Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0)
Fraktur
Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
]]>Karl Lebrecht Immermann ist geboren zu Magdeburg den 24. April 1796 als der Sohn eines echt altpreußischen Beamten, von welchem er „des Lebens ernstes Führen“ lernen konnte. Er bezog 1813 die Universität Halle, mit der Weisung des Vaters, ein ganzes Jahr nicht nach Hause zu kommen, sondern fest auf dem neuen Boden auszudauern. Eines Morgens jedoch erfuhren die Studenten, daß Napoleon in der Nacht durchgekommen sei und die Universität aufgehoben habe. Für einen solchen Fall glaubte der junge Mann die väterliche Weisung nicht gegeben und kehrte nach Hause zurück, erhielt aber sofort den gemessenen Befehl, wieder nach Halle zu gehen und für sich weiter zu studiren. bis der Vater anders über ihn bestimmen werde. Mit Zustimmung desselben trat er nach der Schlacht bei Leipzig unter die Waffen, erkrankte aber am Nervenfieber, so daß, als er zu seinem Detachement stoßen konnte, der Feldzug zu Ende war. Auf der Heimkehr traf ihn die Nachricht, daß der Vater gestorben sei. Er hatte ihn seit seinem zweiten Abgang nach Halle nicht mehr gesehen und trauerte kindlich um den strengen Mann, von dessen Charaktergepräge etwas auf ihn selbst, nicht bloß als Menschen, sondern auch als Dichter, sich vererbt hat. Nachdem Immermann den Feldzug von 1815 mitgemacht, ging er zum drittenmal nach Halle zu seinen juristischen Studien, besuchte aber daneben fleißig das classische Theater in dem benachbarten Lauchstadt. Während seiner Universitätsjahre hatte er mit der Burschenschaft eine Fehde zu bestehen, die ihm zur Ehre gereicht, obwohl ihn nicht alle Folgen derselben erfreuen konnten. Er trat 1817 als Auscultator und Referendar zu Magdeburg in den Staatsdienst, wurde 1823 Divisionsauditeur in Münster und 1827 Landesgerichtsrath in Düsseldorf, wo er am 25. August 1840 plötzlich in der Blüte seiner
Um so erfreulicher und befreiender ist es, zu sehen, wie, leider erst gegen den Schluß seines Lebens, Immermann mit voller Energie die Schranken durchbricht und mit dem letzten großen Werk, das er schafft, zugleich seinen eigenen, durchaus dem vollen Leben angehörenden Stoff und eine Form findet, der von fremden Stilweisen Nichts mehr anhängt.
Es ist hier nicht der Ort, nachzuweisen, worin der hohe, bleibende Werth des „Münchhausen“ besteht und in wie fern dieser Roman seinem noch von Goethe‘schen Nachklängen durchwehten, immerhin schon sehr bedeutenden Vorgänger, den „Epigonen“, überlegen ist. Daß der ihm eingewebten, in gewissem Betracht ersten und zugleich schönsten aller „Dorfgeschichten“ ein großer Theil des Erfolges zuzuschreiben sei, ist gewiß für die Mehrheit des Publikums wahr. Aber die Größe des Gesammtplans darf daneben nicht übersehen werden, wenn auch die Ausführung der Idee nicht ganz entsprochen haben möchte.
Während aber das Verdienst Immermann's gerade in dem modernsten Gebiet der Dichtung, dem Romane, unbestritten ist und er unter den Meistern deutscher Erzählungskunst stets genannt werden wird, sind seine novellistischen Arbeiten weniger selbständig und bahnbrechend: sie gehören noch früheren Stufen an, auf welchen der Einfluß fremder Muster so mächtig war, daß es zu keiner freien, unbekümmerten Lebensdarstellung kommen konnte, vielmehr sowohl in der Erfindung als in dem Tone der Erzählung die Schule durchklingt. Die noch jugendlichen „Papierfenster eines Eremiten“ sind eine unverhüllte Nachahmung des Werther. „Der neue Pygmalion“ hat den Stil der Wanderjahre, obwohl man ihm eine selbständigere, echt novellistische Erfindung nicht absprechen wird. „Der Carneval und die Somnambüle“ zeigt Tieck'sche Schule, nicht bloß sehr sichtbar in den Carnevalsgesprächen (in welchen übrigens Immermann's Individualität im Widerwillen gegen die Politik ausgesprochen hervortritt), sondern auch verhüllter in der ganzen Anlage, in welcher des Dichters substantielle, auf Gehalt und Tiefe gerichtete Natur mit dem halb fremden
Ich bin von jeher ein großer Liebhaber alles Merkwürdigen gewesen, und wenn es mir nach meinen Wünschen im Leben gegangen wäre, so hätte ich die ägyptischen Pyramiden und den Niagarafall sehen müssen. Ich kam aber nicht bis zu diesen Wunderdingen, sondern blieb meistens auf die Wanderung um den runden Tisch meines Studirzimmers beschränkt. Als ich mich eben anschickte, wenigstens die Tour durch Frankreich und Italien zu machen, lernte ich meine nachherige Frau kennen, die mit ihrem Oheim gerade von Neapel über Rom, Mailand und Paris zurückkehrte. Ich wollte die Gelegenheit benutzen, mich aus ihrem Munde über so Manches, was mir, als einem gründlich Reisenden, Noth that, unterrichten zu lassen, und besuchte den Oheim und die Nichte täglich in den Abendstunden. Weiß der Himmel, wie es zuging — sie hatte noch nicht halb ihren Cursus vollendet, als ich mich schon ganz verliebt fühlte. Ich sagte ihr, was ich in mir entdeckt hatte. Sie lachte anfangs stark über mich (denn sie ist von sehr lustiger Gemühtsart), nachher lachte sie schwächer, späterhin lachte sie gar nicht, und endlich, als ich ihr sagte, ich würde sterben, wenn sie mich nicht erhörte, lachte sie wieder.
Ueberhaupt hätte ich mehr in meinem Leben gesehen, wenn mir nicht zwei fatale Eigenschaften von den Kinderschuhen her anklebten. Ich bin, daß ich es nur gestehe, gar zu gründlich, mir macht ein Gegenstand keine Freude, wenn ich nicht, bevor ich mich ihm nähere, Alles gelesen habe, was von Andern über denselben geschrieben worden ist. Das möchte noch hingehen. Aber was schlimmer ist: jeder Stein unterwegs, jeder Strauch kann mich zerstreuen und vom Ziele ablenken. Ein geistreicher Franzose, mit dem ich mich über diese Sonderbarkeiten unterhielt, sagte lächelnd, daß ich darin nur meine Landsleute repräsentire, die auch vor lauter Denken nie zu den Sachen gekommen seien, und deren Verein, auf dem Wege zu einer Nation, sich bei allerhand italienischen und spanischen Steinen so lange verweilt habe, bis die rechte Zeit vorüber gewesen sei. Ich glaube aber, meine Nativität ist an dem Unheil Schuld gewesen. Mein Vater, der Professor der alten Sprachen, beschäftigte sich gerade neun Monate vor meiner Geburt mit einer Abhandlung über sämmtliche weniger bekannte Aus-
Dem sei nun, wie ihm wolle: mir ist zuweilen unter solchen Umständen etwas recht Aergerliches begegnet. Meine Frau, die ich auf dem Wege nach Italien fand, lasse ich gelten; ich liebte sie herzlich, als ich sie nahm. Aber wie ging es mir mit dem berühmten Eßlair? Dieser große Künstler kam in unsere Stadt; Wallenstein war für den Abend angekündigt. Ich freute mich wie ein Kind, endlich einmal wieder aus würdigem Munde den goldenen Strom der Poesie rauschen hören zu dürfen. Dieser Abend, dachte ich, soll dir manches Dilettanten-Concert und viele gesellige Lustbarkeiten überstehen helfen. Unglücklicherweise fällt mir Nachmittags vier Uhr ein, daß Tieck in seinen dramaturgischen Blättern über den Künstler gesprochen hat. Ich greife nach dem Platze des Buches, es ist nicht da. Ich erinnere mich, es an Freund Emil verliehen zu haben. Der Bediente ward zu ihm gesandt und bringt nach drei Viertelstunden ein Billet: ich möge mich nur erinnern, daß ich das Verlangte schon vor drei Tagen zurück empfangen habe. Richtig, ich erinnere mich jetzt des Umstandes. Von Neuem durchsuche ich das ganze ästhetische Fach, und bemerke einige juristische Dissertationen, die sich höchst unberufener Weise in das Gebiet des Schönen geschlichen
Jetzt will ich lesen; mein Blick füllt auf die Uhr, zum größten Schreck sehe ich, daß es schon halb sieben Uhr Abends ist. Ich greife zu Hut und Stock, eile auf die Straße, dem Theater zu, welches ziemlich weit von meiner Wohnung liegt. In der Nähe des Gebäudes strömt mir ein Zug Rückkehrender entgegen. Ich rudere hindurch, zur Casse; da zeigt der Cassirer auf den leeren Fleck vor ihm. Sämmtliche Billets sind vergeben; wenn ich vor einer halben Stunde gekommen wäre, meint der Mann, hätte er mir noch allenfalls einen Platz im zweiten Range verschaffen können. — Ich habe Eßlair nicht zu sehen bekommen; er reis'te am folgenden Morgen wieder ab.
Zu einer andern Zeit schrieb mir ein hoher Gönner aus Frankfurt am Main, eröffnete mir die Aussicht zu
So ist es mir hundertmal gegangen. Ich kam fast nie zu dem, was ich erreichen wollte. Ein alter akademischer Bruder nannte mich deßhalb den Virtuosen im Quängeln. Weiß ich doch nicht einmal, ob ich in diesem Abschnitte meiner sogenannten Denkwürdigkeiten erzählen werde, was ich zu erzählen mir vorgesetzt hatte! Ich wollte nämlich den Kölnischen Carneval schildern,
Unser deutsches Fest unterscheidet sich von dem römischen und venetianischen bekanntlich darin, daß wir nichts wie die Leute im Süden, das Entstehen des Scherzes einem blinden Ungefähr überlassen, sondern denselben gehörig vorbereiten und nach einem gewissen Systeme erziehen. Wenn es in jener berühmten Schilderung der italienischen Freude heißt, daß mit dem Glockenschlage vom Capitol herab die Erlaubniß gegeben werde, unter freiem Himmel thöricht zu sein, so klingt das zwar recht hübsch. Und für Leute ohne Nachdenken mag diese Art und Weise sich passen. Wir aber haben die Idee des Festes ernsthafter, oder, wie man jetzt zu sagen pflegt, tiefer und großartiger aufgefaßt.
Ein festordnendes Comité wird lange vor den Faschingstagen ernannt, Generalversammlungen und Specialausschüsse bestimmen, welche Scherze im Allgemeinen und welche im Besonderen gemacht werden sollen, eine eigene Carnevalszeitung erscheint in verschiedenen Nummern und hat einen verantwortlichen Redacteur, kurz, nichts unterbleibt, was der Sache eine gewisse Konsistenz und Konsequenz geben kann. Die alte tolle Stadt Köln, wie sie sich selbst in jener Periode nennt, schickt sich zu ihrer Unvernunft mit Ueberlegung an und verschmäht es,
Ich wollte im Jahre * * * denn auch hinreisen. Ich sagte meiner Frau den Vorsatz, und diese versetzte: Nun wohl, so reise nach Köln. — Mein Kind, erwiderte ich, das ist leicht gesagt, aber dazu gehört eine ernste Vorbereitung. Zu Possen? fragte sie lachend. Allerdings! antwortete ich.
Sogleich ließ ich mir die Beschreibung der früheren Jahre holen, denn es fehlt nicht an Schriften, welche das Vorgekommene aufbewahren, damit ja nichts verloren geht. Ich erfuhr aus denselben, daß die Prinzessin Venetia unsern Helden besucht habe, und daß der Held späterhin nach dem Monde verreist sei. Auch: daß man Goethe eingeladen habe, daß der Dichter aber nicht gekommen sei. Ferner: daß die Sache ihres Glichen suche an Genialität und Ueberschwänglichkeit der Laune. Endlich: daß Bestevader der Pantalon, Hänneschen der Harlekin von Köln sei, und daß die alte Stadttruppe, die Funkengarde, etwas weitläuftige Röcke trage.
Mit diesen Vorkenntnissen machte ich mich an das Studium der Faschingszeitung, die in eilf Nummern vor dem Feste herauskam. Ich ersah daraus, daß man alle Narren der Welt zu einem großen Narrentage zusammenberufen wolle. Viele Anspielungen blieben mir aber dunkel. Ich glaube, ein fortlaufender erklärender Commentar zu den Scherzen jener Zeitung würde sehr zweckmäßig sein.
Noch am letzten Abend vor der Abreise saß ich im Lampenlichte meines Arbeitszimmers und las an der letzten Nummer. Meine Frau trat herein, sah mir über die Schulter und sprach: Verdirb doch die Zeit nicht mit dem dummen Zeuge! — Ich wußte nicht, was sie wollte. — Das viele Reden und Plaudern von einem Schwanke ist mir ganz unausstehlich, sagte sie. Ich weiß gar nicht, wie die Leute darauf kommen, sich ihrer Fröhlichkeit halber zu rühmen, und das gar drucken zu lassen. Mir wird immer weinerlich zu Muthe, wenn ich Jemanden sagen höre: morgen will ich recht ausgelassen lustig sein. — Ihr Frauen habt überhaupt keinen Sinn für dergleichen! fiel ich ihr ins Wort. — Das mag wohl sein, erwiderte sie. Indessen sie wollte etwas hinzusetzen, ein spöttisches Lächeln schwebte um ihre Lippen, sie stockte, und sagte dann: Wer Lust hat, Geckenstreiche zu treiben, nun der treibe sie! Wer sie aber nicht aus dem Stegreife machen kann, der thäte besser, wie ich meine, in den letzten Tagen vor dem Aschermittwoch auch gesetzt und vernünftig zu bleiben, wie er es vorher war und nachher ist. Du kannst nicht glauben, wie sonderbar einem euer pedantisches Vergnügen vorkommt, wenn mm den Spektakel in Italien hat mit ansehen müssen.
