bei diesem empfindsamen Herzen Ihrer Tochter. Sie war so liebevoll um meine Gesundheit besorgt; sie findet meine Augen entzündet und meinte gar, ich könnte erblinden; darüber ist sie denn so gerührt worden.
Ein treffliches Kind! rief der Vater aus: wenn ich sie nur erst gut versorgt sähe, daß ich in Frieden sterben könnte. — Der Fremde war noch zurück geblieben, um das neue Gemälde in Augenschein zu nehmen, welches Erich ihm im Speisezimmer zeigte; jetzt kam er mit diesem zur Gesellschaft und Dietrich folgte. Sie waren Alle im lebhaften Gespräch begriffen; der Fremde tadelte den Gegenstand, welchen Dietrich vertheidigen wollte. Wenn Teniers und ähnliche Niederländer, sagte der letztere, die Versuchung des heiligen Antonius komisch und fratzenhaft dargestellt haben, so ist diese Laune ihrer Stimmung zu vergeben, so wie ihrem Talent nachzusehen, da sie das Würdige nicht zu erschaffen wußten. Der Gegenstand aber fordert eine ernste Behandlung, und dem alten deutschen Meister dort ist sie ohne Zweifel gelungen; wenn der Beschauer nur unparteiisch sein kann, so wird er sich von seinem Bilde angezogen und befriedigt fühlen.
Dieser Gegenstand, nahm der Fremde das Wort,
Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über die Furcht erhaben ist und längst die wahre unsichtbare Schönheit kennt, um Grauen und geringe
Das Tolle, das Alberne und Abgeschmackte ist ein Unendliches, rief der Unbekannte: es ist es eben dadurch, daß es sich in keine Grenze fassen läßt, denn durch die Schranke wird alles Vernünftige: das Schöne, Edle, Freie, Kunst und Enthusiasmus. Weil sich aber etwas Ueberirdisches, Unaussprechliches beimischt, so meinen die Thoren, es sei das Unbedingte, und sündigen im angemaßten Mysticismus in Natur und Phantasie hinein. Sehen Sie diesen tollen Höllenbreughel hier am Pfeiler? Weil fein Auge gar keinen Blick mehr hatte für Wahrheit und Sinn, weil er sich ganz von der Natur lossagte, und Aberwitz und Unsinn ihm als Begeisterung und Verständniß galten, so ist er mir vom ganzen Heere der Fratzenmaler geradezu der liebste, da er ohne Weiteres die Thüre zuschlug und den Verstand draußen ließ. Sehn Sie den Riesensaal von Julio Romano in Mantua, seine wunderlichen Aufzüge mit Thieren und Centauren und allen Wundern der Fabel, feine Bacchanalien, seine kühne Vermischung des Menschlichen, Schönen, Thierischen und Frechen; vertiefen Sie sich in diese Studien; dann werden Sie erst wissen, was ein wirklicher Poet aus diesen sonderbaren und unver-
Auf solchem Wege, sagte Dietrich, sind wir mit allen Dingen sehr bald fertig, wenn wir nur eine Norm und Regel annehmen, in leidenschaftlicher Verblendung alles Göttliche auf Einen Namen übertragen und von dem einseitigen Erkennen seiner dann abweisen, was er nicht geleistet hat oder nicht leisten konnte, der doch auch nur ein Einzelner und Sterblicher war, dessen Blick nicht in alle Tiefen drang, und dem wenigstens der Tod die Palette aus der Hand nahm, wäre er selbst fähig gewesen, alle Erscheinungen aus seinen Fingern quellen zu lassen. Schranke muß sein; wer bezweifelt das? Aber so manche Altklugheit, die sich im Halten der Regel so groß dünkt, erinnert mich immer wieder an die sonderbare Eigenschaft des Hahns, der, wie unbändig und kriegerisch er auch thut, wenn er auf die Seite gelegt wird und man von seinem Schnabel aus einen Kreidestrich auf den Boden hinzieht, unbeweglich und andächtig liegen bleibt, weil er sich, wer weiß von welcher Naturnothwendigkeit, philosophischen Regel oder unerläßlichen Kunstschranke gefesselt glaubt.
Sie werden unbescheiden, mein junger altdeutscher Herr, sagte der Fremde in etwas hohem Tone. Die gute Erziehung wird freilich bald zu den verlorenen Künsten gerechnet werden müssen.
Dafür ist aber wohl gesorgt, versetzte Dietrich,
Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, so behandelt zu werden, sagte der Fremde. Scheint doch über diesem Saal ein Unheil zu walten, daß ich hier immer auf Riesen treffe, die mich in den Staub legen wollen.
Der alte Walther war sehr mißmuthig, daß in seinem Hause solche Scenen vorfielen. So wie er den Fremden schon bei Tische hatte aufgeben müssen, so gab er nun auch den Gedanken auf, jemals den jungen Maler zum Schwiegersohn in Vorschlag zu bringen. Begütigend wendete er sich zu dem Fremden, der in seinem Zorn dem Höllenbreughel eine größere Aufmerksamkeit schenkte, als außerdem geschehen sein würde. Nicht wahr, fing er an, ein in seiner Art treffliches Gemälde?
Das schönste von diesem Meister, das ich bisher gesehen, erwiderte der verstimmte junge Mann. Er nahm sein Glas zu Hülfe, um es genauer zu prüfen. Was ist das? rief er plötzlich: sehen Sie, wo die Beine der beiden Teufel zusammenkommen, und der feurige Schweif des Dritten, wird ein Gesicht, ein recht wunderlich ausdrucksvolles Profil gebildet, und, ich irre mich nicht, es gleicht auffallend hier Ihrem ältern Freunde, dem braven Künstler.
Alle drängten sich hinzu, keiner hatte diesen sonderbaren Einfall noch bemerkt. Eulenböck, der Schalk, spielte am meisten den Erstaunten. Daß mein Andenken,
Das Ding, sagte Erich, ist so sonderbar angebracht, daß man wirklich nicht ergründen kann, ob es Vorsatz oder bloßer Zufall ist. Walther betrachtete das Profil im Bilde, dann musterte er die Physiognomie seines Freundes, schüttelte den Kopf, ward nachdenkend und nahm zerstreut Abschied, als der Fremde sich mit Eulenböck beurlaubte, der sich dessen Begleitung erbeten hatte, um ihm seine Kunstwerke zu zeigen.
Was ist dir? fragte Erich, der mit dem Alten allein im Saale zurück geblieben war. Du scheinst über den sonderbaren Scherz des Zufalls verdrießlich, der uns Alle zum Lachen gezwungen hat; ist doch der Säufer hinlänglich dadurch bestraft, daß diese Teufelscompagnie so artig sein Portrait zusammen setzen muß.
Hältst du es denn wirklich auch für Zufall? rief Walther erzürnt aus: siehst du denn nicht ein, daß der alte Schelm mir dies Bild betrügerisch aufgeheftet hat? Daß es von ihm herrührt? Schau nur hieher, ich habe ihn vor den Andern nicht beschämen wollen; aber nicht genug an dieser Abschattung von sich selbst, hat er auch noch dem großen Teufel da oben, der die Seelen in einer Handmühle mahlt, in seinen ungeheuren Schnauzbart fein den Namen Eulenböck eingeschrieben. Ich ent-
Er war so zornig, daß er die Faust aufhob, um das Bild zu zerstören. Aber Erich hielt ihn zurück und sagte: Vernichte nicht im Unmuth ein merkwürdiges Product eines Virtuosen, das dich in Zukunft wieder ergötzen wird. Rührt es von unserm Eulenböck her, wie ich jetzt selber glauben muß, und sind gar noch die beiden Salvators von ihm, so muß ich die Geschicklichkeit des Mannes bewundern. Toll ist die Art, wie er sich selbst gezeichnet hat; indessen kann dieser Uebermuth nur ihm selber schädlich werden, da ich und du uns nun wohl hüten werden, von ihm zu kaufen, von denen er außerdem wohl noch manchen Thaler gelös't hätte. Aber dich wurmt noch etwas Anderes, ich sehe es dir wohl an. Kann ich dir rathen? Ist es vielleicht die alte Besorgniß um deine Tochter?
Ja, mein Freund, sagte der Vater: und wie ist es mit dir? Hast du selbst meinen Worten nachgedacht?
Viel und oft, erwiderte Erich: aber, lieber Grillenfänger, wenn es auch glückliche Ehen ohne Leidenschaft geben kann, so muß doch eine Art von Neigung da sein; die finde ich aber nicht, und ich kann es deiner Tochter nicht verdenken, — wir sind uns zu ungleich. Schade wär' es auch, wenn das liebe Wesen mit seinen lebhaften Empfindungen nicht glücklich werden sollte.
