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]]>Joseph Schreyvogel, der abwechselnd als Thomas und K. A. West geschrieben hat, ist geboren zu Wien 1768, hielt sich in den neunziger Jahren zu Jena auf, wo er anonym in Schillers Thalia ein Lustspiel und in die Jenaer Literaturzeitung Recensionen lieferte; wurde 1802 in Wien an Kotzebue's Stelle Hoftheatersecretär, vertauschte jedoch diese Stelle mit einer geschäftlichen und einer publicistischen Thätigkeit und kehrte erst 1814 zu ihr zurück, wo er unter Dietrichstein seine bekannte Leitung des Burgtheaters antrat, das ihm seine Blüte und seinen Ruhm zu danken hatte. Dietrichstein's Nachfolger in der Intendanz, Graf Czernin, vertrug sich nicht mit der Alleinregierung des Secretärs-Dramaturgen, der im Mai 1832 pensionirt wurde und am 28. Juli desselben Jahres als eines der ersten Opfer der Cholera starb.
Die Liebesgeschichte seines „Samuel Brink“ ist nicht bloß die beste Erzählung, die wir von ihm bieten können, sondern sie verdient wohl auch eine der musterhaftesten Leistungen aus der Epoche der älteren Erzählungsweise genannt zu werden. Die Einfachheit, mit welcher sie sich bewegt, ist nicht so künstlerisch vollendet, wie man dies von der heutigen Novelle erwarten darf: es ist vielmehr eine Schlichtheit, die sich unbedenklich gehen läßt, ohne übrigens im rasch dahin gleitenden Flusse des Erzählens jemals an das Gewöhnliche anzustreifen. Die Herzenskämpfe, die sich ergeben, sind mit edler Wahrheit geschildert, und es ist dem Verfasser, Angesichts der Zeit, worin er schrieb, besonders anzurechnen, daß sich in seine Darstellung kein falscher Blutstropfen ungesunder Sentimentalität eingeschlichen hat. Vielmehr schwebt über dem Selbstbekenntnisse des Helden
Die Achse hält den Weg noch zweimal aus, schrie Paul, macht nur den Riemen geschwind zurecht, daß wir fortkommen! — Ei, wenn Er's besser versteht, brummte der Schmied, meinetwegen!
Was giebt's denn, Paul? sagte ich, aus der Kalesche zurücksehend. — Unnöthigen Aufenthalt, erwiderte Paul: der Schaden könnte längst ausgebessert, und wir schon auf der Station sein, wenn der wunderliche Mann nicht so viele Bedenklichkeiten hätte. — Nun, nun, wir haben so große Eile nicht, sagte ich, indem ich aus dem Schlage stieg; mach' Er seine Sache fein ordentlich, Meister Schmied! — Das ist etwas Anders! hörte ich jetzt Paul brummen; sonst währt dem Herrn gleich Alles zu lange.
Ich ließ meinen Paul stehen und ging in den Hof der Dorfschenke, wo ich ein hübsches, ziemlich wohlgekleidetes Mädchen mit der Wirthin sprechen sah. Das Mädchen trug einen kleinen Bündel unter dem Arme und schien ihren Weg, den sie dem Ansehen nach zu Fuße gemacht hatte, eben fortsetzen zu wollen. In anderthalb Stunden, hörte ich die Wirthin zu ihr sagen, können Sie auf der Station sein; ob Sie aber den Postwagen noch antreffen werden, weiß ich nicht; er geht gewöhnlich früher durch. — Das Mädchen erwiderte einige Worte, die ich nicht verstehen konnte, und kehrte
Nun, ist der Wagen fertig? fragte ich, — Das geht so geschwind nicht, Herr! Aber der Meister macht es recht ordentlich. — Sieh, wo der Postillon ist, erwiderte ich ernsthaft. Paul ging, mit drollig-bedenklichem Kopfschütteln. — Ich sah mich nach den zwei Burschen um, deren ungeschliffenes Betragen das schöne Mädchen erröthen gemacht und mir, ohne ihr Verdienst
Wo bleibt denn der Postillon? rief ich meinem Paul entgegen, indem ich in die Kalesche stieg. — Er kommt schon, Herr! und der Meister Schmied ist auch bald fertig, wie ich sehe. Wir holen die flinke Dirne schon noch ein. — Ich glaube, du träumst, Alter? sagte ich; aber mach fort! Hier ist Geld; und knickere mit dem Schwager nicht! Er soll fahren, wie recht ist. — Es war angespannt. Paul schwang sich, mit etwas steifer Hastigkeit, auf den Sitz des Postillons, und fort rollte der Wagen, in der Richtung hin, welche „das flinke Mädchen“ und die zwei wilden Bursche genommen hatten.
Es war ein herrlicher Sommerabend. Die untergehende Sonne übermalte den leichtbewölkten Himmel mit ihren schönsten Farben. Die fruchtbare Landschaft, von Hügeln und Thälern durchschnitten, ruhte, wie ihre Bewohner, von dem Geräusch und den Mühen des Tages. An beiden Seiten der Straße lagen, in ziemlicher Ferne, einige Dörfer, zu denen die Heerden und hin und wie-
Jetzt lichtete sich das Gehölz; ein Theil der Straße wurde sichtbar. Mir däuchte, ich erblicke die Gestalt, die mein unruhiges Auge suchte: aber Baumgruppen deckten die flüchtige Erscheinung wieder. Bald schien mir, ich sehe die Gestalt noch einmal, nicht weit von uns, und die zwei rohen Gesellen hinter ihr. — Sie sind's! schrie Paul, als wir sie beinahe erreicht hatten. — Die Bursche mochten den Wagen bemerkt haben; sie blieben ein wenig zurück, desto rascher ging das Mädchen vorwärts. Ich rief dem Postillon zu, seine Pferde etwas anzuhalten, was ihm aber nicht sogleich gelang. Als wir an dem Mädchen vorbeifuhren, schien sie mich und Paul zu erkennen; sie verdoppelte ihre Anstrengung, um uns nachzukommen. Da wendete sich der Weg, und ein Gebüsch verbarg sie uns aufs Neue.
Plötzlich vernahmen wir einen Schrei hinter uns. Der Postillon hatte die Pferde eben zum Stillstehen gebracht. Ich sprang aus der Kalesche und flog dem Orte des Angriffes zu, den mir ein wiederholtes Zuhülferufen
Paul und der Postillon kamen lachend auf uns zu. Sie hatten die Flüchtlinge nicht erreichen können und mußten sich begnügen, sie waldeinwärts verjagt zu haben. Das Mädchen ward nun erst ihren zerstörten Anzug gewahr; verschämt entfernte sie sich von uns, um ihn ein wenig zu ordnen und ihren zerstreuten Bündel zu suchen, der etwa fünfzig Schritte zurück am Wege lag. Paul sah ihr mit innigem Vergnügen nach, und der Postillon, dessen glotzende Augen der schlanken Gestalt gleichfalls nachstarrten, murmelte schmunzelnd: Blitz! 's ist eine hübsche Dirne! — Ich dächte, Herr, sagte Paul, wir
Ich ging dem Mädchen, das sich langsam näherte, einige Schritte entgegen und bot ihr meinen Arm. Sie hatte sich ziemlich gefaßt und nahm meinen Antrag, sie auf die nächste Station zu führen, mit bescheidenem Danke an. Paul stand schon mit seinem Staubmantel da, als wir zu der Kalesche kamen, und nöthigte ihn meiner Begleiterin ohne Umstände auf. Dafür nahm er ihr das Bündelchen ab und brachte es in dem Wagensitze unter. Von dem Postillon hörten wir jetzt zum großen Schrecken des Mädchens, daß die Diligence, auf welcher sie einen Platz nach der Hauptstadt hatte nehmen wollen, schon vor mehreren Stunden weiter gefahren sei; sie war um so mehr bestürzt darüber, weil sie ihren Koffer vorausgesendet hatte, und dieser, wie sie fürchtete, verloren sein möchte. — Das wird sich Alles finden, rief Paul in bester Laune; wer weiß, Mamsellchen, wozu
Der Vollmond stieg aus dem Waldesgrund empor und' erhob die Abenddämmerung zu einem zweifelhaften Tageslichte. Ich lehnte behaglich in meiner Wagenecke, aus der ich von Zeit zu Zeit einen Blick auf meine schöne Nachbarin warf, welcher ihr Staubmantel den Reiz einer drolligen Vermummung gab. Da ich darüber scherzte, sah sie sich flüchtig an und lachte sehr anmuthig ein paar Mal auf. Allmählich ward sie heiter und ziemlich gesprächig. Ich erfuhr nun, daß sie Margaretha Berger heiße und die Tochter eines Forstbeamten auf den Gütern des Grafen von * * sei, wo sie bis in ihr vierzehntes Jahr eine recht glückliche Jugend verlebt habe. In diesem Alter habe sie ihren Vater und ein Jahr später auch ihre Mutter verloren, ohne daß ihre Eltern ihr einiges Vermögen hinterlassen hätten. Die Schwester ihrer Mutter, selbst Wittwe eines herrschaftlichen Rentmeisters, habe sie dann zu sich genommen und ihre Erziehung mit Liebe und Sorgfalt vollendet. Da jedoch ihre Tante selbst nur von einer geringen Pension gelebt und mit den Verwandten ihres verstorbenen Mannes in Erbschaftsstreitigkeiten verwickelt worden, habe sie Gretchen, zu ihrem besseren Fortkommen, in einem anständigen Hause
Ein Strom von Thränen unterbrach hier Gretchens Erzählung. Sie verbarg das Gesicht an der Seite des Wagens und weinte eine Zeitlang heftig. Verzeihen Sie, mein Herr! sagte sie dann; ich besitze die Kunst noch nicht, mich vor Fremden gehörig zu benehmen. Wiewohl eine vater- und mutterlose Waise, fand ich doch in dem Hause meiner Tante die mütterliche Nachsicht und Zärtlichkeit wieder; ich durfte weinen und mich laut freuen: — unter fremden Menschen, weiß ich wohl, schickt sich das nicht. — Was ein so gutgeartetes Geschöpf empfindet, sagte ich, indem ich Gretchens Hand ergriff, darf es auch äußern. Und bin ich Ihnen denn fremd, liebes Kind? Mir sind Sie es nicht mehr.— Mein Ton oder meine Worte mußten Gretchens Herz getroffen haben, denn sie sah mir mit ihren großen blauen Augen so mild und vertrauensvoll ins Gesicht, daß ich versucht war, das holde, hülfebedürfende Wesen an meine Brust zu drücken. Aber ich bezwang mich, indem ich sie fragte, warum sie nach dem Unglücke, das ihr begegnet, nicht in ihre Heimath zurückgekehrt sei, wo sie doch noch einige Bekannte haben müsse? — Keine, die etwas für mich thun könnten oder wollten, erwiderte Gretchen. Die
Ich fragte um den Namen der Familie, an welche sich Gretchen in der Residenz wenden wollte. Sie nannte mir eine Frau von Reichard, Banquiers-Wittwe, welche ich einige Mal gesehen, und von der ich viel Gutes gehört hatte. Das Haus hat den besten Ruf, sagte ich; vielleicht, Gretchen, finden Sie da einen Theil dessen wieder, was Sie verloren haben. Ich will Sie in die Stadt bringen, liebes Kind; seien Sie guten Muthes! — Die lebhafteste Freude glänzte in Gretchens Augen; sie drückte fühlbar meine Hand und war im Begriff, sie noch einmal gegen ihre Lippen zu führen. Das verwirrte mich; mit einiger Hast zog ich meine Hand zurück, so daß Gretchen mich betroffen ansah. Ich glaube, ich ward roth; unwillkürlich schlug ich die Augen nieder. Zum Glücke fuhr der Wagen eben in das Posthaus, und Paul stand schon vor dem offenen Schlage. — Wir bleiben doch hier? sagte er, indem er mir heraushalf. — Ja, Paul; besorge ein abgesondertes Zimmer für Mamsell Berger.
Ich spazierte über den Hof zum Thor hinaus, um mich noch ein wenig im Freien zu ergehen. Es war inzwischen Nacht geworden. Der Arktur stand am nordwestlichen Himmel, im Zenith funkelte die Lyra, und ostwärts strahlte, wie zu ihr ausschwebend, der Adler. Aber vor mein Gemüth traten zwei milde Augensterne, und meine Blicke wandten sich von dem Glanz der Himmelslichter dem sanften Scheine des irdischen Gestirnes zu, das mir so unvermuthet aufgegangen war. Wie steht es mit dir, Samuel? sagte ich zu mir selbst. Bist du nicht zu Jahren gekommen und halb und halb ein Philosoph? Doch hier unten, wie dort oben, wirkt die Natur nach ihren ewigen, einfachen Gesetzen. Die Bahn der Gestirne altert nicht, eben so wenig der mächtige Trieb der Herzen. Was haben wir voraus mit unserer Erfahrung und Weisheit, als die Fähigkeit, unsere Wünsche und Neigungen früher zu verstehen und — darüber zu lächeln? — Bedenke deine Jahre, Samuel! bedenke deine Jahre!
Als ich langsam gegen das Posthaus zurückging, kam mir Paul daraus entgegen, um mir zu sagen, daß
Bedenke deine Jahre, Samuel! sagte ich noch einmal zu mir selbst, nachdem ich meinen Paul stumm verabschiedet und mich halb ausgekleidet auf das Bett geworfen hatte, worin endlich der Schlaf meinen umherschwärmenden Gedanken ein Ziel setzte.