Wir sind nun aber in Deutschland! rief ich aus, und wir leben im Zeitalter des Bewußtseins. Auch die Laune will sich selber anschauen, sich mit Klarheit genießen, sich... wie soll ich sagen? Sich....
Nun.... fragte sie lächelnd.
Sich ... Liebes Kind, es ist schwer, darüber zu reden. Aber glaube mir, es ist so, wie ich es meine, und alle unsere klugen Leute sind darüber einverstanden.
Sie nahm das Blatt der Zeitung, über die wir stritten, in die Hand, und rief auf einmal, aus demselben zu mir aufsehend: Hm! Was steht denn hier? Lies doch! — Ich las unter den vermischten Anzeigen folgende:
Die interessantesten Erinnerungen vom Felsen Bäderlei bei Ems erwarten einen Mann von Geist und Gefühl am Fastnachts-Abend, vor dem großen Ballsaale.
Ich stand stumm und starr vor Schreck, Erstaunen — geheimer Freude. Die Anzeige ging mich an, sie bezog sich auf mein Emser Abenteuer, eine Unbekannte, deren Andenken der Ehestand keineswegs ganz vertilgt hatte, gab mir ein Zeichen — unbegreiflich! Wie hatte sie voraussetzen können, daß ich gerade dieses Blatt lesen würde? Eine Fülle trauriger und zärtlicher Bilder gaukelte vor meinem Geist, ich wünschte allein zu sein, in Gegenwart einer Gattin kann man sich gewissen Erinnerungen nicht mit Unbefangenheit hingeben. Meine Frau ging aber nicht, sondern schloß das Pult auf, kramte unter den darinliegenden Heften, zog ein vollgeschriebenes Buch hervor, legte es auf den Tisch, und sagte, mit dem Finger auf eine Seite deutend: Ich will dir Gesellschaft leisten, du wirst als höflicher Gemahl mich unterhalten.
Es war mein Gedenkbuch, was vor mir lag, es
...Zu einem Rendezvous gemacht wäre? — Ich glaube es halb und halb. Woher weiß sie, daß du hinkommst? Ich habe so oft die fatale Geschichte in Ausrufungen und Bruchstücken von dir vernehmen müssen. Ich will sie einmal ganz und vollständig hören. Eine Frau muß euch Männern Vieles hingehen lassen. Beichte vollständig, es ist das einzige Mittel, den aufsteigenden Sturm zu beschwören. Ich will dir glauben, daß du von jener Anzeige nichts weißt, wenn du mir unbefangen erzählst, wie weit es zwischen euch gekommen ist.
Ich war so verlegen, wie es ein Mann von Geist und Gefühl nur sein kann. Tausend Conjecturen durchkreuzten sich in meinem Kopfe. Ach, hätte ich weniger Geist und etwas mehr gesunden Menschenverstand gehabt, ich glaube, ich wäre nicht so vernagelt gewesen. Ich wußte mir durchaus nicht zu helfen. Sie saß schon mit ihrer Arbeit mir gegenüber. Ich bat sie, sich wenigstens so zu setzen, daß ich ihr nicht ins Gesicht zu sehen brauche. Als sie das gethan hatte, begann ich mit halber Stimme aus meinem Tagebuche zu lesen.
Als ich, eben auf dem Zimmer meines Gasthofs angelangt, mir den Reisestaub abschüttelte, meine Sachen ordnete und die Schatulle in die Commode schloß, erzählte mir der Kellner mit großer Geläufigkeit von den Neuigkeiten der Saison und nannte mir die Prinzen, Fürsten und Grafen her, welche sich um die Quelle versammelt hatten. Ich hörte im Nebenzimmer seufzen, und fragte den Burschen, wer da wohne? Die Somnambüle, flüsterte er mit geheimnißvoller Miene und sprang zur Stube hinaus, weil unten die Klingel neue Gäste verkündete.
Die Somnambüle? Ich hatte mit Interesse die Schriften über den Magnetismus gelesen, war indessen noch nie selbst in den Kreis jener Erscheinungen gedrungen, die, wie alles Geheimnißvolle, mich sehr anzogen. Ich horchte noch einigemal, ob nebenan wieder etwas laut werden wolle; jedoch vergebens. Um den Abend hinzubringen, ließ ich mir einen Esel vorführen, wie sie in großen Heerden dort zu Spazierritten gehalten werden, und zuckelte gemächlich auf meinem Thiere die Felsen an der Lahn in die Höhe. Oben auf einer wildwüsten Felsenplatte, von welcher ich zerklüftetes Gestein bis ins Thal verworren hinuntersteigen sah, hielt ich an und fragte meinen Treiber, wie dieser Ort heiße ? Die Bäderlei, versetzte er. Ich versenkte mich in die Gedanken, welche diese umbüschte Einsamkeit in mir hervorrief,
Ich hörte Geräusch und Menschenstimmen hinter mir. Mich umwendend, sah ich Gesellschaft durch die Sträucher heraufklimmen. Eine Dame, ein Herr, beritten, gleich mir, neben ihnen die Treiber in ihren blauen Kitteln. Ich trat unwillkürlich dem Zuge einen Schritt näher, die Dame schlug die Augen auf; sie schien mich erst jetzt zu erblicken, und mit dem ängstlichheimlichen Rufe: Da steht er! warf sie sich von ihrem Thiere und verschwand für einen Augenblick hinter dem vorragenden Felsen. Ich hörte die Stimme ihres Begleiters, der sie zu trösten, zu beruhigen strebte: Fassen Sie sich, Comtesse, sagte er, das Mysterium behält Recht, er ist der Bestimmte. Sie sehen, er trägt einen blauen Frack und gestreifte Pantalons. — Ich merkte, daß von mir die Rede war, wirklich trug ich einen blauen Frack und Pantalons von graugestreiftem Gingham.
Neugierig auf das, was folgen möchte, stand ich da. Der Begleiter kam auf die Platte und redete mich so an: Wollen Sie wohl die Gefälligkeit haben, der Dame, die bei Ihrem Anblicke so betroffen ist, einen kleinen Dienst zu erweisen? Sie helfen einer Leidenden, die vielleicht nur durch Ihre Güte hergestellt werden kann. Ich bejahte erstaunt, und er fuhr fort: Dann ist keine
Man darf sich wohl etwas wundern, wenn ein Frauenzimmer schroffe Felsen besteigt, bloß um sich von einem Fremden ein Glas Wasser schöpfen zu lassen. Ich fragte meinen Jungen, ob er die Dame kenne. Er versetzte, sie sei eine polnische Gräfin, den Namen könne er nicht aussprechen, sie spricht im Schlaf, fügte er hinzu, sieht, was auf zehn Meilen in der Runde geschieht, und lies't Briefe mit zugemachten Augen. Es ist die neumodige Krankheit; der Herr bei ihr ist der Doctor, der ihr die Hand auflegt. — Also die Somnambüle und ihr Magnetiseur! rief ich aus. In diesem Augenblicke wurde ihre Gestalt an einer Beugung des Felsenpfades mir wieder sichtbar. Sie hielt ihr Tuch vor den Augen. Gespannt auf die Entwicklung dieses Abenteuers ritt ich heim.
Unten im Flur fragte mich der Kellner, ob ich an der Table d'hote speisen werde, einer der Gäste habe sich nach mir erkundigt. Ich ließ mich an die Tafel und zu diesem Gaste führen, und fand Niemand anders, als den Arzt vom Felsen. Ich nahm an seiner Seite Platz. Ein Gespräch entspann sich zwischen uns, aber nicht das, welches ich wünschte; der Fremde hielt es, wie geflissentlich, bei den allgemeinsten Gegenständen fest. Und doch hatte er sich nach mir erkundigt! Es schien mithin, als habe er mir etwas vertrauen wollen. Meine Neugier, meine Ungeduld wuchs, endlich fuhr ich heraus: Sie werden es natürlich finden, mein Herr, daß ich gern wissen möchte, warum ich Ihrer Dame heute Wasser schöpfen mußte. Darf ich, ohne eine Indiscretion zu begehen, Sie um eine Antwort auf diese Frage bitten?
Der Arzt bedachte sich eine Weile und sagte dann: Hier unter dem Geklapper der Teller und bei dem Geschwätze einer Wirthstafel möchte nicht der Ort sein, von den zartesten Wundern der Welt zu reden. Indessen will ich Ihnen gern sagen, was ich sagen kann. Wenn ich Sie nachher auf Ihr Zimmer begleiten darf, erfülle ich gern Ihren Wunsch. Nur, setzte er lächelnd hinzu, geben Sie von vornherein auf, begreifen zu wollen! Hier hat unsere Weisheit ein Ende. — Ich sagte ihm das zu. Er fragte mich nun um meine Meinung vom Magnetismus und von allen den sonderbaren Entdeckungen, die seit einigen Decennien die Aufmerksamkeit der Sinnenden in hohem Grade erregt haben. Ich sprach, wie
Die Thüre meines Zimmers öffnete sich, und herein trat der Magnetiseur, ganz eingehüllt in einen weiten, rothausgefütterten Carbonaro. Ich stutzte; wie ward mir aber, als er den Mantel zurückschlug, und ich die Dinge sah, die er unter demselben verborgen trug. Schweigend breitete er einen schwarzen Teppich über den Tisch, stellte die Kerzen in gemessener Entfernung von einander, legte zwei Degen zwischen die Kerzen, und setzte einen Todtenkopf auf den Punkt, wo die Klingen sich durchschnitten! Dann trat er hinter den Tisch und hob mit Feierlichkeit an: Ich pflege Jedem, den ich für würdig halte, einen Blick in das Heiligthum des Lebens thun zu lassen, zuvor den Eid der Verschwiegenheit abzunehmen. Auch Sie, mein Herr, muß ich ersuchen, sich dieser Regel zu unterwerfen. Unzählige Irrthümer, Verdrehungen und Mißbräuche wären unterblieben, wenn man dasjenige, was nur unter Vertrauten und in der größten Sammlung des Gemüths besprochen werden darf,
Bei diesen Worten erhob sich im Nebenzimmer ein leises aber heftiges Weinen. Der Magnetiseur horchte auf, schien betroffen zu sein, sammelte sich aber sogleich und fuhr mit fester Stimme fort: Schwören Sie, mein Herr, keinem Unberufenen etwas von dem zu entdecken, was Sie sogleich hören werden; schwören Sie auf dieses Symbol des Todes, und Schwerter, scharf wie die, welche Sie vor sich sehen, mögen den Busen des Eidbrüchigen durchschneiden! — Ich fand freilich, daß in der ganzen Ceremonie etwas wie Rosenkreuzerei, Geisterbannen oder Charlatanerie steckte, indessen dachte ich: Klingeln gehört zum Handwerk; legte die Finger auf den Todtenschädel und gelobte Verschwiegenheit. Ich bat ihn darauf, Platz zu nehmen, er setzte sich hinter die Kerzen und sein Geräthe und erzählte mir Folgendes.
Gräfin Sidonie, von Jugend auf zart und reizbar, litt seit den Entwicklungsjahren an den heftigsten Nervenübeln....
Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, sagte ich. Die Dame hat ja die blühendste, gesündeste Farbe.
Und ich wiederhole Ihnen, fuhr der Arzt in einem etwas imponirenden Tone fort, daß sie an Nervenübeln
Hier angekommen, beginnt sie den Brunnen zu trinken. Aber sonderbar! statt der Heilung nehme ich Rückschritte wahr. Meine ganze Theorie über Untrüglichkeit somnambüler Anschauungen beginnt zu wanken. Sidonie verfällt in die höchste Abspannung, in eine bedenkliche Dumpfheit. Der Schlaf stellt sich intermittirend, gestört ein, sie scheint von der Höhe der inneren Beschauung herabgesunken zu sein. Alle die Quellen, zu denen die Andern gehen, helfen mir nicht! ruft sie mehrmals mit Leidenschaft in ihren Paroxismen aus. Aber was ihr helfen könne? Sie vermag es nicht anzugeben. Endlich, grade heute vor acht Tagen ist es, als ob ihr Wesen wieder zu hellerer Klarheit emporgehoben würde. Mit freudigen Mienen, den Kopf sanft wiegend, sagt sie: O welch ein schönes Wasser! — Was für ein Wasser? frage ich. Das da droben auf der
Sie können sich nun denken, mein Herr, mit welchem Herzklopfen ich dem Augenblicke entgegensah, der über die Wahrheit dieser wunderbaren Vision entscheiden sollte. Um Ihnen von der Deutlichkeit ihrer Anschauungen einen Begriff zu geben, muß ich noch hinzufügen, daß sie sogar den Treiber und seinen Esel oben auf dem Felsen bei ihrem Retter erblickte. — Wir machen uns heute auf, stillschweigend, unter fiebernder Erwartung, erklimmen wir die Höhe — unten im Thale schlügt es Acht, die oberste Platte wird sichtbar und — — was weiter geschah, ist Ihnen bekannt.
Hier sprang ich auf, und rief: Kaltes Wasser eine Arzenei! Wahrsagung! Bäderlei! Ich ihr Retter, der sie nie sah, nie etwas von ihr hörte, der zufällig hier
Es steht Ihnen ja frei, von diesen Dingen zu halten, was Sie wollen, versetzte der Arzt sehr kaltblütig. Daß ich keinen Propheten meiner Lehre aus Ihnen machen will, beweise Ihnen die Bitte, die ich an Sie richte, sich Ihres Schwures gewissenhaft eingedenk zu halten.
Er packte sein Geräth zusammen und schien Abschied nehmen zu wollen. Ich ergriff ihn bei der Hand. Bleiben Sie noch einige Augenblicke! rief ich leidenschaftlich; lassen Sie mich nicht in dem Dunkel, wohinein mich diese mystischen Eröffnungen gestoßen haben! Erklären Sie mir die Sache. Ich frage mit den Worten Luther's: Wie kann Wasser so große Dinge thun? In welchem Zusammenhange soll meine Handreichung mit der Herstellung jener Dame stehn?