Durch wen? rief der Vater, es findet sich ja Niemand, den sie mag, und der sich für sie paßt; du trittst völlig zurück, der fremde hochmüthige Gast hat mich heut' mit seiner vornehmen Art recht empfindlich geärgert; aus dem jungen Herrn Dietrich würde nie ein gescheidter Ehemann werden, da er sich gar nicht in die Welt zu schicken weiß, wie ich gesehen habe, und vom jungen Eisenschlicht darf ich ihr gar nicht einmal sprechen. Dazu ist mir auf's Neue der Verlust der herrlichen Bilder auf das Herz gefallen. Wo der Satan sie nur hingeführt hat! Sieh, meinem ärgsten Feinde möchte ich sie gönnen, wenn sie nur da wären! — Und dann — hab' ich nicht auch noch eine Verschuldung gegen Eduard? Du weißt, zu welchen billigen Preisen ich nach und nach von ihm kaufte, was er noch im Nachlasse seines Vaters fand. Er kannte, er achtete die Sachen nicht; ich habe ihm nie abgedrungen, ich habe ihn nie angelockt, — aber doch — wenn der junge Mensch ordentlich werden wollte, wenn er den bessern Weg einschlüge, — wüßte
Brav! rief Erich und gab ihm die Hand. Ich habe den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen; er ist nicht ganz so schlimm, als die Stadt von ihm spricht, er kann noch einmal ein rechter Mann werden. Wenn wir Besserung sehen und du dich ihm gewogen fühlst, vielleicht daß deine Tochter einmal auch gut von ihm dächte, kann sein, daß sie ihm gefiele; — wie wär's alsdann, wenn du durch dein Vermögen Beiden ein glückliches Schicksal bereitetest, Enkel auf deinen Knieen schaukeltest, ihnen die ersten Begriffe der Kunstgeschichte beibrächtest, daß sie hier in deinem Saale die berühmten Namen stammelten?
Nimmermehr! rief der Alte und stampfte mit dem Fuße. Wie? einem solchen verderbten Taugenichts mein einziges Kind? Ihm diese Sammlung hier, daß er sie verprassen und für ein Spottgeld verkaufen könnte? Das räth mir kein Freund.
Doch, sagte Erich: sei nur gelassen, überdenke den Vorschlag ohne Leidenschaft, und suche deine Tochter zu prüfen.
Nein, nein! wiederholte Walther laut, es kann, es darf nicht sein! Ja, könnte er noch ein einziges von jenen kostbaren, unvergleichlichen Bildern aufweisen, die aber nun auf ewig verloren sind, so ließe sich noch eher darüber sprechen. Aber so verschone mich in alle Zu-
Er sah empor, und wieder schaute aus dem offnen Fenster Sophie, lauschend auf ihr Gespräch, herab. Sie erröthete, entfloh, ohne das Fenster zu schließen, und der Alte rief: das fehlte noch! Nun hat die eigensinnige Dirne Alles mit angehört und setzt sich wohl gar dergleichen in den kleinen trotzigen Kopf!
Die alten Freunde trennten sich, Walther mit sich und aller Welt unzufrieden.
Tief in der Nacht saß Eduard in seinem einsamen Zimmer, mit vielfachen Gedanken beschäftigt. Um ihn lagen unbezahlte Rechnungen, und er häufte die Summen daneben auf, um sie am folgenden Morgen zu tilgen. Es war ihm gelungen, unter billigen Bedingungen ein Capital auf sein Haus aufzunehmen, und so arm er sich erschien, so war er doch schon in dem Gefühl zufrieden, welches ihm sein fester Vorsatz gab, künftig auf andre Weise zu leben. Er sah sich in Gedanken schon thätig, er machte Plane, wie er von einem kleinen Amte zu einem wichtigern emporsteigen und sich in diesem zu einem noch ansehnlichern vorbereiten wolle. Die Gewohnheit, sagte er, wird ja zu unserer Natur, so im Guten wie im Schlimmen, und wie mir Müßiggang
Er sah die Rose zärtlich an, die im Wasserglase ihm glühend entgegen lachte. Er nahm sie und drückte mit zarter Berührung einen leisen Kuß in ihre Blätter und hauchte einen Seufzer in den Kelch. Dann stellte er sie behutsam in das nährende Element zurück. Er hatte sie neulich, schon verwelkt, in seinem Busen wieder gesunden; seit der Stunde, daß sie im Fluge sein Gesicht berührt hatte, war er ein andrer Mensch geworden, ohne daß er es sich selber gestehen wollte. Man ist nie so abergläubisch und merkt so gern auf Vorbedeutungen, als wenn das Herz recht erschüttert ist und aus dem Sturm der Gefühle ein neues Leben sich erzeugen will. Eduard merkte selbst nicht, wie sehr ihm die kleine Blume Sophien selbst gegenwärtig machte, und da er Alles und sich selbst beinah verloren hatte, so sollte die welke Pflanze sein Orakel sein, ob sie sich wieder erfrische und auch ihm ein neues Glück verkündigen wolle. Da sie aber nach einigen Stunden sich im Wasser nicht ent-
Er blätterte in alten Papieren seines Vaters, schlug Briefe auseinander und fand so manche Erinnerungen aus seiner Kindheit, sowie aus der Fugend des Erzeugers. Er hatte den Inhalt eines Schrankes vor sich ausgepackt, der Rechnungen, Nachweisungen, Proceßacten und Vieles ähnlicher Art enthielt. Indem rollte sich ein Blatt auf, welches das Verzeichniß der ehemaligen Gallerie enthielt, die Geschichte der Bilder, ihre Preise, und was dem Besitzer bei jedem Stücke merkwürdig gewesen war. Eduard, der von einer Reise zurück kam, als sein Vater auf dem Sterbebette lag, hatte nach dem Begräbnisse vielfach nach jenen verlorenen Bildern gesucht und manche vergebliche Nachforschung angestellt. Er konnte mit Recht erwarten, daß auch von jenen vermißten sich hier ein Wort finden möchte, und wirklich erschien ihm in einem andern Paket, zwischen Papieren versteckt, ein Blatt, welches genau jene Stücke nannte, die Namen der Meister, so wie die vorigen Eigenthümer. Die Schrift war augenscheinlich aus den
Nun suchte Eduard noch eifriger, aber keine Spur. Das Licht war niedergebrannt, sein Blut war erhitzt; er warf die Bogen eilig im Zimmer umher, aber es zeigte sich Nichts. Als er ein altes vergelbtes Papier auseinander schlug, sah er zu seinem Erstaunen einen Schein, der vor vielen Jahren ausgestellt war, in welchem sich sein Vater als den Schuldner Walther's mit einer namhaften Summe bekannte. Er war nicht quittirt, aber doch nicht in den Händen des Gläubigers. Wie war dieser Umstand zu erklären? —
Er steckte ihn zu sich und rechnete aus, daß, wenn das Blatt gültig wäre, er von seinem Hause kaum noch etwas übrig behalten würde. Er betrachtete einen Beutel, den er in eine Ecke gestellt, und der dazu bestimmt war, ein für allemal noch den Familien, die er bisher im Stillen unterstützt hatte, eine ansehnliche Hülfe zu geben. — Denn wie er im Verschwenden leichtsinnig war, so war er es auch in seinen Wohlthaten; man hätte sie auch, wenn man strenge sein wollte, Verschwendung nennen können. — Wenn ich nur diese Summe nicht anrühren darf, damit die Elenden sich noch einmal freuen, ja ist es nachher auch eben so gut, ganz von vorn anzufangen und nur meinen Kräften zu vertrauen. Dies war vor dem Einschlafen sein letzter Gedanke.
Eduard war vom Geheimenrath Walther eingeladen worden; es war lange nicht geschehen, und ob der Jüngling gleich nicht begriff, wie der alte Freund zu diesem erneuten Wohlwollen komme, so ging er doch mit frischem Muthe hin, hauptsächlich in der frohen Erwartung, mit Sophien die ehemalige Bekanntschaft wieder anzuknüpfen. Er nahm das aufgefundene Papier mit.
Es war ihm sehr verdrießlich, dort den alten und den jungen Herrn von Eisenschlicht zu finden; indessen, da er bei Tische Sophien gegenüber saß, so richtete er das Gespräch hauptsächlich an diese und bestrebte sich heiter zu erscheinen, obgleich sein Gemüth auf vielfache Weise gereizt war; denn es entging ihm nicht, wie der alte Walther dem jungen Eisenschlicht mit aller Artigkeit entgegen kam und ihn beinahe vernachlässigte; auch war es in der Stadt bekannt, daß sich der Rath den jungen reichen Mann zum Schwiegersohne wünsche. Dieser ließ sich die Freundlichkeit des Wirthes gefallen mit einer Art, als wenn es nicht anders sein könne, und Erich, der es gut mit dem jungen Eduard meinte, suchte nur zu verhindern, daß der gereizte Jüngling nicht in Heftigkeit ausbräche. Sophie war die Munterkeit selbst; sie hatte sich mehr geschmückt als gewöhnlich, und der Vater mußte sie oft prüfend betrachten, denn ihr Anzug wich in einigen Stücken von dem gebräuchlichen ab und erinnerte ihn heute lebhafter als je an jenes verlorene Bild von Messys, welches die beiden jungen Leute in einer gewissen Ähnlichkeit als Schäfer darstellte.
