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]]>Wilhelm Müller, der bekanntlich unter den deutschen Lyrikern eine der ersten Stellen einnimmt, wurde den 7. October 1794 in Dessau geboren, studirte in Berlin Philologie, Philosophie, Geschichte und schöne Wissenschaften, trat 1813 als Freiwilliger unter die Gardejäger und machte die Treffen von Lützen, Bautzen, Kulm und Hanau mit, kehrte dann nach Berlin zu seinen Studien zurück, reiste später mit dem Freiherrn von Sack nach Rom, von welcher Stadt er eine vorzügliche Schilderung gab, und wurde nach seiner Zurückkunft von seinem Herzog Leopold Friedrich, der seinen Werth zu schätzen wußte, als Bibliothekar und Gymnasiallehrer nach Dessau berufen. Mit dem geschmackvollen Philologen, Sprachforscher und Kritiker vereinigte er den Liederdichter, dessen Liebes-, Wander-, Trink-, Postillons-, Jäger-, Müller- und Hirtenlieder fortleben werden, so lange die deutsche Zunge klingt. Seine berühmten Griechenlieder dagegen, die so zündend auf die Zeitgenossen wirkten, sind vor veränderten politischen Stimmungen in den Hintergrund getreten. Auf der Neige seines kurzen Lebens versuchte sich Müller auch in der Novelle, aber die Frist war ihm nicht gegönnt, sich zu der vollen Selbständigkeit zu entwickeln, die er auch auf diesem Gebiete zu erringen der Mann gewesen wäre. Nach einer glücklichen Erholungsreise zu den schwäbischen Dichtern, zu welchen ihn eine innere Verwandtschaft zog, starb er zu Dessau plötzlich in der Nacht auf den 1. Oktober 1827 an einem Herzschlage, wenige Wochen vor Wilhelm Hauff, mit dem er bei jenem Besuch in Stuttgart innige Freundschaft geschlossen hatte. — Die jüngere der beiden Novellen, die er hinterlassen hat (die erste erschien in der Urania für 1827), weist trotz eines ungemeinen Fortschritts Elemente auf, die ihrem Dichter nicht eigen sind: zu Anfang begegnen Züge, die man kaum anders als trivial nennen kann, gewisser crasser Geschmacklosigkeiten, wie des Kirschkerns, den der alte Herr als Liebesandenken im Munde trägt, ganz zu geschweigen, — und weiterhin zeigt sie sich von dem
Das Zimmer fing an dunkel zu werden, und Arthur nahm vor dem Spiegel den Widerschein einer Laterne, welche seinem Fenster gerade gegenüber unter den Linden brannte, zu Hülfe, um seine Abendtoilette mit dem Einstecken einer goldenen Nadel in den englischen Knoten seines Halstuches zu beschließen. Dabei hatte er das Mißgeschick, das glatte Tuch ein wenig zu verknicken, und darüber ungeduldig und verdrießlich, zog er die Klingel. Aber der helle Ruf der Glocke blieb unbeantwortet, und um seinen Unwillen an irgend einem Dinge außer sich so merklich, als es jetzt geschehen konnte, auszulassen, zuckte er so lange an der Klingelschnur, bis sie zerriß. Eine abscheuliche Wirthschaft hier im Hause! brummte er vor sich hin, warf sich auf das Sopha, ließ seine Uhr repetiren und zählte fünf und drei Viertel. Die Madame ist wieder ins Theater gegangen und das Mädchen hinterdreingelaufen, und nach mir fragt keine Seele. Ich muß ausziehen, wenn das nicht bald anders wird. Es ist mir hier unter den Linden in der Nähe des Opernplatzes ohnedies zu viel Lärm, und ist es nicht eine Schande, wie theuer ich diese Rumpelkammer, die sie Chambre garnie nennen, bezahlen muß, und bei einer solchen spitalmäßigen Aufwartung!
Er trat an das Fenster und schrieb mit nachdenklicher Miene Buchstaben auf die angelaufenen Scheiben. Wagen auf Wagen rollten unten vorüber und machten das Glas unter seinen Fingerspitzen dröhnen. Was mag es denn heut' Abend in dem großen Opernhause für kleine Spectakelkünste geben? Gewiß irgend eine recht gemeine Curiosität, weil die vornehmen Leute so hitzig darnach fahren. Ich begreife die Geheimeräthin nicht, wie eine so geistreiche Frau sich von dem neugierigen Strome kann fortreißen lassen und ein Paar Abende in der Woche daran setzen, um in dem großen Guckkasten zu gaffen und begafft zu werden. Nun, heute habe ich das nicht zu besorgen. Den Montag hält sie gewissenhaft, und ich nicht minder. Ich verspreche mir heute einen himmlischen Abend. Diese Nacht habe ich von Schlangen geträumt, und die sollen ja Ringe bedeuten. Du loses, liebes Mädchen, daß ich dich doch endlich einmal fassen kann! Du hast mir in diesem Thema ein Bändchen in die Hand gegeben, woran ich dich, wie du dich auch drehen und winden magst, so lange festhalte, bis ich dir das Losungswort meines Lebens, das Geständniß meiner Liebe, Stirn gegen Stirn, Aug' in Auge, zugerufen. Meine Glosse auf dieses Thema entzückt mich selbst; so wahr, so warm, so innig hab' ich nie gedichtet. Ich dichtete sie ja aus deinem Herzen heraus.
Nein, nein, ich bleibe bei dir, meine Fanny! Seit du mir dieses Thema gegeben hast, denk' ich nicht mehr an die Reise nach Italien und an den alten wunderlichen Marquis.
Arthur hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, wenn auch vielleicht zu Ende gedacht, als er draußen auf seiner Treppe leise Fußtritte, lautes Husten und starkes Aufstoßen mit einem Stocke hörte. Ecce, lupus in fabula! rief er aus. Da kommt der alte Narr mir wieder über den Hals. Es ist um toll zu werden. Aber ich will ihn einmal ablaufen lassen. Es ist nur ein Glück, daß er schon von Weitem einen so vernehmlichen Anmelder hat. Er eilte nach der Stubenthüre, um den Riegel vorzuschieben: aber ein Stuhl, über den er seinen eben ausgezogenen Schlafrock geworfen hatte, stellte sich ihm in den Weg, und so stolperte er darüber weg und fiel mit vollem Gewicht gegen seinen Flügel, von welchem er eine Wasserflasche, einen Leuchter und ein Notenpult herunterwarf. Inzwischen war der Marquis, ohne anzuklopfen, auf das donnernde Signal, überrascht und ein wenig erschrocken, in das Zimmer getreten.
Guten Abend! Guten Abend, meine Herren! grüßte er in seiner langsamen und scharf gemessenen Sprache, der man es auch in jedem richtig gewählten und gestellten Worte anhörte, daß sie mehr aus
Ich bin ganz allein, Herr Marquis, nahm Arthur das Wort, und bitte um Entschuldigung, daß ich Sie in einer finstern Stube empfangen muß. Ich wollte eben nach meinem Hute greifen, um auszugehen, als ich über diesen Stuhl stolperte —
Hat nichts zu sagen, mein Herr Doctor, unterbrach ihn der Marquis. Ich will Sie nicht lange halten. Ich komme, um Sie zu fragen für das letzte Mal, ob Sie wollen reisen in meiner Begleitung und auf meine Kosten nach Italien. Denn ich muß benutzen die wenigen Tage vor der Eintretung des starken Frostes, um zu kommen heraus aus den kalten Landschaften.
Herr Marquis, entgegnete Arthur mit gemachter Verlegenheit, ich weiß in der That nicht, wie ich es verdiene —
Lassen Sie das, Herr Doctor! fiel ihm der Marquis in das Wort. Sie verdienen gar nichts für Ihre Person, aber Sie wissen recht wohl, Ihr Herr Vater hat an mir verdient Großes, sehr Großes, das Gott ihm wird vergelten im Himmel. Er hat mich, als ich kam bettelarm und verwundet nach Mannheim, aufgenommen in sein eigenes Haus, er hat mich geheilt und gepflegt, er hat mich genährt und gekleidet, bis daß meine Mittel sind angekommen aus der Schweiz, von meiner emigrirten Familie. Sehen Sie, Herr Doctor, das hab' ich nicht gekonnt abtragen an ihn selbst, darum will ich es abtragen an den Sohn.
Herr Marquis, Sie beschämen mich mit jedem wiederholten Anerbieten Ihrer Gunst. Aber Sie wissen, daß ich damit umgehe, meinen großen medicinischen Cursus zur praktischen Habilitation hier in Berlin zu machen.
Erlauben Sie, Herr Doctor, daß ich mich setz' auf einen Moment. Ihre Treppe hat mich gemacht sehr müde, und ich muß einmal husten.
Der Marquis setzte sich auf das Sopha und hustete ein paar Minuten lang, daß die Wände zitterten. Arthur stand wie auf Kohlen, trippelte in der Stube herum und sann auf Mittel, seines Besuches so schnell als möglich ledig zu werden. Es ist Ihnen zu kalt in meiner Stube, Herr Marquis, hub er nach der Pause das Gespräch wieder an, und das reizt Sie zum Husten.
Nicht so, Herr Doctor. Ich bin gegangen zu schnell in den Wind hinein. Sie haben gesprochen von Ihrem großen praktischen Cursus. Aber nehmen Sie es nicht auf die böse Seite, wenn ich Ihnen mache das Bekenntniß, daß die Herren Professoren von der Universität mir haben gesagt, Sie machen hier viele kleine Cursus in der Stadt, in der schönen Welt, in den belles lettres, kleine Cursus, nicht praktisch, alle mit einander ideal und poetisch, und die Sie nicht werden führen zu der Habilitation. Und dieselben Herren haben mir gegeben die Versicherung, daß es wäre Ihr gutes Glück, wenn Sie würden mit Gewalt herausgerissen aus dieser berlinischen Manier zu leben. Und was die gelehrte Geheimeräthin betrifft und ihre kleine Mignon —
Herr Marquis, brach hier Arthur mit wenig beschönigter Entrüstung in die Rede des Alten ein. Herr Marquis, wiederholte er und steigerte den Ton seiner Worte bis zur entschiedenen Grobheit, die Herren Professoren, die Ihnen das gesagt haben, scheinen zu vergessen, daß ich bei ihnen für medicinische und nicht für moralische Vorlesungen pränumerirt habe.
Nicht zu rasch! nicht zu rasch, mein junger Freund! beschwichtigte ihn der Marquis. Sie werden machen Ihren Cursus medicus in Salerno, und wenn Sie mir curiren meinen Husten, so sollen Sie von mir genannt werden ein Hippokrates.
Arthur, durch die kleine Zurechtweisung des Alten um so schärfer gereizt, je gerader er sich von ihr getroffen fühlte, war nicht so leicht in den Scherz überzuspielen und fuhr in seiner vorigen Stimmung fort: Suchen Sie Ihren Hippokrates unter den hochgelahrten Herren, die mich Ihnen so angelegentlich zum Begleiter nach Italien empfohlen haben.
Sagen Sie mir nichts Böses von diesen Herren, Herr Doctor. Sie meinen es gut, sehr gut mit Ihnen. Aber, mein lieber Arthur, versprechen Sie mir, daß Sie wollen nicht mehr Verse machen und mit mir reisen nach Italien. Ich bin ein alter Narr, daß ich Sie so quäle, aber ich weiß wohl, warum ich es bin, und ich will es sein. Ich habe Sie lieb, als ob Sie wären mein eigenes Kind, und ich habe Sie als ein kleines, kleines Ding getragen auf meinen Armen, und da haben Sie mir einmal beschmutzt einen neuen hellgrünen Rock, und da habe ich Ihrem seligen Vater meine Hand gereicht, daß ich wollte sorgen für Sie, wenn in der Zukunft meine schlechten Umstände sich hätten verbessert. Sehn Sie, darum will ich Ihnen wohlthun, malgré vous.
Herr Marquis, fuhr bei diesen Worten Arthur heraus, entschuldigen Sie meine Grobheit; aber ich bin zu einer Gesellschaft geladen, welcher ich die Stunde halten muß. Ich werde mir die Freiheit nehmen, Ihnen morgen Adieu zu sagen.
Hiermit nahm Arthur seinen Hut in die Hand
Arthur, von dem leisen Anfluge eines halb dankbaren, halb mitleidigen Wohlwollens berührt und einen Stich der Reue über sein grobes Betragen gegen den Marquis empfindend, faßte den Arm desselben, sobald
Arthur fand auf dem Wege nach dem Wilhelmsplatze, wo die Geheimeräthin Flügel wohnte, einige Muße, über das nachzudenken, was der Marquis ihm halb im Scherze halb im Ernste vorgehalten hatte. Die gutmüthige Art und Weise, mit welcher der alte Mann ihm, trotz seiner rücksichtslosen Grobheit, zugesprochen hatte, war nicht ohne Eindruck auf sein weiches und bewegliches Herz geblieben, und seine leicht erregbare Phantasie spielte mit dem schönen Klange des Namens Salerno behaglich fort und bildete sich daraus
Die ungefähr vierzigjährige Wittewe des Geheimeraths Flügel, zware nicht aus Berlin gebürtig gehörte doch zu der in dieser Stadt vorzüglich heimisch und eigenthümlich gearteten Classe von Frauen des
Wenn Arthur auf dem Wege nach dem Wilhelmsplatze manchen ernsten und trüben Gedanken Gehör gab, die sich ihm in der Betrachtung seines gegenwärtigen Lebens und der Pläne für seine Zukunft aufdrängten, so gewann doch bald seine lebhafte Phantasie, welche nie müde wurde, ihn mit sich selbst zu täuschen, den Sieg über die scheltende und warnende Vernunft. Er mußte sich zwar gestehen, daß ihm fast ein ganzes Jahr nach seiner Promotion ohne irgend eine Förderung seines ärztlichen Berufes verstrichen
Aber! so rief er im Alles verschlingenden Gefühle seines Triumphes aus, aber das Thema zu der Glosse! Spricht der Inhalt desselben nicht mit deutlichen Worten ihr lange verheimlichtes und hinter Spott und Laune verstecktes Gefühl gegen mich aus? Und wenn ich gar noch bedenke, in welcher Stunde und unter
Fanny hatte sich nämlich den boshaften Spaß mit ihrem poetischen Anbeter erlaubt, ihm jenes Thema in einer Stunde zu übergeben, als ihm eben in einer plötzlichen Entrüstung über ihre neckische Laune die drohende Aeußerung entschlüpft war, er wolle morgen abreisen. Arthur, viel zu gutmüthig und eitel, um die Mystification durchzusehen, hatte das Thema als eine Liebeserklärung der endlich Bezwungenen mit einer so überschwänglichen Fülle von Glut und Dampf glossirt, daß er nicht zweifelte, sie selbst werde, ergriffen von ihrer durch ihn ausgesprochenen Leidenschaft, ihm gleich nach der ersten Strophe in die Arme stürzen und ihre Aufgabe lebendig darstellen.