Und wenn nun, versetzte er, jenes Wasser verborgene Kräfte besäße, die unsere wachen Sinne zu entdecken nur nicht fein genug wären? Ist es der Scheidekunst schon gelungen, die gewöhnlichen Mineralquellen vollständig zu entziffern? Bleibt nicht ein unbekanntes Etwas in ihnen übrig, was keine Kunst nachmachen kann? Uns scheint jenes Wasser von der Bäderlei gewöhnliches Wasser, die heilige Ekstase der Somnambüle, vor der es nichts Verborgenes giebt, muß doch wohl noch etwas Anderes darin sehn. Ich erinnre mich, sie sah es gelbröthlich leuchten. Es ist wahr, bis jetzt nahm man an, der geheime gei-
Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Uebermorgen war der Tag, zu welchem mich mein Gönner nach Frankfurt beschieden hatte. Ich sagte dem Arzt den morgenden Tag zu. Das ist freilich nicht viel, versetzte er. Ich bat ihn, mich während eines Paroxysmus zu seiner Kranken gelangen zu lassen. Er entdeckte mir, daß sie am folgenden Tage Vormittags eilf Uhr einschlafen werde, so habe sie es vorhergesagt, und mir solle werden, was ich erbeten habe.
Ich habe in der folgenden Nacht wenig geschlafen. Aus unruhigem Morgenschlummer durch das Tageslicht emporgeschreckt, glaubte ich geträumt zu haben, und als ich auf meinen Füßen stand, und als ich mich der Wirklichkeit dessen, was ich erlebt hatte, erinnerte, lös'te sich mir die Wirklichkeit in einen Traum auf. Ein Lohnkutscher meldete sich, der mich nach Frankfurt fahren wollte; ich hieß ihn seines Weges gehn, ich wollte, ich mußte heute noch in Ems bleiben; ich mußte mich ihr nahen, sie sehen, sprechen, meine Einbildungskraft war von nichts erfüllt, als von ihrem Bilde. Sollte ich mich ihr anmelden lassen? Dann lehnte sie vielleicht meinen Besuch ab. Mein Verlangen war zu heftig, ich wagte es auf ihren Unwillen hin, die Form zu verletzen. Nachdem ich die Gallakleider, die eigentlich bis Frankfurt hatten im Mantelsack bleiben sollen, hervorgeholt und vor dem Spiegel eine Toilette gemacht hatte, die, ich muß gestehen, sorgfältiger ausfiel, als gewöhnlich, schritt ich beklommen über den Gang zu ihrer Thüre. Ich horchte: Niemand sprach, sie war allein. Ich klopfte: Herein! rief die mir von gestern bekannte melodische Stimme.
Die Schöne saß morgenhaft-leichtgekleidet im Sopha. Sie erschrak, und meine Verlegenheit wurde durch ihren Anblick nicht geringer. Wie kommt es, mein Herr — sagte sie erröthend, das Weitere erstarb ihr im Munde. Sie hatte sich erhoben, wir standen einander schweigend gegenüber. Endlich gelang es mir, mich zu fassen und
Sie schien von der Wärme, mit der ich redete, tief ergriffen zu sein. Eine Thräne trat in ihr Auge, sie blickte mich lange, wie in großer Trauer, an, dann sagte sie: Ja, mein Herr, ich bin eine Kranke, und Heilung thut mir Noth. Wie aber diese finden, wenn eine fremde Gewalt unsern Mund verschließt, daß wir den Sitz des Uebels nicht offenbaren dürfen? O glauben Sie mir, ich bin sehr unglücklich! — Mein Interesse an dieser sonderbaren Dame wuchs mit jedem Augenblicke, ich sagte ihr das Treuherzigste, was ich wußte, ich suchte alle Tröstungen zusammen, die man ohne Kenntniß des besonderen Falls aufbringen kann. Es kam mir vor, als ob meine Worte sie etwas beruhigten, ich bat sie, mir zu erlauben, daß ich noch bei ihr verweilen dürfte. Sie gab es zu, nöthigte mich aber nicht zum Sitzen, eine innere heftige Bewegung schien sie, daß ich mich des Ausdrucks bediene, vergehen zu wollen,
Als wir allein waren, sagte der Arzt: Zweifeln Sie noch, daß die Dame an den Nerven leidet? — Sie sieht eher aus wie eine Verzweifelnde! rief ich heftig. Er, ohne auf meine Worte zu achten, ließ seine Uhr repetiren und sagte gleichgültig: Eilf! Wie ist's,
Wir traten in ein grünverhangenes Stübchen, das der Magnetiseur zu seinen Operationen ausersehen hatte, weil es entfernt von allem Geräusche lag. Querdurch war ein Schirm gestellt. Er hieß mich leise auftreten, führte mich hinter den Schirm, siehe da, die Somnambüle lag, die Augen festgeschlossen, das Haupt zurückgebogen, im Lehnsessel. Als wir uns ihr näherten, zuckte sie zusammen. Sie merkt Ihre Nähe, obgleich ich Sie nicht berührt habe, sprach der Arzt, wunderbar, höchst wunderbar! Treten Sie ihr doch etwas näher! — Ich trat dicht vor die Schlafende. Ein heftiges Zittern durchflog ihren Körper. Die Wirkung ist so gewaltsam, sagte der Arzt, was bedeutet das? Haben Sie vielleicht Metall bei sich? — Ich nahm Uhr, Messer und dergleichen, was ich in der Tasche hatte, heraus. Diese Gegenstände mußte ich auf Geheiß des Magnetiseurs ablegen und zwar außerhalb des Schirms, der, wie er sagte, ebenfalls magnetisirt war. Er erzählte
Aber wie anders, wie verschieden erschien sie mir jetzt! An die Stelle der Bewegung, die ich im wachenden Zustande an ihr wahrgenommen hatte, war eine völlige Regungslosigkeit getreten. Ich fragte sie, ob sie mich sehe, höre, wie sie sich befinde? Keine Antwort erfolgte aus den festgeschlossenen Lippen. Ich forderte sie auf, zu reden; dasselbe Schweigen! Ich legte die Fläche meiner Hand sanft auf ihre Hände, die dicht ineinander gefaltet ihr im Schoße ruhten, und fühlte die Kälte des Todes. Erschrocken berührte ich ihre Wange, auch diese war kalt. Hätte nicht ihr Athem, ängstlich, wie das Stöhnen des Schwererkrankten, meine starr auf sie gehefteten Augen gestreift, ich würde das Schlimmste haben fürchten müssen.
So brachte ich einige angstvolle Minuten in der ungewissen Dämmerung dieser Schweigenden, Bleichen, Kalten gegenüber zu. Ich wünschte herzlich, daß der Arzt zurückkehren möge. Endlich trat er hinter den Schirm. Hat sie Ihnen geantwortet? fragte er eifrig. Und als ich verneinte: So sind wir denn in einem wahren Labyrinthe! Indessen müssen wir uns an das halten, was sie selbst gesagt hat. Das Wasser von der Bäderlei aus Ihrer Hand verordnete sie sich. Diese Worte können nicht trügen, oder die Natur ist eine Lüge. Wann reisen Sie? — Heute Nachmittag drei Uhr. — So bitte ich Sie im Namen der Gräfin, ihr noch eine Flasche von jenem Wasser zu schöpfen. — Er drang auf meine schleunige Entfernung, er fürchte, sagte er, daß
Verdrießlich, verworren ging ich — nach der Bäderlei, meine Flasche unterm Rocke. Unterwegs fiel mir erst ein, daß, wenn ich vor dem Erwachen der Gräfin abreiste, ihr das Wasser nicht selbst reichte, dieses unschuldige Mittel ganz ohne Wirkung bleiben würde. Wer das Erste thut, darf das Zweite nicht lassen. Ich sagte dem Kellner, als ich heiß und müde von meiner Wallfahrt auf die Felsen zurückkehrte, er möge nur die Postpferde wieder abbestellen lassen. Der Mensch schüttelte den Kopf und sah mir lächelnd nach, wie ich mit meiner Wasserflasche die Treppe hinaufstieg. In meinem Zimmer war es mir zu eng zu ängstlich. Ich schämte
In diesem Augenblicke schickt mir der Arzt einen Zettel, die Schrift ist noch feucht; ich lese: So eben sagt mir unsre Schlafende, die ich über Sie ausfrage: Man hat ihm seine Schatulle entwendet, sie liegt aber unter dem großen Wallnußbaum am Hause. Ich schreibe Ihnen diese höchst sonderbare Aeußerung, sehen Sie doch
— Ja wohl. — Führen Sie mich sogleich hin! —
Wir gingen durch den Hof in einen Baumgarten, der an das Hintergebäude stieß. Ein großer prächtiger Nußbaum breitete fast dicht an der Wandseite seine schattenden Zweige aus. Da liegt wahrhaftig etwas! rief der Wirth. Ich flog auf den Baum zu. Das Unglaubliche war wirklich, am Fuße des Stamms lag meine Cassette. Ich hob sie auf, aber die Freude, sie wiederzubesitzen, war kurz. Der Dieb hatte sie erbrochen, das Schlößchen hing kläglich am letzten Nagel, meine goldne Hoffnung war aufgeflogen, ich hielt das Kästchen leer, wie Pandorens Büchse, in der Hand. Ich machte ein betrübtes und, wie ich glaube, einfältiges Gesicht. Ein Specht erhob von dem Wipfel des Baums sein Gelächter, das Thier schien mich zu verhöhnen. Von der andern Seite rief der Kukuk. Ja, wohin sollte ich gucken, um meinen Dieb zu erspähn? Ich blickte empor, da sah ich nichts, als die Fenster des Hintergebäudes. Der alberne Wirth erschöpfte sich, wie das bei solchen Gelegenheiten zu geschehen pflegt, in den ungereimtesten Vermuthungen über die Art und Weise, wie die Schatulle in den Baumgarten geschafft sei. Ueber den Hof, meinte er, könne der Dieb nicht gegangen sein, er habe sich den ganzen Morgen über in der Packkammer auf-
Um Gotteswillen! rief sie in fliegender Hast, denken Sie wegen dieses Schrittes nicht schlimm von mir! Ich muß Ihnen nützlich sein und habe keinen andern Weg, zu Ihnen zu gelangen. — Wie? fragte ich ganz verstört. — Es ist keine Zeit zu Erklärungen, sagte sie eilig, wir können in jedem Augenblicke überrascht werden. Armer, Rechtschaffner, Betrogener! haben Sie Alles verloren? — Nein, versetzte ich, der Hauptfang ist durch ein glückliches Ungefähr den Krallen des Bösewichts entgangen. — Ich sagte ihr, daß ich meine Fonds zum größeren Theile in einigen bedeutenden Papieren bei mir führe, daß ich dieses Päckchen in meiner Brieftasche trage, daß diese nicht in der Commode gelegen, sondern in meiner Rocktasche sich befunden habe, daß der Verlust, den ich erlitten, mehr verdrießlich als wichtig sei. Sie schlug ihre Hände, wie vor Entzücken, zusammen und rief: Gott
Der Arzt ließ mich fragen, ob er zu mir kommen dürfe? Wie gerne hätte ich seinen Besuch abgelehnt, indessen wollte ich nicht so unhöflich sein. Er war nun theilnehmender als vorher, er erkundigte sich, wie Sidonie, ob ich Alles verloren habe? Mein Herz wußte von dem Unglück kaum noch etwas, ich war im Geiste mit süßen Dingen beschäftigt. Ich bat ihn, sich meinetwegen zu beruhigen, das Beste sei dem Diebe entgangen und befinde sich in guter Verwahrung. Ob ich diese Worte mit einem besonderen Accent ausgesprochen, ob ich einen unvorsichtigen Blick auf die verhängnißvolle Seitenthüre geworfen habe? ich weiß es nicht. Er sah, indem sein Gesicht sich verlängerte, zornig jene Thüre an und erwiderte nichts, als ein gedehntes: So! — Nach eini-
Bis hieher hatte ich mit ziemlich gesetzter Stimme lesen können, jetzt legte ich das Buch aus der Hand und bat meine Frau, mir den Vortrag des Uebrigen zu erlassen. Nein, sagte sie in einer Mischung von Aerger und Spott, ich will die saubere Geschichte aushören. Ihr schönen Herren! Von einem armen Mädchen wird immer das ganze volle Herz verlangt und die erste Liebe und das unerprobte Gefühl, aber was bekommt sie? Einen Gasthof, worin schon Unzählige vor
Der Morgen dampfte über dem Thale, endlich siegte die Sonne und spiegelte ihr Bild im Thau. Die Felsen standen beleuchtet von scharfem Licht, zwischen ihnen spielte die Lahn mit dem wunderbaren Leben ihrer tausend Quellen und Quellchen, Sprudel und Bläschen. Ich eilte ins Freie. Wohin sollte dieses Abenteuer führen? und doch dachte ich nur sie, und doch drängte es mich mit unwiderstehlicher Gewalt, mein ganzes Herz vor ihr auszuschütten. Ich rannte über die Brücke, der Pfad lief durch Wiesen und Thal, wo mächtige Eichen und Buchen eine grüne tiefe Einsamkeit schufen. Ich entfernte mich immer weiter von dem Geräusche der Menschen, von dem Hause, in dem sie wohnte, und doch meinte ich, sie müsse mir im nächsten Augenblicke unter diesen Bäumen entgegentreten. Am stillsten heimlichsten Waldplützchen, im verschwiegnen Säuseln der Aeste übermannte mich mein Gefühl, laut rief ich: Sidonie! Geliebte Sidonie! und drückte das Gesicht ins Tuch. War es Täuschung der erhitzten Sinne? Hier bin ich, antwortete eine Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um, Sidonie eilt mir nach, durch die Bäume entgegen. Ihr weißes Gewand wehte, ihr
Sie richtete sich empor, ihr müdes Auge blickte mich sehnsuchtsvoll an. Wir wollen uns verloben, sagte sie, aber nicht auf Vereinigung und Glück, sondern auf Trennung und Reue! Nimm diesen Ring, er ist ein Erbstück meiner Mutter, er wird wohl so viel werth sein, als du eingebüßt hast. Sie streifte einen kostbaren Brillantring vom Finger, ich empfing ihn wie ein Träumender. Sie sagte: Der Spruch, mit dem ich dir den Ring reiche, lerntet: Du sollst nicht richten. Richte
Da saß ich nun wie Andres, den Don Quixote zu seinem Unheil aus den Händen des Bauers befreite, angebunden an einen Eichenbaum. O gemeines Ende romantischer Stunden! Nun wußte ich auf einmal, was ich zu thun hatte, nämlich: stillzusitzen, ich wußte, was ich lassen sollte, nämlich: fortgehn. Woher war der Verruchte nur so unbemerkt gekommen? Ach, ich gestehe meine Schwachheit, ich dachte nicht an Sidoniens Geschick, ich dachte, ich wollte nichts, als von dem unseligen Stricke los. Keine Möglichkeit! dicht um den Baum und um meinen Leib lag die Fessel, ich meinte zu verzweifeln. Die Sonne stieg, sie beleuchtete einen angebundenen Mann, die Sonne begann zu sinken, ihre Strahlen führten noch immer den Retter nicht herbei. Endlich kam ein Engländer, der auf seinem einsamen Abendspaziergange laut aus einem Buche die Verse las:
Pray, Sir! rief ich den Gentleman an, untie me! — Er nahte sich mir ohne Zeichen des Erstaunens, er prüfte hinten den Knoten und sagte ruhig: 'tis impossible, Sir, and I got no knife. Ich bat ihn, in der nächsten menschlichen Wohnung Lärm zu machen! Er entfernte sich, indem er, ohne sich weiter stören zu lassen, seine gefühlvolle und melancholische Lektüre im Childe Harold fortsetzte. Endlich erschien mein Engel in Gestalt eines alten Holzhackers. Er trennte mit einem Streiche seiner Axt meine Bande, ich sprang auf, wie ein erlöster Prometheus. Ich wollte ihm Geld geben, ach, ich hatte ja nichts mehr. Der Alte sagte, es sei auch so gut und nicht des Dankes werth, er wolle den Spitzbuben, wenn er ihn treffe, vor den Kopf schlagen, daß er liegen bleibe.
