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]]>Annette Elisabeth Freiin von Droste-Hülshoff wurde am 12. Januar 1798 in Hülshoff bei Münster geboren und verbrachte den größten Theil ihres Lebens in der Abgeschiedenheit ihres Landhauses Rischhaus bei Münster, in stetem Verkehr mit der Natur und der ländlichen Bevölkerung ihrer westphälischen Heimath, ihren Geist rastlos nährend mit wissenschaftlichen Studien, zu denen eine treffliche Jugendbildung den Grund gelegt hatte, und für manche Entbehrung und schwere Prüfung ihres Herzens Trost suchend in ihrer Dichtung, die eben wegen dieser tiefen und innigen Eigenart, der starkmüthigen, hie und da herben Gesinnung der Dichterin noch immer nicht zur vollen Anerkennung durchgedrungen ist. Niemand aber, der den echten Hauch dieser wahrhaft dichterischen Seele jemals empfunden, hat ihrem Zauber widerstehen können, wie auch Alle, denen es so gut ward, ihr persönlich nahe zu treten, in fester Treue ihr ergeben blieben. Im Jahre 1841 nöthigte sie zunehmende Kränklichkeit, mildere Luft aufzusuchen. Sie lebte einige Jahre auf Schloß Eggishausen im Thurgau, dann von 1844 an auf Schloß Meersburg bei ihrem Schwager von Laßberg, wo sie am 24. Mai 1848 starb. Ihre „Gedichte“ erschienen 1844 in Stuttgart (J. G. Cotta'scher Verlag, 1873 die dritte Auflage), nach ihrem Tode aus ihrem Nachlaß „Das geistliche Jahr, nebst einem Anhange religiöser Gedichte“ (ebendas. 1852) und „Letzte Gaben“ (Hannover, Carl Rümpler, 1860).
Wohl nie hat ein großes Talent weniger Neigung und Geschick besessen, sich mit einem Publikum in Verbindung zu setzen, ja auch nur an ein Publikum von Auserwählten zu denken; mit andern Worten: nie war ein Poet weniger Schriftsteller, als diese größte lyrische Dichterin, die Deutsch-
Friederich Mergel, geboren 1738, war der Sohn eines sogenannten Halbmeiers oder Grundeigenthümers geringer Klasse im Dorfe B., das, so schlecht gebaut und rauchig es sein mag, doch das Auge jedes Reisenden fesselt durch die überaus malerische Schönheit seiner Lage in der grünen Waldschlucht eines bedeutenden und geschichtlich merkwürdigen Gebirges. Das Ländchen dem es angehörte, war damals einer jener abgeschlossenen Erdwinkel ohne Fabriken und Handel, ohne Heerstraßen, wo noch ein fremdes Gesicht Aufsehen erregte, und einer
Unter höchst einfachen und häufig unzulänglichen Gesetzen waren die Begriffe der Einwohner von Recht und Unrecht einigermaßen in Verwirrung gerathen, oder vielmehr es hatte sich neben dem gesetzlichen ein zweites Recht gebildet, ein Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und der durch Vernachlässigung entstandenen Verjährung. Die Gutsbesitzer, denen die niedrige Gerichtsbarkeit zustand, straften und belohnten nach ihrer in den meisten Fällen redlichen Einsicht; der Untergebene that, was ihm ausführbar und mit einem etwas weiteren Gewissen verträglich schien, und nur dem Verlierenden fiel es zuweilen ein, in alten, staubigten Urkunden nachzuschlagen. — Es ist schwer, jene Zeit unparteiisch ins Auge zu fassen; sie ist seit ihrem Verschwinden entweder hochmüthig getadelt oder albern gelobt worden, da Den, der sie erlebte, zu viel theure Erinnerungen blenden, und der Spätergeborene sie nicht begreift. So viel darf man indessen behaupten, daß die Form schwächer, der Kern fester, Vergehen häufiger, Gewissenlosigkeit seltener waren. Denn wer nach seiner Ueberzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zu Grunde gehen, wogegen
Ein Menschenschlag, unruhiger und unternehmender als seine Nachbarn, ließ in dem kleinen Staate, von dem wir reden, Manches weit greller hervortreten, als anderswo unter gleichen Umständen. Holz- und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung, und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte sich Jeder selbst seines zerschlagenen Kopfes zu trösten. Da jedoch große und ergiebige Waldungen den Hauptreichthum des Landes ausmachten, ward allerdings scharf über die Forsten gewacht, aber weniger auf gesetzlichem Wege, als in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten.