Wie viel ist die Uhr, Paul? fragte ich, indem ich aus dem Bette sprang, so leicht wie ein Fahnenjunker, der die erste Parade beziehen soll. — Gleich sechs, Herr! sagte Paul. — Was? rief ich. Und warum hast du mich nicht um vier Uhr geweckt, wie ich dir befahl? — Ei, Herr, erwiderte Paul, Sie schliefen so wunderfest, daß ich Sie noch vor einer Stunde nicht wecken mochte, wo ich schon zum zweiten Male hereinkam. — Ich glaube, du treibst deine Kurzweil mit mir, alter Träumer. — Ich träume nicht, Herr. — Da schläft wohl Gretchen auch noch, fuhr ich nach einer Weile fort, indem ich meine übernächtige Figur im Spiegel betrachtete. — O, sagte Paul, die treibt sich schon seit anderthalb Stunden im Garten, im Hühnerhof und draußen im Felde herum; das Mädchen ist lauter Leben, und die Wirthschaft scheint recht ihr Element zu sein. Das wäre ein anderes Ding, Herr, als unsere alte Sibylle im Hause. — Meinst du? sagte ich zerstreut. Aber laß das Frühstück bringen, Paul, und bitte Gretchen, dazu herauf zu kommen.
Ich hatte große Lust, mir selbst ins Gesicht zu lachen, wie ich so vor dem Spiegel da stand, — sobald Paul aus der Thür war. Das hat ein Liebhaber von zwei und fünfzig Jahren vor einem von zwanzig voraus, sagt' ich, daß er mit Appetit essen und, wenn's glückt, seine acht oder neun Stunden schlafen kann. Ich hätte
Das Frühstück kam, und Gretchen trippelte herein, mir einen guten Morgen bietend. Sie sah aus wie der Morgen selbst nach einer erfrischenden Sommernacht. Fand ich sie gestern lieblich und anziehend, so erschien sie mir heute in dem vollen Glanze des blühendsten Jugendreizes. — Es ist doch eine köstliche Gottesgabe um ein Alter von achtzehn Jahren! dacht' ich, oder sagt' es vielmehr laut. So alt find Sie wohl eben, Gretchen? — Bald neunzehn, erwiderte sie. — Kommen Sie, Kind! Ich will mir einmal einbilden, ich wäre, was das betrifft. Ihresgleichen. Setzen Sie sich zu mir! Sie müssen die Conversation der Stadtherren doch ertragen lernen; ich will Ihnen eine Probe davon zum Besten geben.
Das gute Kind wußte nicht, was sie von meiner Laune denken sollte; aber ich ließ mich nicht irre machen. Ich schwatzte, lachte, tändelte, mit so viel Anstand und natürlicher Lebhaftigkeit, daß Gretchen endlich selbst mit fortgerissen wurde. Lachend und schäkernd begleitete sie mich zu dem Wagen, in welchen ich sie diesmal hob, zum sichtbaren Verdrusse Paul's, der sich diese Galanterie nicht wollte nehmen lassen. Meine Stimmung dauerte die halbe Station über, zu Gretchens nicht geringem Ergötzen. Ein wenig verliebte Geckerei, mit etwas wahrer Empfindung versetzt, unterhält die Weiber immer, die unerfahrensten wie die klügsten; denn sie ist ein Tribut der Ueberlegenheit, welche ihnen die Natur in dem Verhältnisse der Ge-
Nach und nach verrauchte indeß der galante Humor, der mir mit Gretchens Eintritt an diesem Morgen, wie ein leichter Champagner-Rausch, zu Kopfe gestiegen war. Ich wurde stiller, bemerkte auch wieder, was sonst außer uns vorging, und vertiefte mich endlich in die Betrachtung der herrlichen Landschaft, durch die wir hinfuhren. Gretchen hatte schon früher viel Antheil an den Gegenständen gezeigt, welche uns umgaben. Sie bemerkte die Verschiedenheit des Bodens und der Wirthschaft, in Vergleichung mit denen ihrer Heimath, und verbreitete sich dabei recht sinnig und lehrreich über die Eigenheiten des Gebirgs- und Forstlebens. Ich fing an, Interesse an dem Geiste des Mädchens zu nehmen, dessen Gestalt und Schicksal mich schon so sehr angezogen hatten. Ueberall verrieth sie eine lebhafte Auffassung und eine Reife des Verstandes, welche ihrem Alter und ihrer einfachen Erziehung vorauszueilen schienen. Zwar kannte sie manches gute Buch, dessen beiläufig erwähnt wurde, aber ihre Urtheile waren auf eigene Ansicht und Ueberlegung gegründet. Wir unterhielten uns auf solche Weise sehr angenehm und ungezwungen von nahen und entfernteren Dingen; ich erfuhr immer mehr von Gretchens früherer Geschichte, und das Vertrauen, welches mir das liebenswürdige Mädchen bewies, schien nach und nach erst das rechte Verhältniß zwischen uns herzustellen.
So kam der Mittag heran, den wir in einem wohleingerichteten Gasthofe, auf dem halben Wege unserer Fahrt nach der Hauptstadt, zubrachten. Ich speis'te mit Gretchen an dem Wirthstische. Es gefiel mir wohl, die Augen der Gäste öfters auf meine schöne Nachbarin gerichtet zu sehen, welche in ihrem einfachen, fast ärmlichen Anzuge als die Königin der Tafel erschien. Ein junger Offizier, der uns gegenüber saß, suchte sie endlich ins Gespräch zu ziehen. Ich bewunderte die Gewandtheit und den feinen Tact, womit Gretchen den nach und nach zudringlich werdenden Fragen und Anspielungen des jungen Kriegsmannes auszuweichen wußte, ohne sich durch ein verlegenes oder auffallend frostiges Betragen zum Augenmerk der Gesellschaft zu machen. Als wir von der Tafel aufstanden und ich mich nach einem abseits liegenden Zeitungsblatte umsah, trat der Offizier ganz dreist zu Gretchen und begleitete seine Anrede mit einer ziemlich vertraulichen Geberde, indem er sie zierlich an beiden Ellenbogen anfaßte. Sie zog sich mit einer Achtung fordernden Miene zurück, worüber der junge Herr, leicht auflachend, sich in die Brust warf. Ich war indessen zwischen sie getreten und sah den Offizier ernsthaft an. — Steht die junge Person vielleicht unter Ihrem Schutze? fragte er spöttisch, Ihre Frau oder Tochter scheint sie nach dem Aeußern nicht zu sein. — Wenn es darauf ankommt, sie gegen Zudringlichkeiten sicher zu stellen, antwortete ich in entschlossenem Tone, so steht das junge Frauenzimmer allerdings unter meinem Schutze; das kann
Wir saßen wieder in unserem Wagen. Der kleine Aerger hatte mein Blut in Bewegung gebracht, und ich sah es gern, daß der Schwager, ein munterer Bursch, seine Pferde in scharfem Trabe laufen ließ. Die Straße zog sich durch einen üppigen Getreideboden hin, dessen hochstehende Saaten von einem frischen Winde bewegt wurden. Ich überließ mich dem angenehmen Spiele der Vorstellungen, welches einen solchen Anblick gern begleitet, und saß längere Zeit schweigend neben meiner Reisegefährtin, die seit dem Auftritt in dem Speisesaale selbst sehr still und nachdenkend geworden war. Als ich sie aus meiner zurückgelehnten Stellung seitwärts ansah, begegneten ihre Blicke den meinigen. Sie schlug die Augen nieder, in denen ich den Ausdruck einer mehr als gewöhnlichen Aufmerksamkeit gelesen zu haben glaubte. Woran denken Sie, Gretchen? fragte ich, mich zu ihr neigend. — An die großen Verbindlichkeiten, die ich Ihnen habe, erwiderte sie nach kurzem Besinnen, leicht erröthend. — Sie rechnen doch den lächerlichen Auf-
Es kann Ihnen, sagte ich mit merkbarer Beklemmung, im Guten wie im Schlimmen nicht an Gelegenheit gefehlt haben, den Eindruck zu beobachten, welchen Sie auf Männer von dem verschiedensten Charakter machen müssen. — Gretchen hörte mir etwas zerstreut zu; schien aber die Folge meiner Rede zu erwarten. — Hat man Ihnen nie gesagt, fuhr ich zögernd fort, daß Sie — ein schönes Mädchen sind? — Sie lächelte, als hätte ich etwas sehr Gleichgültiges gesagt. Das wohl, erwiderte sie; aber ich habe eben nicht viel darauf gehört. — Hatten Sie nie einen Liebhaber, Gretchen? fragte ich lebhafter. — Was man eigentlich so nennt, — nein! — Gretchen! sagt' ich, indem ich einen Kuß auf ihren Arm drückte; Sie wissen nicht, wie unendlich liebenswürdig Sie sind! — Sie wurde roth, und zog ihren Arm zurück. — Gretchen! wiederholt' ich leise, ihr näher rückend. —
Haben Sie donnern gehört? rief Paul, indem er
In dem Augenblick hörten wir den Donner von ferne rollen. Mächtige Wolkenmassen entwickelten sich auf der ganzen Fläche des Horizontes; der Wind wehte stärker und jagte Staubwolken über die jetzt lebhaft befahrene Landstraße. In Kurzem war der Himmel ringsum bedeckt, und ein zuckendes Wetterleuchten durchlief das düstere Grau der Wolken. Einzelne Regentropfen fielen auf und neben dem Wagen nieder, da schlängelte sich ein Blitzstrahl weithin durch das Gewölbe des Himmels; rauschend strömte der Regen herab, und ein paar schmetternde Donnerschläge hallten mit dumpfem Gerolle aus weiter Ferne wieder.
Ist's so recht? fragte Paul Gretchen. — Es wird! erwiderte sie, indem sie mit sinnigem Ernst in die wohlthätig aufgeregte Natur hinausblickte.
Das große, allmählich sich entfaltende Schauspiel der bewegten Außenwelt brachte den kleinen Aufruhr in meinem Innern zum Stillstand. Als die erste Aufwallung vorüber war, lächelte ich selbst über die seltsame Unterbrechung, die meiner unvorsichtigen Zunge, gerade noch zu rechter Zeit, Schweigen auferlegt hatte. Meiner selbst wieder völlig mächtig, genoß ich ruhig des zwiefachen herrlichen Anblicks, der vor mir aufgethan war,
Das thut doch nicht gut, sagte Paul, sich noch einmal zurückwendend; es regnet gar zu toll! Das Wasser schlägt in die Kalesche. Ich will das Spritzleder herablassen, Herr! — Er that es, eh' ich es mit Anstand hindern konnte. Es war, als ob mich Paul oder der Zufall necken und meine Standhaftigkeit auf die Probe setzen wollte.
Die Kalesche war von allen Seiten geschlossen. Das schwache Licht, welches durch ein paar handgroße Fensterchen in den schmalen Raum des Wagens fiel, reichte eben hin, mir Gretchens Gestalt in einem magischen Helldunkel zu zeigen. Der Wiederschein der Blitze erhöhete von Zeit zu Zeit den wunderbaren Reiz dieser Beleuchtung. Wir saßen so enge, daß ich nicht die geringste Bewegung machen konnte, ohne ihren Arm, ihren Fuß, die schwellende Fülle ihres jugendlichen Wuchses zu berühren. Ich glaubte, sie athmen zu hören; die Luft, die ich einsog, schien von dem Hauche ihres Mundes durchwürzt. Es war, als säh' ich Funken zwischen uns hin und her gehen, den elektrischen Entladungen ähnlich, welche außerhalb unserer kleinen Welt die Atmosphäre erschütterten. — —
Ich will, sagte ich nach einem ziemlich langen Kampfe zu mir selbst, ich will dieser reizenden Versu-
— Das thaten Sie wirklich, Herr Samuel Brink? — Mit Ihrer Erlaubniß, lieber Leser! ja, das that ich; und wenn Sie in meinen Fall kommen sollten, so rathe ich Ihnen, dasselbe zu thun. Es ist ein einfaches Mittel und hilft gewiß, wenn es Ihr Ernst ist, es zu rechter Zeit anzuwenden. — Und was that Gretchen während der angenehmen Unterhaltung, die Sie ihr in der verschlossenen Kalesche machten? — Vermuthlich das Nämliche, wiewohl aus einer anderen Ursache. Denn als Paul, bei unserer Ankunft auf der Station, die Kalesche aufmachte, fand ich sie, in ihre Wagenecke gelehnt, so sanft schlafend, als das liebe Kind, seitdem sie aus der Wiege kam, nur jemals geschlafen haben konnte.
Wer auf einer schlüpfrigen Bahn sich einige Mal glücklich aufrecht erhalten und an einer besonders gefährlichen Stelle die Besonnenheit nicht verloren hat, setzt endlich seinen Weg mit Zuversicht und sogar behender fort, als wenn er sich auf einem ganz ebenen, sicheren
Die Mamsell, sagte Paul, wird doch nicht in eitler Nacht herumwandern sollen, um eine Schlafstelle in der großen fremden Stadt zu suchen? Da ist ja das ledige Bett in Jungfer Brigittens Zimmer, worin sie die Nacht recht gut zubringen kann. — Paul hat Recht, unterbrach ich Gretchen, die etwas erwidern wollte; ich dachte nicht gleich daran. Sie dürfen den Vorschlag nicht ablehnen, Gretchen; die Anständigkeit selbst könnte gegen eine Schlafstelle in dem Zimmer meiner alten Haushälterin nichts einzuwenden haben. Aber, — meinte Gretchen. — Keine weiteren Umstände, Kind! sagte ich, und faßte ihre Hand, um sie die Treppe hinauf zu führen; morgen früh wollen wir dann sehen, wo Sie etwa sonst wohnen können, wenn es Ihnen in dem Hause eines ehrbaren alten Junggesellen nicht länger gefällt.