Von solchen übermüthigen Hoffnungen trunken gemacht, zog Arthur mit ungestümer Hast die Klingel an dem großen Hausthore, welches ihm jetzt die einzige Schranke zu bilden schien, die seine Sehnsucht von dem ihr winkenden Ziele trennte. Knarrend öffnete sich durch einen unsichtbaren Druck der schwere Thorflügel, ließ ihn eintreten und schlug hinter ihm mit lautem Getöse wieder zu. Er eilte mit beschwingten Schritten die Treppe hinauf, aber schon auf den ersten Stufen legten sich bleierne Gewichte unter seine Sohlen und über sein Herz, als das an ihm vorbeischlüpfende Kammermädchen die Worte fallen ließ: Madame werden gleich ausgehn. — Heute? Heute? frug er sich
Noch hatte er die Thüre der Geheimeräthin nicht erreicht, als diese ihm schon aus derselben entgegenlief: Mein lieber, guter Doctor, sein Sie nur gleich recht böse auf mich! Schelten Sie, so scharf Sie wollen, aber lassen Sie meine Vergeßlichkeit damit auch ein für allemal abgebüßt sein. Nichts nachtragen, nur nichts nachtragen, das müssen Sie mir versprechen. — Arthur wußte nicht, was er entgegnen sollte, so tief schlug ihn dieser Empfang trotz aller feiner Freundlichkeit nieder. Stumm trat er auf die Einladung der Dame in ihr Zimmer ein und erstaunte merklich über die glänzende Toilette, in welcher er sie erblickte. Sie haben mich noch nicht in dem neuen pariser Anzuge gesehn, Herr Doctor, sprach sie ihm zu, und Sie werden glauben, ich gehe zu einem Balle. Aber setzen Sie sich; mein Tänzer wartet schon, bis ich komme. Sie sind mit Recht betroffen, und ich bin Ihnen eine Aufklärung schuldig. Die Majorin von Felbel überrascht mich heute gleich nach Tische und kündigt mir einen Besuch an, einen Besuch, und rathen Sie einmal von wem? — von Casimir Delavigne. Stellen Sie sich meine Entzückung vor oder auch meinen Schreck,
Arthur, fast von jedem Worte dieser Erzählung an den empfindlichsten Stellen seiner Eigenliebe verletzt, vermochte noch immer nicht einen Ton zu finden, welcher das ausspräche, was sein Inneres empörte. Endlich brachte er nicht ohne Beklommenheit die Frage heraus: Kann ich nicht die Ehre haben, Fräulein Fanny auf einen Augenblick zu sprechen?
Meine Tochter wird noch mit der Toilette beschäftigt sein, erwiderte die Dame ziemlich gleichgültig. Lisette, geh doch einmal hinein zu dem Fräulein, der Herr Doctor wünschen sie zu sprechen.
Bestellen Sie, die Glosse wolle ihre Aufwartung machen, rief Arthur dem Kammermädchen nach. Die Geheimeräthin, vor dem Spiegel stehend, überhörte diesen Nachtrag zu ihrem Befehl, und das steigerte wieder des Doctors Entrüstung. Das Kammermädchen kam zurück und meldete: die Madame Klosse möge morgen wiederkommen, wenn sie nicht schon heute Nacht abreise. Die Dame, ohne den Grund des komischen Mißverständnisses zu begreifen, fing an aus vollem Halse zu lachen, und der gemißhandelte Dichter, unfähig, seine innere Wuth länger zurückzuhalten, eilte so stürmisch aus dem Zimmer hinaus, daß er sein trotziges „Leben Sie wohl!“ kaum noch auf dem Vorsaale aussprechen konnte. Eben so stürzte er die Treppe hinunter, zog den Drücker des Hausthores in die
Wohl eine halbe Stunde trieb sich der unselige Arthur, ohne zu sich selbst kommen zu können, in den entlegensten Straßen auf und ab. Es wogte so verworren und ungestüm in seiner Brust und seinem Kopfe umher, daß er keine Empfindung und keinen Gedanken festhalten konnte, und so oft er seinen kochenden Ingrimm gegen die Geheimeräthin und ihre Tochter auszulassen anfing, so oft erhob sich auch gleich in ihm ein widersprechender Gegner, welcher ihn selbst einen anmaßenden und närrischen Menschen schalt. Nachdem er sich aber einigermaßen gesammelt und be-
Schlafen? fragte Arthur verwundert. Es kann ja wohl kaum acht Uhr geschlagen haben.
Ein Viertel auf neun Uhr, wenn der Herr Doctor erlauben. Das ist so die Gewohnheit des Herrn Marquis, nach acht Uhr sich zur Ruhe zu begeben. Wenn er auch so früh nicht einschläft, er geht doch immer um diese Stunde in seinen Tempel, und dann darf ich keine Menschenseele anmelden.
Aber mein Besuch ist sehr wichtig, guter Freund, sehr dringend, und der Herr wird mich gewiß annehmen.
Daran zweifle ich nicht, Herr Doctor, aber ich habe die strengste Ordre, nicht einmal anzuklopfen an den Tempel, wenn der Herr Marquis sich nach acht Uhr darin eingeschlossen hat. Auf ein Wort, Herr Doctor. Der Herr hat mir heute gesagt, Sie werden nun doch mit ihm reisen. Das ist mir eine rechte Beruhigung, daß ich ihn unterwegs und in der Fremde in guten Händen weiß. Denn, sehen Sie, Herr Doctor, ich habe mich anders besonnen. Man wird auch alt und hinfällig und hat Frau und Kinder hier. Wenn der Marquis in Berlin geblieben wäre, da wollt' ich's wohl bis an sein Ende mit ihm aushalten. Ich habe mich nun einmal so nach und nach in seinen Eigensinn und seine Wunderlichkeit gefunden, und ich denke, wir haben Alle ein Bischen davon. Und übrigens ist er Ihnen ein kreuzbraver Mann. Aber Italien, das ist mir doch zu weit, und ich hab' es dem Herrn heute gerade herausgesagt. Man will doch auch wissen, wo man sein Haupt in die Grube legen
Aber das hätt' Er nicht so lange verschieben sollen, Konrad, dem Marquis den Dienst aufzusagen. Der alte Mann kann doch nicht ohne Diener reisen.
Warum nicht, mein Herr Doctor? Der alte Mann braucht keinen Diener, zu nichts in der Welt, sag' ich Ihnen. Denn es kann ihm doch Keiner etwas recht machen, und so hat er Ihnen eigentlich mehr zu thun, wenn er sich aufwarten läßt, als wenn er sich selbst aufwartet. Nicht einmal die Stube kann ihm ein Mensch so ausfegen, daß er nicht mit seinem kleinen Wedel hinterher noch einmal abstäuben sollte. Wenn ich ihm des Morgens den Schuhanzieher unter den rechten Fuß schiebe, so will er den linken Schuh zuerst anziehen, und komm' ich ihm mit dem linken zuerst, so soll es der rechte sein. Noch niemals habe ich ihm auch nur einen Knopf zu Danke zuknöpfen können. Und nun vollends in seinem Tempel!
Aber, Konrad, sag' Er mir nur, was meint Er denn mit dem Tempel, von dem Er da spricht?
Das ist das kleine Cabinet, Herr Doctor, hinten heraus, in welches kein Tageslicht hineingeschienen hat, so lange der Marquis hier wohnt, ein kleines Cabinetchen, nicht viel größer als mein Souffleurkasten im großen Opernhause, aber der Marquis nennt's nun
Sonderbar! murmelte Arthur vor sich hin. So sollte die lächerliche Geschichte mit dem Kirschkern wirklich wahr sein. Ich habe sie immer für eine Fabel gehalten. Man ersinnt so viele wunderliche Dinge auf Kosten des Marquis.
Reine Wahrheit, Herr Doctor, fuhr der Schwätzer fort. An einem kleinen feinen Goldkettchen mit zwei Häkchen trägt er den Kirschkern im Munde, an zwei Zähnen befestigt, so lange ich ihm diene, und Gott weiß, wie viel länger schon. Was es aber mit dem Kirschkern eigentlich für eine Bewandtniß hat, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber fürchten Sie sich deswegen nicht vor dem alten Mann. Er ist ein kreuzbraver, herzensguter Herr bei aller seiner Wunderlichkeit. Was er im Stillen für Gutes thut, das ist gar
Es schellte. Der Souffleur verstummte und verlor den Faden seiner Erzählung. Alle Wetter! rief er aus, das ist die Glocke des Marquis. Was mag das zu bedeuten haben? Warten Sie noch einen Augenblick, Herr Doctor; jetzt will ich Sie melden.
Mit diesen Worten eilte er hinein und brachte unverzüglich den Bescheid zurück, der Marquis wolle den Herrn Doctor sprechen. Aber lachen Sie nicht! flüsterte er dem Eintretenden nach.
Der Marquis kam ihm entgegen, einen großen silbernen Armleuchter in der einen Hand, in einem verblaßten rosenrothen Atlasrocke mit gelber Stickerei von Vögeln und Blumen, die vielleicht einmal weiß gewesen war, einen stählernen Patentdegen an der Seite, der ganze Anzug aus dem Zeitalter Ludwig des fünfzehnten. Sein Gesicht hatte einen wunderbar gespannten Ausdruck von Zerrüttung und Erhebung. Die Augen leuchteten wie in einer Verzückung, über seine blassen und tiefgefurchten Wangen schwebte eine fieberhafte Röthe, sein ganzer Körper zitterte.
Es war mir wie eine Ahnung, mein lieber Ar-
Mit diesen Worten entfernte sich die Erscheinung, wie sie gekommen war, und Arthur schlich in der seltsamsten Stimmung zwischen Verwunderung, Neugier und schauervoller Rührung aus dem Hause, ohne auf den Nachruf des geschwätzigen Dieners zu achten, der noch mehr für ihn auf der Zunge haben mochte.
Arthur hatte eine sehr unruhige Nacht. Zwar entschlummerte er dann und wann, aber ängstliche Träume schreckten ihn gleich wieder auf, bald mit einem Sturze, bald mit einer Verwundung, bald mit einer lächerlichen Verlegenheit. Die Geheimeräthin, Fanny,
Immer wärmer und lebendiger traten die Bilder seiner ersten Liebe aus den ungetrübten Fernen seiner Erinnerung hervor und drängten sich, wie jenes Schattenspiel des Traumes, in wachsender Fülle an sein Herz. Er begegnete der Angebeteten auf dem Wege nach der Schule, und sie war das einzige Mädchen, dem er keinen guten Morgen zu wünschen wagte. Aber sein Gesicht brannte hochroth von dem Scheitel bis in die Halskrause hinein, wenn er an ihr vorüberstrich. Dann malte er die Anfangsbuchstaben ihres Namens auf die Rechentafel und zog die seinigcn darum oder darüber. Und sein übervolles Herz suchte ein andres Herz, um sich darin auszuschütten, und er wählte sich einen Knaben dazu, der oft mit seiner Geliebten spielte; denn er war ihr Nachbar. Als sie eines Tages allein beisammen waren, da zog Arthur den glücklichen Gespielen an seine Brust und fragte ihn mit zitternder Stimme: Fritz, hast du denn gar kein Mädchen lieb? Warum nicht, Arthur? antwortete der andre ganz unbefangen. Die Minna ist ja meine Braut. Die Minna! die Minna! schrie Arthur ent-
Von solchen sanften Erinnerungen eingewiegt, die sich in seinem Herzen hin und her schaukelten, wie ein Boot auf einem stillen Flusse, entschlummerte der Jüngling noch einmal und hatte folgenden Traum, den erst der Strahl der Morgensonne von seinem Haupte leicht hinwegnahm.
Er fuhr in einem kleinen Boote, ohne Steuer und Ruder von dem leise bewegten Strome fortgetragen, auf dem Spiegel des Rheins, dessen Wasser so klar und hell war, daß er jeden Kiesel zählen konnte, welcher in dem liefen Grunde lag, und die
Die Vorbereitung zu der nahen Abreise nahm unsern jungen Freund in den beiden folgenden Tagen theils mit eigenen Geschäften, theils mit verschiedenen Aufträgen des Marquis so ganz in Anspruch, daß er seinen Launen und Träumen weniger nachhängen konnte, als er es sonst wohl nach den Abenteuern des vorigen Tages und den Erscheinungen der letzten Nacht gethan haben würde. Vielleicht machte er sich auch viel mehr zu schaffen, als nöthig war, um seine Unternehmung dadurch in seinen eigenen Augen wich-
Den letzten Abend vor der Abfahrt, welche auf den andern Morgen sehr zeitig angesetzt worden war, brachte der Doctor bei dem Marquis zu, der von dem Einpacken, wobei er, wie gewöhnlich, über seine Kräfte gearbeitet und noch mehr gemurrt und gescholten hatte, so erschöpft war, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Auch sein Husten war heftiger geworden, wahrscheinlich von der Erhitzung und dem Staube, und Arthur äußerte ihm zu wiederholten Malen seine Bedenklichkeit, ob er morgen werde reisen können.
Mein lieber Doctor, entgegnete mit heiserer Stimme der Marquis, der Mensch kann viel, sehr viel, wenn er nur will. Ich habe in meinen späten Jahren durchlaufen eine harte Schule, nachdem ich war verzogen worden in einer weichen. Sie werden sich wundern über mich, wie viel ich kann aushalten und durchsetzen in meinem Alter mit diesem delicaten
Ich bin nicht verwöhnt, Herr Marquis.
Das ist gut, Herr Doctor, aber ich bin mehr. Ich bin gewöhnt zu leben als ein Cyniker. Das Unglück hat mich gemacht zu einem großen Philosophen, zuerst aus Noth, hernachmals aus Princip. Als ich war jung, da hab' ich gehabt mehr dienende Menschen um mich herum, als ich habe Finger an meinen Händen, ich habe geschlafen auf Seide und in Daunen, ich habe geleckt von zwanzig Schüsseln und Schalen, ich habe mich eingepuppt in Sammet und Pelz gegen die rauhe Luft, und so bin ich geworden eine schwache, kranke Creatur. Hernachmals hat unser Herr Gott auf mich gelegt eine schwere Hand, und ich bin gewesen todt. Nach dem Tode bin ich wieder aufgestanden, und da hat die strenge Noth mich erzogen als ihr Kind mit knappen und bittern Bissen und auf einem harten Kopfpolster, und sie hat mich gelehrt zu frieren und zu schwitzen, zu hungern und zu dürsten, mir zu treten die Sohlen wund und die Hände zu ringen steif. Das war eine böse Schule, so lange ich lernen mußte in ihr; aber als ich bin gewesen losgesprochen, da hab' ich mich zum ersten Male in meinem Leben gefühlt als mich selbst, als meinen eigenen Herrn und meinen eigenen Diener, und bin gewandert durch die Welt, wie der Philosoph
Ich kann mich in der That nicht genug über Ihre Natur wundern, Herr Marquis. Ein so zarter Körperbau, Ihr hohes Alter und Ihre harte Lebensweise —
Das ist, was mich erhält, fiel der Marquis ein. Aber ich bin auch nicht so alt, wie ich habe das Ansehn. Wie viele Jahre geben Sie mir, Herr Doctor?
Ich habe Sie immer für einen hohen Sechziger gehalten.
Weit gefehlt, weit gefehlt, mein Herr! Ich bin noch nicht herausgegangen aus den Funfzigen, aber bald werd' ich es nun sein. Mein Geburtstag ist nicht zu vergessen. Es ist der Tag, als die Helden Soubise und Condé schlugen bei Johannesberg den Prinzen von Braunschweig. Mein Vater wurde blessirt an diesem Tage in der rechten Schulter, und ich kam in die Welt mit einem schwarzen Maale auf derselben Stelle. Das war der dreißigste August siebenzehnhundert und zwei und sechzig. Sehn Sie, Herr Doctor, da fehlen noch einige zwanzig Monate bis auf die Sechzig. Aber das muß Sie nicht machen irre in Ihrer Schätzung. Warum haben Sie nicht
Darin muß ich Ihnen beistimmen, Herr Marquis. So lange ich die Ehre habe, Sie zu kennen, haben Sie sich nicht im mindesten verändert, und wenn ich der Erinnerung aus meiner ersten Kindheit trauen darf, so sind Sie noch ganz Derselbe, der mich so oft auf seinen Armen geschaukelt hat, und dessen weiche seidene Röcke mit der bunten Stickerei ich so gern betastete. Dazu kömmt freilich aber auch Ihre unveränderte Tracht.