Man versammelte sich nach Tische im Bildersaal, und Erich mußte lächeln, als er bemerkte, daß sein Freund wirklich den falschen Höllenbreughel hoch in einen Winkel hinauf gehangen hatte, wo man ihn kaum noch bemerken konnte. Der junge Eisenschlicht setzte sich neben Sophien und schien sehr angelegentlich mit ihr zu sprechen. Eduard ging unruhig hin und her und betrachtete die Bilder; Erich unterhielt sich mit dem Vater des jungen Freiwerbers, und Walther hatte ein prüfendes Auge auf Alle gerichtet.
Warum aber, sagte Erich zu seinem Nachbar, ist Ihnen hier das Meiste aus der niederländischen Schule zuwider?
Weil sie so viel Lumpenvolk und Bettler darstellt, antwortete der reiche Mann. Mein Widerwille trifft auch nicht diese Niederländer allein, sondern vorzüglich ist mir deshalb der Spanier Murillo verhaßt, und auch so manche Italiener. Es ist schon traurig genug, daß man sich auf Markt und Straße, ja in den Häusern selbst, nicht vor diesem Geschmeiße zu retten weiß; wenn aber ein Künstler verlangt, ich soll mich gar noch auf bunter Leinwand an dem lästigen Volke ergötzen, so heißt das meiner Geduld etwas zu viel anmuthen.
Da würde Ihnen vielleicht, sagte Eduard, der Quintin Messys recht sein, der so häufig Wechsler an ihrem Tische, mit Münzen und Rechnungsbüchern, so treu und kräftig vor uns hinstellt.
Auch nicht, junger Herr, sagte der alte Mann:
Gewiß, sagte Erich, hat Paul Veronese und manche andere Italiener auch darin viel Vorzügliches geleistet.
Was sagen Sie denn zu einer Hochzeit von Cana in dieser Manier? fragte Eduard.
Alles Essen, erwiderte der alte Herr, wird auf Bildern langweilig, weil es doch nie von der Stelle rückt, und die gebratenen Pfauen und hoch aufgehobenen Pasteten, so wie die halb umgedrehten Mundschenken sind auf allen solchen Darstellungen lästige Creaturen. Aber ein Anderes ist es, wenn sie den kleinen Moses aus dem Wasser ziehn, und dabei steht die Prinzeß in ihrem reichsten Schmuck, und umher die geputzten Damen, die auch für Fürstinnen gelten könnten, Männer mit Hellebarden und Rüstungen, selbst Zwerge und Hunde; ich kann nicht sagen, wie es mich erfreut, wenn ich eine solche Geschichte, die ich in meiner frühen Jugend oft unter Beklemmungen in einer dunkeln Schulstube lesen mußte, so herrlich ausgeschmückt wieder antreffe. Von
Noch schlimmer, fing der junge Eisenschlicht an, ist es aber in unsern Komödien. Wenn wir aus einer angenehmen Gesellschaft und von einem glänzenden Diner in den erleuchteten Saal treten: wie kann man nur verlangen, daß wir uns für das mannigfaltige Elend und den kümmerlichen Mangel interessiren sollen, der uns hier aufgetischt wird? Könnte man nicht dieselbe polizeiliche Einrichtung treffen, die schon in den meisten Städten löblicherweise angeordnet ist, daß ich ein für allemal für die Armuth etwas einlege und mich dann nicht weiter von den einzelnen Zerlumpten und Hungernden incommodiren lasse?
Bequem wäre es ohne Zweifel, sagte Eduard: ob aber durchaus zu loben, sei es als Polizei- oder Kunsteinrichtung, weiß ich noch nicht zu sagen. Ich kann mich wenigstens des Mitleids gegen den Einzelnen nicht erwehren, und mag es auch nicht, wenn man freilich oft zur Unzeit gestört, unverschämt bedrängt und zuweilen auch wohl arg betrogen wird.
Ich bin Ihrer Meinung, rief Sophie aus: ich kann die stummen, blinden Bücher nicht leiden, in die man sich einschreiben soll, um sich ruhig auf eine unsichtbare Verwaltung verlassen zu können, die dem Elende
Das ist es eben, sagte der alte Kaufmann, was in allen Ländern den Bettelstand erhält, daß wir uns nicht von dem kleinlichen Gefühl einer weichlichen Eitelkeit und eines süßlichen Wohlthuns frei machen können und wollen. Dies ist es zugleich, was die besseren Maßregeln der Staaten vereitelt und unmöglich macht.
Sie denken anders als jene Schweizer, sagte Eduard. Es war in einer katholischen Gegend, wo ein alter Bettler seit lange sein Almosen an gewissen Tagen einkassirte und in jedem Hause fast, da die ländliche Einsamkeit nicht viel Gewerbe und Umtrieb gestattete, mit zur Familie gerechnet wurde. Indessen traf es sich doch, daß man ihn in einer Hütte, als er zusprach, da man gerade mit einer Wöchnerin sehr beschäftigt war, in der Verwirrung und Besorgniß für die Kranke abwies. Als er wirklich nach wiederholter Forderung Nichts erhielt, wandte er sich zornig und rief im Scheiden: Nun, wahrlich, ihr sollt sehn, daß ich gar nicht wiederkomme, und so möget ihr dann sehen, wo ihr wieder einen Bettler herkriegt!
Alle lachten, nur Sophie nicht, welche diesen Aus-
Der Vater sah sie mißbilligend an und wollte eben etwas sagen, als Eduard heftig einfiel, indem er seine feurigen Augen auf die feuchten des Mädchens heftete: dächte die Mehrzahl der Menschen so, so lebten wir in einer andern und bessern Welt. Wir entsetzen uns, wenn wir von dem Drangsal lesen, das in Wüsten und Einöden fremder Himmelsstriche dem harmlosen Wanderer auflauert, oder von jenen Schrecknissen, die auf der unwirthbaren See das Schiffsvolk fürchterlich verzehren, wenn im höchsten Mangel kein Fahrzeug oder keine Küste sich auf der unermeßlichen Fläche zeigen will; wir entsetzen uns, wenn Ungeheuer der Tiefe den Verunglückten zerfleischen, — und doch — leben wir nicht in den großen Städten wie auf einem Vorgebirge, wo
Diese Uebertreibungen, sagte der alte Eisenschlicht, sind jugendlich. Ich behaupte immer noch, der wirklich gute Bürger, der echte Patriot soll sich von augenblicklicher Rührung nicht hinreißen lassen, die Bettelei zu unterstützen. Er theile jenen wohlthätigen Anstalten mit, so viel er mit Bequemlichkeit entbehren kann; aber vergeude nicht seine geringen Miitel, die auch hierin der Aufsicht des Staates zu Gute kommen sollen. Denn was thut er im entgegengesetzten Fall? Er befördert durch seine Weichlichkeit, ja ich möchte es fast wollüstigen Kitzel des Herzens nennen, Betrug, Faulheit, Unverschämtheit, und entzieht das Wenige der wahren Armuth, die er doch nicht immer antreffen oder erkennen kann. Wenn wir aber auch jene übertriebene Schilderung des Elendes als richtig anerkennen wollten, was kann der Einzelne auch selbst in diesem Falle Gutes stiften? Ist er denn im Stande, die Lage des Ver-
O, sagen Sie das nicht, rief Eduard aus, wenn ich Sie nicht verkennen soll; denn es erscheint mir wie Lästerung! Was der Arme in einem solchen Augenblick des Sonnenscheins gewinnt? O mein Herr! er, der schon daran gewohnt ist, von der Gesellschaft der Menschen ausgestoßen zu sein; er, für den es kein Fest, keinen Markt, keine Gesellschaft und kaum eine Kirche gibt; für den Ceremonie, Höflichkeit und alle die Rücksichten ausgestorben sind, die sonst jeder Mensch dem andern leistet; dieser Elende, dem auf Spaziergängen und in der Frühlingsnatur nur Verachtung grünt und blüht, er wendet oft das dürre Auge nach Himmel und Sternen über sich, und sieht auch dort nur Leere und Zweifel; aber in solcher Stunde, die ihm unverhofft eine reichlichere Gabe spendet, daß er mit mehr als augenblicklichem Trost zu den verschmachteten Seinigen in die dunkle Hütte kehren kann, geht ihm plötzlich im Herzen wieder der Glaube an Gott, an seinen Vater auf; er wird wieder Mensch, er fühlt wieder die Nähe eines Bruders, und darf diesen und sich wieder lieben. — Wohl dem Reichen, der diesen Glauben fördern, der
Er konnte das Letzte nur mit Thränen sagen, er verhüllte sein Angesicht und bemerkte nicht, daß die Fremden, auch Erich, vom Wirthe Abschied nahmen. Auch Sophie weinte; doch ermunterte sie sich zur Heiterkeit, als der Vater zurück kam.