Das Dorf B. galt für die hochmüthigste, schlaueste und kühnste Gemeinde des ganzen Fürstenthums. Seine Lage inmitten tiefer und stolzer Waldeinsamkeit mochte schon früh den angeborenen Starrsinn der Gemüther nähren; die Nähe eines Flusses, der in die See mündete und bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz bequem und sicher außer Land zu führen, trug sehr dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler zu ermuthigen, und der Umstand, daß Alles umher von Förstern wimmelte, konnte hier nur aufregend wirken, da bei den häufig vorkommenden Scharmützeln der Vortheil meist auf Seiten der Bauern blieb. Dreißig, vierzig Wagen zogen zugleich aus in den schönen Mondnächten mit ungefähr doppelt so viel
In diesen Umgebungen ward Friedrich Mergel geboren, in einem Hause, das durch die stolze Zugabe eines Rauchfanges und minder kleiner Glasscheiben die Ansprüche seines Erbauers, so wie durch seine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umstände des jetzigen Besitzers bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachlässigten Zaune gewichen, das Dach schadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem Acker zunächst am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar hol-
Die Wirthschaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schaden; so verging Jahr auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Wittwer, bis er mit einem Male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für sich unerwartet, so trug die Persönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Verwunderung zu erhöhen. Margareth Semmler war eine brave, anständige Person, so in den Vierzigen, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und noch jetzt sehr klug und wirthlich geachtet, dabei nicht unvermögend; und so mußte es Jedem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. Am Abend vor der Hochzeit soll sie gesagt haben: Eine Frau, die von ihrem Manne übel behandelt wird, ist dumm oder taugt nicht: wenn's mir schlecht geht, so sagt, es liege an mir. Der Erfolg zeigte leider, daß sie ihre Kräfte überschätzt hatte. Anfangs imponirte sie ihrem Manne; er kam nicht nach Haus, oder brach in die Scheune, wenn er sich übernommen hatte; aber das Joch war zu drückend, um lange getragen zu werden, und bald sah man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus taumeln, hörte drinnen sein wüstes Lärmen und sah Margreth eilends Thür und Fenster schließen. An einem solchen Tage — keinem Sonntage mehr — sah man sie Abends aus dem Hause stürzen, ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf hängend, sich im Garten neben ein Krautbeet niederwerfen und die Erde mit den Händen aufwühlen,
Friedrich stand in seinem neunten Jahre. Es war um das Fest der heiligen drei Könige, eine rauhe, stürmische Winternacht. Hermann war zu einer Hochzeit gegangen und hatte sich schon bei Zeiten auf den Weg gemacht, da das Brauthaus dreiviertel Meilen entfernt lag. Obgleich er versprochen hatte, Abends wiederzukommen, rechnete Frau Mergel doch um so weniger darauf, da sich nach Sonnenuntergang dichtes Schneegestöber eingestellt hatte. Gegen zehn Uhr schürte sie die Asche am Herde zusammen und machte sich zum Schlafengehen bereit. Friedrich stand neben ihr, schon halb entkleidet, und horchte auf das Geheul des Windes und das Klappen der Bodenfenster.
Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er.
Nein, Kind, morgen. — Aber warum nicht, Mutter? Er hat's doch versprochen. — Ach Gott, wenn Der Alles hielte, was er verspricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirst.
Sie hatte sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselt es wie ein Kobold. — Mutter, es pocht draußen! — Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. — Nein, Mutter, an der Thür! — Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige bischen Nachtruhe. — Aber wenn nun der Vater kommt? — Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. — Den hält der Teufel fest genug! — Wo ist der Teufel, Mutter? — Wart, du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist!
Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unters Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: „Gegrüßt seist du, Maria!“ und „bitte für uns arme Sünder!“ Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. Ein un-
Friedrich dachte an den Teufel, wie der wohl aussehen möge. Das mannichfache Geräusch und Getöse im Hause kam ihm wunderlich vor. Er meinte, es müsse etwas Lebendiges drinnen sein und draußen auch. — Hör, Mutter, gewiß, da sind Leute, die pochen. — Ach nein, Kind; aber es ist kein altes Brett im Hause, das nicht klappert. — Hör! hörst du nicht? es ruft! hör doch!
Die Mutter richtete sich auf; das Toben des Sturms ließ einen Augenblick nach. Man hörte deutlich an den Fensterläden pochen und mehrere Stimmen: Margareth! Frau Margareth, heda, aufgemacht! Margareth stieß einen heftigen Laut aus: Da bringen sie mir das Schwein wieder!