Warum sollt' ich verändern meine Tracht, da ich mich selbst nicht habe verändert in so vielen Jahren? Ich trage in mir und auf mir mein Zeitalter und mein Vaterland, und darum bin ich zu Hause überall, in China wie in Frankreich. Denn mein Frankreich ist nicht mehr zu finden in Frankreich. Ich müßt' es auch tragen hinein mit meiner Person. Die Bourbons haben sich wieder gesetzt auf den Thron ihrer Väter, aber rings um sie herum da herrscht noch die böse neue Welt, Charte, Constitution, Légion d’honneur, Ducs de batailles, Code Napoléon. Ah, mon Dieu, est ce que c’est la France? Die Kinder der Revolution und die Creaturen des Ty-
Der Marquis, heftig gerührt von seinen eigenen Worten, die er gegen den Doctor gerichtet hatte, als wäre dieser sein Opponent, erhob sich mit dem Schlusse seiner Rede und schritt in dem Zimmer hastig auf und ab. Arthur aber, welcher in der That zu der Partei der Freisinnigen gehörte, vielleicht mehr aus Mode, als nach innerer Ueberzeugung, hatte doch nicht den Muth, die neue Ordnung der Dinge gegen den Angriff des Alten in Schutz zu nehmen; so sehr überwältigte dessen wahres Gefühl seine angelegte Meinung.
Mein guter Doctor, wendete sich der Marquis besänftigt an den etwas betroffen scheinenden zurück, gehn Sie jetzt nach Hause und schlafen Sie aus. Morgen früh um fünf Uhr fahren wir ab. Und packen Sie nicht ein unnütze Sachen. In Rom und in Neapel gibt es auch Märkte, von denen wir können kaufen, was uns fehlt. Ich habe für meinen Leib nur eine ganz kleine Balise mitgenommen. In den großen Koffern, die Sie haben gesehen hinten auf
Arthur empfahl sich dem Marquis mit dem Versprechen, allen Anordnungen desselben zu genügen, und ging nach Hause, nicht ohne einigen Verdruß über die seltsame Einrichtung des Reisewagens, welcher in der That das Ansehn hatte, als wäre er für den Kram eines herumziehenden Gauklers gemacht. Er ärgerte sich im Voraus über die lächerlichen Auftritte, welche ihn an den Thoren und in den Wirthshäusern erwarteten, wenn der räthselhafte Kasten die allfranzösische Maske des Marquis, die zwei elfenbeineren Häuschen der Kanarienvögel und den grauen, in einem Atlasmuffe versteckten Bologneser von sich gäbe. Er dachte darüber nach, ob sich nicht ein Mittel
Das Verhältniß der beiden Reisenden gestaltete sich von Meile zu Meile schwieriger, und anstatt sich näher zu kommen, je weiter sie sich von den Thoren der preußischen Hauptstadt entfernten, so wurden sie vielmehr immer fremder und gespannter gegen einan-
Nachdem unsre Reisenden die Grenzen Italiens berührt hatten, kam zwischen ihnen ein neuer Punkt zur Sprache, welcher hitzigere Kämpfe erregte, als die bisherigen gewesen waren. Sie galten dem Katholi-
Bologna, die erste größere Stadt des Kirchenstaates, welche ihr Weg berührte, bot dem Marquis eine besonders reiche Auswahl von heiligen Gegenständen dar, denen er seine entheiligenden Glossen anhängen zu müssen glaubte, und Arthur, dadurch in der ruhigen Betrachtung der Alterthümer und Kunstwerke gestört, gerieth allmählig in die ärgerlichste Laune.
Herr Marquis, sprach er zu dem lästigen Glossator unter dem Herabsteigen von der Wallfahrtskirche
Haben Sie nicht ein Sprüchwort, Herr Doctor, daß man nicht soll ausschütten das Kind mit dem Bade? entgegnete der Marquis. Wissen Sie, ich will Ihnen sagen, Sie sind ein Mann, der sich hat eingegarnet in ein neumodiges System von Religion, Philosophie und Poesie, nach welchem Sie sich einrichten in allen Ihren Raisonnements. Es ist, so zu sagen, das Exercierreglement Ihres Geistes, wenn Sie es nicht wollen nehmen auf die böse Seite. Aber ich habe alle meine Meinungen und Urtheile gewonnen in der Schule des Lebens, und ich lasse mich nicht beherrschen von irgend einer Theorie. Wenn ich auch stimme überein in der Betrachtung der katholischen Kirche mit dem bösen Voltaire, so habe ich keine Scham darüber. Aber ich habe Alles, was ich von diesen Sachen denke und sage, nicht gelernt aus dem Voltaire, das ist der wichtige Punkt, mein Herr Doctor, sondern ich habe es geschöpft aus meiner eigenen Erfahrung, und ich habe bezahlt sehr theuer diese Erfahrung.
Auch Erfahrungen können trügen, unterbrach ihn der Doctor mit Empfindlichkeit, und besonders leicht, wenn keine feste Theorie sie sichtet und erläutert.
O mein guter Arthur, seufzte der Marquis aus tiefster Brust, diese Erfahrung hat mich nicht betrogen! Sie hat sich bewährt an mir fürchterlich, sehr fürchterlich. Gott behüte Sie, so lange Sie leben, vor einer Ueberzeugung durch eine solche Erfahrung! Bei Gott, und werden Sie katholisch und ein Pfaff dazu, so will ich doch nicht wünschen, daß eine Erfahrung von der Art Sie bringe zurück zu der Vernunft. Sie sollen noch davon hören.
Mit diesen Worten drückte der Alte in krampfhafter Rührung die Hand seines Begleiters, und der Streit war abgebrochen. Aber eine ängstliche Besorgniß, von dem Jünglinge mißverstanden zu werden, hielt ihn zurück, sich weiter auszusprechen, so innig er auch das Bedürfniß zu fühlen schien, sein Herz vor irgend einem mitfühlenden Wesen ohne allen Hinterhalt aufzuschließen. Vielleicht erwartete er auch nach so manchen Andeutungen, von seinem Begleiter aufgefordert zu werden, ihm das Vertrauen einer unumwundenen Entdeckung dessen zu schenken, was er ihm bisher in einzelnen Ausbrüchen seiner Leidenschaft verwirrend vorgespiegelt hatte. Aber jener, welcher hinter der wunderlichen Außenseite des Marquis ein ähnliches Geheimniß des Innern verborgen glaubte,
Es wurde Abend, ehe die Wallfahrer das Thor der Stadt wieder erreichten, und der ungetrübte Vollmond warf große Massen von Licht und Schatten auf ihren Weg. Sie kamen über die Piazza maggiore, welche heute, an einem Sonntage, unbelebt von der lärmenden Bewegung des Marktes, die hohen Facaden ihrer Kirchen und Paläste in stolzer Ruhe den Strahlen des Mondes entgegenbreitete. Dieser warf sein volles Licht gerade auf die große Bildsäule des heiligen Petronius über dem Thore des alten Rathhauses und auf den bronzenen Neptun des Springbrunnens, dessen rauschendes Silber er mit goldenen Sternen bestreuete. Fast der ganze übrige Platz lag unter dem Schatten der ehrwürdigen Kirche seines Schutzpatrons. Arthur, von ernster Bewunderung ergriffen, blieb in der Mitte der Piazza stehen und versank in den erhabenen Anblick. Unterdessen trippelte der Marquis mit ungeduldiger Beweglichkeit rechts und links umher, und seine Neugier lockte ihn auf die Stufen vor der Kirche des heiligen Petronius, an deren Pforte eine kleine Kerze in der Hand einer weißvermummten Figur brannte.
Kommen Sie doch einmal herauf, Herr Doctor! rief er von oben herab dem träumenden Arthur zu, und dieser, der Einladung folgend, fand den Marquis, welcher das Italienische schwer verstand und noch
Wozu soll dienen das Almosen, welches die weiße Maske mit der Kapuze vor dem Gesicht von mir verlangt? frug der Marquis schon in halber Entrüstung. Der Doctor erkundigte sich bei dem heiligen Bettler auf das Höflichste nach dem, was sein Gefährte zu erfahren wünschte, und erhielt die Antwort, daß er für Seelenmessen sammle.
Und welche Seele wollt Ihr singen und klingeln und räuchern in den Himmel hinein? frug der Marquis weiter, und der Dollmetscher übersetzte den Sinn der Frage in gemilderte Ausdrücke.
Die nächsten Messen, antwortete der Verhüllte, zu denen meine Brüderschaft in dem ganzen Kirchenstaate Almosen eintreibt, werden für die Seele eines jungen Schülers der Sapienza in Rom gelesen werden, eines geborenen Spaniers von einer edlen Familie aus Valencia, welcher vor kurzem gewürgt und ersäuft hinter dem Ghetto der Juden gefunden worden ist. Der arme Schüler ist ohne Beichte und letzte Oelung dahingefahren, daher bedarf seine Seele unsrer Fürbitte zu ihrer ewigen Begnadigung. Im Uebrigen war er ein frommer Jüngling, den gewiß die heiligste Absicht in jenen verrufenen Winkel geführt hatte. Er hat eine Ungläubige bekehren wollen, wie
Der Marquis schien von dieser Erzählung wunderbar betroffen, und Arthur, welcher jetzt eine volle Ladung gewöhnlicher Spöttereien aus dem Munde des Alten erwartete, wußte sich dessen plötzliches Verstummen nicht zu deuten.
Erzählen Sie mir mehr davon, mein Herr, sprach der Marquis nach einer langen Pause in gebrochenem Italienisch und mit ganz verändertem Tone.
Ich habe Ihnen alles mitgetheilt, was mir von der traurigen Geschichte bekannt ist, antwortete der barmherzige Bruder, und ich glaube nicht, daß Sie irgendwo mehr darüber erfahren werden. In Rom erzählt man sich zwar viele Fabeln davon, aber die gerichtliche Untersuchung hat keine derselben bestätigt.
Als der Bruder diese Worte geendigt hatte, griff der Marquis in seine Tasche und warf ein paar Goldstücke in den Todtenkopf, welchen dieser als Büchse in der Hand hielt, und Arthur, seine Verwunderung nicht länger zurückhaltend, rief triumphirend aus: Ei, ei, Herr Marquis, ist das Consequenz?
Consequenz? Consequenz? murmelte der Marquis vor sich hin. Wo ist Consequenz auf Erden, mein junger Freund? Dort oben ist Consequenz. Sehen Sie an den Mond. Er geht ewig seine Straße über uns, aber hier unten laufen durcheinander die Schatten und Lichter kreuzweis und verwirrt.
Es war zwei Tage vor dem Anfange des Carnevals, als unsere Reisenden in Rom eintrafen. Arthur hatte sich eine halbe Stunde vor der Stadt aus der letzten Anhöhe jenseits der Tiber aus dem Wagen gemacht, angeblich um die Gegend zu überschauen, vielleicht aber auch, um nicht in dem wunderlichen Aufzuge, den wir oben geschildert haben, durch die Straßen zu fahren. Denn es war noch heller Tag, als sie die Thürme und Kuppeln der ewigen Stadt aus der erhabenen Wüste ihrer gehügelten Ebene emporsteigen sahen, und die untergehende Sonne spiegelte sich zitternd in den goldenen Kugeln und Kreuzen der beiden Kirchen des Corso, als Arthur den Wagen an der Porta del Popolo wieder einholte. Hier hatte der Marquis in Abwesenheit seines Dollmetschers ein langes und mühsames Verhör zu bestehen gehabt, welches eben beendigt schien, als der Postillon den Fußgänger dicht hinter dem Wagen erblickte. Aber dieser gab ihm einen Wink, weiter zu fahren, und schritt rüstig hinter drein. Die gutmüthigen Römer, an abenteuerliche Erscheinungen aus der Fremde gewöhnt, blieben dennoch verwundert stehen, als sie das Reisegebäude des Marquis durch den Corso schwanken sahen, und Arthur hörte, wie sie unter sich sprachen: Das Carneval fängt heute schon an.
Vor dem deutschen Gasthofe des Signor Franz in der Via Condotti hielt der Wagen, und Arthur
Aus dem nahen Café greco traten mehrere deutsche Künstler mit ihren rauchenden Tassen hervor, und einer unter ihnen, ein junger Landschaftsmaler aus Berlin, welcher den Marquis von dorther dem Rufe nach kannte, nahm das Wort und erzählte, was er von dem Wundermanne in der fabelsüchtigen Stadt gehört hatte. Dies ist der wunderlichste Kauz aller wunderlichen Kauze, die jemals das römische Pflaster betreten haben, fing er an. Ein emigrirter französischer Marquis, welcher in ganz Berlin nur der Marquis mit dem Kirschkern hieß. Er trägt nämlich beständig einen Kirschkern im Munde, den seine Geliebte ihm einmal auf den Kopf gespieen hat. Der alte Filz hat über zehntausend Thaler jährliche Leibrenten zu verzehren und lebt wie ein Arrestant von Wasser und Brot; und davon hat er einen Keichhusten bekommen, den man eine Viertelmeile weit hören kann. Er zählt die Bohnen zu seinem Kaffee, und da er jedesmal sieben und eine halbe zu einer Tasse braucht, so halbirt
Der wäre prächtig als Maske für das Carneval zu copiren, bemerkte ein Andrer.
Das ist ein guter Einfall zu rechter Zeit, sprach der Berliner. Ich übernehm' es, seinen Doppelgänger im Corso vorzustellen. Der weiße Rockelor ist leicht anzufertigen aus meinen Fenstergardinen; den hellgrünen Atlasrock find' ich im Kramladen, und statt der Stickerei heft' ich mir bemaltes Papier und Knistergold auf. Laßt mich nur machen. Ihr sollt einen königlichen Spaß davon haben, das versprech' ich euch. Seine spitzige Physiognomie ist so leicht nachzumachen, wie die Nase Friedrich's des Großen oder Kaiser Maximilian's Unterlippe. Die Mütze wird noch das schwierigste Stück fein. Der Schirm geht ja wohl bis über die Nase herunter und hat ein Paar gläserne Fenster für die Augen? Das Modell muß ich mir doch ein wenig aufzeichnen.
Der lustige Maler holte sein kleines Zeichenbuch aus der Tasche und fing an, den Kopf des Marquis mit wenigen kecken Strichen so wunderlich ähnlich zu skizziren, daß das laute Gelächter der Umstehenden, die seiner Arbeit zusahen, ihn nöthigte, sich in das Kaffeehaus zurückzuziehen.