Was habe ich weiter zu erzählen? Im Gasthofe erfuhr ich, die Dame sei mir am Morgen eilig nachgegangen, der Arzt eben so eilig der Dame, als er von ihrer Promenade gehört habe. Nach zwei Stunden habe der Doctor die Gräfin, die tiefverschleiert gewesen, zurückgebracht. Bald darauf waren beide abgereis't, man konnte nicht sagen, wohin? Der Doctor hatte mich
Solchen Ausgang gewann meine Badegeschichte. Zum Glück fand ich am andern Tage einen Bekannten, der mir vorstreckte, sonst hätte ich, wie ein insolventer Student, nicht abreisen können, denn ich war von Allem entblößt. Ich fuhr aus Ems mit einem geschenkten Ringe, einem bewegten Herzen, einer ausgeleerten Casse und mit vermehrter Einsicht in die Geheimnisse des thierischen Magnetismus. In Frankfurt kam ich um einen Tag zu spät an, ich hatte ein bedeutendes Glück verscherzt. Von Gräfin Sidonien und dem Arzte habe ich nie wieder etwas gehört.
Hier schloß ich meinen Bericht. Meine Frau hatte während der letzten Hälfte destelben außerordentlich emsig gearbeitet, ich sah, daß ihre Finger bluteten, sie mußte in ihrem Eifer sich mit der Nadel gestochen haben. Ich hätte ihr doch auf keinen Fall so verfängliche Dinge mittheilen sollen! Diese Betrachtung kam, wie alle meine Betrachtungen, nachdem der Schade geschehen war.
Wenn sie dir nun wirklich in Köln erschiene, diese ideale Person — sagte meine Frau spöttisch. Geliebte, was denkst du von mir? versetzte ich mit Emphase. Jene
Fritz! Fritz! die Brücke kommt — sagte sie in einem etwas schneidenden Tone. Vergiß doch den Ring nicht. Deine mystische Vorbraut verlangt ihn vielleicht zu sehen, als Beweis, daß du ihr Andenken ehrst. — Es war spät, sie packte ihr Geräth zusammen und stand auf, um sich schlafen zu legen. Nun, ich wünsche dir einen vergnügten Fasching! sagte sie beim Abschied. Ich war allein und — überlas die Anzeige der Carnevalszeitung wohl zwanzigmal. Wär's möglich? Und was? — Ich wollte mir selbst meine Gedanken nicht bekennen.
Während eines heftigen Regengusses, der auf die Dächer niederklatschte und die Straßen zur menschenleeren Wüste machte, langte ich in Köln an. Mein Wagen fuhr durch die engen finstern Gassen, melancholisch klang der Hufschlag auf dem nassen, ungleichen Pflaster, mir war zu Muthe, als führe ich hinter einer Leiche her. So begann mein Carneval. Endlich hielt der Wagen vor dem Hause meines Freundes. Der Kutscher stieg ab, öffnete den Schlag, schüttelte seinen nassen Pelz, von dem die Tropfen wie die Perlen niederrannen, und brummte verdrießlich: Das ist eine verfluchte Wirthschaft! Ich ging durch einen langen dunkeln Hausflur, konnte anfangs Niemand finden, endlich kam ein Bedienter die Treppe herabgestiegen, überblickte mich
Hältst du mich für einen Finsterling? unterbrach ich ihn, ärgerlich über seine mir empfindliche Anrede und darüber, daß er mich nicht einmal ruhig auspacken ließ. Habe ich nicht anonym zu General Foy's Subscription einen halben Louisd'or eingeschickt mit dem Motto: Der Brave besitzt Landsleute auf der ganzen Erde? — Hangen nicht Bolivar, Miaulis und Canaris über meinem Secretair? Was treibt dich, deinen Freund, den du eingeladen hast, das Vergnügen dieser Tage bei dir zu genießen, mit beleidigenden Worten zu überschütten ? — Bruder, sagte Anselm verschnaufend, sei nicht böse! Gott weiß es, ich kann nicht anders, ich bin Enthusiast, ich schwärme, ich rase für die gute Sache. Wenn ich das Gespenst der alten Begriffe mit den Augen meines Geistes erblicke, so kenne ich mich selbst nicht mehr; ich gerathe außer mir, ich könnte meinen Bruder über den Haufen stoßen, wenn er mir dann begegnete!
Diese und ähnliche Reden, die mein begeisterter Freund aus dem Stegreife vortrug, begleitete er mit raschen und gewaltigen Bewegungen des Hauptes, wodurch eine sonderbar geformte Mütze, die er zu meinem Erstaunen trug, locker gemacht wurde und in eine schiefe Richtung gerieth. Endlich fiel sie ihm vom Kopfe, und
Ich wünschte das Gespräch aus dem politischen Gleise zu lenken und sagte meinem Freunde, daß ich mich freute, ihn mit diesen unschuldigen Thorheiten beschäftigt zu sehen, ich hätte bei seinem Ernste ihn dessen nicht für fähig gehalten. Worauf er mir voll Würde entgegnete: Sehr irrst du, wenn du glaubst, daß ich von Herzen solche Kindereien treiben könnte. Wahr ist es, ich bin Mitglied des Comites, ich wohne allen Gelagen bei, die der Hauptabgeschmacktheit vorhergehn, ich helfe die Geckenzeitung redigiren, ich bin, dem Scheine nach, Geck, reiner Geck, nichts als Geck. Aber das Alles ist nur Maske, unter derselben wirke ich für das Eine, was Noth thut. Leider sind uns in Deutschland die Besserungen ins Große und Ganze versagt, so muß man im Kleinen und Einzelnen etwas auszurichten suchen. — Und auch den Carneval benützest du für
Während mein Freund nun noch Mehreres über die Bedeutung des Jahrhunderts mit großer Salbung mir mittheilte, schien er ganz die Bedeutung der Stunde vergessen zu haben, in der wir uns zufälligerweise gerade befanden. Es war nämlich diejenige, in der man gewöhnlich zu Nacht speis't, und mein Magen, welcher den ganzen Tag über nichts zu sich genommen hatte, fühlte sich bei den Gesprächen über Verfassung und verfassungsmäßige Regierung außer aller Verfassung und unter der Tyrannei eines grausamen Hungers. Da wir alte Schul- und Universitäts-Kameraden sind, so bat ich Anselmen endlich, er möge decken lassen. Das geschah und wir aßen, oder vielmehr ich aß, denn Anselm lebte wirklich, wie er gesagt hatte, nur in Ideen und von Ideen. Er sagte mir, daß er morgen auch unsern Freund Ernst von Bonn erwarte. Ich freute mich sehr über diese Nachricht. — Sei nicht zu vergnügt, sagte mein Liberaler — der Mensch hat umgesattelt, ist umgeschlagen, wie schlechtes Bier; er ist servil geworden, er studirt Adam Müller und Consorten. Mir ist's gar nicht recht, daß er kommt, der Fürstenknecht; es gibt immer Streit, wenn wir zusammentreffen.
Laß uns nur die Stunde nicht versäumen, wenn der Maskenzug beginnt, sagte ich zu Anselm beim Früh-
Kinder, sagte ich zu beiden Freunden, da wir Drei nach langer Zeit nun einmal so hübsch wieder zusammen sind, so laßt uns auch recht fröhlich sein, laßt uns die alten Geschichten wiederholen, die uns einst so lustig machten! —
Du bist ein Sanguiniker und denkst bloß an Sentimentalität und Genuß, fuhr Anselm ziemlich unfreundlich heraus. — Habt ihr schon gehört, fragte Ernst, daß die Väter in Freiburg mit jedem Tage mehr Zöglinge bekommen? — Bei diesen Worten schwoll Anselm's Gesicht, er spuckte giftig und warf einen äußerst grimmigen Blick auf Ernst. Dieser nahm lächelnd den Verschönerungsplan zur Hand und sagte, sich an mich wendend : Ich sehe, unser weltumstürzender Freund hat dich in die Lehre genommen. Nun, wie tief bist du denn
Ernst stellte sich mitten in die Stube, nahm aus seiner Dose, worauf der Herr Christus abgebildet war, eine ansehnliche Prise und hob in gemessener Rede, zu mir gewendet, an: Siehst du, hier hast du den modernen deutschen Wirthshaus-Liberalismus, den Affen des französischen Tigers, der doch mit seinen Klauen nur festhalten will, was er bereits hat, nämlich die blutbesprengten Stücke des Throns und Altars! Hier hast du unsern Deutschen in einem Zuge, mit einem Worte; da liegt die Bescheerung aus einer Schüssel. Nichts ist ihnen heilig, wenn es nur gilt, wohlerworbene Rechte
Anselm trat dicht vor den Restaurator, stemmte die Arme in die Seite und fragte höhnisch: Nun, und wodurch willst du sie denn verjüngen? Laß' doch einmal von deinen Kunstgriffen uns vernehmen, du großer Chemiker. Ernst versetzte: Willst du mich zum Worte kommen lassen? Willst du mich nicht unterbrechen? Wollt ihr hörend so was man hören nennt? — Aber, Theure, rief ich dazwischen, versäumen wir nicht die Stunde des Narrenzuges! — Sprich, sagte Anselm zu Ernst, ohne auf mich zu achten, es soll einmal das Thema gründlich unter uns abgehandelt werden.
Ernst stellte sich hinter einen Stuhl, die Hände auf die Lehne gelegt, und hob, seine Worte mit entsprechenden
So ist der Pudding fertig mit süßer Brühe darüber! rief Anselm überlaut und klatschte, vergnügt über seinen Einfall, in die Hände. Die Bauern sind der dicke Mehlteig drinn, der Adel ist die braune Kruste, und die Städte stecken als Rosinen zwischen beiden. Die Brühe aber giebt der Regent zu dem Gebäck. — Sieh hier, so wandte er nun belehrend sich an mich, sieh hier, was ein sonst vernünftiger Mann saalbadert, wenn er einem unvernünftigen Systeme anhängt. Giebt es einen krasseren Fetischismus, als Gott, den erhabnen Urquell von Freiheit und Recht, Vernunft und Wahrheit, in einer
Auf diese mit großem Triumph geschlossene Rede entgegnete Ernst durch einen Blick, in dem sich ein unbeschreiblicher Zorn aussprach. Er kratzte an seiner Schläfe, er bewegte die Lippen und rang vergebens nach Worten. Ich befürchtete eine verdrießliche Scene und suchte den Sturm durch einen Scherz zu beschwören. Die Juden werden deine Schöpfungen nicht aufkommen lassen, lieber Ernst, sagte ich zu dem ergrimmten Freunde. Du weißt, sie besitzen das Geld und haben die Hypotheken auf Bauer- und Rittergüter, die Hypothek ist aber bekanntlich eine geschworne Feindin aller Unveräußerlichkeit. —
Ernst hatte sich gefunden, blickte das Bild des Erlösers auf seiner Dose an, nahm eine noch größere Prise
Dies war Anselmen zu viel. Ich kannte seine Ansicht von dem Punkte. Ernst hatte ihn in seinen heiligsten Empfindungen verletzt. — Frevle nicht! rief er mit erhabner Gebärde. — Die Juden sind das Lebensprincip unseres Daseins, sie versuchen Alles, sie können Alles, sie bringen Bewegung in das Stockende. Noch mehr sollten sie begünstigt werden, als es schon geschehen ist. Man sollte sie in ihren Rechten über die Christen hinausstellen, damit w i r durch Brodneid und Aemulation aus unserm Schlafe erweckt würden. Philosophiren die Juden nicht? Giebt es nicht Staatskundige, Tiefdenker, Universalköpfe unter ihnen? Wer leiht das Geld zu den Kriegen her, welche die Könige führen? In diesem Volke, das sage ich dir, bricht die Morgenröthe unserer besseren Zukunft an. Nein, ich ließe sie Richter werden, Lehrer der Jugend, ein Jude müßte Theologie studiren und in der Kirche predigten können.
Wenn man dergleichen hört, erwiderte Ernst und rang die Hände, so fallen einem alle Ungereimtheiten ein, die man heutzutage vernehmen muß. Sprich nur weiter, Anselm, ich bin dein Gast, ich kenne meine Pflichten. Ich habe es in Geduld ertragen müssen, wenn sie mir von der Mamsell Le Normand vorschwatzten, von dem wunderthätigen Schäferknecht, vom Magnetismus.... Nun war ich angegriffen. Sollte ich den Magnetismus, eine Sache, an welche ich glaubte, die ich durch theure Erfahrungen kennen gelernt hatte, mir schelten lassen? Ich fuhr auf und sagte, was ich auf dem Herzen trug. Wie kann man den Magnetismus eine Fabel nennen, das durch tausend Proben verbürgte Geheimniß der Seele? sagte ich. Sie hörten nicht auf, sie waren schon wieder tief in ihren Theorieen. Ich erhitzte mich, ich erbat mir Ruhe, ich erzählte, daß mir selbst die wunderbarsten Erscheinungen jenes Zustandes in Ems geworden wären; was nun freilich nur zur Hälfte richtig war. Wir sprachen zuletzt Alle durcheinander, Anselm von den Tendenzen des Jahrhunderts, Ernst von der Legitimität, und ich vom siderischen Bezuge. Es achtete aber keiner mehr dessen, was der Andre sagte.