Der Rosenkranz flog klappernd auf den Brettstuhl, die Kleider wurden herbeigerissen. Sie fuhr zum Herde, und bald darauf hörte Friedrich sie mit trotzigen Schritten über die Tenne gehen. Margareth kam gar nicht wieder; aber in der Küche war viel Gemurmel und fremde Stimmen. Zweimal kam ein fremder Mann in die Kammer und schien ängstlich etwas zu suchen. Mit einem Male ward eine Lampe hereingebracht; zwei Männer führten die Mutter. Sie war weiß wie Kreide und hatte die Augen geschlossen. Friedrich meinte, sie
Sobald Margareth wieder zur Besinnung kam, suchte sie die fremden Leute los zu werden. Der Bruder blieb bei ihr, und Friedrich, dem bei strenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche knistern und ein Geräusch wie von Hin-und-Herrutschen und Bürsten. Gesprochen ward wenig und leise, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die dem Knaben, so jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verstand er, daß der Oheim sagte: Margareth, zieh dir das nicht zu Gemüth; wir wollen Jeder drei Messen lesen lassen, und um Ostern gehen wir zusammen eine Bittfahrt zur Muttergottes von Werl.
Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen wurde, saß Margareth am Herde, das Gesicht mit der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten, als Alles still geworden war, sagte sie in sich hinein: Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir haben sie doch zusammen getragen, und jetzt bin ich allein! Dann lauter: Fritzchen, komm her! —
Friedrich kam scheu heran; die Mutter war ihm ganz unheimlich geworden mit den schwarzen Bändern
Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem gehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig.
Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchterlich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueberhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das
Er war zwölf Jahre alt, als seine Mutter einen Besuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in Brede wohnte und seit der thörichten Heirath seiner Schwester ihre Schwelle nicht betreten hatte.
Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fischaugen und überhaupt einem Gesicht wie ein Hecht, ein unheimlicher Geselle, bei dem dickthuende Verschlossenheit oft mit eben so gesuchter Treuherzigkeit wechselte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorgestellt hätte und statt dessen für einen fatalen, Händel suchenden Kerl galt, dem Jeder um so lieber aus dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo ohnehin beschränkte Menschen leicht an Ansprüchen gewinnen, was sie an Brauchbarkeit verlieren. Dennoch freute sich die arme Margareth, die sonst keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.
Simon, bist du da? sagte sie und zitterte, daß sie sich am Stuhle halten mußte. Willst du sehen, wie es mir geht und meinem schmutzigen Jungen? — Simon betrachtete sie ernst und reichte ihr die Hand: Du bist alt geworden, Margreth! — Margreth seufzte: Es ist mir derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schicksalen. — Ja, Mädchen, zu spät gefreit, hat immer gereut! Jetzt bist du alt, und das Kind ist klein. Jedes Ding hat seine Zeit. Aber wenn ein altes Haus brennt, dann hilft kein Löschen. — Ueber Magreth's vergrämtes Gesicht flog eine Flamme, so roth wie Blut.
Aber ich höre, dein Junge ist schlau und gewichs't, fuhr Simon fort. — Ei nun so ziemlich und dabei fromm. — Hum, 's hat mal Einer eine Kuh gestohlen, der hieß auch Fromm. Aber er ist still und nach-
Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, wenn sie ihr Kind loben hört? Der armen Margreth ward selten so wohl, Jedermann nannte ihren Jungen tückisch und verschlossen. Die Thränen traten ihr in die Augen. Ja, Gottlob, er hat gerade Glieder. — Wie sieht er aus? fuhr Simon fort. — Er hat viel von dir, Simon viel. Simon lachte: Ei, das muß ein rarer Kerl sein ich werde alle Tage schöner. An der Schule soll er sich wohl nicht verbrennen. Du läßt ihn die Kühe hüten? Eben so gut. Es ist doch nicht halb wahr, was der Magister sagt. Aber wo hütet er? Im Telengrund? im Roderholze? im Teutoburger Wald? auch des Nachts und früh? — Die ganzen Nächte durch; aber wie meinst du das?
Simon schien dies zu überhören; er reckte den Hals zur Thüre hinaus: Ei, da kommt der Gesell! Vaterssohn! er schlenkert gerade so mit den Armen wie dein seliger Mann. Und schau mal an! wahrhaftig, der Junge hat meine blonden Haare!