Der Marquis hustete und zankte unterdessen in dem Gasthofe mit den Hausknechten und Kellnern, von denen Einer den Muff des Bolognesers nicht sanft genug niedergelegt hatte, ein Andrer ihn mit dem Speisezettel verfolgte, der dritte ihn als Excellenz anredete, und der vierte endlich ihn mit unaufhörlichen Bücklingen befragte, ob man hoffen dürfe, ihn recht lange als Gast zu besitzen. Der Alte, ein entschiedener Feind aller Wirthshäuser und Kellner, fuhr die dienstfertig lästigen Leute an, und bedachte in seiner Entrüstung nicht, sich italienisch oder französisch verständlich zu machen, sondern verschaffte sich in deutschen Ausbrüchen Luft. Ich bin keine Excellenz, sprach er hastig, und ich bin kein Fresser, der nach Rom kömmt, um sich zu verderben den Magen, und ich will danken meinem Gott, wenn ich kann wieder heraus noch heute aus dieser Wirthschaft. Und wenn ich brauche einen Menschen, so werde ich ziehen die Klingel, und bis dahin will ich sein ungeschoren in meinem Zimmer.
Nur Einer von der Dienerschaft, ein Landsmann des Wirthes, verstand die deutsche Abfertigung und gab den Uebrigen einen Wink, ihm zu folgen, indem er sich hinausdrückte und vor sich hinbrummte: Das heiß' ich mir einen alten Knauser und Grobian!
Arthur stand während dieser Auftritte am Fenster und erboßte sich über die eigensinnigen Grillen des Marquis, die ihnen auch hier wieder gleich bei der Ankunft die freundliche Aufnahme vergällten. So
Zwei junge Männer in altdeutschen Röcken mit langen über die Schulter herabhängenden Haaren schlichen Arm in Arm über den spanischen Platz und stiegen langsam die hohe Treppe des Monte Pincio hinauf. Der mißmuthige Doctor verfolgte sie mit den Blicken, bis sie oben bei der Kirche verschwanden, und malte sich mit den gemüthlichsten Farben die unabhängige Glückseligkeit des römischen Künstlerlebens aus.
Was träumen Sie wieder einmal, Herr Doctor? Mit dieser Anrede zerriß der Marquis sein Bilderspiel und rief ihn zu sich selbst zurück. Es ist mir hier zu viel Wirrwarr und Tumult in dem Hause. Ich will nicht auspacken. Machen Sie sich auf und geben Sie ab Ihren Empfehlungsbrief an den Herrn
Arthur, freudig überrascht durch die Güte des Marquis, den er seit mehreren Tagen vergeblich mit der Bitte bestürmt hatte, wenigstens die kurze Zeit des Carnevals hindurch in Rom zu bleiben, und welcher nun aus eigenem Antriebe viel mehr gewährte, als er zu verlangen gewagt hatte, fühlte sich mit einem Male aus seiner gedrückten Stimmung gerissen und umarmte den Alten mit sichtbarer Rührung. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Herr Marquis, rief er aus, und will keinen Augenblick verlieren, Ihren Auftrag zu besorgen.
Gehen Sie nur, Herr Doctor, und sehen Sie sich um nach einer schönen Narrenmaske, entgegnete mit behaglichem Lächeln der Marquis, den auch der leiseste Ausdruck dankbarer Gefühle beseligen konnte. Gehen Sie und nehmen Sie in Beschlag ein Quartier nicht zu viele Treppen, hell und trocken, Sie wissen ja, wie ich es liebe. Da will ich auch aufbauen mein kleines Carneval. Ich vergesse und verliere mich selbst, wenn
Ich komme nicht wieder zu Ihnen zurück, ohne ein Quartier für uns gefunden zu haben. Auf Wiedersehen, Herr Marquis, und gute Nacht in Rom, wenn ich bis morgen früh suchen muß ! — Mit diesen Worten empfahl sich der Doctor und eilte in der Dämmerung, von einem Platzbedienten begleitet, die Treppe hinan, auf welcher er eben die beiden Künstler mit sehnsüchtigen Augen verfolgt hatte. Denn die Adresse seines Empfehlungsbriefes wies ihn nach der Via Sistina auf dem Monte Pincio.
Der Professor, welchem Arthur einen Empfehlungsbrief zu übergeben hatte, war ein geborener Pfälzer, der in seiner ersten Jugend seinen Eltern entlaufen und als Jockey eines Engländers nach Rom gekommen war. In der Folge hatte ein Bildhauer sich desselben väterlich angenommen und einen geschickten Künstler aus ihm gebildet. Er verfertigte nämlich kleine Copieen von berühmten Kunstwerken und Alterthümern in Marmor, Alabaster und Gyps,
Signor Bernardino — so hieß der Professor in Rom — war eben nach seiner Werkstatt gegangen, als Arthur ihn in seiner Wohnung suchte. Ein schöner Knabe von ungefähr zwölf Jahren saß lesend vor einer antiken Lampe in einem großen Zimmer, welches zugleich als Gewölbe diente, worin die fertigen Arbeiten des Professors ausgestellt waren. Er empfing den Fremden mit unbefangener Höflichkeit und ließ sich den Brief einhändigen. Ich will den Vater sogleich rufen, sprach er nach kurzem Besinnen und sprang mit dem Briefe hinaus, ohne auf Arthur's Widerrede zu achten.
Dieser ließ sich auf den Stuhl nieder, welchen der Knabe verlassen hatte, und da er es niemals über sich gewinnen konnte, ein Buch liegen zu sehn, ohne es aufzuschlagen, so fing er an, das kleine Heftchen zu durchblättern, in welchem jener gelesen hatte. Es
Seltsam! dachte Arthur bei sich selbst. Das ist ja wohl dieselbe Geschichte, die der barmherzige Bruder in Bologna erzählte und von der mein alter Marquis so lebhaft ergriffen schien? Er las weiter. Die ersten Strophen enthielten eine Anrufung der heiligen Jungfrau mit der Bitte, den Sänger zu einem Liede anzufeuern, welches ihrer Ehre geweiht sein solle. Denn es habe einen Helden zu seinem Gegenstande, welcher sein Leben als Märtyrer für sie den Ungläubigen dahingegeben. Dann folgten einige Strophen mit Schmähungen und Flüchen gegen die Juden und Aufforderungen an die Christen, jene zu bekehren oder auszurotten.
Bis zu dieser Stelle war Arthur gekommen, als er eilige Tritte auf der Treppe vernahm und sich dadurch bewogen fühlte, das Heft aus der Hand zu legen und sich von seinem Sitze zu erheben.
Sein Sie mir willkommen, Herr Doctor! redete
Bis Ostern, Herr Professor, antwortete der Doctor.
Das ist brav! fuhr der behagliche Künstler fort und nöthigte den Empfohlenen zum Niedersetzen, während er sich selbst mit einer Hüfte auf eine Tischecke schwang. Das ist brav! Sie kommen zu einer guten Zeit. Erst das Carneval, dann die stille Fastenzeit, die hat der heilige Petrus dazu eingesetzt, damit die Fremden die Wunder seiner Stadt hübsch ruhig in Augenschein nehmen können, und zum Beschluß die Settimana santa. Aber worin kann ich Ihnen dienen Herr Doctor? Meine Zeit ist zwar sehr beschränkt, aber, unter uns gesagt, ich lasse mich recht gern zuweilen ein wenig stören und abhalten. Sie reisen nicht allein, Herr Doctor, wie mein Freund mir schreibt. Ihr Gefährte soll ein wunderlicher Christ sein. Nun, was thut's? Die Welt ist groß und
Mein erstes Anliegen an Sie, Herr Professor, nahm Arthur das Wort, ist eigentlich ein Anliegen meines Gefährten, welcher sobald als möglich eine gute Privatwohnung zu beziehen wünscht. Können Sie mir vielleicht eine vorschlagen?
Ist schon besorgt, Herr Doctor, fiel der Professor ein und zog dazu eine lächerlich geheimnißvolle Miene. Sie wohnen hier in diesem Hause, eine Treppe unter mir, in der Belétage. Eine vortreffliche Wohnung, vier bis fünf Piecen, alles trocken, hell, bequem, ein paar Zimmer mit Oefen und gediehlt. Sie finden in ganz Rom kein behaglicheres Quartier. Hinten heraus eine wundervolle Aussicht über die ganze Stadt bis an den Gianicolo und Monte Mario und noch weiter hinaus, und vorn heraus gegenüber die niedlichste Frau dieses Viertels. Ein frommer Deutscher hat bloß um dieser Aussicht willen, die, wie er sagte, ihm seine Madonnenideale verdarb, seine Wohnung im Hause meiner Nachbarin geräumt. Sie, der Sie keine Madonnen malen, haben diese Rücksicht nicht zu nehmen. Nicht wahr, Herr Doctor?
Arthur lächelte, in den Scherz eingehend, und versicheter, daß sein Gewissen nicht so leicht zu beun-
Heute, wenn Sie wollen, antwortete der Professor, in dieser Stunde, in diesem Augenblick. Vor acht Tagen hat eine englische Familie es geräumt, und unsre fleißige Wirthin wird es gewiß nicht vierundzwanzig Stunden ungeordnet gelassen haben. Ich wette darauf, das Nachtlicht steht schon im Schlafzimmer, und die Bettdecken sind aufgeschlagen. Wenn Sie wollen, so gehe ich mit Ihnen gleich hinunter zu der guten Frau und mache den Contract für Sie.
Arthur hemmte die Eile des dienstfertigen Professors durch die Versicherung, daß der Marquis sich für diese Nacht schon in dem Gasthofe eingerichtet habe, und nachdem er sich genauer von der Beschaffenheit der Wohnung und den Bedingungen der Miethe unterrichtet hatte, übertrug er Jenem den Abschluß des Geschäfts mit der Wirthin. Während dieser Verhandlungen hatte er, um das Gespräch darauf zu lenken, mit dem Heftchen gespielt, welches vor ihm auf dem Tische lag, und seine Andeutungen blieben nicht unbeachtet.
Verbrennen Sie sich die Finger nicht, Herr Doctor, warnte der Professor mit komischer Aengstlichkeit. Sie spielen da mit einer verbotenen Waare.
Verboten? frug Arthur betroffen und gab sich das Ansehn, als ob er jetzt erst auf das Papier auf-
Ein kleines Volksbuch, war die Antwort, welches vor einigen Wochen hier gedruckt und bis gestern Morgen an allen Straßenecken verkauft worden ist. Dann sind die Sbirren gekommen und haben es confiscirt. Es ist eine kuriose Geschichte. Ein Schüler der Sapienza hat eine Liebschaft mit einer schönen Jüdin in dem Ghetto gehabt. Das ist ein böser Winkel für solche Abenteuer. Das ganze schmutzige Nest wird des Nachts mit zwei Thoren verschlossen, und da giebt es viel zu klettern, ehe man an das Fenster eines Esterchens kömmt. Kurz, der arme Schüler hat seinen alttestamentlichen Geschmack theuer bezahlen müssen. Er wurde am Montage nach dem ersten Advent mit einer Schleife um den Hals in der Tiber nicht weit vom Ghetto gefunden. Die Geschichte machte einen entsetzlichen Lärm in der ganzen Stadt, und eine große Untersuchung wurde darüber angestellt. Inzwischen bildete das gute Volk sich eine Menge der schönsten Fabeln von dem Tode des jungen Spaniers und verklärte ihn zu einem Märtyrer des christlichen Glaubens. Eine von diesen Fabeln hat ein Gassensänger in Reime gebracht, und das Blatt ging reißend ab. Aber nachdem das gerichtliche Verfahren geschlossen worden ist, ohne irgend etwas über den Mord ausgemittelt zu haben, so hat man für gut befunden, die Reime zu confisciren, welche mehr von der Sache zu
Sie machen mich neugierig, das kleine Buch zu lesen, nahm Arthur das Wort, sobald die lebendige Beredsamkeit des Signor Bernardino es erlaubte. Mein alter Marquis scheint auch, ich weiß nicht warum, ein besonderes Interesse an der Geschichte zu nehmen, von der wir durch einen eigenen Zufall schon in Bologna gehört haben. Darf ich Sie bitten, mir das Heftchen auf einige Tage zu leihen?
Nehmen Sie es mit und behalten Sie es in Gottes Namen, erwiderte der Professor. Es gehört meinem Jungen, den ich schon dafür entschädigen will. Aber glauben Sie ja kein Wort von dem, was darin erzählt wird. Nur das kleine Lied, welches hinten angedruckt steht, ist echt und rührt wirklich von dem jungen Spanier her, unter dessen Papieren man es nach seinem Tode gefunden hat. Auch die Ueberschrift soll ihre Richtigkeit haben. Denn das silberne Crucifix mit dem Kreuzholze von rothen Korallen, ein kostbares Erbstück, welches der junge Mensch besessen hatte, und wovon es in der Ueberschrift des Liedes heißt, daß er es seiner jüdischen Madonna mit den Versen überreiche, ist in seinem Nachlasse vermißt worden, und die Sbirren haben wohl acht Tage lang alle Koffer und Kasten des Ghetto danach durchstöbert. So viel sieht man aus dem Gedicht, daß der junge
Der Doctor hatte sich nicht bezähmen können, während dieser Erzählung einige verstohlene Blicke auf das Lied zu werfen, und der Professor, dessen neugierige Ungeduld bemerkend, bat ihn, sich keinen Zwang anzuthun.
Wir theilen die Verse, welche Arthur jetzt mit halblauter Stimme las, in einer Uebersetzung mit, die er selbst am folgenden Tage davon verfertigte.
Nun, was meinen Sie dazu, Herr Doctor? frug
Schön und wahr gefühlt, erwiderte Arthur.
Mir ist es zu sublim, bemerkte der Andere. Aber ich will Ihnen Ihren Geschmack daran nicht verleiden. Stecken Sie das Heftchen ein und lassen Sie sich's wohl bekommen.
Arthur brach ab und empfahl sich dem Professor unter der Versicherung seiner dankbaren Empfindungen für die gefällige Dienstfertigkeit, die er ihm in der Uebernahme seines Geschäfts erwiesen hatte. Betrachten Sie die Wohnung als die Ihrige! rief ihm Jener nach, und ziehen Sie morgen ein, je eher je lieber.
Der Marquis hatte sich schon in sein Schlafzimmer zurückgezogen, als Arthur wieder in der Locanda eintraf, und dieser, um den alten Mann, welchen der heutige Tag sehr erschöpft zu haben schien, nicht zu stören, oder um selbst nicht abgehalten zu werden, das Gedicht ohne Verzug zu lesen, dessen Ge-
Nach den Stanzen der Vorbereitung, welche Arthur in dem Gewölbe des Professors gelesen hatte, fing die eigentliche Erzählung an. Die heilige Jungfrau erscheint in einem wunderbaren Traume dem frommen Schüler Don Alonzo de Floridias und fordert ihn auf, die nach der Erleuchtung und Beseligung des neuen Bundes schmachtende Seele einer schönen Israelitin aus den schweren Banden des mosaischen Gesetzes zu erlösen. Der Jüngling, begeistert von diesem Auftrage, fragt wer? wo? und wie? und Maria verheißt ihm einen Engel, welcher ihn in der folgenden Nacht, und zwar nach dem Tage des ersten Advents, zu seinem gebenedeieten Berufe führen werde. Alsdann solle er ein Crucifix mit sich nehmen, für Weihwasser werde sie selbst sorgen, und sie wolle, daß die Bekehrte nach ihr mit dem Namen Maria getauft werde. Der Schüler bereitet sich den ganzen folgenden Tag mit heiligen Uebungen zu dem großen Werke vor und erwartet, das Crucifix in der Hand, wachend und betend die Ankunft des Engels. Dieser erscheint
Dies war der Schluß des Gedichts, dessen überspannte Darstellung wir in dem kurzen Auszuge seines
Die Lichter waren mittlerweile niedergebrannt, und Arthur eilte, sich bei dem letzten Aufflackern derselben zu entkleiden und sein Lager zu erreichen.