Jungfer Brigitte machte große Augen, als ich mit Gretchen in die Wohnung trat. Ich bringe Ihr Gesellschaft, Brigitte, sagte ich; Mamsell Berger wird heute Nacht in Ihrem Zimmer schlafen; sorge Sie für ein reines Bett und eine freundliche Aufnahme. — Die Alte schielte das holde Mädchen von der Seite an, mit einer Miene, die wenigstens die letztere nicht versprach; aber Gretchen schloß sich mit einer so gemüthlichen Unbefangenheit an die mürrische Hausregentin an, daß sich die Wolken auf der runzeligen Stirn nach und nach verzogen. Meine Einladung zum Nachtessen lehnte Gretchen bescheiden ab, weil sie mit Jungfer Brigitten auf ihrer Kammer zu bleiben wünsche. Die Frauenzimmer verließen mich, bald auch mein alter Paul, der noch eine Menge Dinge für unsere schöne Hausgenossin zu besorgen hatte.
So hatte ich denn, beinahe ohne mein Zuthun, das liebenswürdige Geschöpf unter meinem Dache, mit dem ich seit zwei Tagen so lebhaft beschäftigt war! Die Vorstellung hatte etwas überaus Anmuthiges für mich, ungeachtet des kleinen Beisatzes von Schwermuth, der sie begleitete. Morgen, sagte ich still zu mir selbst, morgen geht sie hin, sich ihrer künftigen Herrschaft zu zeigen. Man wird sie annehmen; wer thät' es nicht mit Freuden? — Gut, dann ist Alles vorbei, — die Erinnerung ausgenommen, die, wie angenehm sie auch ist, mich hoffentlich nicht im Schlafe stören wird.
Am andern Morgen erzählte Paul, als er mir das Frühstück brachte, daß Mamsell Gretchen schon ausge-
Es ist doch Schade, fing er endlich an, daß so ein liebes, gutes Mädchen bei wildfremden Leuten dienen soll. Man dient meist bei fremden Leuten, sagte ich; es ist ein anständiges Haus und ein ziemlich leichter Dienst, wie ich von Gretchen selbst weiß; sie wird mehr zur Gesellschaft einer erwachsenen Tochter als zur Bedienung in dem Hause sein. — Wer weiß, fuhr Paul fort, was für eine widerwärtige Zierpuppe das ist! Sonst freilich könnte sie von Gretchen lernen, wie sich ein junges Mädchen zu betragen habe, um Gott und aller Welt angenehm zu sein. — Dir wenigstens, Paul, erwiderte ich lächelnd, ist das Mädchen wirklich sehr angenehm, wie es scheint. — Ei, das gesteh' ich! war seine Antwort. Und Ihnen, Herr, ist sie's auch; das merkt man wohl. An Ihrer Stelle ließe ich das liebe Kind gar nicht mehr aus dem Hause. — Aber was willst du denn, Paul, daß ich mit dem Mädchen anfange? Ich werde doch in meinen Jahren nicht noch eine Gouvernante für mich aufnehmen sollen? — Es wäre vielleicht so übel nicht, erwiderte er lachend; so eine hübsche, junge Gouvernante käme mit uns alten Knaben
Sieh, sieh, was der Paul für artige Projecte macht, sagte ich, dem Einfall nachsinnend, und ging zur Thür hinaus, um einige Bekannte in der Stadt zu besuchen.
Als ich an den ausgeschmückten Kaufmannsbuden vorüberging, fielen mir einige Läden mit Modewaaren und Stoffen zur weiblichen Kleidung, mehr als sonst, in die Augen. Ich blieb dabei stehen und betrachtete manches Stück genauer, um seine Bestimmung zu errathen, oder seinen Werth näher kennen zu lernen. — Es wäre doch eine Artigkeit, dachte ich, und könnte dem lieben Mädchen gerade jetzt wohl auch gelegen kommen, wenn ich einige nützliche und hübsche Sachen für sie einkaufte und ihr ein Geschenk damit machte. — In dieser Absicht trat ich in ein Gewölbe und suchte Allerlei aus, mit dem Auftrag, es in mein Haus zu bringen. Es war so ziemlich Alles, was zu einem vollständigen weiblichen Anzuge gehört; als ich aber gleich darauf an einem eleganten Schuhladen vorbei kam, fiel mir ein, daß ich dieses interessante Kleidungsstück vergessen hatte. Unerwartet machte ich die mich selbst belustigende Bemerkung, daß ich mir einbildete, das Maß ihrer niedlichen Füßchen, welches ich nur beim Aus- und Einsteigen in den Wagen etwas näher erwogen hatte, bestimmt genug, zu kennen, um die passendsten Schuhe für sie herauszufinden. Auf die Gefahr, es recht getroffen zu haben, ließ ich einige Paar Schuhe und das zierlichste Paar Pantöffelchen zusammenpacken und nahm sie gleich selbst mit mir.
So beladen machte ich geschwind meine Besuche, zum Glück nur bei ein paar Männern, denen so etwas weniger auffällt. Einer von ihnen, ein Herr, der in der schönen Welt gelebt hat, konnte sich dennoch nicht enthalten, das Packet, welches neben meinem Hute lag, in der Zerstreuung des Gespräches etwas näher zu untersuchen. Er fuhr mit unterdrücktem Lachen zurück, als er den Inhalt gewahr wurde. — Es ist richtig! hörte ich ihn bei Seite murmeln. — Was ist richtig? fragte ich ziemlich barsch; denn ich hatte zugleich seine unschickliche Neugierde bemerkt. — Daß Sie eine Liebste von der Reise mitgebracht haben, antwortete er lachend; man hat mir das heute schon am frühesten Morgen erzählt. — Ueber die Krähwinkler! rief ich aus. Ich wette, es steht morgen schon in allen Unterhaltungsblättern. Wenn Sie wissen wollen, was es mit dieser Liebsten für eine Bewandtniß hat, so speisen Sie diese Tage bei mir; da will ich Ihnen die große Stadtneuigkeit vom Anfang bis zum Ende erzählen. Mit diesen Worten nahm ich mein Packet und ging unwillig meines Weges.
Ich kam gegen Mittag noch ziemlich ärgerlich nach Hause und erfuhr, daß Gretchen indessen da gewesen sei und dem ehrlichen Paul, auf sein Andringen, mit großem Leidwesen entdeckt habe, ihre Hoffnung, bei Frau von Reichard angenommen zu werden, sei vereitelt. Die näheren Umstände würde sie mir selbst sagen, wenn sie wiederkäme. Jetzt sei sie auf die Polizei gegangen, um ihren Paß vorzuzeigen und eine Sicherheitskarte zu er-
Es währte lange, ehe Gretchen zurückkam. Endlich trat sie ein, sichtbar verstört, und bat, mit mir allein reden zu dürfen. — Was ist geschehen? fragte ich besorgt, als wir allein waren. — O, mein Herr! erwiderte sie, und Thränen stürzten aus ihren Augen, ich bin sehr
Das wäre leicht möglich, sagte ich lächelnd. Sein Sie ruhig, Gretchen! Das Alles hat wenig zu bedeuten. Ihre Sache bei der Polizei nehme ich auf mich. Sie sollen die Stadt nicht verlassen, wenn Sie nicht selbst wollen; dafür steh' ich Ihnen.
Diesmal mußte Gretchen meinen Willen thun und tête-à-tête mit mir speisen. Sie war zu muthlos, um auf ihrem Verlangen, bei Brigitten bleiben zu dürfen, lange zu bestehen. Ich that, was ich vermochte, um sie aufzuheitern. Paul, der sich beim Aufwarten um uns geschäftig machte und so einen Theil von Gretchens Besorgnissen erfuhr, unterstützte mein Vorhaben aus allen Kräften. Er spottete gutmüthig über ihre Furchtsamkeit und machte sich besonders über die Herren von der Polizei lustig, die sich auf der Straße so angelegentlich um Gretchens Wohnung erkundigt hatten. Solcher Polizeispione, sagte er, haben wir zehn bis zwölf Tausend hier, deren Hauptgeschäft es ist, hübschen Mädchen auf allen Wegen und Stegen nachzuspüren. Ja, Mamsellchen, die machen Ihre Wohnung ausfindig, und wenn Sie in einem Winkel der schmutzigsten Vorstadt versteckt wäre. — Gretchen wurde feuerroth; sie errieth, daß sie die Absicht der beiden Männer mißverstanden habe, und fing an,
Allmählich wurde sie ruhiger, doch blieb immer noch eine Spur von Nachdenken und Sorglichkeit auf ihrem schönen Gesichte.
Als uns Paul auf einige Augenblicke verließ, machte ich ihr den bestimmten Antrag, noch einige Tage in meinem Hause zu bleiben, wo sie vollkommen sicher wäre. In der Zwischenzeit fände sich vielleicht eine andere Aussicht, wobei ja auch Mad. Miller zu Rathe gezogen werden könnte. Gretchen hörte mir mit gesenkten Blicken zu; endlich sah sie auf, und mit dem Ausdrucke großer Innigkeit, worein sich einige Wehmuth mischte, sagte sie: Was soll ich Ihnen antworten, theurer Herr? Ich kann Ihre Güte nicht entbehren, und ich muß fürchten, sie schon gemißbraucht zu haben. Alles, was mir seit Kurzem begegnet, scheint darauf abgesehen, mein ganzes Schicksal in die Hände eines großmüthigen Mannes zu legen, dem ich vor zwei Tagen noch völlig fremd war. In allem Dem ist etwas Außerordentliches, daß ich mich nicht zu fassen weiß und vor dem Glücke, welches mich Sie finden ließ, beinahe nicht weniger erschrecke, als vor den Unfällen, die mich betroffen haben. — Wie, Gretchen! sagte ich, sollten Sie mir mißtrauen? — Ich Ihnen mißtrauen? rief sie. Wäre ich dann noch Ihres Schutzes und der sichtbaren Vorsorge des Himmels werth, der Sie mir, in meiner größten Trübsal, als einen seiner Engel gesandt hat? Aber ach, mein Herr! es ist ein so drückendes Gefühl, so ohne alle Selbständig-
Ich wollte antworten; da brachte Paul den Kaffee, welchen mir Gretchen einschenkte. Während ich zerstreut dastand und meine Tasse schlürfte, war sie an das Fortepiano getreten und machte stehend ein paar Gänge auf den Tasten. Wie? rief ich; Sie sind musikalisch? — Ein wenig, war ihre Antwort; meine Tante liebte die Musik und gab mir selbst Unterricht darin. — O, spielen Sie doch dem Herrn etwas vor, sagte Paul, ihr einen Stuhl setzend; er hat das gar zu gern. — Sie spielte einige bekannte Melodieen mit vieler Präcision und Leichtigkeit. Ich schlug eine Sonate auf, die eben auf dem Pulte lag. — Das ist wohl etwas schwer? sagte sie, lächelnd zu mir aufsehend, aber ich will versuchen, wie weit ich darin fortkomme. — Sie machte, vorspielend, einige Passagen, fing dann die Sonate zuerst etwas unsicher an, kam aber bald in den Gang und überraschte mich endlich durch die Richtigkeit und den Ausdruck ihres Spieles, das besonders am Ende einige recht glänzende Momente hatte. Bravissimo! rief Paul. — Wirklich, sehr brav! sagte ich; aber Sie kannten die Sonate schon früher? — Nein, gab sie zur Antwort; von neuer Musik bekamen wir selten etwas zu sehen. Meine Tante hielt mich vorzüglich an, die Werke von Bach, Scarlatti und Mozart zu spielen, die sie noch von ihrer Jugend her besaß. — Nun, Gretchen, sagte ich, mit diesem Talent schon allein sind Sie hier nicht
Dieser Gedanke schien besonders wohlthätig aus Gretchens Gemüthsstimmung zu wirken. Die letzte Spur von Trübsinn war aus ihren Gesichtszügen verschwunden. Sie blätterte unter meinen Musikalien herum und legte Einiges davon bei Seite. Wenn ich es erlaube, sagte sie, wolle sie Abends noch ein paar Stücke durchspielen. Darauf machte sie mir ihren anmuthigsten Knix und hüpfte zur Thüre hinaus.