Als sich in andern Gesprächen die Gefühle wieder beruhigt hatten, zog Eduard das Papier aus der Tasche und trug dem Rathe die zweifelhafte Sache vor, und wie sehr er besorge, noch mit einer ansehnlichen Summe sein Schuldner zu sein, die er ihm durch ein Capital abzutragen denke, welches er auf sein Haus zu bekommen suchen wolle.
Der Alte sah abwechselnd ihn und das vergelbte Papier mit großen Augen an, endlich faßte er die Hand des Jünglings und sagte mit gerührter Stimme: mein junger Freund, Sie sind viel besser, als ich und auch die Welt von Ihnen gedacht haben; Ihr Gefühl entzückt mich, und wenn Sie auch mit dem Herrn von Eisenschlicht nicht so heftig hätten sprechen sollen, so war ich doch bewegt; denn, wahrlich! ich denke wie Sie über
Eduard beugte sich über seine Hand und rief: ja sei'n Sie mir Vater, ersetzen Sie mir den, den ich zu früh verloren habe! Ich verspreche es Ihnen, es ist mein fester Vorsatz, ich will ein andrer Mensch werden, ich will meine versäumte Zeit wieder einbringen; ich hoffe, der menschlichen Gesellschaft noch einmal nützlich zu werden. Aber väterlicher Rath, wohlwollende Auf-
So gut, sagte der Alte, hätte es uns schon seit manchem Jahre werden können, aber du hast es dazumal verschmäht. Worin ich dir nur irgend helfen kann, darfst du sicher auf mich rechnen. Jetzt aber will ich doch, Neugierde halber, noch einmal meine Papiere ansehen, ob ich denn doch von dieser Schuld gar keine Nachricht finden sollte.
Er ließ die beiden jungen Leute allein, die sich erst eine Weile stillschweigend ansahen und sich dann in die Arme flogen. Sie hielten sich lange umschlossen, dann machte sich Sophie gelinde los, entfernte den Jüngling und sagte, indem sie ihm mit Munterkeit in's Auge sah: wie widerfährt mir denn das? Eduard, was soll uns denn das bedeuten?
Liebe, rief Eduard, Glück und ewige Treue! Sieh, liebstes Kind, ich fühle mich wie von einem schweren Traum erwacht. Das Glück, das mir so nahe vor den Füßen lag, das mir mein redlicher Vater schon an deiner Wiege zugedacht hatte, stieß ich wie ein ungezogener Knabe von mir, um mich der Welt und mir selbst verächtlich zu machen. Hast du mir denn vergeben, holdseliges Wesen? Kannst du mich denn lieben?
Ich bin dir recht von Herzen gut, du mein alter Spielkamerad, sagte Sophie: aber glücklich sind wir darum noch nicht.
Was kann uns noch im Wege sein! rief Eduard
Ja, du wunderlicher Kauz, lachte Sophie auf, das ist ja aber nicht so gemeint. Aber Der bleibt zeitlebens unbesonnen und hat gleich die Rechnung ohne den Wirth gemacht! Davon wird der Papa, so gut er auch sein mag, nicht eine Silbe hören wollen. Auch müssen wir beide uns ja erst näher kennen lernen. Freund, das sind Sachen, die sich noch in die Jahre hinaus verziehen können. Und während der Zeit sattelst du auch vielleicht wieder um und lachst dann in deiner lustigen Gesellschaft über meinen Gram und meine Thränen.
Nein! rief Eduard und warf sich vor ihr nieder: verkenne mich nicht, sei so gut und lieb, wie dein Auge verspricht! Und ich fühle es, dein Vater wird sich unseres Glückes freuen, er wird unsern Bund segnen! — Er umfaßte sie heftig, ohne zu bemerken, daß der Vater schon wieder hinter ihm stand. Was ist das, junger Herr? rief der Alte erzürnt aus: den Bund segnen? Nein, vertreiben, aus seinem Hause verbannen wird er den lockern Zeisig, der so sein Vertrauen und seine Neigung zu ihm mißbrauchen will.
Eduard war aufgestanden und sah ihm ernst in's Auge. Sie sind nicht gesonnen, mir Ihre Tochter zur Frau zu geben? fragte er mit ruhigem Tone.
Was! rief der Alte mit der größten Ungeduld, seid Ihr rasend, Patron? Einem Menschen, der den Nachlaß seines Vaters, die kostbarsten Bilder, verkauft und verschleudert hat? Und wenn Ihr ein Millionär wäret, ein so gefühlloser Mensch erhielte sie niemals! Ei, da würde es nach meinem Tode, vielleicht schon während meinen letzten Tagen, an ein herrliches Ausbieten meiner Schätze gehen, da würden die Bilder in alle vier Ecken der Welt fliegen, daß ich keine Ruhe in meinem Grabe hätte. Klug ist er aber, der saubre Herr. Macht mich erst recht treuherzig, bringt mir mit herrlicher Großmuth ein altes Schuldblatt seines Vaters, das er mir noch bezahlen will, kirrt mich in die Rührung hinein, damit ich nur noch großmüthiger, noch edler und heroischer werden und ihm meine Tochter an den Hals werfen soll. Nein nein, mein junger Herr, so leicht hat Er das Spiel bei mir nicht gewonnen. Die Schuld ist kassirt, ich finde keine Spur davon in meinen Büchern, und selbst, wie ich schon sagte, wenn es wäre. Auch will ich Ihm helfen, wie ich versprach, mit Rath und That, mit Freundschaft und Geld, so viel Er nur billigerweise verlangen kann. Aber mein Kind lass' Er mir aus dem Spiele, und darum verbitt' ich mir in Zukunft Seine Gegenwart in meinem Hause. Auch mag sie Ihn gar nicht, so wie ich sie kenne. Sprich, Sophie, wärst du wohl im Stande, dich mit einem solchen Thunichtgut einzulassen?
Ich mag gar noch nicht heirathen, sagte Sophie,
Er stürzte fort, und der Vater sah ihm mit zweifelndem Blicke nach und murmelte: nun ist er gar verrückt geworden.
Im Freien, als dem jungen Manne ein heftiges Schneegestöber entgegenschlug, verkühlte sich seine sonderbare Hitze; er mußte über seine Heftigkeit und jene unsinnigen Reden erst lächeln, dann laut lachen, und als er sich in seiner Wohnung befand, kam er beim Umkleiden völlig zur Besinnung. Dieser Tag war für ihn von der höchsten Wichtigkeit, denn die Stunde war jetzt da, in welcher er sich dem Prinzen, der unterdessen, wie man ihm gesagt hatte, angelangt war, vorstellen sollte. Die Kleider, welche er jetzt anlegte, hatte er lange nicht getragen, mit solcher Aufmerksamkeit hatte er sich noch nie im Spiegel betrachtet. Er musterte seine Gestalt und konnte sich nicht verhehlen, daß er gut gewachsen, daß sein Auge feurig, sein Gesicht anmuthig und die Stirne edel sei. Mein erster Anblick, sagte er zu sich selbst, wird ihm wenigstens nicht mißfallen. Alle Menschen, selbst diejenigen, die mich nicht leiden können, loben mein gewandtes und feines Betragen; ich habe manche Talente und Kenntnisse, und was mir mangelt, kann ich bei meiner Jugend, bei
Er war nun angekleidet und so trunken von seinen Hoffnungen, daß er es nicht merkte, wie er wieder die nämlichen Worte vor sich selber aussprach, über welche er sich vorhin verlacht hatte. Er nahm die ganz erblühte Monatsrose aus dem Glase und drückte sie, um sich zu seinem Gange zu stärken, an den Mund, aber zugleich fielen ihm alle ihre Blätter vor die Füße. Eine üble Vorbedeutung! seufzte er und ging aus dem Hause, um in den Wagen zu steigen.
Als er im Palast angelangt war, gab er dem Bedienten den Brief, welcher ihn dem Prinzen empfehlen sollte. Indem er den Spiegelwänden vorüber spazierte, kam zu seiner Verwunderung der junge Dietrich aus
Dies war in der That der Fall, denn eine geschmückte, in Juwelen prangende Dame schritt mit vornehmem Anstande herein und vertrieb den jungen Maler, der sich mit ungeschickten Verbeugungen entfernte. Eduard stand still, als die glänzende Erscheinung ihm näher kam; er wollte sich verneigen, aber sein Erstaunen lähmte seine Bewegung, als er in ihr jene Schöne plötzlich erkannte, die zum Nachtheil seines Rufes so lange in seinem Hause gewohnt und mehr als alle seine Verirrungen sein Vermögen verringert hatte. Wie! rief er aus, — du selbst — Sie, hier in diesen Zimmern?