Die Wohnung in der Via Sistina, die Arthur durch den Professor gemiethet hatte, befriedigte alle Ansprüche des Marquis, welcher nicht wieder in den Gasthof zurückkehrte, nachdem er sie am folgenden Morgen besichtigt hatte. Vielleicht trug der Umstand nicht wenig dazu bei, daß er in derselben ein kleines rundes Cabinet fand, welches zu der Einrichtung seines Tempels recht eigentlich erbauet zu sein schien. Denn diesen hatte er seit der Abreise von Berlin schmerzlich vermißt, und so schritt er jetzt um desto eiliger zu der Anordnung desselben. Arthur hatte sich erboten ihm diese Arbeit durch seine Hülfe zu erleichtern, aber der Alte wies ihn durch die freundliche Entschuldigung zurück, daß er ihn nach der Vollendung des Tempels mit der Einführung in demselben überraschen wolle. Daher zog er einen ganz fremden Gehülfen vor, nämlich einen alten Aufwärter, welcher gleichsam ein unbewegliches Zubehör der Wohnung war und es selbst denjenigen Miethern, die seiner durchaus nicht bedurften, als Pflicht aufzulegen wußte, sich von ihm in irgend einer Sache bedienen zu lassen. Der gute Cecco hatte, seitdem er diesen auf vier bis fünf Zimmer beschränkten Posten bekleidete, doch wenigstens ebenso vielen Nationen aufgewartet und von jeder etwas angenommen, so daß er einem neuen Herrn immer diejenige Seite seines Wesens zukehren konnte, die für
Das Carneval begann, ehe der Marquis, welcher, schwächlich und leicht erschöpft, wie er war, täglich nur einige Stunden an seinem Tempel arbeiten konnte, die innere Einrichtung desselben vollendet hatte. Unterdessen trieb sich Arthur, schon im voraus durch die Beschreibung des großen Dichters für die Maskenlust des Corso begeistert, von dem Augenblicke des capitolinischen Glockensignals bis zu dem Donner des letzten Mörsers in den dicksten und wildesten Haufen umher. Den ersten Tag saß er als ehrbare Charaktermaske in einem Wagen, den andern mischte er sich als Pulcinell unter die Fußgänger, und auch ohne Larve
In solcher Stimmung befanden sich die beiden Reisegefährten eines Morgens ungefähr acht Tage nach der Eröffnung des Carnevals, als Cecco den Signor Bernardino meldete. Der Besuch schien dem Marquis sehr willkommen, welcher überhaupt den
Auch heute war der Professor so glücklich, den unausgesprochenen Wünschen des Marquis mit seinen
Was meinen Sie, mein lieber Herr Professor, sagte der Marquis, den hingeworfenen Gegenstand sogleich aufnehmend, wie viele Zeit braucht ein gelehrter Mann, um das römische Carneval gründlich kennen zu lernen? Da ist unser Doctor, der studirt daran schon acht Tage und Nächte lang ununterbrochen, daß er davon hat gewonnen ein blasses Gesicht und trübe Augen, und ich glaube, er hat noch nicht absolvirt seinen großen Cursus im Corso.
Arthur lachte, und der Professor blinkte ihm verstohlen zu, während er dem Marquis antwortete: Lassen Sie nur unsern jungen Freund gewähren. Jugend hat nicht Tugend. Er wär' es schon überdrüßig geworden, ich steh' Ihnen dafür, mein Herr Marquis, wenn Sie nicht soviel dagegen predigten. Als ich jung war, und der Spaß noch etwas Neues für mich, da hab' ich es nicht besser gemacht. Aber mit den Jahren legt sich das. Jetzt komm' ich kaum auf ein Paar Stunden in den Corso, um doch sagen zu können, ich habe das Carneval mitgemacht. Das gehört zu den Pflichten eines guten Römers. Aber, Herr Marquis, Sie sollten sich doch auch entschließen, das Spectakel einmal anzusehen. Einmal ist keinmal, und wer es noch nicht kennt, für den ist es schon der Mühe werth, einen Gang danach zu machen. Ich sage nicht, daß Sie sich in das Gedränge des Corso
Sehen Sie zu, ob Sie mich aus Ihrer Höhe erkennen werden, entgegnete Arthur. Wer wird Ihnen die Geheimnisse des Corso so unzeitig verrathen?
Der Marquis blickte unterdessen nachdenklich in seine leere Kaffeetasse hinein, und der Professor wiederholte mit dringenderen Worten seinen Vorschlag.
Mein sehr lieber Freund, sprach endlich der Alte, nachdem er sich mit merklicher Anstrengung zu einem Entschlusse aufgerafft hatte, Sie wissen, wie gern ich Ihnen folge in Allem, was Sie mir rathen. Aber nehmen Sie es nicht für ungut, wenn ich Ihnen sage, daß ich Ihnen nicht würde folgen dieses Mal zu dem Narrenspectakel, wenn ich nicht hätte in mir selbst eine stärkere Ueberredung dazu. Ich will mit Ihnen kommen, weil ich habe gehabt diese Nacht eine dumme Ahnung, eine alberne Phantasie, die mir will setzen in den Kopf ein Unglück, das mir soll begegnen
Der Professor wollte sich nach dieser Erklärung des Marquis mit seiner Einladung zurückziehen, und auch Arthur, welcher an Ahnungen glaubte, versuchte den alten Herrn zu bewegen, den Gang nach dem Corso auf einen andern Tag zu verschieben. Aber dieser blieb mit unerschütterlicher Festigkeit auf seinem Entschlusse stehen und vermaß sich, es in der Verachtung böser Vorbedeutungen dem Cäsar gleich zu thun.
Aber Cäsar, bemerkte Arthur, ward ein Opfer seines Unglaubens.
Besser so, entgegnete der Marquis, als wenn er wäre geworden ein Opfer des Aberglaubens. Und wenn zehn Wahrsager ständen an der Ecke des Corso und mir heute sagten, daß ich sollte umkehren, so würde ich doch gehen, wohin mich weisen meine Grundsätze.
Der Professor, welcher seinen Vorschlag mehr aus Höflichkeit, als aus abergläubischer Furcht vor bösen Ahnungen, zurückgenommen hatte, merkte nunmehr, daß es räthlicher sei, den grundlosen Widerstand aufzugeben, und empfahl sich mit dem Versprechen , den Marquis gleich nach der Siesta abzurufen.
Die Schatten bedeckten schon beinahe den ganzen breiten spanischen Platz, als der Marquis und der Professor Arm am Arm die Treppe des Monte Pincio hinunterstiegen. Während sie auf einem Absatze derselben rasteten und der alte Herr nach einem heftigen Anfalle seines Hustens wieder Athem schöpfte, zeigte ihm sein unermüdlicher Cicerone gerade gegenüber das Hotel des spanischen Gesandten. Sehen Sie dort die beiden Fenster rechts auf der Ecke der obersten Etage, bemerkte er dabei; da hat der junge Floridias gewohnt.
Floridias! Floridias! wiederholte, in sich zusammenfahrend, der Marquis und stützte sich, zitternd an Händen und Füßen, auf die Schulter seines Führers. Floridias! hab' ich recht gehört? Um Gottes willen, sagen Sie mir, lieber Professor, wie kommen Sie auf diesen Namen?
Ich habe Sie erschreckt, Herr Marquis, wie ich sehe; aber es ist ohne meine Schuld geschehn. Ich durfte nach dem, was der Herr Doctor mir gesagt hat, voraussetzen, daß dieser Name nichts Ueberraschendes für Sie haben könnte.
Was hat Ihnen gesagt der Doctor? Was weiß er von dem Namen? Nichts weiß er.
Daß Sie schon in Bologna von dem jungen Spanier gehört hätten und gern etwas Näheres über ihn zu wissen wünschten. Das fiel mir jetzt eben ein,
Um Gottes willen, Professor, sein Sie still, sein Sie still nur einen Augenblick! Lassen Sie mich kommen zu mir selbst!
Mit diesen Worten setzte sich der Marquis auf das Geländer der Treppe und lehnte sein schwankendes Haupt gegen einen Pfeiler. Ewige Gerechtigkeit! murmelte er vor sich hin und faltete die Hände gegen seine Brust. Wär' es möglich? Dieu! Dieu! C’est toi! Mais pour te comprendre, il faut être Dieu, comme toi! Strafst du so fürchterlich an den unschuldigen Kindern und Kindeskindern die Schulden ihrer Väter und ihrer Mütter?
Dann raffte er sich wieder ein wenig empor und wandte sich an den Professor zurück. Sie sprechen doch von der Ermordung des jungen Spaniers in dem Quartier der Juden? Oder bin ich verwirrt in meinem Kopfe und habe Sie nicht recht verstanden, mein lieber Freund?
Lassen wir das jetzt, Herr Marquis. Sie sind zu erschüttert, um heute mehr davon zu hören. Hätt' ich nur ahnen können, daß der Name Floridias Sie so nahe berührte, er wäre nie über meine Lippen gekommen.
Nicht nahe, nicht nahe, Herr Professor, aber tief, sehr tief berührt er mich, sehr schwer, sehr fürchterlich! Kein Freund! Kein Verwandter! Ich hab' ihn nie gekannt, ich hab' ihn nie gesehn, ich habe nie von ihm gehört. Sprechen Sie frei heraus. Wissen Sie mir nichts zu melden von der Herkunft des jungen Mannes? Ich versichere Sie noch einmal, ich habe keinen Verwandten in ganz Spanien. Der Name berührt mich an einem ganz andern Platze meines Innern. Seien Sie unbesorgt, ich bitte Sie, und sagen Sie mir alles, was Sie haben, von der Familie des ermordeten Schülers. Sehn Sie, es ist vorbei, es war eine Folge von dem Husten, und wir gehen sogleich weiter nach dem Corso.
Der Marquis sammelte mit überspannter Anstrengung den kleinen Rest seiner Kräfte, stand auf und hing sich wieder an den Arm des Professors. Gedulden Sie sich, Herr Marquis, antwortete dieser, Sie sollen alles zur Genüge erfahren. Vor der Hand weiß ich wenig mehr als nichts von der Genealogie des Hauses Floridias. Der spanische Gesandte ist, wenn ich nicht irre, ein Oheim des Schülers, oder doch sonst ein naher Verwandter. Der hatte ihn auch mit aus Spanien gebracht und war hier sein Pflegevater. Vor einigen Jahren kam auch die Mutter nach Rom, eine reiche Wittwe aus Valencia. Ein guter Freund von mir hat sie damals gemalt, der nannte sie Donna Clara.
Dieser Name durchzuckte den alten Mann von den Sohlen bis zu dem Scheitel; aber in demselben Augenblicke schien ein andrer Gegenstand mit noch stärkerer Gewalt auf ihn einzudringen und sein ganzes Wesen zu zerschmettern. Er stürzte mit einem gellenden Schrei zu Boden, die Augen wild vor sich hin starrend, die rechte Hand halb hinweisend, halb abwehrend, nach dem spanischen Platze ausgestreckt. Der Professor blickte hinunter und sah den Marquis, wie er leibte und lebte, in dem buntgestickten hellgrünen Atlasrock, mit dem weißen Rockelor und der großen Reisemütze, durch die Via Condotti hüpfen. Auf einen Augenblick verlor auch er seine Fassung bei dieser wunderbar überraschenden Erscheinung, aber sobald seine Augen sich auf den Marquis zurückwarfen, gewann er unverzüglich seine volle Besinnung wieder. Dieser lag wie leblos zu seinen Füßen, der Mund zuckte, beide Augen hatten sich krampfhaft zusammengedrückt, die linke Hälfte seines Gesichts war zum Entsetzen verzerrt, und an derselben Seite hing der Arm in regungsloser Lähmung herab. Es blieb kein Zweifel übrig, daß ein Nervenschlag ihn getroffen hatte, und eine hastige Bewegung seiner rechten Hand nach dem Herzen verrieth, daß er nahe an diesem vorbeigestrichen war. Der Professor schrie nach Hülfe, und einige Bettler, die auf der Treppe saßen, waren die ersten welche dem Rufe Gehör gaben. Sie hinkten heran, und wie sie den alten Herrn erblickten, den sie alle
Der vorausgeeilte Professor hatte unterdessen schon nach einem Arzte geschickt und den verzweifelnden Cecco so weit beruhigt, daß es ihm gelang mit Hülfe desselben die Bettler vor der Hausthüre abzufertigen und sich den Marquis von ihnen ausliefern zu lassen. Alsdann vereinigten sie sich beide, den leichten Körper die Treppe hinaufzuschaffen, und legten ihn in seinem ersten Zimmer auf ein Sopha nieder. Cecco warf sich auf die Kniee vor dem Lager hin und hielt mit ängstlicher Aufmerksamkeit einen Faden gegen den Mund des Marquis. Er hat noch Athem, lispelte er, seine volle Freude nur mit Mühe in so leise Töne zusammenfassend. Sehn Sie, mein Herr Professor, der Faden bewegt sich vor seinen Lippen hin und her. Der Andre hatte mittlerweile den Puls desselben untersucht und zuckte ungläubig mit den Achseln.
Die gewöhnlichen Mitteln, welche man in solchen Fällen anzuwenden pflegt, um die erstarrten Lebensgeister wieder zu erregen wurden der Reihe nach an
Arthur schwärmte noch unter der Maske eines Harlekins in dem Corso umher, während sein alter Freund die Larve des Erdenlebens für immer abwarf. Er hatte sich auf allen Balconen in der Gegend des venetianischen Platzes nach dem Marquis umgesehen, und da er keine Spur desselben entdecken konnte, so beruhigte er sich durch die Vermuthung, der eigensinnige Herr möchte gegen seine Gewohnheit sich doch einmal haben bewegen lassen, einen gefaßten Entschluß wieder aufzugeben. Er dachte schon nicht mehr an den Marquis und verfolgte eben eine schöne Winzerin, die ihm aus ihrem Fäßchen zu trinken angeboten hatte, als er Jenen in einiger Entfernung gewahr wurde, wie er sich, mit Konfetti um sich werfend und sich so ausgelassen als möglich geberdend, durch den dicksten Haufen hervorarbeitete. Ist denn der lebendige Fastnachtsteufel in den Alten gefahren? frug sich Arthur, und eilte auf die unbegreifliche Erscheinung los, die von allen Seiten beschossen und sich wohlgemuth vertheidigend, in einer weißen Staubwolke schwebte. Trinken Sie nicht von der Hexe! Trinken Sie nicht! Liebestränke! Liebestränke! so scholl es dem Harlekin entgegen, und sein Ohr glaubte die Stimme des Marquis zu vernehmen, aus dessen Haufen der Anruf herkam. Dazu begrüßte ihn ein voller Wurf der grobschrötigsten Confetti, deren Ladung sein Gesicht in so sicherer Richtung traf, daß er einige Minuten brauchte, um
Da lag der Todte noch eben so, wie er niedergesunken war, auf dem Erdkissen hingestreckt, in der abenteuerlichen Umgebung seines Tempels. Arthur bebte zurück, ohne einen Laut von sich zu geben, und faltete unwillkürlich seine Hände über die Stirne zusammen. Es war eine Scene von großartiger Wunderlichkeit, die sich den Augen des Professors und des Arztes, welcher noch immer mit seiner Lanzette die Adern des Abgestorbenen durchstach, in dieser kecken Begegnung von Tod und Leben darstellte. Wie in alten Bildern der Hanswurst Hand in Hand mit dem Gerippe des Sensenträgers erscheint, so zeigte sich hier der junge, blühende Harlekin neben der Leiche des alten Mannes, aber in seiner Stellung und in dem Ausdrucke seines Gesichts glich jener vielmehr einem Genius des Todes, und die aus seinen Händen gefallene Pritsche hätte an die umgestürzte Fackel erinnern können.