So standen wir drei Narren und schwatzten, und ständen und schwatzten vielleicht noch, wenn nicht plötzlich der Bediente eingetreten wäre und unsern Wirth bescheidentlich gefragt hätte: wie viel Couverts der Herr befehle? Dieses Wort erinnerte mich, daß ich in Köln
Nun stand noch meine ganze Hoffnung auf den großen Ball im alten Reichssaale Gürzenich. Aber wollte ich Masken sehen? Ach nein, ganz andre Dinge wünschte ich, hoffte ich zu erblicken. Das Herz ist ein fruchtbarer Acker, und die Gefühle sind ein unvertilgbares Unkraut; die Jahre mögen noch so lange darüber hingepflügt haben, immer schlagen die Keime wieder aus. Ich war doch ein verheiratheter Mann von Charakter, und Grundsätzen, wie durfte ich denn nun den ganzen Nachmittag über und die Abendstunden hindurch an nichts denken, als an die sonderbaren Zeilen in der Carnevals-Zeitung, und ob Sidonie wohl ihr Wort halten werde? Aber es ist ja auch weiter nichts als Neugier, sagte ich zu mir selbst. Diesmal sollte kein System mich über die Stunde des Rendezvous hinaus festhalten, ich blieb unter dem Vorwände einer Unpäßlichkeit auf meinem Zimmer allein und schlich mit dem Glockenschlage Zehn, in meinen Mantel gehüllt, den Domino darunter, aus dem Hause. Aus dem weitläufigen, winkligen Gebäude drang mir der Schall der Geigen und Flöten, der
Wir standen vor einem ansehnlichen Hause. Hier ist eine Restauration, sagte meine Schöne, erwarten Sie mich dort, ich hole uns Gesellschaft. — Wozu Gesellschaft? Gönne mir einige reizende Minuten mit dir allein! rief ich leidenschaftlich. Aber schon war sie mir entschlüpft und um die nächste Ecke verschwunden.
In der erleuchteten Weinstube trat mir der Besitzer entgegen, eine breite, untersetzte Figur mit vergnügten Froschaugen int rothen glänzenden Gesichte. Guten Abend, mein Herr — schnarrte er pustend, nun es freut mich doch, daß es noch mehr vernünftige Leute giebt, die den Saus und Braus nicht lieben und ein solides Gläschen Wein dem dummen Zeuge vorziehn. Ich sage immer, Kinder, sage ich, stellt euch nur nicht an, als müßtet ihr mit Gewalt in den paar Tagen närrisch werden. Es geht auch ohne dieses, ihr macht das ganze Jahr durch quatsche Streiche, grade so viel, als ein Jeder aufbringen kann. Die ganze Welt ist ein Orchester, wir sind die Instrumente drin! Ja, ja, nichts Neues unter der Sonne! o mein Herr, ein Speisewirth lernt die Menschen kennen.
Ich unterbrach den Strom seiner Rede und forderte lebhaft und dringend ein einsames Stübchen, Austern und Champagner. Der Frosch sah mich lächelnd listig an, gab einem dienstbaren Geiste seine Befehle und sagte, mich vom Kopf bis zum Fuß überschauend: Aha! einsames Stübchen — Austern — Champagner — Sie gehören also in die vierte Classe.
Vierte Classe? fragte ich zerstreut, nach der Thür blickend, durch welche noch nichts kommen wollte. — Ja, mein Herr, fuhr der Wirth in seiner Peroration fort; bei mir wird Alles nach Classen bedient, nach Uebersichten; ich bin kein Routinier, ich habe ein System, ich werde die nächste Versammlung der Naturforscher besuchen, denn ein Weingast ist doch auch ein Naturprodukt! — Er
Und wie behandeln Sie diese? fragte ich den Schwätzer.
Zu denen setze ich mich, von denen lasse ich mich aufziehn, erwiderte er, und dafür geben sie etwas mehr, als die Anderen. Die dritte Classe begreift die Melancholischen und Hochmüthigen unter sich. Sie sind mit Gott und der Welt zerfallen, wissen nicht, wo es ihnen sitzt, möchten aus der Haut fahren, ohne sagen zu können, wohin? fühlen ihre Gaben nirgends anerkannt, hätten viel höher steigen müssen, wenn es nach Verdienst
Die werden wohl am flinksten bedient? — Keineswegs. Sie müssen erst dreimal rufen und dann etwas fluchen, ehe sie das Ihrige erhalten. So einer hat nur Vergnügen von der Sache, wenn er sich gelinde dabei ärgert. Dann schmeckt ihm der Wein, darum erhält er ihn auch nicht ohne diese Zuthat. — Nun folgt Ihre Classe, nämlich die der Verliebten. Diese zerfällt in zwei Unterabtheilungen, es giebt nämlich glückliche und unglückliche Liebende. Ich bin discret, warum soll ich einem Pärchen, das sich den Eltern oder Vormündern zum Trotz gern haben möchte, nicht einen stillen Ort gewähren? Nun, weil ich discret bin, kein Wort mehr von dieser Materie. Im Allgemeinen muß ich nur noch sagen, daß mir diese Classe mit am meisten einbringt, denn die glücklichen Liebenden fordern immer das Delicateste, und die unglücklichen sind wenigstens außerordentlich durstig. Der Mensch wird nie innerlich trockener, als wenn er viel weint.
Sie sind mir noch die fünfte Classe schuldig geblieben.
Da sitzen drei Exemplare von derselben, sagte der Wirth und wies in eine Ecke des Zimmers. Ich sah drei ältliche Männer um einen Tisch sitzen, bleich, mit regungslosen Gesichtern und im gemessenen Tempo ihre Gläser zum Munde führend. Man wußte nicht, blickten sie einander an oder nicht, sie schauten starr vor sich hin, und wenn sie nicht tranken, so machte jeder mit den
Indem hob der Seiger aus, und auf dieses Zeichen war es, als ob drei Automaten lebendig würden. Sie ruckten auf ihren Stühlen, räusperten sich, stießen mit den Gläsern an und bewegten ihre Lippen, als wollten sie diese eingerosteten Werkzeuge zum Gebrauch erst wieder in Stand setzen.
Darauf begann der erste Kalender, der Altkölner, seine Geschichte und sprach:
Ja, ja, die Stadt, die Stadt! Es geht nichts über die Stadt, wie sie war, ehe ihr Herren Franzosen
Hieraus begann der zweite Kalender, der Stockpreuße, seine Geschichte und sprach:
Donner und Wetter, freilich sind die Zeiten schlecht und absonderlich für einen alten Preußen. Da muß ich nun aus meine letzten Tage noch in euer sacrament'sches Pfaffennest gerathen, wo ich mir über dem nichtsnutzigen Pflaster in meinen großen Stiefeln zehnmal des Tages den Hals breche. Denkt ihr, ihr seht jetzt Preußen, wenn ihr die jungen Bürschchen mit den Milchgesichtern, den leichten Mützen, den kurzen Jacken, den weiten Ueberhosen umherlaufen seht? Ja, Prosit die Mahlzeit! Preußen seht ihr nicht. Zum Preußen gehört: erstens ein Schnauzbart, zweitens ein dreieckiger Hut, drittens ein Zopf, viertens Puder, fünftens lederne Hosen, sechstens steife Stiefeln und endlich siebentens die Fuchtel. Als ich Anno 3 meinen Abschied in der Hand vor dem Obersten stand: Herr Oberst, fragte ich, kann ich im Civil meine ledernen Hosen und die großen Stiefeln weiter tragen? — Wachtmeister, antwortete der Oberst, der Cavallerist bleibt ewig Cavallerist, er bleibt auch im Civil Cavallerist, ein preußischer Reiter geht mit Stiefeln und Sporen ins Himmelreich ein. — Da kam die Franzosengeschichte, sie trommelten und schrieen um mich her: Vive l'empereur! — Ich dachte: schreit
Endlich begann der dritte Kalender, der Bonapartist, seine Geschichte und sprach:
Daran ist Niemand Schuld, als der verwünschte Feuerwerker, der die Elsterbrücke bei Leipzig zu früh sprengte. Wir haben euch Preußen überall geschlagen, wir sind siegend von Moskau nach Paris gekommen. Die Elemente haben uns überwunden und die Ueberzahl, und der Duc d'Otrante und die Verrätherei. Der Kaiser! ich habe ihn gesehn, es gefällt mir Keiner mehr nach ihm. Was soll man machen? die glückliche Zeit ist vorbei. Die Steuern waren geringer als jetzt, die Conscription ist geblieben, die Constitution ist nicht gekommen. Am schlimmsten ging es mir. Ich war in Dresden während der sächsischen Campagne Magazin-Verwalter, ich hielt mein Magazin, das muß ich sagen, in Ordnung, die Soldaten bekamen Alles gut und in vollwichtigen Rationen; wer den armen Teufeln das Ihrige nimmt, dachte ich, stiehlt's aus der Kirche. Enfin! Was ist's weiter, wenn man seine Pflicht thut? Eh bien! was geschieht? Der Kaiser zu Pferde, kommt eines Tages, reitet in mein Magazin, hinter ihm der Prince de Neufchatel und der Prince Poniatowsky und General St. Cyr. Zu Pferde revidirt er Alles, läßt sich jeden Artikel zeigen, kostet das Brod, probirt den Branntwein. Und da er nun Alles gut findet und bester als irgendwo, wird er immer freundlicher, fängt an zu lächeln und sagt: bon! und zu mir sagt er: Votre nom? — Pützenkirchen, Sire! antwortete ich.
Die Hegelsche Philosophie! sagte eine Stimme nahebei, die den Frühling des Lebens verrieth. Die Kalender blickten sich um, das Froschgesicht und ich thaten desgleichen. Wir sahen an einem Tische einen rosenrothen weißhärigen Jüngling sitzen, den wir bis jetzt übersehen hatten. Die Hegelsche Philosophie, wiederholte der Jüngling. Er blieb sitzen und belehrte uns, kalt wie ein Sechziger, accentlos, folgendergestalt: Was ist Geist? das zum Bewußtsein gesteigerte Sein. Wohin soll alles Sein streben? Zum Dasein im Geist und Bewußtsein. Wodurch wird die Aufgabe gelöst? Durch das System. Dieses bringt eigentlich alle Dinge erst zur wahren Existenz; wenn wir von denselben und über dieselben reden, dann beginnen sie, im höheren Verstände, vorhanden zu sein. Der Held, die That, die Institution, das Kunstwerk — werden zu Allem diesem erst, wenn wir angegeben haben, auf welche Weise ihr sich Verunmittelbaren, ihr sich in der Idee und durch die Idee Darstellen geschehen sei. Vorher waren sie Schatten, nun erst erhalten sie wahres Leben.
Nicht weiter redete der Jüngling, sondern der Stockpreuße unterbrach ihn und fuhr ihn an: In dreier Teufel Namen, Herr, wie können Sie mich einen Niederschlag nennen? Ich habe mich nie niederschlagen lassen! Der altkölnische Kalender fragte den Philosophen, ob er, der Alles wisse, auch wohl wisse, wie viel Gaffeln oder Zünfte die Stadt Köln vor der Franzosenherrschaft gehabt habe? Der Bonapartist sagte mit trübem Blicke: Kann Ihr System meinen Kaiser lebendig machen? —
Das war ein langes und langweiliges Intermezzo. Endlich erschien meine geheimnißvolle Schöne, umgekleidet, im reizenden Pilgerrocke, die beiden Ringe, ihren und meinen, am Hute befestigt — aber in welcher Gesellschaft? Ich rieb mir die Angen, ich glaubte, behext zu
Die Pfropfen flogen von den Champagnerflaschen, die Austern waren frisch, die Scherze der Unbekannten flatterten wie bunte Schmetterlinge um die Tafel; mein Schwager überbot sich in Einfällen und schien sehr bei Laune zu sein. Aber mir behagte der Champagner nicht, die Austern quollen mir im Munde, alle diese Scherze stachen wie Nadeln mir ins Haupt. War ich in einer Zauberherberge? Alles schwankte gleich einer Phantasmagorie vor meinen Augen. Draußen trug der Wirth einem Neuangekommenen Gaste sein System vor, und zwar gerade so, wie ich es mir hatte erzählen lassen müssen. Das Zeug, sagte mein Schwager, schwatzt der Hanswurst seit zehn Jahren jeden Abend, es ist der
Nun müssen wir recensiren, denn wir sind im nördlichen Deutschland, sagte die verwandelte Schwermüthige, als jener Galimathias vorüber war. Wohlan, mein Herr, was halten Sie vom Gedicht und Dichter? — Ich habe immer bedauert, daß Adolph sein Talent nicht öffentlich zeigt, versetzte ich. — Nichts da! rief mein Schwager, verführe mich nicht zur Thorheit. Das Leben will
Wir waren allein. Endlich! Ersehnter Moment! mir brannte das Herz, aber nicht vor Liebe. Die Gegenwart meines Schwagers, jene Possen, die Ausgelassenheit Sidoniens, die ich gar nicht fassen konnte, wenn ich an ihr früheres Benehmen dachte. Alles hatte mich abgekühlt. So wahr ist es, daß Witz und Scherz die besten Gegenmittel wider lebhafte Empfindungen sind. Ich dachte ernsthaft an meine Frau, ich dachte an die Tugend, Sidonie hatte sich in den Sopha gesetzt, ich machte einen Gang durch das Zimmer, holte tief Athem und hielt darauf eine Rede, die so confus war, wie Reden immer zu gerathen pflegen, wenn sie recht schön werden sollen. Ich sprach von gewissen Verhältnissen, die gewisse andere Verhältnisse fortzusetzen nicht gestatteten, von Pflichten und Rechten, von Ruhe der Seele, die man sich um jeden Preis bewahren müsse, von Entsagung und dergleichen mehr. Ich war während dieser Rede wieder warm geworden, ihre Gestalt im Sopha schwamm so lockend vor mir; o Himmel! der Mensch ist sehr schwach, meine Rede voll Grundsatz und Regel schloß mit der Bitte, mir einen Abschiedskuß zu geben. Sie stand auf, sie kam mir entgegen, ich wollte meine Lippen
Ein leiser Gesang in meiner Nähe machte mich aufmerksam. Ich sah mich um, ich stand unter dem Portale einer Kirche. Seitwärts befand sich eine Nische, in der etliche trübbrennende Lampen das steinerne Bild des Gekreuzigten mit der Mutter und dem Lieblingsjünger zu seinen Füßen beleuchteten. Eine weibliche Figur lag in später Andacht vor dem Heiligthume auf den Knieen. Von ihr rührte der Gesang her, ich horchte und konnte folgende Strophen vernehmen, die wohl aus einem Kirchenliede sein mußten:
Diese rührende Klage wurde oft von einem Husten unterbrochen, in den die Singende verfiel. Jetzt hatte
Sie wohnen... sagte ich.