Charmantes Mädchen! murmelte Paul, und ich mußte mir Gewalt anthun, um es nicht laut zu wiederholen. — Wissen Sie, Herr, fuhr er, sich vertraulich zu mir wendend, fort, was ich ausgedacht habe? — Nun? — Ich habe den Frauenschneider aus dem oberen Stockwerk herabbestellt, um die schönen Sachen zu übernehmen, die Sie für Gretchen gekauft haben. Er versprach mir, in der Nacht aufzusitzen, damit der Anzug bis morgen fertig werden könne. — Welch ein Einfall! sagte ich halb unwillig; es ist jetzt nicht Zeit, von dieser Armseligkeit mit Gretchen zu reden. — Sie soll es ja noch gar nicht wissen, antwortete er hastig; das ist eben das Feine von der Sache. Ich habe dem Schneider das Kleidchen gewiesen, das Gretchen gestern Abends auszog; er braucht nun weiter kein Maß zu nehmen, wie er sagt. — Nun, wenn's so ist! — Ja wohl, Herr! Und ich will die Sachen nur gleich selbst hinauftragen, so
Ich setzte mich an Gretchens Stelle an das Fortepiano und durchlief, nicht ohne sympathetische Empfindung, die Tasten, die ihre Finger berührt hatten. Ein Satz aus der Sonate, welche sie gespielt hatte, wurde unvermerkt das Thema, worüber meine Phantasie sich in unregelmäßigen Variationen ergoß. Die Ideen strömten mir in ungewöhnlicher Fülle und Klarheit zu; ich habe vielleicht nie so gut gespielt, wenigstens nicht mit so lebendigem Ausdruck. Als ich von ungefähr aufsah, glaubte ich im Spiegel Gretchens Köpfchen, mit schalkhafter Neugierde durch die Thür horchend, wahrzunehmen. Warte, Schelm! rief ich, mich umwendend. Sie war es wirklich, zog sich aber schnell zurück und schlug die Thür zu. Nun war es um mein ruhiges Phantasiren geschehen. Ich sprang auf und ergriff meinen Hut, um meinen aufgeregten Gefühlen durch einen Gang im Freien Luft zu machen.
Es war ein ziemlich heißer Tag. Das Gewühl in den Straßen schien mir lästiger als gewöhnlich. Ich stieg in einen Fiaker, der am Wege stand. Wohin, Ew. Gnaden? fragte freundlich der Kutscher, den Schlag offen haltend. — Ja so! Wohin du willst. In den S**ischen Garten meinetwegen!
Wohin du willst, sagte ich, in den sanft schaukelnden Wagen zurückgelehnt, wohin du willst, freundlicher Fährmann, Zufall! Hab' ich denn einen anderen Weg, als den du mich führtest, bis hierher, und der jetzt lockender als je durch blumige Auen und frischbelaubte Hügel sich hinzieht? Wo das Ziel ist, ob wir's erreichen — ich weiß es nicht. Aber ihm zu folgen, so weit Natur und Unschuld uns begleiten, — wer könnte sich's versagen?
Der Garten war beinahe leer von Menschen. Ich schlenderte, mich meinen Gedanken überlassend, in den schattigen Gängen umher und setzte mich endlich vor einem blühenden Rosengebüsche, welches ein Kranz von Pinien umfaßte. Die sinnige Zusammenstellung, welche in ihrer symbolischen Bedeutung den Reiz des Lebens durch den Ernst der Betrachtung zu erhöhen schien, machte, wiewohl kein neuer Gedanke der Gartenkunst, Eindruck auf mich und däuchte mir Beziehung auf meine und Gretchens Lage zu haben. Die Rosen gedeihen in dieser Nachbarschaft, sagte ich zu mir selbst; sie finden Schutz, unter dem befreundeten Baume, dessen melancholischen Ernst sie erheitern, und der, nach oben strebend, der Luft und dem Lichte Zugang zu ihnen läßt, aber nicht den Stürmen und der brennenden Hitze des Tages.
Warum, wenn ihr unbefangenes Herz der Neigung nicht widerstrebt, die still und mächtig mich zu ihr hinzieht, warum wär' es denn Thorheit, dem süßen Hange
Rasch erhob ich mich und ging auf das Rosengebüsch zu, um die jüngste und schönste der erst entfalteten Knospen zu pflücken und sie zum Andenken dieser Stunde an meine Brust zu stecken. Mit munteren Schritten durchstreifte ich noch einmal die verschiedenen Partieen des Gartens; da stieß mir unvermuthet ein alter Bekannter auf, der, wie ich wußte, vor Kurzem eine Frau genommen hatte. Der Mann ist wenig jünger als ich, und ich habe ihn stets für einen recht verständigen Menschen gehalten. Er erzählte mir, wie glücklich er in seinem neuen Stande sei, fragte nach meiner ländlichen Besitzung und war sehr verwundert, daß ich so selten dahin käme; er seines Theils, versicherte er, habe keinen sehnlicheren Wunsch als den, seine übrigen Tage mit seinem jungen Weibchen auf dem Lande zubringen zu
Es war beinahe Abend, als ich nach Hause kam. Paul, der mir in der Thür begegnete, gab mir lächelnd ein Zeichen, daß ich ohne Geräusch in mein Zimmer treten möge. Ich that es, und sah Gretchen an meinem Schreibtische sitzen. Leise näherte ich mich und faßte sie sanft an den Schultern. Sie sah etwas erschreckt zurück, lächelte aber, als sie mich erkannte, so anmuthig zu mir empor, daß ich nicht umhin konnte, einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn zu drücken. Darf ich wissen, was Sie schreiben, liebes Kind? sagte ich. — Sie reichte mir das Blatt hin. Es war ein Brief an den Gerichtshalter ihrer Heimath, der, wie ich erfuhr, zugleich ihr Vormund war, aber sich stets sehr wenig um sie bekümmert hatte. Der Brief betraf die Erbschaftssache ihrer Tante; er war zweckmäßig und mit einer sehr zierlichen Hand geschrieben. Sie könnte, bemerkte ich, Schreib- und Musikmeisterin sein, sobald sie wollte. — Glauben Sie wirklich, sagte sie vergnügt, daß ich geschickt genug wäre, als Lehrerin oder Gouvernante in einem kleinen bürgerlichen Hause einzutreten? — Hätten Sie denn Neigung zu einem solchen Geschäfte? erwiderte ich. Es ist eben nicht das harmloseste. — Auf ihre Neigung, meinte sie, komme es hierbei wohl nicht an; diese habe sie auch nicht in die Stadt geführt; sie wäre lieber auf dem Lande geblieben: aber sie müsse für ihren Unterhalt sorgen, und man habe ihr
Wie aber, sagte ich nach einigem Stillschweigen, wenn sich eine Stelle für Sie fände, frei von den lästigen Rücksichten, welche den Aufenthalt in den sogenannten guten Häusern oft so unangenehm machen, mit einer einfachen, Ihrer ehemaligen Lebensweise angemessenen Beschäftigung, wobei Sie zugleich mehr von sich selbst als von Anderen abhängig wären, nicht in der Stadt, sondern auf dem Lande und in einer der schönsten Gegenden, die man sehen kann? — Gretchen wurde sehr aufmerksam. Und worin bestände diese Beschäftigung? fragte sie. — In der Aufsicht über das Innere einer kleinen Landwirthschaft, antwortete ich, die — einem meiner Freunde gehört; einem Manne ungefähr von meiner Art und meinem Alter, der Sie mit der größten Achtung behandeln und Ihre Einsamkeit selten oder nie durch seine Gegenwart stören würde, es wäre denn, daß Sie es selbst wünschen sollten. — Das liebe Mädchen war abwechselnd blaß und roth; sie schien meine Gedanken zu errathen und auch wieder zweifelhaft darüber zu werden. Und glauben Sie, sagte sie, daß es sich für mich schickte, diese Stelle anzunehmen? — Wie ich das Haus und die Gesinnung meines Freundes kenne, allerdings! war meine Antwort. — Sie sah eine Zeitlang still vor sich hin. — Nun, Gretchen? sagte ich, indem ich sie leicht umfaßte. — Muß ich mich sogleich entschließen, mein väterlicher Freund? fragte sie, mit kindlichem Vertrauen
Wo bleibst du, Paul? rief ich meinem Alten am andern Morgen entgegen; ich habe schon dreimal geschellt. — Herr, es ist noch nicht fünf Uhr; ich bin erst aufgestanden. — Warum nicht gar? sagt' ich und sah nach meiner Uhr. Sie stand still; ich hatte vergessen sie aufzuziehen. — Was befehlen Sie, Herr?
Nun, wenn es noch so früh ist! — Ich wollte dich fragen, ob der Schneider Gretchens Anzug gebracht hat. — Nein, Herr! Doch, ob er fertig ist, kann ich gleich sehen; er ist gewiß wach, und sitzt an seiner Arbeit. — Laß sein, Paul! es könnte Aufsehen im Hause machen. — Nicht im geringsten! Brigitte war schon auf den Beinen und wollte eben ausgehen, als ich herein kam. — Hören Sie? Die Hausthür wird auf- und zugeschlossen. — Die Alte ist fort, und Gretchen sitzt vermuthlich bei ihrer
Ich warf mich geschwind in einen Ueberrock. Die. Thurmuhren schlugen fünf. Lächelnd trat ich vor meine Spieluhr und zog sie auf. Wenn wir die Zeit vergessen, sagte ich, sind wir am glücklichsten. Sollten wir sie aber vergessen? — Die Rose fiel mir in die Augen, die neben der Uhr in einem Glase Wasser stand; sie war über Nacht frisch aufgeblüht. Unwillkürlich neigte ich mich zu ihr herab. Es ist der Hauch ihres Mundes, sagte ich, und meine Lippen berührten leise die zarten Blätter, — aber es ist nicht ihre Seele, was mir darin begegnet!
Paul kam voll Freude mit dem fertigen Anzuge. Soll ich ihn ihr bringen? fragte er hastig. — Ja, Paul! Aber nimm dort das feinste Paar Schuhe dazu; sie werden ihr passen, denk' ich. Sag ihr, ich ließe sie bitten, dies zu meinem Andenken zu tragen und, wenn es ihr nicht unbequem wäre, die Schuhe sogleich anzuziehen. Das soll sie wohl, Herr! erwiderte Paul und eilte davon.
Nach einer kleinen Weile erschien Paul wieder unter der Thür, die er offen ließ, mir heimlich und vergnügt zuwinkend, daß ich herauskommen und ihm folgen möchte. Er ging vor mir her mit großen Schritten, aber auf den Zehen, und gab mir drollig zu verstehen, es ihm nachzuthun. So kamen wir vor Gretchens Kammerthür, welche gleichfalls offen stand. Sehen Sie einmal, flüsterte
Du magst sehen, sagt' ich etwas ernsthaft, wie du deinen Einfall bei Gretchen gut machst; denn schwerlich wird sie auf eine angenehme Weise davon überrascht sein. Sobald sie sichtbar ist, melde ihr, welchen Auftrag ich dir gab, und daß alles Uebrige deine eigene Erfindung war. — Ei, erwiderte Paul ziemlich trotzig, das will ich schon noch ausfechten; war es doch in allen Ehren gemeint.
Ob nicht der kleine Teufel Asmodi in den alten Kerl gefahren ist? sagte ich zu mir selbst, als er fort war. Was er seit drei Tagen thut, scheint ganz darauf angelegt, mich Hals über Kopf in ein Meer von Liebe hineinzustürzen, während ich nichts anderes im Sinne hatte, als an seinen blumigen Gestaden in aller Unschuld
Nun, Herr, Alles ist gut! rief Paul, als er, nach geraumer Zeit, munter hereintrat. Aber Sie hatten Recht; Gretchen fand meinen Einfall gar nicht fein. Mit genauer Noth hab' ich verhindert, daß sie unsere neuen Kleider wieder ablegte, sobald sie die ihrigen zurück erhalten hatte. Bloß die Vorstellung, welche Freude es Ihnen machen würde, sie in dem Anzuge zu sehen, schien sie nach und nach zu besänftigen. Sie wird kommen, glaub' ich, Ihnen für das Geschenk zu danken. Nu, ich will nichts verrathen: aber sie sieht aus — wunderschön! und die Schuhe passen auf ein Haar; darnach hab' ich gleich geguckt.
Asmodi! murmelte ich zwischen den Zähnen, — hebe dich hinweg, Versucher! Da ging die Thür auf, und Gretchen trat mit dem Frühstück herein. Meine unsicheren Blicke glitten von der reizenden Gestalt ab und blieben am Boden haften, so daß die netten Füßchen das Erste waren, was mir in die Augen fiel. Paul hatte Recht; die Schuhe paßten wie angegossen. — Gretchen lispelte einige Worte von Dank. Ich sah auf und fühlte, daß mir das Blut ins Gesicht stieg, wäh-
Mamsell Gretchen! Mamsell Gretchen! rief Brigitte durch die halb geöffnete Thür. — Was giebt's denn, Jungfer Brigitte? brummte Paul. — Es ist ein Frauenzimmer hier, sagte die Alte gar freundlich, das mit Mamsell sprechen will. Kommen Sie doch heraus, liebes Kind!
Liebes Kind! äffte Paul der Alten nach, als sie mit Gretchen fort war. Haben Sie das Fratzengesicht gesehen, Herr, das die alte Trude dazu machte? Ich bin doch begierig, was das für ein Besuch ist.
Paul ging, und kam nach einiger Zeit sehr übellaunig zurück. Eine Mad. Miller sei da, erzählte er, und schon eine gute Weile mit Gretchen eingeschlossen. Nach Brigittens Aeußerungen, welche sehr vergnügt scheine, vermuthe er, daß von einem Dienstantrage für Gretchen die Rede sei. Er wolle wetten, die ganze Sache sei von der Alten angestiftet und stehe mit ihrem heutigen frühen Ausgange in Verbindung. Sie werde auch nicht ruhen, setzte er hinzu, indem er wieder wegging, bis sie das liebe Mädchen aus dem Hause vertrieben habe.