Sobald Arthur sich einigermaßen gefaßt und mit dem Professor verständigt hatte, erprobte er selbst noch einen letzten ärztlichen Versuch an dem todten Körper und entfernte dann seinen geschäftigen Collegen. Er hat vollendet! sprach er zu dem Professor. Amen! murmelte Cecco nach. So einen Herrn bekomm' ich nicht wieder.
Ein langes tiefes Schweigen folgte diesen Worten, aber die Gesichter der drei Lebenden drückten in stummer Sprache die verschiedenen Empfindungen und Gedanken aus, welche der Todte in ihnen unterhielt. Der Professor zeigte die ernste, aber gemüthlose Stimmung, in welche der Anblick einer Leiche jeden Sterblichen zu versetzen pflegt; Cecco hatte seine oberflächliche Rührung auf allen Zügen lang und breit ausgelegt, und Arthur starrte gerade vor sich hin, wie es schien, von dem nahen Todten gar nicht berührt, sondern in einen andern fernen Gegenstand mit allen seinen Sinnen versunken. Der Erste, welchen die stumme Scene endlich zu langweilen anfing, fühlte sich dadurch veranlaßt, den jungen Mann zu fragen, woran er denke. Dieser, wie aus einem Traume aufgeschreckt, fuhr zusammen, stammelte ein nichts bedeutendes Was und entschuldigte seine Zerstreuung. Ich frug, woran Sie denken, wiederholte der Professor. Denn ich seh' es Ihnen deutlich an, Sie sind nicht hier. Ist Ihnen etwas begegnet?
Sie werden über mich lachen, Herr Professor, sprach Arthur, nachdem er sich gesammelt hatte. Es ist mir allerdings etwas begegnet, und etwas so Wunderbares, daß es mich auch jetzt noch tiefer erschüttert, als der Anblick des Todten selbst. Ich habe den Marquis im Corso gesehn, während er hier gestorben ist.
Ist es weiter nichts als das, Herr Doctor? ent-
Ihre Erzählung, fiel Arthur ein, macht die Sache noch bedeutungsvoller und unbegreiflicher.
Aber um Gottes willen, mein lieber Doctor, fuhr der Andre mit steigender Lebendigkeit fort, wie können Sie so abergläubisch sein? Ich gestehe Ihnen zu, daß eine solche Erscheinung einen im ersten Moment betroffen machen kann; aber damit muß auch alles abgethan sein. Was würde Der da sagen, wenn er Sie so sprechen hörte?
Arthur wandte bei diesen Worten seine Augen auf das Gesicht des Marquis, dem der Tod den gespannten und peinlichen Ausdruck seiner reizbaren Empfindlichkeit wiedergegeben hatte, und so schien es
Lassen wir das jetzt dahingestellt! nahm der Professor nach einer kurzen Pause die Rede wieder auf. Ziehn Sie Ihre Maskenkleider aus und kommen Sie zu mir herauf, ohne Umstände, zu einem Salat und einer Fogliette selbstgekelterten Albaner. Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzutheilen von den letzten Augenblicken des Marquis, dessen Zeichen und Winke Sie wahrscheinlich besser auszudeuten verstehen werden, als ich. Unterdessen schicke ich dem alten Cecco einen Gehülfen von meinen Leuten, um die Leiche auf ein Lager zu bringen. Kommen Sie heraus. Es fängt an, mir unbehaglich zu Muthe zu werden in dem Cabinet.
Arthur folgte ohne Widerstand dem Professor, welcher seinen Arm ergriffen hatte, um ihn aus der dämmernden Klause des Todes in das helle Licht des Lebens zurückzuführen. Das große Fenster mit der freien Aussicht über die ewige Stadt war hoch aufgeschoben, und eben sank die Sonne, mit Gold und Purpur angethan, hinter die Cypressen des Monte Mario. Ihre letzten Strahlen lösten sich wie in schmerzlicher Trennung von den Kuppeln und Zinnen, und man hätte ihr noch heute, wie vor achtzehnhundert Jahren, zurufen mögen:
Der Jüngling blieb vor dem erhabenen Schauspiele der untergehenden Sonne stehen und richtete sich, je tiefer sie sank, immer höher in sich empor. Die ganze Stadt mit ihrer hügelvollen Ebene erschien ihm wie ein großes Todtenfeld, tief unten die Aschenkrüge von Königen, Helden und Vestalinnen, darüber die zerbröckelten Gebeine von Heiligen und Märterern und obenauf eingesargte Leichen ohne Wunden und Kränze. Da donnerten die Mörser von dem Corso herüber. Der Lauf ist vollbracht, murmelte Arthur vor sich hin, der Fastnachtstag des Lebens ist geschlossen. Nun ziehen wir Säcke über, bestreuen uns mit Erde und schlafen, bis die donnernden Mörser uns am Morgen der Auferstehung wieder erwecken.
Arthur konnte die ganze folgende Nacht hindurch kein Auge schließen, und gegen seine Gewohnheit ließ er eine Lampe in seiner Schlafkammer brennen, wahrscheinlich, weil die Nähe der Leiche ihn in der Dunkelheit beunruhigt haben würde, angeblich aber um zu lesen. Er hatte einige Werke des Lord Byron auf
So gab er es denn auf, zu lesen, und überließ sich der freien Unterhaltung mit seinem eigenen Kopfe und Herzen. Wie es zu geschehen pflegt, daß wir einen Menschen, der uns im Leben gleichgültig oder gar unangenehm berührte, erst nach seinem Tode höher zu schätzen anfangen, besonders wenn er irgend ein Unrecht, das wir gegen ihn verschuldet haben, mit sich aus der Welt genommen hat, so erging es unserm jungen Freunde mit dem Marquis. Er hielt sich die guten und schönen Eigenschaften desselben nach der Reihe vor und setzte daraus ein Charakterbild zusammen, welches seine ganze Liebe und Verehrung in Anspruch nahm. Dann verweilte er mit reuiger Beschämung auf denjenigen Zügen dieses Bildes, welche sein näheres Verhältniß zu dem alten Herrn ihm besonders oft zugekehrt hatte. Auch du hast ihn ver-
Nachdem er sich lange mit solchen Vorwürfen gequält hatte, führten seine Gedanken ihn allmählich von der Vergangenheit in die Zukunft über und spiegelten ihm neue Aussichten und Pläne des Lebens vor. Der Marquis, welcher nach seiner Auswanderung den Rest seines Vermögens in eine Familienleibrente umgesetzt halte, war außer Stande gewesen, seinem jungen Freunde eine Erbschaft zu hinterlassen; aber wie er in Allem, was er anfing, mit fast übertriebener Vorsicht auf jeden möglichen Fall bedacht war, so hatte er auch bei seiner Abreise von Berlin seinen bedeutenden jährlichen Wechsel auf Arthur's Namen übergeschrieben. Dadurch war nicht allein die Rückreise desselben gesichert, sondern er hatte sogar hinreichende Mittel in Händen, um seinen Aufenthalt in Italien verlängern zu können. Dieses nahm er sich auch vor: er wollte nach der Osterwoche Neapel besuchen, dann die heißen
Da schwebte auch das Bild der Lureley, wie jener Traum kurz vor seiner Abreise aus Berlin es ihm gemalt hatte, in den zu allen Freuden und Leiden der Liebe gereiften Zügen seiner kleinen Minna an ihm vorüber und verwirrte sich, wie damals, mit dem geheimnißvollen Portrait in dem Tempel des Marquis. Dieses regte jetzt seine Neugier bis zu den verwandten Gefühlen einer peinigenden Sehnsucht auf. Es war ihm nicht mehr verschlossen, das wunderbare Bild, welches, ohne daß er es jemals mit wachen Sinnen angeschauet hatte, sich doch schon in seinem Herzen abgespiegelt zu haben schien; jeden Augenblick konnte er die dunkle Tiefe seines Verlangens durch die Betrachtung desselben aufklären; ja, er hatte vor wenigen Stunden dicht neben dem Altare gestanden, welcher das Pappenhäuschen trug, an dessen Fenster das Portrait sich lehnen sollte. Hätten nicht die Schauer der Mitternacht ihn zurückgehalten, sich durch
Hastig riß er die Thüre des finstern Cabinets auf. Da heulte ihm der alte Bologneser jämmerlich entgegen und drängte sich zwischen seinen Füßen hinaus, um seinen Herrn zu suchen. Er leuchtete nach dem Altare und erblickte auf demselben das kleine Haus, das große Fenster und dahinter das Portrait. Es lief ihm heiß und kalt durch alle Nerven und Adern von dem Scheitel bis in die Zehen. Eine unergründliche Fülle von Schönheit und Schmerz lag in den Zügen dieses Bildes; die großen braunen Augen, in einem bläulichen Meere schwimmend, wollten ihn mit sich hinabschlingen in ihre Tiefe, und die schwarzen
Es dauerte lange, bis diese schwärmerische Verzückung sich in ihm erschöpfte und seine Sinne wieder so weit aus ihren Fesseln ließ, daß sie sich auch auf die übrigen Gegenstände ihrer abenteuerlichen Umgebung richten konnten. Arthur erkannte die ganze Einrichtung des Tempels nach der Beschreibung, welche der geschwätzige Diener des Marquis ihm in Berlin davon entworfen hatte. Nur der Kirschkern fehlte,
Wir geben die kleine französische Schrift, welche der Marquis für seinen jungen Freund aufgesetzt hatte,
„Man hat in der neuen Zeit eine Kunst erfunden, welche die Mnemonik genannt wird. Diese Kunst kömmt der Kraft des Gedächtnisses dadurch zu Hülfe, daß sie Begriffe, Gedanken, Wörter und Sätze an gewisse äußere Gegenstände, Zeichen oder Zahlen knüpft. Wenn es nun der Muhe werth ist, eine Mnemonik für den Kopf zu erfinden, um sein Gedächtniß mit fremden und gleichgültigen Namen und Wörtern vollzustopfen, warum sollte es nicht auch eine Mnemonik für unser Herz geben, durch welche die Erinnerung vermöge derjenigen Gegenstände, welche Begleiter oder Zuschauer längst vergangener Zustände unsrer Gefühle, Neigungen und Leidenschaften gewesen sind, viel unmittelbarer in Anspruch genommen würde?
Mein Tempel der Erinnerung ist dieser Mnemonik des Herzens geweihet, und er enthält heilige Denkmäler aus einer Periode meines Lebens, von welcher ich durch einen wüsten und dunklen Zwischenraum voll starrer Fühllosigkeit und bewußtloser Raserei so weit getrennt bin, daß es mir scheinen muß, ich hätte zweimal gelebt und wäre zwischen meinem ersten und andern Leben gestorben, begraben worden und wieder auferstanden. In mein erstes Leben gehören alle Denkmäler dieses Tempels. Jeder Rock giebt mir die Schläge des Busens wieder, die er einst
Die heiligsten Denkmäler meines Tempels stehen auf dem Altare, ein kleines spanisches Haus und in demselben ein weibliches Portrait.
Um die Bedeutung desselben zu erklären, muß ich einen größern Theil meiner Lebensgeschichte in ihrem Zusammenhange erzählen.
Meine Familie, eine der ältesten, edelsten und reichsten aus der Vendée und seit ihrem Ursprunge ausgezeichnet durch unverbrüchliche Treue und Alles aufopfernden Heldenmuth in der Beschützung und Vertheidigung der königlichen Rechte und Ehren, bestand vor dem Ausbruche der Revolution aus vier Brüdern, von denen ich der jüngste war, und einer noch etwas jüngeren Schwester. Mein ältester Bruder bewohnte unser Stammschloß, in ländlicher Zurückgezogenheit und häuslichem Frieden von den Strapazen und Wunden eines rühmlichen Kriegsdienstes ausruhend. Der zweite stand als Offizier in der Leib-
Ich selbst, der ich meine Laufbahn als Page begonnen hatte und in der Folge einigen Gesandten als Cavalier beigegeben worden war, befand mich seit 1788 in Madrid, wohin ich von meinem Könige in einer eben so geheimen als wichtigen Angelegenheit ohne diplomatischen Charakter geschickt worden war. Denn mein Geschäft war ein persönlicher Auftrag meines Herrn und mußte daher auch unmittelbar mit dem Könige von Spanien verhandelt werden. Wäre Ludwigs Correspondenz nicht damals schon bewacht gewesen, so hätte es meiner als Zwischenträgers nicht bedurft. Indessen zeugte doch die auf mich gefallene Wahl meines Königs von dessen unbegrenztem Vertrauen auf meine verschwiegene Treue, wenn die Sache selbst auch keine außerordentliche politische Geschicklichkeit erforderte. Aber ich schweige davon; denn Ludwig ist dahingegangen, ohne das Siegel des Geheimnisses von meinen Lippen zu lösen.
Unterdessen fing in meinem Vaterlande das Urngeheuer der Revolution an, seine wilde, raubsüchtige und blutige Natur zu entwickeln. Alle Glieder meiner
Zwei meiner Brüder und auch meine Schwester sind als Opfer für die heilige Sache, welche sie bis auf ihren letzten Blutstropfen heldenmüthig verfochten haben, gefallen. Der Offizier der Leibgarde fand seinen Tod unter den Händen des wüthenden Pöbels,
Ich kehre zu mir zurück. Der Tod meines Königs hatte mein Geschäft in Madrid beendigt, und ich beschloß, aufgefordert von meinem ältesten Bruder und nicht minder von meinem eigenen Herzen getrie-
Inzwischen hatten die Republikaner dem Könige von Spanien den Krieg erklärt, und ich zog es vor, unter fremden Fahnen für mein Vaterland zu kämpfen, als mich in den innern Streit der Parteien zu mischen, unter denen damals wohl auch kaum noch eine zu finden war, deren Grundsätze und Absichten ich zu den meinigen hätte machen können, und die es wiederum hätte wagen sollen, meine Sache als die ihrige zu verfechten. Denn von echten und reinen Royalisten, die den Tod ihres Königs überlebt hatten, waren um diese Zeit nur noch sehr wenige in Frankreich versteckt.
Der erste Feldzug, in dem ich mich als Soldat versuchte, verleidete mir die Waffen: es war der des Sommers 1794, welcher die Spanier, die unter Ricardos nach Roussillon vorgedrungen waren, mit Schimpf und Schande über die Pyrenäen zurückjagte.