Seit vier Wochen hier. Aus den kleinen Städten lästerten sie mich weg. Köln ist groß, hier kann man unbemerkt, ruhig sterben.
Und allein — in der Nacht...? stotterte ich. — Ich scheue mich vor dem Tage, die Mitternacht ist meine Freundin. Das Auge Gottes leuchtet am hellsten durch das Dunkel; wenn die Geister beginnen umherzuwandeln, dann ist meine Stunde, denn ich bin ja auch nur noch ein Geist unter den Lebendigen. Dringen Sie nicht weiter in mich. Ach, wie ich mich freue, Sie noch einmal gesehen zu haben! So recht vom ganzen, ganzen Herzen! Auf dieses Glück hatte ich nicht gehofft. Wie ich Sie geliebt habe! Ich sterbe, so darf ich es Ihnen wohl sagen. Nicht gleich. Nicht damals, als
Sie umfaßte mein Haupt, sie drückte es an ihre kranke Brust, sie küßte mit kalten Lippen meine Stirn. Ich schluchzte, aufgelös't von Wehmuth; begriff ich sie auch nicht ganz, so fühlte ich doch, daß das tiefste Unglück über mir weine. Es nahte Jemand. Eine Alte kam, gebückt, eiligen Schritts, mit der Laterne den unebnen Weg vor sich erleuchtend. Töchterchen! Töchterchen! rief sie Sidonien gutmüthig scheltend an, bist du mir doch wieder entschlüpft? Kind, Kind, deine arme Brust, und die Nachtkälte! Was soll's hier? — Beten, Mutter, versetzte Sidonie, bis der Athem ausgeht, knieen, bis die Kniee wund sind. — Komm nach Hause, sagte die Alte. — Ja, nach Hause, klang hohl, wie aus dem Grabe, die Antwort. Sie wankte am Arme der Alten fort, ich wollte folgen, Sidonie verbot es mir. Ich blieb auf der Bank vor dem Crucifix sitzen und starrte der Leuchte nach, bis sie verschwunden war. Ich versuchte
Tröste dich, sagte meine Frau, die mich den ganzen Abend über schon mit ihren Neckereien verfolgt hatte. Du hast den Maskenzug nicht gesehen, du hast auf dem Gürzenich nicht getanzt, aber nach dem, was du mir erzähltest, kannst du doch sagen: ich bin auf dem Karneval gewesen und habe ein Stück vom großen Narrentage mit durchgelebt. — Es ist wahr, versetzte ich. Ich sah Masken der Zeit, ich war auf dem Mummenschanz der Wirklichkeit. Und an einer Person, die gefoppt wurde,
Ich weiß nicht, sagte meine Frau verlegen, ich habe ihn seit deiner Abreise nicht gesehn. Sie ging in den Grund des Zimmers und machte sich dort allerhand zu schaffen. Ich stellte mich an das Fenster, trommelte auf den Scheiben und überlegte, was zn thun sei. Sollte ich gleich zu meinen: Schwager gehn und von ihm Erklärungen fordern? Ich verwünschte die Scene mit der Maske, ich war leider auch im Unrecht, es war, wie die Diplomaten sagen, eine sehr zarte Situation. Indem ich so hin und wieder überlegte, fühlte ich einen leichten Schlag auf der Schulter. Ich wandte mich um, und — die Pilgerin aus Köln stand vor mir, den Ueberwurf der Fledermaus, wie zur Beglaubigung ihrer Aechtheit, auf dem Arme tragend. Ich starrte die Gestalt sprachlos an. Sie reichte mir ein Papier, ich riß es auf: Sidoniens Ring und der meinige lagen darin. Ich konnte noch immer keinen Laut finden bei dieser Erscheinung, die, wie das Wunder, sichtbar, körperlich, greifbar, in den Kreis meines Lebens trat. Sie nahm die Maske ab, und — das Antlitz meiner Frau lachte mir unter der Krempe des Huts entgegen.
Ich wich vor ihr drei Schritte zurück, wie vor einem Geiste; ein Gespenst hätte mich nicht gräßlicher erschrecken können. — Beruhige dich, sagte sie scherzend. Nehmen Sie sich zusammen, mein saubrer Herr Gemahl, Sie werden der Fassung bedürfen. Das große Geheim-
Du warst ... stammelte ich.
Auf dem Carneval, unter dem Schutze meines Bruders, Fledermaus, Pilgerin, betrogene Frau, Anhörerin zärtlicher Ausrufungen und wohlgesetzter Reden, Empfängerin verschiedener Küsse und Austheilerin einer hoffentlich nicht zu sanften Ohrfeige. —
Und die Anzeige in der Carnevalszeitung?
War von mir. —
Was hat dich bewogen, fuhr ich leidenschaftlich auf, diesen verwegenen Scherz mit deinem Manne zu treiben?
Laune, Etourderie, ein unüberwindlicher Kitzel, zu erproben, wie weit der Herr Gemahl mir angehören — vielleicht ein bischen Verdruß über deine somnambüle Liebschaft. Es wäre wahrscheinlich vernünftiger gewesen, wenn ich's nicht gethan hätte; wer weiß, ob es geschähe, müßte ich es noch thun. Nun, es ist einmal geschehen, wer kann es ungeschehen machen? Vergieb mir! Mein Bruder weiß von dem eigentlichen Zusammenhange der Sache nichts, er denkt, denn so habe ich es ihm gesagt, daß ich nur einen gewöhnlichen Carnevalsscherz mit dir getrieben habe. Fühle dich in die Stimmung einer armen Frau, die in bedeutenden mystischen Ausrufungen immer von einem Wesen höherer Art hören muß, der ein Brillantring als unschätzbares Erinnerungszeichen köstlicher Stunden gezeigt wird, die dann auf einmal Licht über
Was weißt du von Sidonien? Wie kam mein Ring in deine Hände? fragte ich, mich mühsam aufrecht haltend.
Wegen des Rings nachher. Daß er der ächte ist, siehst du. Von Sidonien, oder wie die Vortreffliche auf ihren Kreuz- und Querzügen sonst noch geheißen haben mag, muß ich dir leider sagen, daß diese liebende Seele so wenig Hellseherin war, als ich es je gewesen bin, und daß ihr Gefühl für dich sich bis auf deine Schatulle erstreckt, daß sie an dieser ihre zärtliche Sehnsucht befriedigt hat.
Himmel und Erde.... Sie!....
War eine Betrügerin, gesellt einem abgefeimten Schelme, der in verschiedenen Gestalten die Welt durchzog und seine Streiche ausführte, bis ihm endlich die Gerichte das Handwerk legten. Wenn du einmal eine empfindsame Reise durch die Festungen des Landes machst, wirst du wohl irgendwo in den Casematten deinem Herrn Arzt, der an andern Orten ein Marquis und wieder an anderen ein Demagogenchef gewesen sein soll, das Compliment machen können. In Ems war er nun, wie gesagt, Arzt und seine verlaufene Gefährtin Somnambüle. So erregte er mit ihr die Aufmerksamkeit, nach der er strebte; Personen, bei denen er etwas zu gewinnen glaubte, zog er auf geschickte Weise in seine magnetische Sphäre und er sah die Gelegenheit, ihr Zutrauen zu benutzen. Du bist
Wenn dies auch Alles richtig sein sollte, sagte ich, so begreife ich noch immer den Zusammenhang meiner Geschichte nicht. Wie konnte jener Betrüger wissen, daß ich Summen bei mir führe, die die Mühe lohnten? Wie erklärt sich das Zusammentreffen auf der Bäderlei mit Jenen, die ich nie gesehen hatte, von denen ich nie gesehen worden war? Auf welche Weise ward der Diebstahl verübt? Wer war der Mensch, der mir zuletzt die Papiere raubte? Das sind lauter Dinge, die ich nicht fasse! —
Du wohntest ja wohl neben der sogenannten Gräfin? Man hörte in dem einen Zimmer, was in dem andern laut gesprochen wurde? fragte meine Frau.
Ja, so war es. —
Nun, du pflegst in der Regel ziemlich vernehmlich zu reden. Erinnerst du dich nicht, daß du von deinem Gelde gesprochen hast?
Von meinem Gelde? — Ich glaube, ich habe den Kellner gefragt, als ich angekommen war, ob das Schloß
Und dann?
Dann? — Wer kann alle geringfügigen Umstände jahrelang behalten? — Dann? Halt! ja! Ich habe ihm auch gesagt, er solle mir einen Esel bestellen, ich wolle nach der Bäderlei reiten.
So wußten also nebenan der Herr Arzt und die gnädige Gräfin, wohin der Mann mit dem vielen Gelde sich begeben hatte. Und nun denke ich, folgt das Andere ganz natürlich. Sie machten sich hinterher auf den Raubzug. Wie man dort durch eine seltsame Forderung deine Phantasie, deine Neigung zum Geheimnißvollen frappirt, wie der Arzt durch berechnete Zurückhaltung, durch die listige Art der Mittheilung dich gestimmt hat, auch das Unglaubliche zu glauben und eine handgreifliche Komödie für Wahrheit zu halten, das — lieber Gustav — hast du mir ja selbst vorgelesen. Jenes Glas Wasser auf der Bäderlei bezauberte dich, du warst blind für Alles, was sich dir aufdrängen mußte. Ich unglückliche Frau! daß ich weiß, was noch außerdem dir die Binde fester um die Augen zog!
Und der Diebstahl.... der Diebstahl!....
Wurde verübt, als du bei deiner sehenden Hellseherin hinter dem Schirme saßest. Du erinnerst dich, Metallreize wirkten auf die Kranke zu heftig, der gute Arzt ließ dich deßhalb alles Metall ablegen, worunter sich denn freilich zufällig auch die Schlüssel zu deinem
Höllische Betrügerei! Und die leere Schatulle und die Erzählung des Arztes von dem Orte, wo sie Sidonie im Schlafe gesehen haben sollte
Da der Herr sie selbst hingeworfen hatte, so konnte er dir doch wohl sagen, wo sie lag. Erinnere dich nur, der Baumgarten stieß ja an das Hinterhaus, und in einem Zimmer des Hinterhauses schlief die Somnambüle. Die Schatulle ist wirklich aus dem Fenster jener Stube durch die Luft in den Garten gereis't, und der aberwitzige Wirth hat schon damals die Wahrheit geahnt. Damit du nicht zu Athem kämest, aus dem Dunst, den man um dich verbreitet hatte, nicht schautest, ward dir das neue Wunder aufgeheftet.
Und der Räuber im Walde?
Hier gehen meine Nachrichten aus. Indessen glaube ich, daß wir ohne großen Scharfsinn auch die Waldscenen werden entziffern können. Jener lakonische Bösewicht, war vermuthlich ein Spießgesell des Herrn Arztes.
Aber, sagte ich, welch ein ungeheurer künstlicher Plan lag dieser Ueberlistung zum Grunde, wenn sich Alles so verhält, wie du sagst! Mich dünkt, die Berechnung war zu berechnet, um wohlberechnet zu sein! Vergieb mir; deine Erklärung ist um nichts unwahrscheinlicher, als die somnambulistischen Phänomene, von denen mir der Arzt erzählte.
Weil sie deiner Eitelkeit nicht schmeichelt, versetzte meine Frau mit bitterem Accente. Und dennoch ist sie
Wie schlau leitete er meinen Verdacht von der Spur ab, auf die unschuldigen Hausgenossen des Gasthofs ! rief ich.
Und vergiß nicht, daß er dem Wirthe ebenfalls von einem Hausdiebe vorgesprochen hatte. Ja, er hatte sich sehr gut verschanzt. — Du weißt nun Alles. Ein Kläger muß aber den Beweis liefern, hier ist er.
Sie reichte mir ein Papier. Ich entfaltete und las. Es war die Abschrift eines gerichtlichen Verhörs.
Die gestern verhaftete Eugenia Sidonia, angeblickt Gräfin ** cka, hatte dem Gerichte von freien Stücken anzeigen lassen, daß sie mit ihren Aussagen heute fortzufahren wünsche. Man ließ sie vortreten. Sie gab Nachstehendes zu Protokoll, welches auf ausdrückliches Verlangen, so weit es möglich, mit ihren eigenen Worten niedergeschrieben worden ist.
Ich betheure vor Gott und vor den Menschen — so begann die Comparentin — daß ich von den Verbrechen meines Begleiters, welche mir gestern vorgehalten worden sind, erst lange nach ihrer Verübung Kunde erhalten und auf keine Weise an ihnen Theil genommen habe. Durch den Schein glänzender Eigenschaften hat er mich getäuscht, durch meineidige Schwüre verleitet, durch unergründliche Heuchelei aus dem Hause meiner Eltern gelockt. In der Welt allein, verlassen, verworfen, sah ich die Larve ihm vom Antlitz fallen, meine einzige Stütze war ein Glücksritter, ein Bösewicht, ich meinte zu verzweifeln und wünschte mir den Tod, der mich von seiner schrecklichen Gesellschaft erlösen sollte. Er schleppte mich durch die Länder und Städte, mein Unglück hatte ihm eine Gewalt über mich gegeben, der ich nicht zu widerstehen vermochte.