Und warum nicht? sagte sie lachend. Es wohnt sich gut hier. Du merkst doch wohl, mein Freund, daß ich, wie einst deine Freundin, so jetzt die Freundin des Fürsten bin, und wenn du Etwas bei ihm suchst, so kann ich dir Ungetreuem vielleicht beförderlich sein, denn er hat mehr Gemüth, als du, und auf seine fortdauernde Gunst kann ich sicherer zählen, als es mir mit deinem Flattersinn gelingen wollte.
Eduard mochte die freundliche Schöne in dieser Stunde nicht daran erinnern, daß sie sich zuerst von
Mit einem flüchtigen Kuß, wobei die geschminkte Wange ihm einen lebhaften Widerwillen erregte, verließ sie ihn, und Eduard ging mit dem größten Mißbehagen im Saale auf und ab, da sich Alles so ganz anders gestaltete, als er es sich vorgebildet hatte. Dieses Wesen, welches er hassen mußte, in seiner neuen Umgebung zu finden, schlug alle seine Hoffnungen nieder, und er nahm sich fest vor, ihren Netzen und Lockungen zu entgehen, und wenn diese seine Tugend ihm auch die größtern Nachtheile bringen sollte.
Indem öffnete sich die Thüre, und jener ihm so widerwärtige Unbekannte trat mit seinem hoffärtigen Gange und stolzer Geberde herein.
Eduard ging ihm entgegen und sagte: vielleicht gehören Sie zum Gefolge Seiner Durchlaucht und können mir melden, ob ich jetzt die Ehre haben kann, ihm meine Aufwartung zu machen.
Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als ich. — Eduard erschrak, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er spricht mit Ihnen, antworte Jener, und mit so höhnendem und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben habe. —
Eduard, welcher indeß Zeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln, trat mit Bescheidenheit einen Schritt zurück, indem er sagte: rechnen Sie es mir, durchlauchtiger Prinz, nicht als Stolz und Uebermuth an, wenn ich dieses Geschenk, welches mir unter andern Umständen höchst ehrenvoll sein würde, in dieser Stunde ausschlage. Ich kann Ihre Art nicht mißbilligen, und Sie erlauben mir gewiß, ebenfalls meinem Gefühle zu folgen.
Junger Mann, sagte der Prinz, ich will Sie nicht verletzen, und da Sie mir Achtung abzwingen, so muß ich Ihnen auch noch sagen, daß wir uns, ungeachtet der sonderbaren Art, unsre Bekanntschaft zu machen, vereinigt hätten, wenn nicht eine Person, die ich achten und der ich glauben muß, und welche Sie vorhin in diesem Saale traf, mir so viel Nachtheiliges von Ihnen gesagt und mich dringend ersucht hätte, auf den Brief keine Rücksicht zu nehmen.
Ich werde, sagte Eduard wieder ganz heiter, dem Beispiele dieser Dame nicht folgen und sie wieder anklagen, noch mich über sie beklagen, da sie gewiß nur ihrer Ueberzeugung gemäß gesprochen hat. Wenn mir aber Ihre Durchlaucht die Gnade erzeigen wollen, das
Es freut mich, antwortete der Prinz, wenn Sie Interesse an der Kunst nehmen; ich habe zwar nur Weniges hier, aber ein Bild, das ich vor einigen Tagen so glücklich war zu dem meinigen zu machen, wiegt allein eine gewöhnliche Sammlung auf.
Sie traten in ein reich verziertes Cabinet, wo an den Wänden und auf einigen Staffeleien ältere und neuere Bilder sich zeigten. Hier ist der Versuch des jungen Mannes, sagte der Prinz, welcher allerdings Etwas verspricht, und ob ich gleich dem Gegenstande keinen Geschmack abgewinnen kann, so ist doch die Behandlung desselben zu loben. Die Färbung ist gut, wenn auch etwas grell, die Zeichnung ist sicher und der Ausdruck rührend. Nur sollte man die Marien mit dem Kinde endlich zu malen aufhören.
Der Prinz zog einen Vorhang auf, stellte Eduard in das rechte Licht und rief: sehn Sie aber hier dies gelungene, herrliche Werk meines Lieblings, des Julio Romano, und erstaunen Sie, und entzücken Sie sich!
Mit einem lauten Ausrufe, und mit einem höchst freudigen, ja lachenden Gesicht mußte Eduard in der That dies große Bild begrüßen; denn es war das wohlbekannte Machwerk seines alten Freundes, an welchem dieser schon seit einem Jahre gearbeitet hatte. Es war Psyche und der schlafende Amor. Der Prinz stellte sich
Er ist glücklich, sagte Eduard, der verkannte alte Mann, einen solchen Kenner und edlen Beschützer zum Freunde gewonnen zu haben; vielleicht ist er im Stande, die Gallerie Eurer Durchlaucht noch mit einigen Seltenheiten zu vermehren, denn er besitzt in seiner dunklen Wohnung Manches, was er selbst nicht kennt oder würdigt, und ist eigensinnig genug, seine eigenen Arbeiten oft allen ältern vorzuziehen.
Eduard empfahl sich, ging aber nicht sogleich nach
Eduard hatte nun Anstalten zu dem lustigen Abend gemacht, welchen er mit Eulenböck verabredet hatte. Vor Kurzem war ihm dieser Tag als ein lästiger erschienen, den er nur bald hinter sich zu haben wünschte; jetzt aber war seine Stimmung so, daß er sich auf diese Stunden der Betäubung freute, weil er meinte, daß sie für lange Zeit seine letzten vergnügten sein würden. Gegen Abend erschien der Alte und schleppte mit einem Diener zwei Körbe mit Wein herbei. Was soll das? fragte Eduard: ist es denn nicht ausgemacht, daß ich euch bewirthen soll? Das sollst du auch, sagte der Alte, nur bringe ich einigen Vorrath zum Succurs, weil du die Sache doch eigentlich nicht verstehst, und weil ich auch an diesem Abend recht ausgelassen sein will.
Ein trauriger Vorsatz, erwiderte Eduard, lustig sein zu wollen, und dennoch habe ich ihn auch gefaßt, mir und meinem Schicksal zum Trotz.
Sieh da, sagte Eulenböck lachend, hast du auch
Du bist unverschämt, rief Eduard aus, und glaubst witzig zu sein; oder du hast dir gar schon einen Rausch getrunken.
Kann sein, mein Kind, schmunzelte Jener, und wir wollen bald die Anstalten treffen, mich wieder nüchtern zu machen. Unser gutes Prinzchen hat mich in eine Art von Wohlstand versetzt, der, wenn ich Vernunft habe, ein dauernder sein kann; denn er protegirt mich trefflich, wird mir noch mehr abkaufen und auch Sachen von meinem eigenen Pinsel malen lassen. Er meint, ich wäre hier in dieser Stadt nicht an meiner Stelle, man erkenne mich nicht genug an, und es mangle mir an Aufmunterung. Vielleicht nimmt er mich mit und bildet mich noch zum ächten Künstler aus, denn er hat den besten Willen dazu, und ich gerade Sinn und Talent genug, um ihn zu verstehn und mir von ihm rathen zu lassen.
Schelm der du bist! sagte sein junger Freund;
Der Alte ging auf ihn zu, sah ihn starr an und sagte: Und warum nicht, Kleiner? Wenn du nur die Gabe dazu hättest! Jeder Mensch malt und pinselt an sich herum, um sich für besser auszugeben, als er in der That ist, und für ein wunderbares, köstliches Original zu gelten, da die Meisten doch nur geschmierte Copieen von Copieen sind. Hättest du meinen Gönner das Bild nur analysiren hören, da hättest du Etwas lernen können! Nun verstehe ich erst alle die Kunstabsichten des Julio Romano; du glaubst nicht, wie viel Treffliches ich an dem Bilde übersehen hatte, wie viele Stellen seines markigen Pinsels. Ja, es ist eine Freude, einen solchen Künstler so recht zu durchdringen, und wenn man ihn ganz und in allen seinen Theilen zugleich faßt, so überschleicht uns im vollständigen Gefühl seines hohen Werthes eine wohlthätige Empfindung, als hätten wir auch an seiner Herrlichkeit einigen Antheil; denn ein Kunstwerk ganz verstehen, heißt, es gewissermaßen erschaffen. Wie großen Dank bin ich meinem erlauchten Gönner und Kenner schuldig, daß er mir auch außer dem Gelde noch eine solche Fülle von Künstlerweihe zufließen läßt.