Ich hatte die Sommermonate in dem reizenden Hafenflecken Grao, eine halbe Stunde von Valencia, zugebracht und die dortigen Seebäder mit dem glücklichsten Erfolge bis gegen den Ausgang des Septembers gebraucht, da geschah es eines Nachmittags, es war am 30. September 1799 um die sechste Stunde, daß ich in der Alameda, einem Spaziergange, welcher von Valencia nach Grao führt, auf einer Rasenbank unter einer Palme eine Frauen-
Debora's Portrait, welches in dem Pappenhause steht, hat ein geschickter Maler aus Valencia verstohlener Weise auf dem Spaziergange und an dem Fenster eines ihrer Wohnung gegenüberliegenden Hauses für mich gemalt. Es kann für ähnlich gelten, und dennoch gleicht es ihr nicht mehr, als ich einem Antinous. Das Haus, in welchem es aufgestellt ist, habe ich erst später aus der Erinnerung dem nachgebildet, welches sie in Grao bewohnte, und auch das große Fenster, aus welchem sie herauszuschauen pflegte, ist in demselben für das Gemälde angebracht. Ich habe sonst kein Angedenken von ihr aufzuweisen, als den Kern einer kleinen kirschartigen Pflaume, den ich seit dem Augenblicke, daß ich ihn unter ihrem Fenster auffing, fast unausgesetzt in meinem Munde trage.“
Die Schriftzüge gaben an dieser Stelle eine zitternde Hand zu erkennen, und es schien auch, als ob die folgenden Zeilen nach einer Unterbrechung mit neuer gesammelter Kraft wieder ansetzten.
„Theodora nannte sich die schöne Fremde unter der Palme, und sie war für mich, was dieser Name bedeutet, eine von Gott Gegebene. Von ihren Verhältnissen erfuhr ich Folgendes. Sie war aus Malta gebürtig und seit einem Jahre mit einem reichen Kaufmanne verheirathet, welcher in Perpignan wohnte, aber seine größten Geschäfte in Spanien betrieb. Er reis'te fast das ganze Jahr hindurch in diesem Lande, begünstigt durch die Schutzbriefe einiger Gesandten,
Ihren Mann habe ich nie gesehn. Er war damals in Barcellona beschäftigt und hatte seine Gattin unterdessen in die Bäder von Grao gebracht, wo sie sich nach ihrer ersten Niederkunft, von der sie nur seit Kurzem erstanden war in Luft und Wasser stärken sollte. Ihre Begleiterin war eine Schwester ihres Mannes, ein Drache bei einer Taube, oder eine Lea neben einer Rahel.
Meine Liebe zu der schönen Debora war so frei und rein von jedem Wunsche nach Besitz und Genuß, daß die Kunde von ihren Verhältnissen meine Gefühle weder erstickte, noch herabstimmte. Bettlerin oder Königin, Heidin oder Christin, was frug ich danach, wenn ich mich nur täglich in ihre Anschauung versenken konnte? Mehr ein günstiger Zufall, als meine schüchterne Bemühung, setzte mich nach einiger Zeit in nähere Berührung mit ihr, und das Schachspiel, welches ihre liebste Beschäftigung war, und worin ich für einen Meister galt, führte uns Tag auf Tag in bestimmten Stunden, bisweilen auch ohne Zeugen, zusammen und wurde der Vermittler unsrer Herzen.
Ich muß kurz sein, denn meine Sinne fangen an zu schwindeln, indem sie die Erinnerung an dieses
Als ich am andern Morgen das himmelschreiende Ereigniß ihrer Verhaftung erfuhr, eilte ich, von Angst und Wuth gepeitscht, nach Valencia und ließ mich bei dem ersten Inquisitor melden, welcher zu dem Kreise meiner Bekanntschaft gehörte. Ich wurde nicht vorgelassen, und auch meine wiederholten und immer dringender werdenden Briefe an denselben blieben unbeantwortet. Da ahnete ich endlich den satanischen Ursprung und Zusammenhang der Verschwörung, welche die Verhaftung meiner Debora bewirkt hatte, und schauderte zurück vor dem Abgrunde, den das Licht der Hölle mir zu meinen Füßen eröffnet zeigte.
Donna Clara de Floridias, eine Schwester jenes Inquisitors, eine Dame von galantem Rufe, deren Gemahl seit einiger Zeit in Mexico einen wichtigen aber nicht beständigen Posten bekleidete, hatte mir unlängst ihre Gunst zugewandt, und ich war nicht unempfindlich für dieselbe geblieben. Aber meine Bekanntschaft mit der schönen Debora brach dieses Verhältniß augenblicklich ab, und gekränkter Stolz und eifersüchtige Rachgier machten eine Furie aus jenem Weibe. Sie hatte die ganze Anklage gegen die Unschuldige geschmiedet und die nächtliche Verhaftung derselben bei ihrem Bruder durchgesetzt; sie war es,
Mit diesem Augenblicke verläßt mich die Erinnerung meines Selbstbewußtseins, und es tritt die Periode meines ersten Todes ein. Als ich von demselben erwachte, war ich so, wie Sie mich jetzt sehen, ein weißköpfiger Greis, in welchem Alles schwach, kalt und blaß geworden, bis aus Eines, das durch meine alte Natur mit krampfhafter Jugendstärke zuckt und ein so wunderliches Wesen aus mir macht, daß es mir zuweilen nicht anders vorkömmt, als ob ich
Hier schloß die Erzählung. Als Arthur sie zu Ende gelesen hatte, stürzten die schon lange vorher hinter seinen Augen zusammengelaufenen Thränen in großen und schnellen Tropfen über seine Wangen herab. O du Held der Liebe und der Leiden, rief er aus und preßte das Papier gegen sein brennendes Gesicht, du heiliger Märterer der Treue, warum ist dein Herz, dein großes, wunderreiches Herz, gebrochen, eh' ich dessen vollen Schlag an dem meinigen gefühlt? Warum ist die reine Opferflamme deines Lebens erloschen, ohne daß ich mein Inneres daran erwärmt und geläutert habe? O Gott, warum bist du gestorben, und ich habe dich nicht geliebt!
Mit diesen Worten eilte er nach dem Zimmer, in
Die Bestattung des Marquis wurde gewissenhaft nach den Andeutungen seiner letzten Augenblicke eingerichtet, und Arthur ergänzte das, was unbestimmt geblieben war, nach dieser und jener gelegentlichen Aeußerung seines abgeschiedenen Freundes. Man bekleidete die blasse Leiche mit dem rosenrothen Atlasrocke, legte sie auf das große Erdkissen und trug sie in einer frühen Morgenstunde, als eben die aufgehende Sonne den Schleier der Nebel von den Gräbern der Via Appia emporhob, nach der Pyramide des Cestius hinaus. Arthur wußte zwar, daß der Marquis ein geborener Katholik war, aber er kannte auch dessen
Nachdem Arthur sich der letzten Pflichten gegen seinen väterlichen Führer mit eben so ernster als innig gefühlter Theilnahme entledigt hatte, so nahm das bezaubernde Portrait ihn wieder anhaltender und ungetheilter in Anspruch, als die Geschäfte der vorigen Tage es zugelassen hatten. Die Geschichte des unglücklichen Originals verklärte ihm das Bild, welches sein Herz auch ohne diese Bekanntschaft schon so wunderbar befangen hatte, zu einer noch höheren Bedeutung, und er saß oft Stunden lang in die Betrachtung desselben versenkt und die Erzählung des Marquis aus den gemalten Augen und Lippen der schönen Debora gleichsam lebendig wiederholend. Er trug die Portraitkapsel auf seiner Brust, wenn er ausging, zu Hause legte er sie selten aus seinen Händen,
Der Professor, welcher in den ersten Tagen nach dem Tode des Marquis die plötzliche Veränderung, die er an seinem Hausgenossen bemerkte, von diesem Trauerfalle herleitete, überließ ihn den stillen Wirkungen der Zeit, wohl wissend, daß andre Heilmittel einen solchen Zustand nur zu verschlimmern pflegen. Nachdem er aber die seltsame Stimmung des Jünglings länger und prüfender beobachtet hatte, so ward es ihm klar, daß sie einen andern und tiefern Ursprung haben müßte, und er verfiel, wie natürlich, auf die Vermuthung, daß er sich verliebt habe. Cecco bestärkte ihn in dieser Meinung und erzählte von Seufzern, Thränen in den Augen, verschlossenen Thüren und endlich auch von einem Portrait. Dieses wäre jedoch schon mit nach der Wohnung gekommen, wahrscheinlich das Bildniß der Geliebten, die der Herr Doctor in seiner Heimath zurückgelassen hätte, und von welcher er nun irgend eine beunruhigende Nachricht empfangen haben möchte. Der arme junge Herr! fügte er hinzu. Man kennt ihn nicht wieder. Sein Gesicht, sonst so roth, wie eine Oleanderblüte, und so rund, wie eine Pomeranze, wird von Tag zu Tage länger und spitzer, und seinen neuen Rock, er trägt ihn erst seit sechs Wochen, habe ich gestern heimlich um ein paar Finger breit einnähen lassen, so erbärmlich hing er ihm um den Leib herum. Wenn er so
Gerade so, wie der alte Cccco ihn geschildert hat, saß Arthur eines Tages in seiner Kammer vor dem Götzenbilde des Portraits, ganz untergesunken in die Anschauung seines todten Ideals, als der Professor, dessen Klopfen er überhört hatte, plötzlich die Thüre hinter ihm öffnete, zu ihm heranschritt und ihm auf die Schulter klopfte. Der Jüngling bebte zusammen, und indem er, sich umsehend, seinen Hausgenossen erkannte, verzog er sein Gesicht zu einer ängstlichen Freundlichkeit und hieß ihn willkommen. Der Professor faßte ihn bei der Hand und hielt ihm mit ernster Wärme die unbegreifliche Veränderung vor, die er seit mehreren Tagen an ihm bemerkt habe. Was fehlt Ihnen, lieber Doctor? fuhr er fort. Vertrauen Sie sich mir an. Ihr Zustand ist mir ein Räthsel, und ich wage nicht, Ihnen irgend ein Heilmittel vorzuschlagen, bevor ich den Ursprung und Sitz Ihres Uebels kenne. Aber, was es auch sei, Sie müssen einen Entschluß fassen, sich aus sich selbst herausreißen, unter Menschen gehn, Zerstreuung
Ist es schon so spät? frug Arthur, um doch auch ein Wort von sich hören zu lassen. Denn er hätte eben so gut fragen können: Ist es noch so früh?
Freilich, freilich, Herr Doctor, antwortete der Professor. Es ist vier Uhr, aber ich bin heute auch länger als gewöhnlich in meinem Studium aufgehalten worden von einer enthusiastischen Kunstfreundin, und Sie sollen bei mir noch eine warme Schüssel finden.
Ich danke Ihnen, lieber Freund, entgegnete Arthur. Sie wissen ja, was für einen schlechten Gast ich jetzt abgebe.
Wir essen ganz allein, fuhr der Professor dringend fort, wir bleiben unter vier Augen, und da müssen Sie sich mir entdecken, ich lasse Sie nicht los.
Entdecken? sprach der Andre mit einem schmerzlich bittern Lächeln. Was soll ich Ihnen denn entdecken? Weiß ich mir doch selbst keine Rechenschaft zu geben von dem, was mich quält und entzückt, und glauben Sie mir, ich wäre gerettet, wenn ich es meinem eigenen Bewußtsein entdecken könnte, was ich habe oder was mir fehle.
Mittlerweile warf der Professor einen Blick auf das Bild, welches Arthur in der Ueberraschung zu verstecken vergessen hatte. Ei, ei, Herr Doctor! rief
Debora! schrie Arthur auf und stürzte sich dem Professor entgegen. Wer hat Ihnen den Namen verrathen?
Mäßigen Sie sich nur, Herr Doctor, sprach abwehrend Signor Bernardino. Ich bin ja kein Nebenbuhler. Meine Frau macht zuweilen ein Geschäftchen mit dem alten Shylock und verkauft ihm abgetragene Kleider und zerbrochenes Silberzeug. Diese Handelsverbindung hat mir das Glück verschafft, die schöne Tochter des Juden ein paar Mal von Angesicht zu Angesicht zu schauen.
Mir schwindeln die Sinne, unterbrach ihn Arthur. Ich bitte Sie um Alles, was Ihnen heilig ist, sprechen Sie deutlicher, oder ich werde verrückt. Das Original dieses Portraits ist todt, seit zwanzig Jahren todt. Ich fand das Bild in dem Nachlasse des Marquis, und der hat es vor zwanzig Jahren in Spanien malen lassen.
Der Professor stutzte einen Augenblick, dann erwiderte er entschieden und wohlgemuth: Nun, wenn ich Ihnen das glauben soll, so glauben Sie auch mir,
Aron? stammelte der Jüngling nach. Will die ewige Vorsehung mich zu einem Narren ihrer Launen machen?
Aron, sag' ich Ihnen, fuhr der Pofessor fort. Aber ich nenn' ihn immer Signor Shylock, und er läßt sich's gefallen, weil er nicht weiß was ich damit meine. Der alte Kerl sieht mir aus, als ob er sich von Christenfleisch nährte, eine heimtückisch grausame Judaslarve, wie ich keine zweite auf der Welt kenne. Meine Kinder laufen davon, wenn er in die Stube tritt, aber meine Frau behauptet, es lasse sich doch gut mit ihm handeln.
Und die Tochter? frug Arthur mit feuriger Hast.
Ist ein Engel, antwortete der Professor, ein Ausbund von Schönheit und Anmuth. Der Ritter Camuccini hat dem Alten unlängst hundert Scudi geboten, wenn er Sie ihm als Modell zu einer Tochter Jephtha's überlassen wollte. Aber Gott bewahre! der Shylock hält sein Töchterchen so koscher, wie seinen Bart, und ich glaube, sie ist noch niemals aus den Thoren des Ghetto gekommen.
Wunderbar! murmelte Arthur vor sich hin und rieb sich die Stirne. Immer wunderbarer! Wer seid ihr denn, ihr geheimnißvollen Mächte, die ihr
Keine Monologe, Herr Doctor, unterbrach ihn Signor Bernardino, und um die Sache so kurz als möglich in das Klare zu bringen, so lassen Sie uns auf der Stelle einen Vertrag schließen. Erstens gehn Sie mit mir zu Tische, zweitens erzählen Sie mir so viel, als sich erzählen läßt, von Ihren, wie soll ich es nennen? — Verhältnissen oder Beziehungen zu dem Bilde da, drittens, wie die Sache auch stehe oder noch zu stehen komme, versprechen Sie mir keine nächtlichen Expeditionen und Bekehrungsversuche im Ghetto zu unternehmen, und dafür verpflichte ich mich, Sie sollen die schöne Debora sehen, mit eigenen Augen, wie sie leibt und lebt, und wenn Sie Ihren Augen nicht trauen wollen, so mögen Sie es ohne meine Hülfe versuchen, sich als ungläubiger Thomas durch Berührung von dem Fleische und Blute derselben zu überzeugen. Schlagen Sie ein, und wir machen heute noch einen Gang danach.
Arthur, welcher nicht mehr wußte, ob er träume oder wache, legte seine Hand unwillkürlich in die ihm entgegenkommende Rechte des Professors und folgte demselben, ohne zu bedenken, wohin und weßwegen.