Sie wurde aufgefordert, sich näher über ihre frühern Lebensverhältnisse zu äußern, erklärte jedoch, daß sie sich dazu nicht verbunden achte, daß sie sehr unglücklich sei,
An einigen Orten ließ mich mein Begleiter, der sich in der letzten Zeit unsres Zusammenseins für einen Arzt ausgab, die Somnambüle spielen. Der Magnetismus sei, wie er sich ausdrückte, in Deutschland Mode, dieser werde, sagte er, seiner Erscheinung mehr Relief geben. Ich muß hier bemerken, daß ich immer in dem Glauben gestanden habe, mein Begleiter sei wirklich Arzt, er besaß medicinische Bücher und Präparate, sprach von den großen Heilanstalten Europa's so, als habe er sie alle gesehen, und unternahm hin und wieder auf unsern Reisen Curen, die ihm zum Erstaunen schnell und glücklich geriethen. Ich weiß nicht, ob ich auch in dieser Meinung mich getäuscht habe. — In meiner unglücklichen Abhängigkeit ließ ich mich bestimmen, seiner Forderung nachzugeben. Ich stellte mich so, wie er mir vorschrieb, ich sprach, was er mir vorher in den Mund gelegt hatte. Er führte viele Menschen zu mir und ließ sie meine erdichteten Zustände wahrnehmen. Er knüpfte bei dieser Gelegenheit mannigfaltige Verbindungen an, wir lebten seit der Zeit reichlicher, als vorher. Er sagte mir, daß er vermögende Gönner gefunden habe, und ich glaubte seinen Worten. Ich empfand den tiefsten Widerwillen gegen die Lüge, zu welcher ich verurtheilt war, ich entschuldigte mich vor mir selbst nur damit, daß das
Nur in Einem Falle bin ich schuldiger gewesen. Der furchtbarste Drang der Umstände hat mich so tief fallen lassen. Mein Schmerz darüber, meine Reue ist aufrichtig, könnten Thränen einen Flecken von der Seele waschen, so müßte die meinige wieder rein geworden sein, wie sie in den Tagen meiner unschuldigen Kindheit war. Ich hoffe zu der Gnade des Himmels und will dem Gerichte jetzt unverhohlen sagen, wie sich die Sache zugetragen hat.
Nun erzählte die Unglückliche den Vorfall in Ems. Ich fand die Bestätigung dessen, was meine Frau mir gesagt hatte; Punkt für Punkt, Zug für Zug.
Die Verhandlung lautete dann so weiter: Man legte der Comparentin die Frage vor: Sie haben dem Gerichte gesagt, auf welche Weise Ihr Begleiter den Fremden mystificirt, wie und wann er den Diebstahl der Schatulle verübt, mit welcher List er die Täuschung des Bestohlnen fortgesetzt und diesen von der Verfolgung der richtigen Spur abgebracht habe. In welcher Art haben Sie selbst aber an jenem Verbrechen Theil genommen?
Sie deponirte hierauf:
Als mein Begleiter im Nebenzimmer den Fremden
Tief in der Nacht kam mein Begleiter zu mir und kündigte mir an, daß jener angebliche Gelehrte mich schlafend zu sehen wünsche, und daß ich mich bereit halten möge, am folgenden Vormittag somnambül zu sein. Ich weigerte mich und erklärte ihm, daß ich nie wieder diese Rolle spielen würde. Es erfolgte eine heftige Scene zwischen uns, er bat, befahl, drohte, ich wider-
Man hielt der Comparentin vor, daß sie sich bemüht habe, ihren Antheil an der zuletzt angezeigten Betrügerei als sehr gering darzustellen. Es sei zu vermuthen, daß ihr die Absicht ihres Begleiters, den Fremden zu berauben, vor der magnetischen Scene bekannt gewesen sei, daß sie die Somnambüle gespielt habe, um die Ausführung jenes Verbrechens zu befördern. — Hierauf erwiderte sie mit allen Zeichen der heftigsten Bewegung:
Ich habe nicht eher von dem Raube etwas erfahren, als bis er geschehen war. Ich konnte und mußte wohl
Der Commissarius fordert sie auf, den Ort, wo der Vorfall sich zugetragen, zu entdecken, den Namen des Betrognen zu nennen. Standhaft verweigert sie Beides. Man fragt sie um den Grund dieses Verschweigens, man hält ihr vor, daß ein halbes Gestandniß gar keins sei, man macht sie auf die nachtheiligen Folgen aufmerksam, welche ihre Hartnäckigkeit für sie haben könne. Sie bleibt unerschüttert. Der Bestohlne, sagt sie, sei durch ihren Ring entschädigt, das Geld sei, wie sie wisse, verschleudert worden, weitere Eröffnungen seien unnöthig für das Interesse des Fremden. Nur an dieses scheint sie zu denken. Der Grund, warum sie Ort und Namen verschweige, ruhe in der Tiefe ihrer Seele, was deßhalb über sie verhängt werde, wolle sie geduldig als Züchtigung der himmlischen Mächte hinnehmen, aber keine menschliche Gewalt sei im Stande, ihre Lippen zu öffnen. Der Beamte habe ihr ein Zutrauen eingeflößt, sie habe das Bedürfniß gefühlt, ihr
Nun erfuhr ich, wie meine Frau zu diesen Aufklärungen gelangt war. Sie hatte eine Bestellung bei unsrem Juwelier gemacht. Der an allen schönen Sachen seines Gewerbies einen lebhaften Antheil nehmende Mann schwatzt mit ihr von den Pracht- und Prunkstücken seines Ladens, zeigt ihr die besten Arbeiten vor und bringt endlich einen goldenen Ring herbei, dessen Façonnirung er ganz besonders rühmt. Sie nimmt ihn, betrachtet ihn genau und liest endlich in der innern Ründung den Namen meiner Schwester. Sie dringt in den Juwelier, ihr zu sagen, woher er den Ring habe? Ganz unbefangen erzählt der Mann, er sei vor Kurzem auf einer Handelsreise in eine Landstadt gekommen und habe ihn dort auf einer Auction, wo von Gerichtswegen verschiedne Deposita versteigert worden seien, nebst mehrern andern Gold- und Silbersachen zum Einschmelzen gekauft, die schöne Arbeit des Stücks habe ihn aber vermocht, es aufzubewahren. Sie fragt ihn über die Schicksale dieses Ringes aus und erfährt, daß das Gericht ihn einer verschmitzten Person abgenommen habe, von der in der ganzen Stadt die Rede gewesen sei. Von seinem Vetter, der als Unterbeamter bei dem Gerichte angestellt sei, habe er die sonderbarsten Dinge in Betreff derselben ge-
So ward durch beklagenswerthe Zufälligkeiten eine alte Mystification entdeckt und eine neue möglich gemacht, die auf das Schicksal meines Lebens den übelsten Einfluß geübt hat.
Mit jenen andeutenden Worten schließen die Hefte, welche uns vorliegen. Ein schweres häusliches Unglück traf unsern Freund nach Jahresfrist seit dem Besuche des Kölnischen Karnevals. Wir sind im Besitze der Geschichte jenes Zwischenraumes und haben leider die Folgen eines Scherzes zu berichten, welche ernsthafter wurden, als die des Schwankens von Tugend und Großmuth, den sich die schelmische Gräfin mit ihrem Eheherrn erlaubte.
Denn freilich hatte Adolphine — so nennen wir die Gattin unsers Freundes — die Wirkungen nicht berechnet, als sie in ihrem Manne das Bild der unglücklichen Sidonie erneuerte; die Wirkungen, welche ein so unbedachtes Unternehmen hervorbringen mußte und hervorbrachte. Damit man ihr Verfahren nicht gar zu unweiblich finde, müssen wir zur Entschuldigung anführen, daß ihr Gefühl, ihr Dasein überhaupt gestört und aus den Schranken gerückt war, innerhalb welcher der Charakter einer Frau sich nur mit Anmuth und Schönheit darstellen kann. Der Oheim, welcher sie erzogen, Vaters Rechte über sie geübt hatte, war eine Art von geistigem Epicuräer; die Abwechselung der Genüsse bedeutete ihm erst den Genuß, Reisen allein hielt er für Leben. Das muntre, schöne Kind führte er überall mit umher, eine leichte Sorge, die Zugabe eines herzlichen Verhält-
Noch voll von schmerzlichen Reminiscenzen, aus Italien zurückkehrend, fand sie unsern Freund. Amor war es nicht, der hier die Fackel zündete. Aber sie war des Umherziehens müde, sie meinte, die Herrschaft sei das Einzige, was man hienieden erreichen könne, sie lachte über den weichen gutmüthigen Mann, sie täuschte sich über ihn, und so reichte sie ihm die Hand. Wunderbar! der Ehestand, der sonst das Gefühl tödtet, erweckte das ihrige, sie sah die Schwäche Gustavs gepaart mit einem
Indessen blieb das Glück diesem Bunde fern. Der nacherworbene Geliebte hätte ihr imponiren müssen, das war nicht der Fall. Scheinbar beschränkt, erfahrungslos stand er der Vielgereisten, die Alles gesehen und gehört hatte, gegenüber. Auch schämte sie sich gewissermaßen ihrer Empfindung, die sie eine Schwäche nannte, sie fürchtete eine volle Hingebung, die sie einmal so schwer hatte büßen müssen; abwechselnd kokett und kalt, traf sie nie das rechte Wort, welches nur ein unschuldiges Wesen aus der Fülle der überströmenden Liebe dem Manne zu sagen vermag. Sie fürchtete immer zu verlieren, sie kränkelte sich zwischen Stolz, Wehmuth und Lachen hin, sie war, daß wir es kurz sagen, eine geistreiche Frau, wie wir so viele sehen. Er an seiner Seite verstand das Uebel nicht und machte es durch Sentimentalität ärger. Was er ihr gab, das nahm sie hin als Recht, die Forderungen seines Herzens schien sie nur halb, gezwungen, zweifelnd anzuerkennen. So schwankten ihre
Eine unbändige Eifersucht ergriff sie, als unvorsichtig hingeworfene Worte Gustavs sie im Allgemeinen von dem Abenteuer zu Ems unterrichteten. Er hatte eine sonderbar-strenge Meinung von der Pflicht der Ehegatten, einander Alles anzuvertrauen, und legte durch eine Tugend, die Niemand von ihm verlangte, den Grund zu den nachherigen Verwickelungen. Oder wirkte ein weniger reines Motiv? So viel ist gewiß, daß er von Sidonien zu sprechen anfing, als Adolphine einmal besonders kalt und grillenhaft sich betragen hatte. — Sie wurde durch sein Geständniß sehr aufgeregt. In ihren Gedanken machte sie sich jene geheimnißvolle Schöne, die wahrlich keine gefährliche Nebenbuhlerin mehr war, zur fürchterlichsten Feindin, sie sah die Gestalt wachend und träumend vor sich, sie hätte dieses Gespenst gern vernichtet, zu dem, ihr unbewußt, ihre Leidenschaft für Gustav sich zusammengeballt hatte. Aber ihr Stolz verrieth nichts, auch jetzt ward der Spott zum Deckmantel einer Qual, die sie sich so ganz ohne Noth selbst schuf. Welch ein Triumph für sie, als sie mit dem Ringe den Schlüssel zu der Geschichte erhielt! Nun war die Rivalin entlarvt, vernichtet, es stand bei ihr, in dem Herzen ihres Gatten an die Stelle der von ihr erträumten Empfindung Zorn und Verachtung zu pflanzen. Sie kannte sich nicht vor
Denn freilich konnte nur eine eifersüchtige Frau, welche bloß hörte und las, was ihrer Leidenschaftlichkeit zusagte, in Sidonien die gemeine Betrügerin sehen. Gustav las, was wirklich in jenem Protokolle stand, die Schmerzensworte einer edeln gefallenen Natur. Und er las noch mehr zwischen den kalten gerichtlichen Zeilen. Hättest du nur Ort und Namen genannt, arme Sidonie, rief er in der Stille für sich, daß mich der Richter ausgefunden, daß ich von deinem Schicksale gehört hätte! — Er wußte, was sie abgehalten hatte, Ems und ihn zu bezeichnen, es war dasselbe Gefühl, welches ihr den Mund verschloß, als sie, durch die Seitenthür in sein Zimmer tretend, ihm den Raub entdecken wollte. Aber.... er verlor sich in Nachsätze, die er nicht ausdenken mochte. Vor seiner Frau beschloß er zu schweigen. Das Wiederfinden in Köln behielt er für sich. Dennoch erfolgte bald eine Erklärung, die beide Theile nachher gern ungeschehn gewünscht hätten. Adolphine fand ihren Gatten einige Tage nach jenen Entdeckungen im Bosquet, das Haupt in der Rechten, versenkt in tiefe Gedanken. Die erste
Ha, rief sie, ich, verhöhnt um eine Buhlerin!.... Der Zorn schlug ihm die Zähne an einander. Es frägt sich noch, sagte er, wer besser ist; die Frau, welche in kalter Rechtfertigkeit mit Gefühlen ihren Spott treiben konnte, oder die arme Sünderin, der die Augen leuchteten, als sie mir mein verwahrtes Eigenthum zurückgab? — Es kommt die Stunde, wo wir Alle der Vergebung bedürfen. Fordere das Schicksal nicht heraus! Denke auch du des Wortes, welches Sidonie mir beim Abschied sagte: Richte nicht!
Sie meinte, verfinstert, wie sie war, er spiele auf
So betrübte Fastentage folgten in diesem Hause dem lustigen Carneval. Indessen konnte noch Alles zum Guten ausschlagen, die Verstimmung war ja nur eine von den vielen, die an der Macht des Alltags und der Gewohnheit sich auflösen. Die Gatten versöhnten sich denn doch wieder; man nahm sich vor, man versprach einander unter Küssen und Thränen, daß von der unglücklichen Sache nicht mehr die Rede sein, daß der Name Sidoniens nicht ferner mehr genannt werden solle. Und darin hielten sie Wort. Nur bemerkte freilich Gustav,
Hier steht vorn auf dem weißen Blatte der Name des Gebers! sagte er in seiner kaltblütigen Art. Seiner Freundin Adolphine der Marquis... Ich kann den Namen nicht lesen. Florenz.... Was für ein Marquis war das? Du hast ja nie von einem Marquis gesprochen, den du in Italien gekannt.