Paul's Vermuthungen schienen nicht ungegründet. Nach einigen Minuten trat Gretchen selbst in mein Zimmer, etwas nachdenklich und, wie ich mit Verwunderung
Sie ist ein Engel! rief ich, — und ist dein, Samuel! Dein! Hast du das verdient, Ungläubiger? — — Ich klingelte Paul, um mich vollends anzukleiden; denn ich wollte einen Gang durch die Stadt machen. Gieb Acht, sagte ich zu ihm, was Brigitte etwa Neues ausheckt; das Erste, worüber sie brütete, waren Windeier. — Wissen Sie das so gewiß, Herr? Die alte Katze sieht mir so lauernd und unheimlich aus; ich glaube, die ärgsten Tücken hat sie noch im Hinterhalt. — Bah! bah!
Ich trieb mich eine halbe Stunde in der Stadt herum. Als ich wieder zu meinem Hause zurückkam, sah ich den Baron S** im Thore stehen, einen alten Wüstling, der mir zuweilen die Ehre erweis't, mich seinen lieben Freund zu nennen. — Eh, lieber Freund! rief er mich an, da er mich auf die Treppe zugehen sah, sind Sie in dem Hause bekannt? — So ziemlich. Was steht zu Diensten, Herr Baron? — Sagen Sie mir, liebster Freund, erwiderte er mit einem vertraulichen Lächeln, kennen Sie das wunderhübsche Mädchen, das hier im Hause wohnt? Sie ist, wie ich höre, erst vor ein paar Tagen angekommen und soll einem alten Grillenfänger Gesellschaft leisten, der vermuthlich gar nicht weiß, was er an ihr hat. — Wie sieht das Mädchen ungefähr aus? fragte ich, an mich haltend. — Er beschrieb mir Gretchen ganz genau. — Und wo haben Sie das Wunder-
Das Erste, was ich beim Eintritte in meine Wohnung hörte, war, daß Herr von Ebert, derselbe, welcher mir den Possen mit Gretchens Schuhen gespielt hatte, sich zum Mittagessen habe anmelden lassen. — Sind denn heute alle Narren und Pflastertreter in Bewegung, rief ich zornig, um mich aus den Thoren zu treiben? Geh sogleich hin, Paul, und sage Herrn von Ebert, daß ich heute unmöglich die Ehre haben könne, ihn zu bewirthen. — Wenn er aber nicht zu finden ist und geraden Weges herkommt? — So — verwünscht! — so — bestelle Pferde, Paul, Pferde! Wir gehen aufs Land, Alter! — Juchhe! So ist's recht! rief Paul. Gleich will ich Ihre Aufträge besorgen, die Pferde zuerst. Sehen Sie indeß, Herr, wie Sie das liebe Mädchen trösten können, das in ihrem Kämmerchen sitzt und weint. — Sie weint, Paul? Was hat man
An Brigitten vorbei, die eben herausging, eilte ich in Gretchens Zimmer. Sie kam mir mit einer freundlichen Begrüßung entgegen; aber ihre Augen und Wangen zeigten die frische Spur von Thränen. Sie haben geweint, theures Gretchen! sagte ich, Verhehlen Sie mir nichts! Was ist geschehen? — Nichts, was mich erniedrigen, oder das Vertrauen, das Sie mir einflößen, mindern könnte, erwiderte sie mit großer Ruhe. — Also doch etwas, das darauf abgesehen war? Sprechen Sie, liebes Kind; ich beschwöre Sie! — Sie erzählte mir nun, daß Frau von Reichard sie Anfangs mit einer befremdenden Rückhaltung und Feierlichkeit aufgenommen, sie an ihre brave Tante erinnert und den Antheil, welchen sie an Gretchen nehme, durch die freundschaftliche Verbindung, worin sie mit der Tante gestanden, gerechtferigt habe. Hierauf habe sie verschiedene Fragen über Gretchens Bekanntschaft mit mir und über die Verhältnisse meines Hauses an sie gestellt. Da ihr Gretchen Alles umständlich und aufrichtig erzählt, was sie selbst davon wisse, sei Frau von Reichard nach und nach zutraulicher und endlich recht freundlich und offen geworden. Die Dame habe meinem Rufe und Charakter Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie aber doch ermahnt, gegen die Männer überhaupt auf ihrer Hut zu sein. Zum Schlusse habe ihr Frau von Reichard unverhohlen gesagt,
Abscheulich! rief ich; die boshafte Brigitte! — Verzeihen Sie der Verblendeten, erwiderte Gretchen; ich habe ihr verziehen. Sie fürchtet wahrscheinlich, durch mich von ihrer Stelle verdrängt zu werden, und fürchtet es vielleicht mehr aus Anhänglichkeit für Ihre Person, als aus Eigennutz. — Die Elende! sagte ich; was hat ihr Küchenregiment mit Ihnen und mit den Absichten gemein, welche ich in Betracht Ihrer haben kann? Es giebt nur eine Stelle in meinem Hause, die — doch an diesem Orte nichts davon! Kommen Sie, edles Mädchen! Wenigstens soll der Rang, der Ihnen in meiner Meinung gebührt, nicht länger durch eine niedrige Umgebung zweifelhaft gemacht werden. Sie haben mir Vertrauen bewiesen; ich will zeigen, daß ich dessen werth bin. — Mit diesen Worten führte ich sie aus Brigittens Zimmer in das meinige, worin ich sie bat, sich bequem zu machen, indessen ich in meinem Cabinette einige Schreibereien zu besorgen hätte.
Paul kam zurück, mir zu melden, daß er meinen Auftrag bei Herrn von Ebert ausgerichtet habe, und daß der Wagen in einer Stunde längstens hier sein werde.
Das Mittagessen war bald vorüber. Ich beschäftigte Gretchen am Klavier, bis Paul mir einen Wink gab, daß angespannt sei. Liebes Kind, sagte ich, wenn Sie es zufrieden sind, so fahren wir jetzt nach dem Landsitze meines Freundes. In dritthalb Stunden sind wir dort. Gefällt es Ihnen nicht, so bringe ich Sie heute noch in die Stadt zurück. — Sie war überrascht, aber, wie ich zu bemerken glaubte, auf keine unangenehme Weise. Ich habe mich in Herrn Brink's Hände gegeben, sagte sie mit Anmuth und Würde, und will seinen Planen nicht entgegen sein. In drei Minuten saßen wir in dem Wagen und fuhren, ohne uns nach Jungfer Brigitten, die ganz bestürzt am Fenster stand, noch nach den Gaffern auf der Straße umzusehen, zu dem Stadtthore hinaus.
Ein froherer Emigrantenzug, als der unsrige, ward nicht leicht gesehen. Mir ging das Herz auf unter dem freien, heiteren Himmel; Gretchens liebliche Gesichtszüge wurden immer sprechender und lebendiger, und Paul lachte und gesticulirte auf dem Kutscherbock, als ob er unklug werden wollte. — Der Weg wendete sich von der Hauptstraße ab, gegen das Gebirge zu, an dessen Fuße er eine geraume Strecke hinläuft. Zwischen zwei Bergrücken, die von ferne sich zu decken scheinen, öffnet sich seitwärts der Eingang in ein breites Thal, in dessen Tiefe meine kleine Besitzung liegt. Die Landschaft wird, wie man weiter hineinfährt, von hundert zu hundert Schritten romantischer und bilderreicher, bis der Eingang des Thales sich wieder zu schließen scheint und man sich in einem Kessel von terrassenförmigen Wiesengründen und waldigen Gipfeln befangen sieht. Gretchen, mit dem neuen Anblicke beschäftigt, war eine Zeitlang still; jetzt rief sie aus: O wie schön ist's hier! und die Gegend hat Aehnlichkeit mit meiner Heimath! — Wir sind dem Orte unserer Bestimmung nahe, sagte ich; das Gebäude am Abhang jenes Birkenwäldchens ist das Haus meines Freundes. — Gretchen blickte mich mit freudestrahlenden Augen an; sie ließ ihre aufgehobene Hand auf meinen Arm sinken, und ich glaubte einen leisen Druck zu empfinden. Es schien mir die Weihe meines
Der Wagen fuhr langsam auf dem nach und nach beschwerlich werdenden Wege hin, durch das kleine Dörfchen, ein paar schöne einzelne Bauernhöfe vorbei, bis an die Mühle, welche hart an meinen Garten stößt. Paul, von mir unterrichtet, stieg ab und ging voraus, um, wie er sagte, Herrn Max Spohr, dem Verwalter des Gutes, unsern Besuch zu melden. Wir mußten den ziemlich breiten, vom Regen stark angeschwollenen Waldbach durchfahren, über welchen einige Schritte oberhalb der Mühle ein leichter Steg für Fußgänger gebaut ist. Als wir am Hausthore hielten, kam uns Paul mit der Nachricht entgegen, Herr Max habe Geschäfte beim Holzrechen und werde erst morgen wieder kommen; doch seien die Schlüssel zu den Zimmern vorhanden, und er werde, da er hier Bescheid wisse, schon die Honneurs des Hauses machen. Gretchen sah mich lächelnd an, als ob sie erwartete, daß ich nun das Räthsel lösen würde. Aber ich stieg ganz ernsthaft aus und hob, eben so ernsthaft, sie aus dem Wagen. Geh voran, Paul! sagte ich, und mache dem Hauswirth Ehre.
Das Haus ist von meinem Vorgänger in einem launenhaften, aber nicht unangenehmen Geschmacke gebaut und stellt von außen ein Mittelding von schweizerischer und holländischer Herrenwohnung dar. Das Erdgeschoß hat neben der Küche und den Gesindestuben ein paar artige Zimmer, die mein Vetter Max, der Oekonom des
Ich führte Gretchen zuerst in die Zimmer, die, wie ich ihr sagte, für sie bestimmt wären. Das ist viel zu vornehm und weitläufig, sagte sie, nachdem sie sich ein wenig umgesehen; hier könnte ja eine kleine Familie Platz finden. Wer weiß, wozu das in der Folge gut ist! erwiderte ich scherzend. Gretchen sah fast etwas finster darein, weßhalb ich für gut fand, sie ohne weitere Bemerkungen in den Hof und den Garten zu führen. Was sie dort und in den Wirthschaftsgebäuden sah, hatte ihren ganzen Beifall. Es ist hier Alles im besten Stande, bemerkte sie; ich wüßte wenig, was sich anders oder zweckmäßiger einrichten ließe. Das macht Alles unser Herr Max, fuhr Paul heraus — o, er ist ein tüchtiger Wirthschafter! — Wer ist Herr Max? fragte Gretchen neugierig. — Ih, der liebe junge Vetter, erwiderte Paul — meines Freundes, ja! fiel ich ihm ins Wort, und nahm Gretchen unter den Arm, um ihr auch die Wohnung des Hausherrn zu zeigen.
Mit Vergnügen bemerkte ich, daß Gretchen der bequemen und artigen Einrichtung meiner Wohnzimmer eine besondere Aufmerksamkeit widmete, und daß selbst die etwas zu weit getriebene Sorgfalt für die Gesundheit und Bequemlichkeit des Besitzers, welche hin und wieder sichtbar war, ihr nicht mißfiel. Sie schien ganz eingenommen von der Vorstellung einer behaglichen Häuslichkeit und schwatzte überaus gemüthlich und angenehm von den hundert kleinen Genüssen, welche das Familienleben auf dem Lande darbietet. Nie hatte ich sie offener und liebenswürdiger gesehen; es war das Hausmütterchen, in der Gestalt und mit dem Betragen einer Grazie. — Nun, Gretchen, sagte ich, nachdem ich ihr lange zugehört, darf ich diesem Hause zu Ihrem Besitze Glück wünschen? Werden Sie gerne hier bleiben? — Wer sollte das nicht! erwiderte sie recht freudig. Ich stand neben ihr, den Arm um ihren Leib geschlungen, als sie dieses sagte, und drückte sie mit einer Regung inniger Zärtlichkeit an mich. — Gleichsam um mich zu zerstreuen, warf sie einen Blick auf das Porträt, dessen ich vorhin erwähnte. Wessen Bild ist dies? fragte sie. — Das Bild des Besitzers, — erwiderte ich ohne Absicht. — Wie? fiel sie mir ins Wort, so wär' es doch? — Ihre Verwirrung ergötzte mich; ich wollte sehen, wie weit es damit kommen könnte. — Allerdings, sagte ich ernsthaft, es ist der Freund, von dem ich mit Ihnen sprach; er hat dieses Haus gebaut und Alles, was Sie hier sehen, so eingerichtet. — Sie schwieg und schien eine innere
Sie ist dein, rief ich entzückt; das liebenswürdige, bezaubernde Geschöpf ist dein! Ihr Herz hat für dich entschieden; es hat sich wider den Gedanken aufgelehnt, diesen Aufenthalt, der ihr so lieb ist, mit einem Andern als mit dir zu theilen! — Still, aber selig träumend, ging ich in meinen Zimmern umher, Gretchen erwartend, die zum Nachtessen wieder kommen sollte. — Sie hatte sich bequem gemacht und ein weißes Corsett angezogen, welches ihr ein noch vertraulicheres Ansehen gab. Unwillkürlich schielte ich nach den Pantöffelchen, welche Paul auf mein Geheiß in ihre Schlafkammer gelegt hatte; aber die Füßchen waren mit züchtiger Strenge beschuht. Nie habe ich die Sittsamkeit so liebenswürdig und so entfernt von aller Prüderie gesehen. Gretchen war an dem Abend besonders gesprächig; ich vergaß mich selbst und meine Wünsche, indem ich, ihrem sinnigen Geplauder
Keine Absicht und keine Befürchtung stört den Frieden dieser reinen Seele, sagte ich zu mir selbst, als ich allein war. Wär' es nicht Sünde, sie durch das Geständniß einer Leidenschaft zu beunruhigen, die sie jetzt noch kaum verstehen, gewiß nicht erwidern kann? Die Zeit mag vollenden, wofür der Zufall in Kurzem beinahe schon zu viel that. Sind wir doch aus dem wilden Treiben der Welt in die stille Befriedigung der Einsamsamkeit gerettet! Der schöne Baum der Hoffnung, mit seinen Knospen und Blüten, hat Wurzel in dem Boden deiner Wünsche geschlagen; laß ihn Kraft gewinnen und zur Zeitigung gelangen! Ist es nicht auch ein Genuß, die goldenen Früchte wachsen und reifen zu sehen, bis sie, in süßer Fülle schwellend, sich selbst von den Zweigen lösen und uns freiwillig in den Schooß fallen? — Mit diesen Gedanken legte ich mich zur Ruhe, und mit einem leisen: gute Nacht, Gretchen! sank ich dem Schlaf in die Arme.
Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als Paul mich mit der Nachricht weckte, daß Max im Vorzimmer sei, um mir seine Aufwartung zu machen. — Ist er da? Wie sieht der Junge aus? sagt' ich, mich ermunternd. — Wie die Gesundheit und der Frohsinn selbst, Herr! Er ist noch etwas männlicher geworden; — man kann wohl sagen: ein Bild von einem jungen Menschen! Sie werden eine rechte Freude an ihm haben. — So! Gieb mir meinen Schlafrock, Paul, — und laß ihn hereinkommen. — Er hat auch unsre Mamsell Gretchen schon gesehen, fuhr Paul fort, und ein Langes und Breites mit ihr gesprochen. Die jungen Leute, denk' ich, werden sich gut mit einander vertragen; Herr Max kann nicht Rühmens genug davon machen, wie klug und bescheiden das Mädchen ist. Ja, das wußt' ich wohl; alle Welt muß dem lieben Kinde hold sein! — Gut, gut, Paul! Mach ein Ende, und führe den Max herein.
Es ist doch wunderlich, sagt' ich zu mir selbst, als Paul fort war, daß mir bis in den Augenblick das gar nicht einfiel!
Die Thür flog auf, und Max eilte auf mich zu, mich offen und herzlich willkommen heißend. Ich dachte schon, sagte er, wir wären ganz von Ihnen vergessen, so lange ist's, daß Sie uns nicht besucht haben. — Ich bemerkte, daß ich erst seit ein paar Tagen von der Reise
Ich erklärte ihm nun, daß ich den Rest des Sommers auf dem Gute zubringen würde, worüber er sehr vergnügt schien. Ich habe auch an deine Erleichterung gedacht, fuhr ich fort; das junge Frauenzimmer, das du schon kennen gelernt hast, wie ich höre, — wird künftig die innere Wirthschaft führen. Du bist es doch zufrieden, Vetter? — Er habe immer gewünscht, antwortete er, daß eine weibliche Aufsicht im Hause wäre; Mamsell Berger scheine dazu alle Eigenschaften zu besitzen. — Nicht wahr, Max? Und wie gefällt sie dir sonst? Man kann sie wohl in den Augen leiden; nicht? — Sie ist ein schönes Mädchen, sagte der Junge ganz ruhig und wurde nicht einmal roth. Ich fand aber doch für gut, das Gespräch auf etwas Anderes zu bringen, wozu es nicht an Stoff fehlte, indem mir Max über den Zustand des Gutes und über seine Anstalten zur Verbesserung desselben umständlich Bericht zu ertheilen hatte.
Maxens Ankunft und der neue Wirkungskreis, worin
Ich brachte den größten Theil des Tages damit zu, in Maxens Begleitung meine ziemlich weitläufigen Grundstücke in Augenschein zu nehmen, die sich wirklich in einem trefflichen Zustande befanden. Nachmittags ritten wir in den Wald, auf welchen Max sein Hauptaugenmerk bei seinem Wirthschaftsplane gerichtet hatte. Auf dem Wege dahin gesellte sich der landesfürstliche Oberförster zu uns, ein würdiger Mann, den ich schon früher kennen gelernt hatte. Mit Vergnügen bemerkte ich, wie freundschaftlich und achtungsvoll der wackre Mann meinen Vetter behandelte. Er sprach mit Beifall von den Ein-
Alles, was ich in dem Walde sah, bestätigte das rühmliche Zeugniß des Oberförsters. Die Pflanzungen hatten seit einem Jahre beträchtlich gewonnen, der Holzschlag war im besten Gange, und die neue Verbindung mit den Schleusen verdiente musterhaft genannt zu werden. Zugleich war das Nützliche überall mit dem Schönen verbunden; mein kleiner Forst hatte beinahe das Ansehen
Wir fanden am Ausgange des Waldes einen Knecht, dem wir unsere Pferde übergaben, um den Rückweg zu Fuß über die Wiesen zu nehmen, auf welchen in der künftigen Woche die Heuernte anfangen sollte. Es ward ziemlich spät, bis wir zu unserem Hause kamen; zur Abkürzung des Weges gingen wir daher durch des Müllers Garten über den Steg, dessen ich schon einmal gedacht habe. Nicht ohne ein kleines Grausen und ohne mich an Max zu halten, konnte ich den gefährlichen Steg zurücklegen; denn unter ihm braus'te der Waldstrom und stürzte mit reißender Gewalt auf die Mühlräder, von deren lauten Schlägen der morsche Bau erzitterte.
Eine kurze Abendunterhaltung an dem gemeinschaftlichen Tische beschloß diesen geschäftigen Tag. Die Rede
Der Kirchgang war belebter und feierlicher, als ich vermuthet hatte; denn als ich den jungen Leuten in meiner Kalesche nachgefahren kam, zeigte sich, daß eben Kirchweihe gefeiert wurde. Um sie dem Gedränge zu entziehen, nahm ich Gretchen auf dem Rückwege in meinen Wagen. Ich war in vier und zwanzig Stunden nicht so eng und vertraulich mit ihr beisammen gewesen und fühlte um so lebhafter, wie nahe sie mein Herz anging. Sie war freundlich, beinahe weich, schien aber zuweilen zerstreut, was ich dem uns umgebenden Gewühle zuschrieb.
Hat Sie Max so ernsthaft gestimmt? fragte ich, ohne Arges darin zu suchen. — Ein wenig mag er wohl Ursache davon sein, erwiderte sie. — Wie, Kind? sagte ich, ziemlich betroffen. — Sie erzählte mir nun sehr treuherzig, daß sie auf dem Gange nach der Kirche einen Theil von Maxens Jugendgeschichte erfahren habe: — von dem unglücklichen Ende seines Vaters; von der Hülflosigkeit seiner früheren Jahre; von dem, was nachher ich für seine Erhaltung und seinen Unterricht gethan; von seiner Anhänglichkeit an mich und von seinen jetzigen glücklichen Verhältnissen. Sie sei durch die Aehnlichkeit ihrer Schicksale innig gerührt worden, und sie leugne nicht, daß ihr Max durch dieses Alles recht lieb geworden, aber — noch lieber der, dem er und sie so viel zu verdanken hätten. — Sie zog, indem sie dieses sprach, meine Hand an ihr Herz, und aus ihren überquellenden Augen fielen ein paar Thränen darauf. — Mein Kind! sagte ich, innigst bewegt. Sie wissen nicht, daß dieser Augenblick mich reicher belohnt, als Alles werth ist, was ich je für Sie und ihn thun kann.
Die Zweifel, welche über Gretchens Gesinnung augenblicklich in mir aufgestiegen waren, verschwanden eben so bald wieder; vielmehr glaubte ich meines Glückes
Der Mittag gehörte zu den frohesten, welche ich, in lieber, kleiner Gesellschaft, jemals zugebracht habe. Max war anfangs etwas still, nahm aber bald an meiner und Gretchens aufgeweckten Laune Theil. Ich schlug vor, daß wir gegen Abend auf das Kirchweihfest fahren, und daß Gretchen mit Max einen ländlichen Tanz machen solle. Nach Tische setzte sich Gretchen an das Klavier. In meiner humoristischen Stimmung fiel mir ein, meinem Vetter, der eben kein starker Violinspieler ist, zuzumuthen, sie bei einer Sonate zu accompagniren. Er that es nach einigem Widerstreben. Es ließen sich bald einige falsche Griffe und kratzende Töne vernehmen. Gretchen sah ein paar Mal gutmüthig verweisend auf Max zurück; als aber ich und er selbst darüber zu lachen anfingen, stimmte sie munter in unsere Lustigkeit ein und spielte unbekümmert fort, bis das drollige Concert unter allgemeinem Gelächter ein Ende nahm. — Ich habe mich selbst zum Besten gegeben, fing Max nach einer Pause an, weil ich sah, daß meine Ungeschicklichkeit Sie wirklich belustigte; aber von heute an bitte ich, die Violine nicht mehr anrühren zu dürfen. — Was fällt dir ein? sagte ich. — Ich würde fürchten, fuhr er fort, Mamsell Gretchens seelenvolles Spiel mit jedem Striche zu verderben, ja ihr die Musik selbst zu verleiden, und schon
Wir fuhren schon frühzeitig zum Kirchweihfest. Max hatte seine Forstuniform angezogen und saß, neben unserer Kalesche herreitend, recht stattlich auf seinem Pferde. Auf halbem Wege kam uns ein Zug von Bauernjungen mit einer bunt ausgeschmückten Kirchweihstange entgegen, um welche sie fröhlich herumsprangen, lärmten und musicirten. Der Weg war nicht der beste und verengte sich gerade, wo wir mit dem Zuge zusammentrafen. Max wollte ausweichen und über einen Graben am Fahrwege setzen. Da wurde sein Roß scheu und machte einen falschen Sprung, so daß er zu stürzen drohte. — Ach! hörte ich Gretchen erschreckt ausrufen; aber der Angstschrei lös'te sich in ein Lächeln der Zufriedenheit aus, denn der junge Mann saß fest und sicher und sah von seinem beruhigten Gaule munter nach uns zurück. — Er ist ein geschickter Reiter, sagte sie mit merklichem Wohlgefallen. — Und sieht recht gut aus, setzt' ich hinzu; nicht wahr, Gretchen? — Sie wurde roth, oder ich bildete es mir wenigstens ein. — Paul hat Recht, dachte ich; der verdammte Junge ist wirklich bildschön!
Max hob Gretchen und dann auch mich aus dem Wagen, als wir vor dem Wirthshause ankamen. Aus dem geräumigen, festlich verzierten Hofe schallte uns die Tanzmusik und das frohe Getümmel der Landleute entgegen. Unser Eintritt erregte Aufmerksamkeit, denn wir waren die ersten Städter, die bei dem Feste erschienen. Aber noch mehr Bewegung entstand, als Max von einigen der Umstehenden erkannt wurde. Herr Max ist hier — Willkommen Herr Max! hörte ich von mehreren Seiten rufen. Alte und junge Leute kamen auf ihn zu und schüttelten ihm treuherzig die Hände. Mir und meiner Begleiterin ward viele Ehre erwiesen, als er uns den Leuten vorstellte; Gretchen besonders gewann bald die allgemeine Theilnahme, denn man schien sie für Maxens Geliebte zu halten.
Es half kein Weigern, Max mußte die erste Menuet mit ihr eröffnen. Alles stand umher, das schöne Paar tanzen zu sehen; ich selbst mußte gestehen, daß Max, auch seiner reizenden Tänzerin gegenüber, sich noch ganz wohl ausnahm. Die Musik ging in das Tempo der Deutschen über, und Max flog mit Gretchen an mir vorbei unter dem lauten Jubel der Zuschauer. Die jungen Paare schloßen sich an, bald war die Lust und die wirbelnde Bewegung allgemein. Nach einigen Touren, welche Gretchen mit Max gemacht hatte, gab sie einem jungen Bauernburschen die Hand, der jauchzend nach Ländlerart mit ihr zu drehen anfing. Es war der Lieblingstanz ihrer Heimath; mit grazienhafter Leichtigkeit
Max war uns gefolgt. Er scherzte über Gretchens übertriebene Neigung zum Tanze, konnte aber, als wir uns der Musik wieder näherten, sich dennoch nicht enthalten, sie noch zu einem Walzer mit ihm aufzufordern. Lachend gab sie ihm die Hand und hüpfte in die Reihen. Nach wenig Augenblicken sah ich sie, von Max umschlungen, unter den Tanzenden dahin schweben. Sie schienen beide von der Musik getragen zu werden; Gretchens Auge hing an den Feuerblicken des kräftigen Jünglings, der, sich selbst und seine Umgebung vergessend, fünf bis sechs Mal die ganze Länge des Tanzbodens mit ihr durchflog.