Wenn ich ihn nicht an der Tafel hätte malen sehen, rief Eduard lächelnd aus, so könnte er mich glauben machen, das Bild sei ein ächtes!
Was hast du gesehen? antwortete im Eifer der Alte: was verstehst du von der Magie der Kunst und jenen unsichtbaren Geistern, die sich durch die Farbe und Zeichnung herbei ziehn und verkörpern lassen? Das sind eben Geheimnisse für den Laien. Glaubst du denn, man malt nur, um zu malen, und daß es mit Palette, Pinsel und dem guten Vorsatze genug sei? O theurer Gelbschnabel, da müssen noch gar wunderbare Conjuncturen, astralische Einflüsse und Wohlwollen mannigfaltiger Geister zusammen treffen, um etwas Rechtschaffenes zu Stande zu bringen! Hast du es noch niemals erlebt, daß ein feinsinniger, tiefdenkender Künstler sein Tuch und Netz ausspannt und seine Pinsel in die besten Farben taucht, um das schönste Ideal in sein Netz zu locken und hinein zu kitzeln? Er hat sich redlich vorgenommen, einen Apollo zu malen, er streicht und tuscht, und wischt und bürstet, und lächelt verliebt und mit süßester Freundlichkeit die Creatur an, die aus dem Nichts und Nebel hervorgehen soll; und wenn es nun fertig ist, siehe da, so hat sich in alle die künstlichen Netze ein wahrer Lümmel eingefangen, der aus der arkadischen Landschaft uns zähnefletschend entgegen grinzt! Nun kommen die Unverständigen und schreien und toben: der Malerkerl hat kein Talent, er hat die Antike nicht gehörig verstanden, er hat statt eines Ideals ein Schmierial hervorgebracht! und was dergleichen unverdaute Urtheile mehr ausgestoßen werden. So wird alsdann das gerührte Herz des Künstlers verkannt, dem sich ein wahrer
Dietrich, welcher eingetreten war und nur die letzte Aeußerung gehört hatte, nahm sogleich Gelegenheit, diesen letzten Satz weitläufiger auszuführen. Indessen ließ Eulenböck decken und stellte die Weine in die Ordnung, nach welcher sie genossen werden sollten; nachher wandte er sich mit der Frage an Eduard: und was denkst du nun in Zukunft anzufangen?
Für's Erste nicht viel, antwortete dieser: indessen will ich meine vernachlässigten Studien wieder anknüpfen und fortsetzen und mich vorzüglich mit Geschichte und den neuern Sprachen beschäftigen. Ich schränke mich ein,
Hier also wird dein Museum sein? sagte Eulenböck, indem er mit dem Kopfe schüttelte. Diese Einrichtung will mir gar nicht gefallen, denn ich glaube nicht, daß diese Wände dazu geeignet sind, um hier gehörig studiren zu lassen, denn sie haben nicht die gehörige Resonanz, das Zimmer selbst hat nicht die wahre Quadratur, die Gedanken schlagen zu heftig zurück und verschwirren, und wenn du einmal eine rechte Fuge denken willst, so klappert gewiß Alles durch einander. Dein seliger Papa war auch darin wunderlich, noch in seinen letzten Jahren diesen schönen Saal durch seinen Eigensinn so zu verderben. Sonst sah man die Straße auf der einen Seite und hier auf der andern über den Garten und den Park hinweg in die Hügel und fernen Berge hinein. Diese schöne Aussicht hat er nicht nur zumauern lassen, sondern auch noch die Fensteröffnungen mit Bohlen und Täfelung weit herein verbaut, und so das Ebenmaß des Zimmers gestört. An deiner Stelle riß' ich das Wesen, Tapeten und Vertäfelung wieder auf und ließe, wenn doch einmal Fenster fehlen sollen, jene nach der Straße vermauern.
Es war kein Eigensinn, sagte Eduard, es geschah,
Wäre nur der alte Walther kein Narr, fuhr Eulenböck fort, so wäre dir leicht geholfen. Er könnte dir das Mädchen geben, die ja doch versorgt werden muß, und Alles wäre wieder in Ordnung!
Schweig! rief Eduard mit der größten Heftigkeit aus; nur heute laß mich vergessen, was ich hoffte und träumte. Ich mag nicht mehr an sie denken, seit ich zu meinem Entsetzen fühlte, daß ich sie liebe. Ich will es mir nicht wiederholen, wie albern und thöricht ich mich gegen den Vater betrug; Nichts soll mir heut einfallen, auch ihre unbegreifliche Aufführung nicht. Nein, es gab ein herrliches Glück für mich, ich habe es zu spät erkannt; das ist die Strafe meines Leichtsinns, daß ich auf ewig darauf verzichten muß! Wie ich aber ohne sie leben soll, muß ich erst von der Zukunft lernen.
Indem trat der junge Mensch herein, der bis jetzt Eduard's Bibliothekar vorgestellt hatte. Hier ist der Katalog, welchen Sie befohlen hatten, sagte er, indem er dem beschämten Jünglinge einige Blätter überreichte. Wie? rief dieser aus, nicht mehr als nur etwa sechshundert Bände sind noch von der schönen Sammlung übrig? Und unter diesen nur die gewöhnlichsten Werke? Der Bibliothekar zuckte mit den Achseln. Da Sie mir gleich vom Anbeginn, erwiderte er, meinen Gehalt in
So hätt' ich also, sagte Eduard halb in Wehmuth, halb mit Lachen, gewiß besser gethan, gar keinen Bibliothekar anzunehmen, oder die Sammlung gleich anfangs zu verkaufen, dann hätte ich Geld dafür gehabt, oder die Bücher behalten. Und welche Sammlung! Mit welcher Liebe hat sie mein Vater gehegt! Welche Freude war es ihm, als er den seltnen Petrark, die erste Ausgabe des Dante und Boccaz erhielt! Wie konnt' ich es vergessen, daß sich in den meisten Büchern Nachweisungen von seiner Hand finden! Wie wollt' ich diese Werke ehren, wenn ich sie noch besäße! Uebrigens, da ich keine Bibliothek mehr habe, werden Sie ermessen, wie ich Ihnen auch schon neulich meldete, daß ich keines Bibliothekars mehr bedarf. Indessen wollen wir heut noch mit einander fröhlich sein.
Jetzt trat auch der Mann herein, der oft an den wilden Gelagen Theil genommen hatte, und den sie wegen seiner Gesinnungen immer nur den Pietisten nannten. Sie hatten ihm diesen Namen beigelegt, weil er nie in die heitern Scherze oder ausgelassene Fröhlichkeit der andern stimmte, sondern unter Murren und
Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm
Da wir nun nicht alle der Begeisterung fähig sind, so sitzen wir hier an diesem Tische, wie an einem Kreuzwege, an welchem sich viele Straßen in mannigfaltigen und entgegengesetzten Richtungen scheiden. Auf dergleichen Hauptstationen pflegen auf pyramidalischer Säule die Entfernungen der Städte nach allen vier Weltgegenden verzeichnet zu stehn. So mag es auch hier, in einem nicht unerfreulichen Bilde, gelten. Diese Austern führen, übermäßig genossen, zur Krankheit, dieser Burgunder nach
Da Eduard nachdenkend war und Dietrich in der Gesellschaft noch fremd, der Bibliothekar und Pietist keine Miene verzogen, so herrschte während und nach der Rede ein tiefes Stillschweigen, welches dadurch noch feierlicher wurde, daß der Buchhalter, der schon manches Glas geleert hatte, schluchzte und jammerte.
Heut ist der Abend der heiligen Drei-Könige, sagte Eduard, und wie es noch in manchen Gegenden Sitte ist, sich an diesem Tage zu beschenken, so wünsche ich, daß meine bisherigen Genossen und Freunde auch diese Nacht in froher Geselligkeit mit mir verbringen.
An diesem Abend, fuhr Eulenböck fort, ist es nicht unschicklich, einmal anders als gewöhnlich zu leben; daher waren sonst Glücksspiele gebräuchlich, wenn sie auch übrigens verboten waren. Und wie gut wäre es für dich, Freund Eduard, wenn heute auch dein Glücksstern von Neuem erwachte, daß dem verarmten Verschwender ein neues Vermögen bescheert würde. Man
Ohne daß du immer wieder auf diesen Vorwurf zurück kömmst, sagte Eduard empfindlich, schilt mein eignes Gewissen meinen Leichtsinn und thörichte Verschwendung. Wären die Leidenschaften nicht unbändig, die ihren Stolz darein setzen, die Vernunft zu verhöhnen, so hätten die Moralprediger nur leichte Arbeit. Es ist ganz begreiflich, wenn die armen Menschen glauben, von bösen Geistern besessen zu sein. Denn wie soll man es erklären, daß man dem Schlimmen folgt, indem man das Bessere einsieht, ja daß wir oft zum Letztem selbst in unsern wildesten Stunden mehr Trieb, als zum Unrecht empfinden und dennoch, uns selbst zum Trotz,
So ist es, sagte der Pietist: der Mensch an sich taugt Nichts, er ist gleich in der Schöpfung mißrathen. Er kann nur geflickt werden, und die Lappen bleiben immer auf dem alten schäbigen Tuche sichtbar.