Alles, was Arthur dem Professor von dem wunderbaren Gemälde und seinen namenlosen Gefühlen für dasselbe erzählen konnte, schwebte so weit über die Sphäre der Begriffe und Erfahrungen dieses vernünftigen Mannes hinaus, daß er sich nicht erwehren konnte, dem Argwohne noch einmal Gehör zu geben, als treibe der junge Mann seinen Spott mit ihm und verstecke dahinter das Geheimniß einer Liebschaft mit der schönen Debora. Bedachte er aber wieder, was Cecco von jenem Portrait und dem närrischen Götzendienste des Doctors berichtet hatte, und verglich er damit die altväterische Malerei des Bildes, so blieb ihm keine Wahl übrig, wohin er seinen Glauben zu wenden hätte, und er betrachtete seinen jungen Freund als einen Candidaten des Tollhauses. Die Aehnlichkeit des Portraits mit der Jüdin im Ghetto erschien ihm nun als eine allerdings seltsame, doch ohne übernatürliche Beziehungen erklärliche Zufälligkeit, und er überlegte bei sich, ob dieser Umstand nicht vielleicht auf irgend eine Weise zu Arthur's Heilung benutzt
Arthur fügte sich ohne Widerspruch, aber, wie es schien, ziemlich gleichgültig in den Vorschlag seines Freundes und frug nicht wieder nach dem Vater und der Tochter, deren Namen ihn kurz vorher so gewaltsam überrascht hatten. Man hätte erwarten sollen, daß die nahe Aussicht, eine lebendige Copie des angebeteten Bildes zu sehen, ihn entzücken würde; aber der Taumel der Erschöpfung, welcher ihn noch immer umfangen hielt, ließ keine starke Regung in seinem Herzen aufkommen. Auch konnte er es den Augen des Professors nicht zutrauen, daß sie mehr
In solcher gegenseitigen Stimmung machten der Wirth und der Gast nach einer kurzen Mahlzeit sich auf den Weg und erreichten den Ghetto, ohne viele Worte gewechselt zu haben. Arthur hatte den verrufenen Ort noch niemals betreten und kannte ihn nur aus der Schilderung in dem Volksbuche von dem Martertode des Don Alonzo de Floridias, dessen Lesung auch seine eigene Phantasie in diesen schmutzigen Winkel des Elends und der Schmach hineingezogen hatte. Als er nun vor dem offenen Thore stand und in die kleine armselige Stadt der alten Bürger von Jerusalem eintreten wollte, aus welcher ein übelriechender Dampf und ein verworrenes Ge-
Das kreischende Geschrei der zerlumpten Kinder, welche vor den Thüren der schwarzgerauchten Hütten einander die Köpfe kratzten und ihn mit ihren zigeunerartigen Gesichtern angrinsten, durchkreuzte diese poetischen Träumereien und riß ihn in die ekelhafteste Wirklichkeit herab. Ein paar gelbe, zusammengeschrumpfte Sibyllen kauerten an einem Brunnen und zupften Goldfäden aus zerrissenen Tressen, und ein alter Weißbart in einem schwarzen Kaftan ging mit feierlichen Schritten unter Absingung eines hebräischen Gebetes an den Häusern entlang und schlug mit einer Klapper gegen jedes Fenster. Der Professor bog in einen halb verdeckten Durchgang ein, welcher von Lumpen und anderm Kehricht fast verstopft war. Arthur ließ sich nachziehen, und sein Führer ermuthigte ihn durch die Versicherung, daß sie jetzt ihrem Ziele ganz nahe wären. Da vor uns, in dem Hause mit der niedrigen Thüre, da wohnt die schöne Debora,
Mit diesen Worten fing Signor Bernardino schon wieder an, das Haus zu bestürmen, und Arthur, welchen der unnütze Lärm immer verdrießlicher machte, drückte sich um eine Ecke und bemerkte hinter derselben ein ganz kleines Nebengebäude, welches durch ein altes Mauerstück mit dem größern in Verbindung stand. Er ging darauf zu, um nur dem Professor aus dem Gesichte zu kommen, und lehnte sich lauschend gegen ein rundes dicht verschlagenes Fenster, in dessen schwarzen Brettern er eine helle Spalte bemerkt zu haben glaubte. Er hatte sich nicht getäuscht: er hörte Fußtritte, die mit einem starken Pochen abwechselten, und die schmale Oeffnung einer auseinandergesprungenen Planke ließ ihn in eine enge gewölbte Zelle schauen,
Arthur selbst hat es nicht angeben können, ob er bei diesem Anblick den Namen Debora ausgerufen, oder mit seiner Stirne gegen die Bretter gestoßen habe. Da sprang die Betende, wie ein Reh nach dem Fehlschusse des Jägers, in ängstlicher Hast von ihren Knieen auf, griff nach dem Crucifix und blies die Lampen aus. Zu gleicher Zeit rief der Professor, und Arthur, welcher in diesem Augenblicke gerade noch so viel Bewußtsein in seinem zerrütteten Geiste zu-
Wir wollen es nicht versuchen, unserm jungen Freunde in das wilde Labyrinth der Gedanken, Ein-
Der letzte Vorschlag erschien ihm endlich als der beste, und er beschloß, ihn sogleich am nächsten Morgen auszuüben, ohne irgend eine fremde Hülfe dabei in
Mit gehaltener Sehnsucht erwartete Arthur den Anbruch des verhängnißvollen Morgens und erhob sich mit den ersten Strahlen der Sonne von seinem Lager. Er schlich mit leisen Schritten die Treppe hinunter und zu der Thüre hinaus, um durch den geschwätzigen Gruß des alten Cecco nicht in seiner feierlichen Stimmung unterbrochen zu werden. So
Wie kann eine Kirche ein Haus Gottes sein, dachte er im Heraustreten bei sich selbst, wenn sie den Menschen nicht zu allen Stunden offen steht? Ist doch Gottes Herz uns immer aufgeschlossen, so oft wir das Verlangen fühlen, uns ihm zu nahen: warum soll denn sein Haus uns nur dann geöffnet werden, wann der Priester fertig ist mit seiner Predigt und der Cantor mit seiner Orgel? Welche selige Stärk-
Unter ähnlichen Betrachtungen erreichte der Jüngling das Thor des Ghetto. Er trat hinein und erstaunte über die lebendige Bewegung auf der Gasse in einer so frühen Stunde. Männer, Frauen und Kinder liefen aus einem Hause in das andre, steckten die Köpfe zusammen und geberdeten sich untereinander, als ob irgend ein Unfall ihre gemeinschaftliche Theilnahme ängstigend anspräche. Denn einige Weiber zerrauften sich die Haare, der ziegenbärtige Greis in dem schwarzen Kaftan riß diesen von oben bis unten auseinander, und die kleinsten Kinder verkrochen sich heulend unter die Mäntel ihrer Mütter. Arthur ließ sich durch diese abenteuerlichen Begegnungen nicht zurückhalten, sein Ziel zu verfolgen, und wandte sich in den bedeckten Gang hinein, welcher nach der Wohnung des alten Aron führte.
Aber kaum hatte er seinen Fuß in diese enge Straße gesetzt, als eine rauhe Stimme ihm ein herrisches Halt! entgegenrief. Er fuhr zusammen, blickte auf und erkannte zwei Soldaten, die den Paß mit gekreuzten Bajonetten gesperrt hielten. Halt! wiederholte der Erste und streckte das Gewehr gegen den Vorschreitenden aus. Arthur, dessen Inneres sich
Unterdessen hatte der laute Wortwechsel einen Sbirren herangezogen, und dieser erwies sich bereitwilliger, dem Unbekannten zu dienen. Er erzählte ungebeten, daß gestern Abend der alte Bluthund seine Tochter bei der Anbetung eines Crucifixes überrascht
Arthur schien von einem Donnerschlage gerührt und wäre augenblicklich zu Boden gefallen, wenn nicht eine Wand seinem Rücken eine Stütze geboten hätte. So blieb er angelehnt stehen, einem Menschen ähnlich, den das Gesicht der Medusa in eine todte Bildsäule verwandelt hätte. Auch sein Herz wurde Stein und fühlte nichts mehr, als den erstarrenden Druck dieser Verwandlung. Er sah und hörte nicht, was um ihn vorging, der Boden unter seinen Füßen war in den tiefsten Abgrund versunken, und der Himmel über seinem Haupte hatte sich in die Oede des unendlichen Raumes verloren.
Der freundliche Sbirre, welcher den Eindruck bemerkt hatte, den seine Erzählung auf den jungen Fremdling gemacht, hielt es für seine Pflicht, sich desselben anzunehmen, und schleppte ihn mit großer Anstrengung bis an das Thor des Ghetto. Hier begegneten ihm zwei Franziscaner aus dem Kloster Santa Trinita de' Monti, welche den Hülflosen als
Kaum fühlte Arthur sich nur einigermaßen aus seiner starren Betäubung gelös't, als er sich ohne Verzug in einer Sänfte nach Santa Catarina de' Funari tragen ließ. Angelangt auf dem kleinen Platze vor der Kirche dieser Stiftung, mußten die Träger Halt machen und die Portechaise niedersetzen. Denn ein wimmelndes Gedränge des Pöbels, welcher das heilige Haus zu bestürmen schien, hemmte dem Kasten jeden Durchgang, und auch ein einzelner unbelasteter Mann würde nicht vermögend gewesen sein, bis an die Pforte der Kirche oder des Klosters vorzudringen. Arthur ergab sich in die Nothwendigkeit, zu warten, bis der zusammengelaufene Schwarm sich wieder zerstreuet hätte, und befahl den Trägern, sich unterdessen nach der Veranlassung des Tumultes zu erkundigen. Diese mischten sich unter die Menge und kehrten alsbald mit der Nachricht zurück, daß die verwundete Jüdin, welche gestern Abend in das Hospital des Klosters
Es schien mit diesem Augenblicke eine wunderbare Fassung über unsern Freund gekommen zu sein, und der Tod Debora's hatte die kämpfenden Bewegungen seines Innern mit einem großen und entscheidenden Streiche geschlichtet. Er hatte abgeschlossen mit sich und dem Leben, Hoffnung und Furcht, Sehnsucht und Abscheu rannen friedlich ineinander, aufgelös't in das Gefühl jener Ergebung, die nichts mehr bedarf, nachdem sie Alles verloren hat, und so beugte
Mittlerweile hatten die Geständnisse des alten Aron vor dem Richterstuhle des Governatore den wunderbaren Zusammenhang nachgewiesen, welcher die Liebe des Marquis mit der seines jungen Freundes und die mörderische Schuld der Donna Clara de Floridias mit dem Tode des unschuldigen Don Alonzo verknüpfte. Alles, was uns bisher in dieser Erzählung als ein launenhaftes Spiel des Zufalls erschienen ist, wird dadurch zu einem ernsten Plane des Schicksals erhoben, dessen Ziel wir in dem Fortgange und Verbande der Begebenheiten deutlich erkennen müssen, ohne jedoch in die Tiefe der bewegenden und lenkenden Weisheit und Gerechtigkeit schauen zu können.
Der alte Mörder war eine und dieselbe Person mit jenem Aronet oder Aron aus Perpignan, und seine Tochter Debora das kurz vor dem Tode ihrer unglücklichen Mutter 'geborene einzige Pfand seiner Ehe mit der schönen Malteserin, die wir aus der Lebensbeschreibung des Marquis kennen gelernt haben und im Innern wie im Aeußern, das treueste und vollständigste Abbild derselben. Aron hatte nach der Verhaftung seiner Gattin, um sich der auch ihm drohenden Inquisition zu entziehen, Spanien sogleich geräumt; und sein wenn nicht angeborener, doch schon
Er begleitete in der Folge die Armee der französischen Republik in Lieferungsgeschäften nach Jalien, und hier war es, wo sein arges Mißgeschick ihn mit einem zweiten Streiche noch unmittelbarer, als durch den Tod seiner Gattin, daniederschlug. Sein christlicher Compagnon beraubte ihn durch einen eben so listigen als frechen Betrug seines ganzen Vermögens und machte in einer Stunde den reichen, handelslustigen und habsüchtigen Mann zu einem hülflosen Bettler. Er mußte sein elendes Leben durch die Almosen seiner Glaubensgenossen fristen und bettelte sich auf diese Weise wohl ein halbes Jahr lang von Stadt zu
Seit dieser Zeit galt Aron für einen der vornehmsten Bürger des Ghetto und machte sich besonders durch seine strenge Beobachtung der mosaischen Sitten und Gesetze in diesem kleinen Jerusalem allgemein verehrt. Aber in seinem Innern brütete die Rachsucht, die sich seit Jahren von seinem eigenen Fleische und Blute genährt hatte, auf ihren schwarzen Entwürfen fort, und während die Wunden zu verharschen anfingen, welche die Erbfeinde seines Glaubens ihm selbst geschlagen hatten, fühlte er desto ungetheilter den nie vernarbenden Schmerz, der sein heiliges Volk unter dem Joche der Nazarener in den Staub drückte. Mitten in der großen Hauptstadt der Christenheit in einem engen Winkel eingekerkert, ausgeschlossen von allen bürgerlichen Rechten und Freiheiten und verdammt zu den schimpflichsten Leistungen der Sclaverei, mußte er jetzt ingrimmiger als jemals die Demüthigung der Seinigen und den Uebermuth ihrer Tyrannen verknirschen. So oft er den Ghetto verließ und an den prächtigen Tempeln und Palästen der Messiaspriester vorüberging, oder gar, von einer
Das milde und klare Wesen seiner Tochter, die er aus Perpignan nach Rom gezogen hatte, sobald er sich vermögend fühlte, die Pflichten eines Vaters an ihr zu erfüllen, konnte diesen bösen Geist in seinem Busen nicht besprechen, und je deutlicher sie sich zu einem Abbilde ihrer Mutter in Gestalt, Zügen, Augen, Sprache und selbst in kleinen Angewöhnungen und Eigenheiten entwickelte, um so aufregender schien ihre sonst so beruhigende Nähe für seine Leidenschaften. Der Engel des Friedens war ihm eine Furie der Rache, welche sich in die Gestalt seines gemordeten Weibes gekleidet hatte, um ihn als stumme Mahnerin zu der Erfüllung seiner blutigen Gelübde anzuspornen.
Indessen war der alte Aron, wie schon bemerkt worden ist, von einer so zaghaften Natur, wenn es darauf ankam einen gewagten Vorsatz in eine That zu verwandeln, und hing noch immer mit einer so muthlosen Liebe an seinem elenden Leben, daß die
Das Dunkel, welches über dem Verhältnisse dieses jungen Mannes zu der schönen Debora schwebt, wird durch die Bekenntnisse des Juden nicht ganz aufgehellt; aber so viel geht aus denselben hervor, daß der Mörder, welcher durch zufällige Umstände von der Herkunft des Schülers unterrichtet worden war, diesen listiger Weise in sein Haus gelockt hatte. Er benutzte dabei sogar das Gesicht seiner Tochter, welches er sonst, als ob es dadurch verunreinigt würde, vor den Blicken christlicher Augen sorgfältig zu verstecken pflegte, als Köder des ausgestellten Netzes, und einige alte spanische Papiere, die er aus dem Schiffbruche seines Vermögens gerettet hatte, gaben ihm den ersten Vorwand, unter dem er sich mit seinem Schlachtopfer in Berührung setzte. Wie sich aber in der Folge das heimliche Verständniß zwischen Don Alonzo und Debora entwickelt haben mag, und ob der Schüler, nachdem er der Apostel der geliebten Jungfrau geworden war, das Herz derselben von der
Arthur hatte es zu vermeiden gewußt, als Zeuge in den Prozeß gezogen zu werden, dessen Ergebnisse ihm jedoch bald nach den ersten Verhören bekannt wurden, aber, wie wir schon bemerkt haben, ohne einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen. Nachdem er sein Noviciat in Santa Trinità vollendet hatte, ließ er sich in das Kloster Palazzuolo am Albanersee aufnehmen, welches demselben Orden angehört. Hier besuchte ihn vor zwei Jahren einer seiner Jugendfreunde