Es ist genug, Kinder! rief ich ihnen zu, als sie an mir vorbei kamen; und, wie aus einem tiefen Traume geweckt, traten sie schnell und etwas betroffen aus dem Kreise. — Es wird dunkel, fuhr ich fort; wir wollen
Es ist natürlich, sagte ich mir selbst, als ich Nachts allein auf meinem Zimmer war, daß die jungen Leute Gefallen an einander finden. Liebe kann noch nicht im Spiele sein, aber es würde geschehen, wenn es so fortginge; auch das ist natürlich. — Du mußt ein Ende machen, Samuel, ohne weitern Verzug. Die Unbestimmtheit der Verhältnisse taugt überall nicht. ¬¬— Sie ist dir gut; Dankbarkeit und Pflicht werden der Neigung zu Hülfe kommen und gegen diese dreifache Schutzwehr wird flüchtiger Geschmack, eine Regung der unverwahrten Sinne kaum anzukämpfen wagen. — Mach ein Ende Samuel! du hast dich lange genug besonnen.
Am andern Morgen befahl ich Paul, Anstalt zu machen, daß wir gleich nach Tische in die Stadt fahren könnten. Ich sah Gretchen den ganzen Vormittag nicht; sie hatte in der dem Wirthschaft zu thun. Max war auf dem Felde, wo der Anfang mit der Heuernte gemacht wurde. Bei Tisch erschien Gretchen allein. Ich fand sie so unbefangen als jemals, und vergaß über ihren heiteren Gesprächen beinahe den ernsthaften Zweck, der
Ich stieg in der Stadt bei meinem Freunde, dem Doctor Morbach ab, den ich ersucht hatte, Brigitten in meiner Abwesenheit zu verabschieden und ihr einen Jahreslohn unter der Bedingung auszuzahlen, daß sie sogleich auf vierzehn Tage in ihre Heimath reis'te und vor ihrer Zurückkunft weder meinen noch Gretchens Namen vor einem Menschen ausspräche. Er lachte, als ich zu ihm kam, und versicherte, mein Auftrag sei pünktlich vollzogen. — So ist die Luft in meinem Hause rein, sagte ich, und ich kann meine Braut in die Stadt bringen,
Morbach brachte mir lächelnd die Schlüssel; zugleich erklärte er sich bereit, die Ehestiftung zu entwerfen. Wann soll denn die Trauung sein? fragte er. — In acht Tagen, Herzensdoctor! — Da brauchen wir Dispensation wegen des Aufgebots; die Einwilligung des
Ich verließ den Doctor sehr vergnügt und fuhr eiligst nach Hause, um sogleich an Gretchens Vormund zu schreiben. Paul war seit dem frühen Morgen in einer drolligen Unruhe. Er hätte gern gewußt, was ich vorhatte, scheute sich aber doch, mich danach zu fragen. Als er indeß sah, daß Brigitte abgezogen sei, wurde er sehr aufgeräumt und that unverlangt, was er mir nur an den Augen abzusehen glaubte. Soll ich nicht die Stube gleich scheuern und ein wenig hübscher ausmalen lassen? fragte er; es kann ein recht artiges Zimmer für das liebe Mädchen werden, wenn sie zuweilen zu uns in die Stadt kommt. Laß das noch, Paul! sagte ich; es wird sich schon ein Zimmer für Gretchen finden.
Den Abend brachte ich sehr angenehm mit Gretchens Papieren zu, welche ich aus ihrem Koffer zu mir genommen hatte. Ich fand mehrere Briefe ihrer Tante und drei oder vier von ihrem verstorbenen Lehrer darunter, einem alten Geistlichen, von welchem sie mir einige Mal mit großer Liebe und Dankbarkeit gesprochen hatte. Beide schienen treffliche Menschen gewesen zu sein; ich erkannte nun um so deutlicher, wie das seltene Mädchen in solcher Umgebung werden konnte, was sie war. End-
Am andern Morgen währte es mir zu lange, bis der Doctor kam. Ich ging also, ihn in seiner Wohnung aufzusuchen, wodurch es geschah, daß wir einander verfehlten. Als ich wieder nach Hause kam, hörte ich, er sei inzwischen da gewesen und habe die Nachricht hinterlassen, daß ein dringendes Geschäft ihn auf das Land rufe, von wo er nicht vor dem nächsten Mittage zurückkehren werde. — Was blieb mir zu thun übrig, als mich in Geduld zu fassen, so schwer es mir auch fiel? Paul konnte nicht begreifen, worüber ich so übellaunig war, und warum ich nicht geraden Weges auf unser Gut zurückfuhr, nach welchem ich einige Mal überlaut geseufzt hatte. Damit nur die Zeit verginge, trieb ich mich in zwanzig Fabriken und Kaufläden herum, ließ mir eine Menge Dinge zeigen, die ich nicht nöthig hatte, und kaufte Manches, mitunter auch Unnützes, zu Gretchens Ausstattung. Mein Seel, Herr! sagte Paul, als ich mit der dritten Ladung angefahren kam, ich glaube, Sie wollen eine Krambude oder eine Lotterie von Putzsachen
Der sehnlich erwartete Mittag kam, und Morbach brachte den Entwurf der Ehestiftung, in bester Rechtsform aufgesetzt. Nun gab es aber neue Schwierigkeiten wegen der Dispensation. Ich mußte mich entschließen, noch einen Tag in der Stadt zu bleiben. Meine Ungeduld stieg aufs Aeußerste. Am dritten Nachmittage seit meiner Trennung von Gretchen ward endlich die Bewilligung zur Trauung ausgefertigt; ich nahm von meinem Freunde Morbach Abschied und fuhr, mit Allem versehen, was meinen Wünschen günstig sein konnte, wieder zu den Thoren der Stadt hinaus.
Das Dach meines Landhauses blinkte mir im Strahl der Abendsonne entgegen. Ein armer Hirtenknabe blies, so gut er konnte, den Kuhreihen, indem ich vorbeifuhr, und wiederholte sein Kunststück, zum Dank für die Scheidemünze, welche Paul ihm zuwarf. Aus der Ferne klang die Weise ziemlich angenehm und stimmte harmonisch zu den Gefühlen der Sehnsucht, die meine Brust bewegten. Als wir zu der Wasserfuhrt nah an meinem Hause kamen, sahen wir Bauersleute aufwärts am Bache stehen, noch mehrere am Steg oberhalb der Mühle. Der Steg, wie
Da ist ein Unglück geschehen! rief Paul; und ich, von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, sprang aus dem Wagen, eh' er noch still hielt. Was ist's? Was ist's? rief ich, mich durch die Leute drängend. — Ach! hört' ich Jemand sagen, Mamsell Gretchen ist mit dem Steg in den Bach gestürzt. — Und ist doch gerettet? stammelte ich; — meine Knie brachen mir, ich war auf dem Punkt niederzusinken. — Herr Max, sagte die Magd weinend, hat sie mit Gefahr seines Lebens herausgezogen, eh' der Schwall des Wassers sie in die Mühlräder riß. Wir haben sie hinauf in ihr Bett gebracht, aber sie giebt kein Lebenszeichen seit einer Viertelstunde schon.
Paul und ein junger Bauer führten, oder trugen mich vielmehr über die Treppe nach Gretchens Zimmer, wohin ich verlangte. Sie lag ausgestreckt auf ihrem Bette, in warme Tücher eingeschlagen, farblos, und ohne sichtbares Lebenszeichen. Max stand am Haupt des Bettes, ihre Gesichtszüge mit gespannter Aufmerksamkeit betrachtend und ihre Schläfe sanft streichelnd, während zwei Mägde damit beschäftigt waren, ihr die Füße zu reiben. — Sie ist nicht todt, sagte Max, da er mich, auf Paul gestützt, leichenblaß vor sich stehen sah. Sie kann nicht
In dem Augenblicke trat der Arzt aus dem nächsten Marktflecken in das Zimmer. Er bestätigte, nach der ersten Untersuchung, Maxens Vermuthung und ordnete Einiges zur weiteren Behandlung der Scheintodten an. Ich hatte mich auf einen Stuhl niederlassen müssen und erwartete mit unbeschreiblicher Bangigkeit den Ausgang der Sache. Plötzlich hörte ich Max aufschreien: Sie lebt! Sie schlägt die Augen auf. — Ich stürzte auf ihn zu und drückte ihn sprachlos in meine Arme.
Der Arzt bedeutete uns, still zu sein, weil die Kranke noch nicht ganz zur Besinnung gekommen wäre. Wir zogen uns behutsam zurück, indem wir unsere Freude so viel als möglich unterdrückten. Gretchen lag eins Weile mit offenen, gerade aufwärts stehenden Augen; ihre Wangen fingen an, sich zu färben; endlich wandte sie Gesicht und Blicke nach unserer Seite. — Max! rief sie, ihm ihre Hand freundlich entgegenstreckend. Der junge Mensch eilte auf sie zu und küßte die ihm dargebotene Hand mit großer Innigkeit. Auch ich war näher getreten; sie wurde mich gewahr und reichte mir die andere Hand hin. Er hat mir das Leben gerettet, sagte sie, mit dem Kopf gegen Max nickend; es war ein grauser Tod, der mir drohte, lieber Herr Brink! — Sie leben, sagte ich, ihre Hand an meine Lippen drückend, Sie sind uns wiedergegeben, theures Gretchen! Er hat
Von Max erfuhr ich jetzt, wie der Unfall begegnet, und durch welches Wunder er selbst im Stande gewesen sei, das holde Geschöpf zu retten. Die Mäher waren seit Tagesanbruch auf der großen Wiese beschäftigt, welche jenseits des Baches, ein paar hundert Schritte über der Mühle liegt. Max hatte den Arbeitern verboten, über den Steg zu gehen, von dessen gebrechlichem Stande er neuerdings überzeugt worden, und hatte dem Müller, wie vorher schon oft, noch heute früh dringend angelegen, den gefährlichen Bau sogleich abtragen zu lassen. Nach Mittag war Gretchen über die obere Brücke auf die Wiese gekommen, und dort geblieben. Später hatte indessen Max, von einer unerklärbaren Unruhe getrieben, die Wiese verlassen, und war noch einmal in die Mühle gegangen, wo er den fahrlässigen Mann endlich vermochte, ihm zu folgen, um den Schaden selbst in Augenschein zu nehmen. Als sie aus der Mühle traten, erblickte Max zu seinem Schrecken Gretchen auf dem schwankenden Steg, und einen Moment nachher sah er sie mit den morschen Brettern in die Tiefe stürzen. Einige Augenblicke war Gretchen, welche Maxen noch im Fallen be-
Ich fiel dem wackeren Jungen noch einmal um den Hals und überhäufte ihn mit Lobsprüchen und Liebkosungen. Aber meine eigenen Kräfte waren durch die furchtbare Gemüthsbewegung erschöpft; ich mußte mich auf mein Ruhebett legen, um mich zu erholen. Nach einer Stunde ungefähr sagte man mir, daß Gretchen nach mir und Max verlangt habe. Ich traf den letztern schon an ihrer Seite, ihre Hand in der seinigen haltend. Gretchen rief mir zu, als sie mich eintreten sah, und nöthigte mich freundlich, auf ihrer anderen Seite Platz zu nehmen. Die ganze Heiterkeit und Energie ihrer himmlischen Seele waren zurückgekehrt, aber ihre körperlichen Kräfte schienen noch etwas schwach und niedergedrückt, was besonders an dem öfteren Wechsel ihrer zarten Gesichtsfarbe merkbar wurde. Mit großer Ruhe
Nach einer Weile stand ich auf. Das Alles, sagte ich, greift Sie zu sehr an, liebes Gretchen! Wir wollen Sie für heute der Ruhe überlassen. Morgen früh, wenn Sie gut geschlafen und sich ganz erholt haben, werde
Ist deine Mamsell aufgestanden? fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. O ja, Herr! war die Antwort; und sie befindet sich recht wohl. — Ich pochte leise an der Thür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtcorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. — Sie haben mich wirklich erschreckt, sagte sie, über und über erröthend, indem sie sich von mir losmachte; ich bin noch kaum angezogen. — Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen! er-
Sie wurde abwechselnd blaß und roth und sah mich mit scheuen, aber nicht untheilnehmenden Blicken an. Eine mächtige Empfindung schien ihr Inneres zu bewegen; sie wollte einige Mal sprechen, vermochte es aber nicht. Nach einer längeren Stille sagte ich: Ge-
Paul sah mich forschend an, als ich auf mein Zimmer zurückkam. Die heftige Erschütterung, worin er mich bei Gretchens Gefahr erblickt hatte, schien ihm unerwartet Aufschluß über Alles, was um ihn vorging, gegeben zu haben. Er errieth meine Absicht und schien selbst nicht ruhig dabei zu sein. Obgleich ich nicht gern beobachtet bin, war mir Paul's Zuthätigkeit doch nicht unangenehm, denn ich glaubte, ihn milder und teilnehmender zu finden, als sonst. Wollen Sie nicht ein wenig um die Felder reiten, Herr? sagte er, da er mich unbeschäftigt und ziemlich ernst in meinem Zimmer herumgehen sah; es ist ein herrlicher Morgen, und die Leute sind recht fröhlich draußen beim Heumachen. — Du hast Recht, Paul; laß mir den Braunen satteln. —
Der schöne Morgen und die Heuernte, obschon sich das Volk rüstig genug dazu anstellte, wollten keine rechte Wirkung auf mich thun. Ich ließ mein Roß ziemlich zerstreut und nachlässig gegen den Wald hinschlendern, als mir der Oberförster aufstieß und mich durch einen wackeren Waidmannsgruß aus meiner Träumerei weckte. Er fragte mich nach Gretchens Befinden; denn er hatte das Mädchen während meiner Abwesenheit kennen gelernt, und ihren gestrigen Unfall erfahren. Der gute Max, sagte er, muß außer sich gewesen sein; denn ich habe wohl gemerkt, daß die jungen Leute einander lieb haben.