Ja wohl, seufzte das Krokodill, es ist zu bejammern und immer wieder zu bejammern. Die Thränen stoßen ihm dicht aus den weinglühenden Augen.
Als du mich zum ersten Mal in jene Weinschenke führtest, fuhr Eduard zum alten Maler gewendet fort, machte es mir denn Freude, mich in dem Kreise dieser rohen und langweiligen Menschen zu sehn? Ich war beschämt, als der Herr der Schenke mir mit einer Ehrfurcht entgegen kam, als sei ich einer der Götter, vom Olymp herabgestiegen. Dergleichen Ehre war seinem Hause noch niemals widerfahren. Bald gewöhnte man sich an die Gegenwart meiner Herrlichkeit, und immer zog es mich wider meinen Willen in den Weinduft des Zimmers, in das schreiende Gespräch und an meine Wand hin, wie ein Zauber, der auch nicht riß, als die Gesichter des Wirthes und seiner Leute kälter, ja verdrossen wurden, als man mein Wort nicht mehr beachtete und geringere Gäste anständiger behandelte; denn durch meine Nachlässigkeit war ich schon in eine
Sei still, Sohn, rief Eulenböck, du hast auch mancher armen Familie Gutes gethan.
Laß uns davon schweigen, antwortete Eduard in Unmuth: auch das geschah ohne Sinn, so wie ich ohne
Das ist freilich schlimm, sagte der Alte, und was den lieblichen Wein betrifft, eine Sünde. Aber seid munter und trinkt, ihr wackern Gehülfen, damit auch der Wirth in die Stimmung komme, die ihm geziemt.
Es bedurfte aber dieser Aufmunterung nicht, denn die Tischgesellschaft war unermüdet. Selbst der junge Dietrich trank fleißig, und Eulenböck ordnete an, wie die Weine auf einander folgen sollten. Heute gilt es, rief er aus, die Schlacht muß gewonnen werden und der Sieger erzeigt dem Besiegten keine Gnade. Seht in mein kriegerisches Antlitz, ihr jüngern Helden, hier hab' ich die rothe Blutfahne dräuend ausgehängt, zum Zeichen, daß kein Erbarmen stattfinden soll! Nichts in der Welt wird so mißverstanden, Freunde, als der scheinbar einfache Actus, den die Menschen so obenhin trinken nennen, und seine Gabe wird so verkannt, so wenig gewürdiget, als der Wein. Könnt' ich wünschen, der Welt einmal nützlich zu werden, so möcht' ich eine aufgeklärte Regierung dahin bewegen, einen eignen Lehrstuhl zu errichten, von wo herab ich die unwissende Menschheit über die trefflichen Eigenschaften des Weines unterrichtete. Wer trinkt nicht gern? Es gibt nur wenige Unglückselige, die das mit Wahrheit von sich versichern können. Aber es ist ein Erbarmen, anzusehn, wie sie trinken, ohne alle Application, ohne Stil, Schatten und Licht,
Und wie muß man es eigentlich anfangen? fragte Dietrich.
Anfangs, erwiderte der Alte, muß man durch stille Demuth und einfachen Glauben, wie in allen Künsten, den Grund legen. Nur ja keine vorzeitige Kritik, kein spürendes, naseweises Schnüffeln, sondern ein edles, vertrauensvolles Dahingeben. Kommt der Schüler weiter, nun so mag er auch unterscheiden; und trifft der Wein nur Lehrbegier und Sitteneinfalt, so unterrichtet auch sein Geist von innen heraus und weckt mit dem Enthusiasmus zugleich das Verständniß. Nur nicht die Uebung, als das Hauptsächlichste, hintangesetzt, keine leere Schwärmerei, denn nur die That macht den Meister.
O wie wahr! seufzte der Buchhalter, indem er seinen Thränen keinen Einhalt that. — Worte, sagte der Pietist, die der gemeine Haufe goldne nennen würde.
Wäre das Trinken, fuhr Eulenböck fort, keine Kunst und Wissenschaft, so dürfte es auch nur einerlei Getränk auf Erden geben, so wie das unschuldige Wasser schon diese Rolle spielt. Aber der Geist der Natur versenkt sich auf lieblich anmuthige Weise wechselnd und spielend hier und dort in die Rebe und läßt sich im wundersamen Ringen keltern und verklären, um über den magischen Weg der Zunge in unser Inneres zu steigen und
Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt sein, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.
Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. „Das
Laßt's Euch nicht irren, ehrlicher Mann, sagte Eulenböck, Eure Tugend meint es gut, und wenn Ihr die Sache anders anseht, als ich, so trinkt Ihr wenigstens denselben Wein, und fast eben so viel, als ich selber. Die That vereinigt uns, wenn uns das System aus einander führt. Wer versteht sich heut zu Tage? Davon ist auch gar nicht die Rede mehr. Ich wollte nur noch bemerken, wenn es auch mit dem Vorigen gar nicht zusammen hängt, daß mir die Art, wie Menschen und Aerzte den Nahrungsproceß und die sogenannte Assimilation ansehen, höchst einfältig vorkommt. Der Eichenbaum wird aus feinem Samenkorne eine Eiche, und die Feige bringt den Feigenbaum hervor, und wenn sie auch Luft, Wasser und Erde bedürfen, so sind es doch diese Elemente nicht eigentlich, aus denen sie erwachsen. So erweckt die Nahrung in uns nur die Kräfte und den Wachsthum, bringt sie aber nicht hervor; sie giebt die Möglichkeit, aber nicht die Sache,
Und welchen ziehen Sie vor? fragte Dietrich.
Jüngling, sagte der Alte, diese Frage ist zu verwickelt, setzt unendliche Erfahrung, historischen Ueberblick, abgelegtes Vorurtheil und einen nach allen Richtungen ausgebildeten Geschmack voraus, den nur viele Jahre, fortgesetzte Arbeit und unermüdliches Studium, so wie dir Mittel dazu, die nicht in Jedermanns Händen sind, fassen und lösen können. Einiges Encyklopädische wird dir hinreichen. Fast jeder Wein hat sein Gutes, fast alle verdienen gekannt zu werden. Ist in unserm Vaterlande der Neckar fast nur, den Durst zu löschen, da, so erhebt sich der Würzburger schon zum Edeln, und die vielfachen hohen Sorten des Rheinweins lassen sich nicht in der Eile charakterisiren. Ihr habt sie hier vor euch stehn gehabt und genossen. Diese trefflichen Wogen, vom leichten Laubenheimer bis zum starken Nierensteiner, gewaltigen Rüdesheimer und tiefsinnigen Hochheimer, mit allen ihren verwandten Fluthen gehörig zu preisen, dazu gehört mehr als die Zunge eines Redi, der in seinem toscanischen Dithyrambus doch nur mittelmäßig gefaselt hat. Diese Geister gehn rein und klar, kühlend und den Sinn erläuternd den Gaumen hinunter. Soll ich es vergleichen, so ist es die ruhige Gediegenheit trefflicher Schriftsteller, Gemüth und Fülle ohne Phantasterei oder schwärmerische Allegorie. Was ist nun der
So hatte meine Ahnung ja doch recht, rief Dietrich begeistert aus: dieser ist denn im Weinreich, was der alte Eyck oder Hemling, vielleicht auch der Bruder Johann von Fiesole unter den Malern sind. So schmeckt ja auch diese lieblich rührende und tiefe Farbe, die ohne Schatten doch so wahr, ohne Weiße so blendend und überzeugend ist. So sättigt und berauscht der Purpur des Gewandes, und so mildert und sänftigt das Feuer das milde Blau, das schwärmende Violett. Alles ist Eins, und klingt in unserm Geist zusammen!
Ausgenommen Eulenböck's Nase, rief der ganz trunkene Bibliothekar aus: die hat keinen Scharlach mehr, keine Uebergänge in den Tönen, um sie mit dem Gesicht in Verbindung zu setzen, sondern jenes violette Dunkelroth bratet in ihrer Zauberküche, wie unterirdisch in den Reichen der feuchten Nacht die rothe Rübe gerinnt, aller Sonne abgewandt. Soll dies Gewächs wohl dem Leben angehören? Soll der Weingott es so aufgefüttert haben? Nimmermehr! Es ist ein ungeschlachtes Gehäuse, ein widerwärtiges Etui für Bosheit und Lüge.