Es war eine flüchtige Bekanntschaft! versetzte sie erröthend und erbleichend. Mir ist nicht wohl, Bruder; schlafe wohl! Nimm die Wahlverwandtschaften mit, ich schenke sie dir. Es wird früh genug Alles kommen, wie es in dem Buche steht.
Er lachte über diese Melancholie. Wenn du nicht so vernünftig wärst, sagte er, so würde ich glauben, du wolltest dich auch, wie so viele Weiber jetzt, mit deinen Nerven interessant machen. Wo ist dein Mann? — Verreist nach den Fabriken im Gebirge; so sagte er, versetzte sie. Ich glaube aber, er ist ganz wo anders hin.
Der Bruder schüttelte den Kopf. Wenn ich nur wüßte, was ihr mit einander vorhabt, sagte er, indem er Abschied nahm.
Gustav hatte eine halbe Stunde vor der Stadt den Postillon halten und umkehren lassen, er habe seinen Reiseplan geändert, sagte er zum Schwager. Er ging einige hundert Schritte durch Wiesen und Felder, seinen leichten Mantelsack selbst unter dem Arm tragend. Vor der Thüre eines dürftigen Hauses hielt der Bewohner ein Pferd, gesattelt und gezäumt. Unser Freund schwang sich auf, empfahl dem Manne Verschwiegenheit, drückte ihm ein Stück Geld in die Hand, und trabte seitwärts, Gehölz und Feld in entgegengesetzter Richtung durchschneidend, davon.
Wir lassen den Beweggrund zu diesem geheimnißvollen Verfahren vor der Hand auf sich beruhn und melden nur, daß der Reiter dem Gebirge mit seinen Fabriken den Rücken wies und sich in der Richtung nach Köln zu rasch fortbewegte. Der Frühling lachte über den Gefilden und weinte aus den frischbeschnittenen Zweigen der Rebe. Gustav machte seiner lange eingeschnürt gewesenen Brust in tiefen Athemzügen der Wehmuth Luft, als er sich so allein sah, zwischen Saatengrün, Baumblüthe und Lerchenwirbel. Ach, rief er, alles Schöne in der Natur kehrt wieder, die Knospen am Baume, das Jauchzen der Vögel, die segenschwangre Aehre, die blaue schwellende Traube! Warum muß der Mensch nur einmal blühn, und dann nicht wieder?
Indem er sich so seinen düstern Gedanken überließ, hatte er wie gewöhnlich des Weges nicht genugsam geachtet. Und wohin wollte er denn? Nun, er wollte nach Köln, nicht, Sidonien zu sehn, nein, nur Erkundigungen
Unterwegs erfuhr er von seinem Begleiter, der gern zu reden schien, die Geschichte des Unglücklichen. Er war ein Brudermörder. Er lebte mit dem Erschlagnen ruhig und friedlich zusammen, als auf einmal, man wußte nicht wie und wodurch, in ihm der Argwohn erwachte, Jener halte es mit seiner Frau. In einem Anstoß der Eifersucht wurde das schreckliche Verbrechen begangen. Man hielt ihn schon damals für irrsinnig, während der Untersuchung stellte er sich ganz so dar. Seine Seele schien bis auf die Vorstellung verletzter Treue alle übrigen eingebüßt zu haben. Er saß Tage lang, ohne ein Wort zu sprechen, starr auf Einen Fleck blickend, und nur, wenn man ihn gewaltsam aufrüttelte, wiederholte er, bis ihm die Stimme versagte, den Ruf, den auch Gustav so oft aus seinem Munde vernommen hatte.
Dies erzählte der Amtmann, und daß Jener vor wenigen Stunden die Unachtsamkeit eines Wärters zur Flucht benutzt habe. Er fügte hinzu, daß er immer an der Wirklichkeit des Wahnsinns gezweifelt habe, und sagte viel von den künstlichen Mitteln, die von ihm angewendet worden seien, um auf den Grund zu dringen; was Gustav nur halb verstand. Heute aber sei er gewiß geworden, schloß der Amtmann; wer, vom Pferde geschlagen, mit halbzerschmettertem Schenkel verrückt bleibe, der sei aufrichtig verrückt. Ein Glück für den Schelm, rief er aus, daß Sie mit Ihrem wilden Pferde ihm gerade in den Weg kommen mußten! Wir können ihn nun mit gutem Gewissen ans Irrenhaus abgeben.
Sie sprechen ein sonderbares Glück aus, versetzte Gustav, und doch haben Sie wohl Recht. Die Kirchen und Klöster haben aufgehört, Freistätten zu sein, und das Tollhaus ist an ihre Stelle getreten. — Uebrigens, dächte ich, mußte der erste Blick lehren, daß der Mensch ohne Verstand sei, und ich hätte um diesen Punkt keine weitläuftige Untersuchung angestellt.
Mein Herr, Sie sind nicht Criminalist, antwortete der Amtmann mit einem Blicke, der, wie es schien, den unbefugten Urtheiler in seine Schranken zurückweisen sollte. — Indessen waren sie aus dem Hohlwege gekommen, eine sanfte Baumebene lag vor ihnen, in kurzer Entfernung zeigte sich ein großes fleckenartiges Dorf. Gustav fragte nach dem Namen. Es ist mein Wohnort, versetzte der Amtmann, und nannte den Namen. Großer Gott!
Gustav war zu ernst gestimmt, um über die wunderliche Zuversicht des Richters lächeln zu können. Dieser fuhr, von sich begeistert, fort: Aber ihren Begleiter hatte ich auch, wenn ich so sagen darf, auf den ersten Griff weg. Ein merkwürdiger, bedeutender Mensch, einer, der, wie Schiller von seinem Räuber sagt, nothwendig entweder Brutus oder Catilina werden mußte. Ich habe an seinem Sarge geweint, denn mein Beruf hat in mir nicht den Menschen ausgetilgt.
Ist jener Verbrecher todt? fragte Gustav erstaunt. Mein Herr, versetzte gereizt der Richter, Sie scheinen meine Beiträge zur Seelenkunde und Menschenkenntniß ziemlich flüchtig gelesen zu haben. Freilich ist er todt, ich habe ja sein Ende in jenem Buche weitläuftig erzählt. — Es war ihm nichts zu beweisen; wie der Aal, wie die Schlange glitt er mir unter den Händen weg, wenn ich ihn festzuhalten glaubte. Es erfolgte ein freisprechendes Urtheil. Als ich ihm dies eröffnete, flog ein wildes Lächeln über sein Gesicht. So habe ich denn meinen Proceß gewonnen! rief er und schien einem Entschlüsse nachzusinnen. — Mein Fehler ist ein unüberwindlicher Widerspruchsgeist, fuhr er fort. Und so sage ich Ihnen
Er ließ unsern Freund allein zurück bei jenen Briefen und begab sich zu dem Verwundeten, der eben unter dem Fenster mit verdoppelter Heftigkeit wieder sein Geschrei ausstieß. — Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, hatte er einen Anblick, den er nicht erwartete. Gustav lag, das Gesicht auf dem Tische, beide Hände weit über demselben ausgestreckt, und vor ihm lag eines der Packete, geöffnet und, wie es schien, gelesen. Was fehlt Ihnen? fragte der Amtmann bestürzt. Gustav richtete sich in die Höhe, sein Gesicht war blaß und entstellt, wie das Antlitz eines Mannes, der etwas Furchtbares sah. Können Sie mir diese Briefe wohl auf wenige Tage anvertrauen gegen Pfand oder sonstige Sicherheit, die Ihnen angemessen dünkt? fragte er den Verwunderten mit tonloser, erstorbner Stimme, indem er auf das geöffnete Packet deutete. — Diese? die italienische Korrespondenz? versetzte der Richter. Mir genügt Ihr Wort, die Briefe nach gedachtem Gebrauch zurückzugeben. Aber was wollen Sie damit? Er that noch verschiedne Fragen, das Innere unsres verwandelten Freundes zu erforschen, jedoch vergebens. Zum erstenmal in seinem Leben fühlte er sich von seinem Scharfsinne, seiner Seelenkennerschaft, diesem Kummer gegenüber, verlassen.
Einige Wochen später wurden die Freunde der Gatten durch eine unerwartete Nachricht überrascht und betrübt. Sie erklärten schriftlich, gemeinschaftlich, daß Dinge, die Einer dem Andern nicht vorzuwerfen habe, sie zwängen, ihre Verbindung aufzuheben. Sie baten die, welche ihnen wohlwollten, keinen Stein auf sie zuwerfen, da sie selbst einander nicht anschuldigten, sie fügten die Versicherung hinzu, daß der Trennung ungeachtet gegenseitige Werthschätzung und Ergebenheit fortdauern werde.
Natürlich begnügte sich die Welt mit einer so räthselhaften Erklärung nicht. Man fragte, man deutete, matt wollte durchaus einen Grund haben und wißen. Bestürzt kam der Bruder zur Schwester und drang mit wohlgemeinten heftigen Worten in sie; sie bat ihn inständigst, ihr Ruhe zu gönnen; ob er meine, daß ein so schwerer Schritt nicht wohl erwogen worden sei? — Einige neugierige Freundinnen steckten sich in ihrem Eifer hinter die Domestiken. Aber auch diese vermochten wenig Auskunft zu geben. Nur ein kürzlich angenommenes Mädchen erzählte, die gnädige Frau habe den Herrn bei der Rückkunft von einer Reise mit rothem Gesichte und heftigen Vorwürfen empfangen, sie habe ihm gesagt, wie sie wisse, daß er nach Köln gereift sei, und nicht in das Gebirge. Der Herr habe gar nichts erwidert, es sei eine lange Pause entstanden, endlich habe die gnädige Frau einen Schrei ausgestoßen, der Herr aber habe gesagt: Wenn diese Briefe von dir sind, so wären wir quitt!
Weiter hatte das Mädchen vor dem Zimmer lauschend nichts erlauschen können. Sie sprach von verweinten Augen und naßgeweinten Kissen, und daß der Herr seit jenem Tage immer krank ausgesehen habe. Diese Schmerzen interessirten die Welt eben nicht sonderlich, aber in Verzweiflung war man, daß man durchaus nicht zu ergründen vermochte, wo und wann das galante Abenteuer vorgefallen war. Denn Adolphine hatte sich während ihrer Ehe fleckenlos betragen.
Doch lassen wir die Menschen mit ihrer herzlosen Neugier! — Die Abschiedsstunde unsrer Freunde war nicht leicht. Sie sonderten ihre Sachen, da wurde so Manches von einander gethan, was lange zusammen gestanden hatte, und es war ihnen Beiden, als beginne die Auflösung ihres Leibes und ihrer Seele. Doch hatten sie einander Fassung gelobt. Adolphine schien besonders fest zu sein. Sie ruhte einen Augenblick von der Mühe des Packens aus, setzte sich auf einen Koffer und sagte: Versprich mir, Gustav, daß du mich zu deiner Pflege holen lassen willst, wenn du krank wirst! Er gab ihr die Hand, setzte sich zu ihr und erwiderte: Du nimmst doch auch Niemand als mich zu deinem Geschäftsführer? — So saßen sie Hand in Hand auf dem Koffer, und um sie her lagen Schachteln, Cartons, Musikalien und Bücher in wüster Unordnung. Jetzt trat der Bediente ins Zimmer und sagte verlegen und zögernd: Der Musikdirektor schickt den Subscriptionsbogen herum und läßt fragen, ob der Herr und die gnädige Frau
Diese geringfügigen Umstände brachen, wie es wohl zu geschehen pflegt, die Herzen, welche unter schwereren Dingen sich aufrecht gehalten hatten. Lautweinend stürzten die Unglücklichen einander in die Arme, schluchzend rief Gustav: Laß uns zusammenbleiben! Sie weinte, als wollte sie sich in Thränen auflösen, und sagte dann leise, was Sidonie ihm gesagt hatte: Hätte ich dich früher gesehen! Sie lag wie ein armes Kind, an seine Brust geschmiegt, nie war sie so innig gewesen. Ja! du bleibst bei mir! rief er, von falscher Hoffnung getäuscht.
Sie richtete sich auf, trocknete ihre Augen und sprach gefaßt: Betrüge dich nicht! Ich will darin wenigstens verständiger sein, als die Meisten meines Geschlechts, daß ich nichts Zerstörtes mit eitler Mühe zu erhalten strebe. Wenn ich zurückdenke an das, was ich erfahren habe, so ergreift mich ein Ekel vor mir selbst. So sich betrügen zu können! Ein .... Pfui! der Mensch ist ein elendes Geschöpf! Siehst du wohl? Es geht nicht, und die Flötenuhr behält Recht. Soll ich mich ewig in meinem eignen Hause schämen müssen? Könnte das dich glücklich machen? Könnte eine Frau es ertragen? — So treiben die Todten die Lebendigen
Ich bin zu traurig, versetzte Adolphine, als daß ich nachdenken könnte. Wenn man die Ringe wechselt, soll man die Herzen ganz verschenken und einen Strich über alles Frühere machen. Sonst rührt man an das Reich der Schatten, und da kommt herauf, man kann nicht voraussetzn, was? Die Thorheit hat begonnen, der Zufall hat vollendet, so ist der Abgrund zu unsern Füßen zuletzt aufgewühlt worden. — Hilf mir packen! Der Wagen kommt in einer Stunde.
Er schwieg, und noch an demselben Tage fuhr ein schwerbepackter Reisewagen aus dem Thore. Die Fenster waren geschlossen, und Niemand hat gesehn, wer in dem Wagen saß.
Wenn man von dem Crucifixe, wo Gustav Sidonien so unerwartet traf, seitwärts, in den Kreuzgang tritt, blickt man auf den stillen Friedhof, den der Kreuzgang mit seinem Pfeiler- und Blätterwerk umschließt. Der Anblick ist sehr freundlich und mild. Eine zierlich-ausgezackte und abgestufte Spitzsäule erhebt sich in der Mitte, ringsumher weht die Akazie, schattet der Hollunder über den Gräbern, die Kinder lieben das Plätzchen