— Das ist natürlich! erwiderte ich schnell. — Ja wohl! war seine Antwort. Da sollten Sie ein Einsehen haben, Herr Brink, und ein Paar aus den hübschen Kindern machen. Mamsell Berger ist ganz dazu geschaffen, die Frau eines braven Forstmannes zu werden.
— So? sagt' ich. — Ja, ja! erwiderte er lachend; ich habe sie vorgestern Abends eine ganze Stunde examinirt und mich an ihren kunstfertigen Antworten recht ergötzt. Sie könnte zur Noth selbst einem kleinen Forste vorstehen. Und das Mädchen ist guter Leute Kind,
Ist Max noch bei Mamsell Gretchen? fragte ich Paul, als ich ihm auf der Treppe begegnete. — Er verließ sie vor einer kleinen Weile, Herr, und ist eben wieder aufs Feld gegangen. — Und wie sah er aus, Paul? Sage mir's ehrlich! — Paul schüttelte den Kopf. Nicht wie sonst, Herr! Seit einer Stunde haben sich alle Gesichter im Hause verändert; auch Gretchen sieht ganz traurig aus und hat sogar geweint, glaub' ich. — Bring mir eine gestopfte Pfeife in mein Kabinet, Paul, und laß Niemand zu mir; ich will allein sein, Alter!
Ich hatte Stoff genug zum Nachdenken, aber die Ruhe der Ueberlegung fehlte mir. Die Pfeife war verdampft, ohne daß ich mehr wußte, als zuvor. Es war etwas von schlimmer Vorbedeutung im Hintergrunde meiner Seele, aber ich scheute mich, das Dunkel aufzuhellen. Am Ende sind es Vermuthungen und Einfälle von Leu-
Gretchen stand bei ihrem Stuhle, Max, ein wenig abgewandt, bei dem seinigen. Wir setzten uns schweigend. Ich warf einen Blick auf Gretchen, die, mit dem Vorlegen beschäftigt, ziemlich ernst, aber ruhig schien. Max sah auf seinen Teller und mußte sich anreden lassen, um Gretchen seine Suppe abzunehmen. Ich selbst war wenig gestimmt, die Unterhaltung anzufangen, doch that ich einige Fragen an Max, die er beantwortete, ohne aufzusehen. Gretchen suchte öfters ein Gespräch in Gang zu bringen, aber die Worte wollten ihr nicht fließen, und der Versuch hatte keine Folge. Sie vermied es sichtbar, die Rede an Max zu richten. Dagegen ließ dieser zuweilen einen Blick auf sie fallen, worin ich die Glut einer mühsam verhehlten Leidenschaft zu erkennen glaubte. — Er liebt sie, sagte ich zu mir selbst, und weiß, was zwischen ihr und mir vorgegangen ist. — Die unerfreuliche Tischgesellschaft ward endlich aufgehoben; wir verließen alle Drei fast zugleich das Speisezimmer.
Meine Unruhe trieb mich bald wieder ins Freie. Diesmal wollte ich meiner Stimmung Meister werden; ich machte einen weiten Spaziergang, von dem ich erst Abends ziemlich ermüdet zurückkehrte. Als ich in mein Zimmer treten wollte, öffnete sich die Thür auf Gretchens Seite, und Max kam heraus. Er war bestürzt und blieb stehen, als wollte er abwarten, bis ich weg-
Einen Augenblick stand ich, ihm nachsehend, dann ging ich in Gretchens Zimmer. Ich sah sie am Fenster sitzen, den Kopf in die Hand gestützt. Sie stand auf und kam mir langsam entgegen; ihre Augen waren verweint. — Max ging eben von Ihnen? sagte ich, in möglichst ruhigem Tone. — Ja! war ihre Antwort. — Er schien sehr bewegt, — und auch Sie haben geweint. — Sie schwieg. Ich setzte mich und winkte ihr, es auch zu thun. — Es ist nicht mehr, wie es war, sagte ich nach einer Pause; während meiner kurzen Abwesenheit hat sich viel verändert. — Sie wollte reden, schlug aber die Augen nieder und schwieg. — Max liebt Sie. — Es ist so, antwortete sie, vor sich hinsehend. — Und Sie lieben ihn! — Sie zögerte. — Reden Sie, Gretchen! — Ich glaub' es fast, sagte sie, mit kaum vernehmbarer Stimme. — Ich stand auf und ging ein paar Mal auf und ab. — Gute Nacht!
Still ging ich an Paul vorbei, in mein Cabinet. Der Alte kam in einer Weile nach, und da er sah, daß ich in der Abendkühle ausgekleidet da stand, nöthigte er mir schweigend meinen Schlafrock auf. — Soll ich Ihnen Ihre Pfeife bringen, Herr? — Nein, Paul! — Ist Ihnen nicht wohl, lieber Herr? — Ich bin nicht krank, Paul; aber bringe mir ein Glas Wein, und sage den Kindern, wenn sie ins Speisezimmer kommen, sie möchten nur allein essen. — Ach Gott! seufzte Paul fortgehend; ich dachte wohl, daß es nicht gut enden würde.
Er hat ihr das Leben gerettet, sagte ich zu mir selbst; und doch ist's nicht das, wodurch er sie mir abgewann: seine Jugend ist's, und eine Entfernung von drei Tagen! — So wenig gilt der Mensch, der innere. — Deine Jahre, Samuel, — warum vergaßest du deine Jahre! — Ich setzte mich an mein Schreibepult. Gretchens Papiere fielen mir in die Hände; ihr Taufschein, die Eheverschreibung und die Dispense. Ich schämte mich vor mir selbst. — Was man ein Kind ist! sagte ich, und wie die Natur uns verlockt und täuscht, bis an den Rand des Grabes!
Paul brachte mir Wein und Brod. Gretchen sei sehr bekümmert, erzählte er, daß ich nicht zum Nachtessen käme; und Max hab' es sich gleichfalls verbeten. Er sei unten in seiner Stube und arbeite an seinen Wirthschaftsbüchern; nach meinem Befinden habe er sehr theilnehmend gefragt, Gretchens aber nicht erwähnt. — Ich lasse den Kindern eine gute Nacht wünschen, sagte ich nach einer Weile; — und geh du nun auch, Paul, heute bedarf ich nichts mehr.
Ich schlief wenig, fühlte mich aber ziemlich gestärkt und beruhigt, als ich am andern Morgen aufstand. Da trat Paul herein und übergab mir einen Brief. — Von wem? — Ach, von dem armen Max! Er ist fort, Herr, und ich glaube, wir sehen ihn nicht wieder. — Was sagst du, Alter? — Ich erbrach schnell den Brief, und las einen förmlichen Abschied, voll von Ausdrücken der wärmsten Dankbarkeit. Er hoffe, schrieb er, seine Entfernung werde für die Wirthschaft keinen bedeutenden Nachtheil haben, da Alles in guter Ordnung sei, und Mamsell Berger die Oberaufsicht recht wohl führen könne; auch empfehle er wir den Oberknecht als einen sehr brauchbaren Menschen. Er bat mich um Verzeihung daß er, unbekannt mit meinen Absichten, dem Wunsche meines Herzens einen Augenblick entgegen getreten sei; mit der innigsten Theilnahme werde er in der Ferne von meinem Glücke hören. Wegen seines Fortkommens bitte er mich, außer Sorgen zu seyn; er habe durch meine Unterstützung genug gelernt, um überall sein Brod zu
Ich schrieb das Billet an den Oberförster und schärfte Paul, der es abholte, ein, sich gegen Max nicht merken zu lassen, was ich zu seinem Briefe gesagt habe. Der Alte war schwindelig vor Freude, und schwur, entweder gar nicht, oder mit Max wieder zu kommen. — Mit leichterem Herzen und freierem Blick, als ich seit zehn Tagen gehabt hatte, trat ich ans Fenster, von welchem ich Gretchen eben aus dem Garten kommen sah. Sie bemerkte mich nicht, sondern ging ernst und sinnend mit ihrem Körbchen voll Kirschen über den Hof die Treppe herauf und erschrak, als ich ihr unvermuthet aus meiner Thür entgegen trat und ihr einen guten Morgen bot.
Sind es saure Kirschen? fragte ich, mich ihr nähernd. Sie reichte mir das Körbchen her. Alles ist süß, was von Ihnen kommt, sagte ich, nachdem ich ein paar Kirschen gekostet hatte, — selbst ein Korb. Gretchen war so verlegen, daß mich mein ungeschickter Scherz bald reute. Ich fragte nun ernsthaft, ob sie um die Flucht unsers Max gewußt habe? Sie nickte: ja! — Und wozu soll das führen? sagte ich. — Zu Ihrer Ruhe und der seinigen, antwortete sie mit bescheidener Würde. — Sie trauen mir also wenigstens zu, erwiderte ich, daß ich mich des Vortheils nicht überheben werde, den mir seine Entfernung zu geben scheint. — Ich traue Ihnen Alles zu, sagte Gretchen, dessen ein edles Herz fähig ist. Aber es ziemt mir nicht, von dem zu reden, was Sie zu thun oder zu lassen für gut finden werden. — Haben Sie keinen Wunsch für sich, Gretchen? — Zu bleiben, wie ich bin, erwiderte sie mit großer Milde, und in den harmlosen Geschäfte, für das Sie mich anfangs bestimmten, so nützlich zu sein, als es mir möglich ist. — Ich unterdrückte die Antwort, die mir auf den Lippen schwebte, und indem ich Gretchen freundlich zuwinkte, ging ich auf mein Zimmer zurück.
Es war eine schöne Phantasie, sagte ich zu mir selbst; der Fehler war nur, daß ich sie für Ernst nahm. Fahre hin, holder Traum meines Nachsommers! Ward ich doch in früherer Zeit oft unfreundlicher geweckt, und nicht immer, wie jetzt, ohne Reue! — Mit voller Heiterkeit setzte ich mich an meinen Schreibtisch und nahm
Ich machte einen Gang durch die Felder, um die Zeit bis zum Mittagsessen hinzubringen. Kaum war ich zurück, so traten der Oberförster und Max herein. Mit treuherziger Munterkeit führte Jener den sehr verlegenen jungen Menschen auf mich zu, indem er sprach: Hier haben Sie den Ausreißer. — Ist es recht, Max, sagte ich, daß du auf und davon gehst, ehe du mir einen Nachfolger gestellt hast, und sogar, ehe wir noch Gretchens wunderbare Erhaltung gefeiert haben? — Richte
Was meinen Sie, Herr Oberförster, redete ich nun Diesen an, da mich der Junge mit der Wirthschaft sitzen läßt, wenn ich mein Gütchen in Pacht gäbe? — Dazu rath' ich nicht, erwiderte der Oberförster schnell. — Aber der Mann ist tüchtig, gab ich zur Antwort, und hat selbst Ihren Beifall. Denn, kurz, weil Max das Gut nicht mehr für meine Rechnung verwalten will, mag er's für seine thun; ich geb' es ihm für einen billigen Pachtzins, jedoch unter einer Bedingung. — Die wäre? fragte der Oberförster aufhorchend. — Daß er die Ansprüche befriedige, die ich einer gewissen Person auf mich und einen Theil meines Eigenthums eingeräumt habe. Die Sache ist hier schriftlich aufgesetzt; sieh selbst, Max, ob du die Bedingung erfüllen kannst. — Max starrte mich und die Ehestiftung an, die ich ihm hinreichte. — Wahrhaftig, rief der Oberförster, der einen Blick in die Schrift that, das ist ein Heirathscontract, und Ihr Name, Max, steht hier neben Gretchens Namen. — Max war noch immer wie ohne Bewußtsein. — Nimm doch, Max! sagte ich, ihm das Papier aufdringend; du hast dich nicht so lange besonnen, als du das Mädchen aus dem Wasser zogst. — O mein Wohlthäter! mein Vater! rief er nun, und lag an meinem Hals. — Geh hin, Glücklicher! unterbrach ich seinen Freudentaumel, und hole dir ihr Jawort selbst. Ich will es ihr er-
Das ist brav, Herr Brink! sprach der Oberförster, und wahrlich noch mehr, als ich von Ihnen erwartete, was doch nicht wenig gesagt ist. — Loben Sie mich nicht, Freund! erwiderte ich; er wollte für mich viel mehr thun. Was ist der Wunsch eines Mannes, der von dem Leben beinahe schon Abschied nimmt, gegen die erste Liebe zwei solcher Herzen?
Gretchen kam, an Maxens Arm geschmiegt, zur Thür herein. Es war, als sollte ich für meine Selbstverläugnung durch den lieblichsten Anblick belohnt werden, denn ihre ganze Gestalt glühte von dem Ausdruck der holdesten Schamhaftigkeit. Die Farbe Ihrer Wangen, rief ich ihr entgegen, giebt mir Antwort auf Maxens Werbung. Ich habe nur noch Eins beizusetzen: in drei Wochen muß Hochzeit sein; Alles ist vorbereitet, sogar die Einwilligung Ihres Vormundes. — Und nun, Gretchen, geben Sie mir den Arm als Brautvater, weil es nicht als Bräutigam geschehen konnte. Wir wollen heute Ihre jungfräuliche Wohnung zu dem glücklichen Aufenthalt einer kleinen Familie einweihen. Sie schien Ihnen zu weitläufig; hatte ich nicht Recht, als ich sagte: wer weiß, wozu das in der Folge gut ist?