Leerer Schwulst, rief der Buchhalter, morscher Glanz, hinfällige Sterblichkeit! Und krumm, baufällig steht sie auch noch in dem unterminirten Gesicht, so daß sie mit ihrer Wucht bald den ganzen Mann in Trümmer drücken kann. Kerl! wo hast du die unverschämt schiefe Nase her?
Ruhig, Krokodill! schrie Eulenböck, indem er heftig auf den Tisch schlug: will das Geziefer die Welt reformiren? Jede Nase hat ihre Geschichte, ihr Naseweise.
Erzähle, Alter! riefen die jungen Leute.
Geduld! sprach der Maler. Die Physiognomik wird immer eine trügliche Wissenschaft bleiben, eben weil sie auf Barbiere, Weinschenken und sonstige historische Umstände zu wenig Rücksicht nimmt. Freilich ist das Gesicht der Ausdruck des Geistes; aber es leidet unter der Art, wie man damit hantiert, auffallend. Die Stirn hat es ihrer Festigkeit nach am Besten, wenn sich der Mensch nicht gewöhnt, alle kleinen Leidenschaften, Verdruß und Mißbehagen durch Faltenziehen darauf zu malen. Seht, wie edel ist die unsers Eduard, und wie viel schöner würde sie noch sein, wenn der junge Bursche mehr gedacht und sich beschäftigt hätte! Die Augen, ihrer Beweglichkeit nach hin und her rennend, conserviren sich in ihrem Spiel auch noch leidlich, man müßte sie denn ausweinen, wie unser krokodillischer Freund dort. Schlimmer ist es schon mit dem Munde; der schleift sich bald durch Schwatzen und fades Lächeln ab, wie bei unserm werthen Bibliothekar; wischt Einer nun gar nach Essen und Trinken übermäßig daran, so wird er bald unkenntlich, besonders, wenn man aus falscher Scham etwa die Lippen immer nach innen kneipt, wie unser trefflicher Pietist, der die Röthe derselben wohl für Lüge und unnützen Schwulst erklärt. Aber die Nase, die
Lautes Lachen hatte diese Erzählung begleitet; jetzt forderte der Bibliothekar ungestüm Champagner, und der Buchhalter schrie nach Punsch. Eulenböck aber rief: O ihr gemeinen Seelen! Nach dieser Himmelsleiter, die ich euch habe hinauf klettern lassen, um in das Paradies zu schauen, kann auch ein so unedler, manierirter,
Er schlug auf den Tisch; aber die Uebrigen, Eduard ausgenommen, erwiderten diese Geberde so heftig, daß von der Erschütterung die Flaschen tanzten und mehrere Gläser zerschmetternd auf den Boden stürzten. Hierüber ward Gelächter und Tumult noch lauter, man sprang auf, andre Gläser zu holen, und Dietrich rief: Es ist so kalt, eiskalt hier geworden, und dagegen würde der Punsch helfen.
Es war Lief in der Nacht, die Diener hatten sich entfernt, man wußte nicht, wie man den Ofen wieder heizen sollte; auch gestand Eduard, daß sein Holzvorrath völlig zu Ende sei und er morgen mit der Frühe erst neuen wieder herbeifahren lasse. Was meint ihr? rief der ganz berauschte Dietrich, unser Wirth hat doch beschlossen, dies Zimmer auf neue Art einzurichten: wenn wir diese unnütze Vertäfelung, diese Bretter, welche die Fenster bedecken, herausbrächen, und in dem großen altfränkischen Kamin hier ein herrliches deutsches Feuer anzündeten? Dieser tolle Vorschlag fand bei den verwilderten Gästen sogleich Gehör und lauten Beifall, und
Plötzlich wurde die Gesellschaft noch auf eine eben so unerwartete als unangenehme Art vermehrt. Die Nachbarschaft war unruhig geworden, und die Wache, welche ebenfalls das ungeheure Getümmel vernommen hatte, trat jetzt, einen Offizier an ihrer Spitze, herein, da sie das Haus unverschlossen gefunden hatten. Sie forschten nach der Ursache des Getöses, und weshalb man Feuer geschrieen habe. Eduard, der ziemlich nüchtern geblieben war, suchte ihnen Alles zu erklären, um
Walther war eben vom Tisch aufgestanden, als Erich eilig zu ihm in den Gemäldesaal trat. Was ist dir, mein Freund? rief der Rath aus: hast du Geister gesehen? — Wie du es nimmst, erwiderte Erich: mache dich auf eine außerordentliche Nachricht gefaßt. — Nun? — Was gäbest du wohl, was thätest du wohl dafür, wenn alle die verlorenen Malereien deines seligen Freundes, jene unschätzbaren Kostbarkeiten wieder da wären und dein werden könnten?
Himmel! rief der Rath aus und verfärbte sich: ich habe keinen Athem. Was sagst du? — Sie sind da, rief Jener, und können dein Eigenthum werden, — Ich habe kein Vermögen, sie zu kaufen, sagte der Rath: aber Alles, Alles würde ich geben, sie zu erhalten, meine Gallerie und Vermögen, aber ich bin zu arm
Ohne Antwort rannte der Alte hinaus und zur Tochter hinüber. Im Streit mit dieser kam er zurück. Du mußt mein Glück machen, geliebtes Kind, rief er aus, indem er mit ihr herein trat: von dir hängt nun die Seligkeit meines Lebens ab. Die erschrockene Tochter wollte immer noch widersprechen, aber auf einen heimlichen Wink Erich's, den sie zu verstehen glaubte, schien sie endlich nachzugeben. Sie ging fort, sich umzukleiden; denn bei Erich warteten, wie dieser erklärte, die Bilder und der Freiwerber auf sie. Unter welchen sonderbaren Gedanken und Erwartungen suchte sie ihren besten Schmuck hervor; konnte sie sich in Erich nicht irren? Hatte er denn auch sie verstanden? Hatte sie ihn richtig gedeutet? Walther war ungeduldig und zählte die Augenblicke; endlich kam Sophie zurück.
In Erich's Hause waren alle jene Gemälde im besten Lichte aufgehangen, und es wäre vergeblich, des Vaters Erstaunen, Freude und Entzücken beschreiben zu wollen. Die Bilder waren, so behauptete er, bei Weitem schöner, als er sie in seiner Erinnerung gesehen hatte. Du sagst, der Liebhaber meiner Tochter sei jung, wohlerzogen, von gutem Stande, du giebst mir dein Wort darauf, daß er ein ordentlicher Mann sein wird und niemals nach meinem Tode diese Bilder wieder veräußern? Wenn dies Alles so ist, so braucht er kein
Eine Seitenthür öffnete sich, und Eduard trat ungefähr so gekleidet herein, wie der ihm ähnliche Schäfer auf dem alten Gemälde von Quintin Messys stand. — Dieser? schrie Walther: woher haben Sie die Gemälde? Als ihm Eduard den sonderbaren Vorfall erzählt hatte, nahm der Alte die Hand der Tochter und legte sie in die des Jünglings, indem er sagte: Sophie wagt viel, aber sie thut es aus Liebe zu ihrem Vater; ich denke, mein Sohn, du wirst nun klug und gut geworden sein. Doch, eine Bedingung: ihr wohnt bei mir und Eulenböck kommt nie über meine Schwelle, auch siehst du ihn mit keinem Auge wieder. Gewiß nicht, antwortete Eduard: überdies reiset er mit dem fremden Prinzen von hier fort.
Man ging nach dem Hause des Vaters. Dieser führte den Jüngling in seine Bibliothek: hier, junger Mensch, sagte er, findest du auch deine Seltenheiten wieder, die dein lustiger Bibliothekar mir für ein Spottgeld verkauft hat. Du wirst diese Schätze deines Vaters künftig heiliger halten.
Die Liebenden waren glücklich. Als sie allein waren, schloß Sophie den Jüngling herzlich in die Arme. Ich liebe dich innigst, mein Freund, flüsterte sie ihm zu, aber ich mußte neulich dem Eigensinne meines Vaters nachgeben und mich damals und heute stellen, als gehorchte ich ihm unbedingt, um erst nicht alle Hoffnung aufzugeben und heute ohne Widerspruch dein zu sein;
Nach wenigen Wochen waren sie vermählt. Es ward dem Jünglinge nun nicht schwer, ein ordentlicher und glücklicher Mann zu werden; an seine wilde Jugend dachte er im Arme seiner Frau und im Kreise seiner Kinder nur wie an einen schweren Traum zurück. Eulenböck hatte mit dem Prinzen die Stadt verlassen, und mit ihm zugleich der sogenannte Bibliothekar, der jene Stelle als Secretär beim Prinzen erhielt, um welche Eduard sich bemüht hatte, und nach einigen Jahren die lockre Schöne heirathete, die unserm jungen Freunde einen so übeln Ruf in seiner Vaterstadt verursachte und fast die Veranlassung seines Unglücks geworden war.