In der Mutter Züge kam ein heimliches, stolzes Lächeln; ihres Friedrichs blonde Locken und Simon's
Er ist gut, sagte sie, aber ich bin eine einsame Frau; mein Sohn ist nicht wie einer, über den Vaterhand regiert hat. Simon nickte schlau mit dem Kopf: Laß mich nur gewähren, wir wollen uns schon ver-
Jetzt nahten die Beiden sich der Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Abhang des Gebirges niedersteigt und einen sehr dunkeln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig gesprochen worden. Simon schien nachdenkend, der Knabe zerstreut, und Beide keuchten unter ihren Säcken. Plötzlich fragte
Betet die Mutter noch so viel? hob Simon wieder an. — Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze. — So? und du betest mit? — Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. — Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein. — So, so, Geselle! — Diese letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im
Friedrich, kennst du den Baum? Das ist die breite Eiche. — Friedrich fuhr zusammen und klammerte sich mit kalten Händen an seinen Ohm. Sieh, fuhr Simon fort, hier haben Ohm Franz und der Hülsmeyer deinen
Am nächsten Abend saß Margreth schon seit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der Thür und wartete auf ihren Knaben. Es war die erste Nacht, die sie zugebracht hatte, ohne den Athem ihres Kindes neben sich zu hören, und Friedrich kam noch immer nicht. Sie war ärgerlich und ängstlich, und wußte, daß sie beides ohne Grund war. Die Uhr im Thurm schlug sieben, das Vieh kehrte heim; er war noch immer nicht da, und sie mußte aufstehen, um nach den Kühen zu schauen.
Als sie wieder in die dunkle Küche trat, stand Friedrich am Herde; er hatte sich vorn übergebeugt und wärmte die Hände an den Kohlen. Der Schein spielte auf seinen Zügen und gab ihnen ein widriges Ansehen von Magerkeit und ängstlichem Zucken. Mar-
Friedrich, wie geht's dem Ohm? Der Knabe murmelte einige unverständliche Worte und drängte sich dicht an die Feuermauer. — Friedrich, hast du das Reden verlernt? Junge, thu das Maul auf! Du weißt ja doch, daß ich auf dem rechten Ohr nicht gut höre. Das Kind erhob seine Stimme und gerieth dermaßen ins Stammeln, daß Margreth es um nichts mehr begriff. —
Was sagst du? einen Gruß von Meister Semmler? wieder fort? wohin? die Kühe sind schon zu Hause? Verfluchter Junge, ich kann dich nicht verstehen. Wart, ich muß einmal sehen, ob du keine Zunge im Munde hast. — Sie trat heftig einige Schritte vor. Das Kind sah zu ihr auf mit dem Jammerblick eines armen, halbwüchsigen Hundes, der Schildwacht stehen lernt, und begann in der Angst mit den Füßen zu stampfen und den Rücken an der Feuermauer zu reiben.
Margreth stand still; ihre Blicke wurden ängstlich. Der Knabe erschien ihr wie zusammengeschrumpft, auch seine Kleider waren nicht dieselben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch — Friedrich, Friedrich! rief sie.
In der Schlafkammer klappte eine Schrankthür, und der Gerufene trat hervor, in der einen Hand eine sogenannte Holzschenvioline, d. h. einen alten Holzschuh, mit drei bis vier zerschäbten Geigensaiten überspannt,
Da, Johannes! sagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunstwerk; da ist die Violine, die ich dir versprochen habe.
Mein Spielen ist vorbei, ich muß jetzt Geld verdienen. — Johannes warf noch einmal einen scheuen Blick auf Margreth, streckte dann langsam seine Hand aus, bis er das Dargebotene fest ergriffen hatte, und brachte es wie verstohlen unter die Flügel seines armseligen Jäckchens.
Margreth stand ganz still und ließ die Kinder gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, sehr ernste Richtung genommen, und sie blickte mit unruhigem Auge von Einem auf den Andern. Der fremde Knabe hatte sich wieder über die Kohlen gebeugt mit einem Ausdruck augenblicklichen Wohlbehagens, der an Albernheit grenzte, während in Friedrichs Zügen der Wechsel eines offenbar mehr selbstischen als gutmüthigen Mitgefühls spielte und sein Auge in fast glasartiger Klarheit zum ersten Male bestimmt den Ausdruck jenes ungebändigten Ehrgeizes und Hanges zum Großthun zeigte, der nachher als so starkes Motiv seiner meisten Handlungen hervortrat.
Der Ruf seiner Mutter störte ihn aus Gedanken, die ihm eben so neu als angenehm waren.
Sie saß wieder am Spinnrade.
Friedrich, sagte sie zögernd, sag einmal — und schwieg dann. Friedrich sah auf und wandte sich, da er nichts weiter vernahm, wieder zu seinem Schützling. Nein, höre — und dann leiser: was ist das für ein Junge? wie heißt er? — Friedrich antwortete eben so leise: Das ist des Ohms Simon Schweinehirt, der eine Botschaft an den Hülsmeyer hat. Der Ohm hat mir ein paar Schuhe und eine Weste von Drillich gegeben, die hat mir der Junge unterwegs getragen; dafür hab' ich ihm meine Violine versprochen; er ist ja doch ein armes Kind; Johannes heißt er. — Nun? sagte Margreth. — Was willst du, Mutter? — Wie heißt er weiter? — Ja — weiter nicht — oder, warte doch: Niemand, Johannes Niemand heißt er. — Er hat keinen Vater, fügte er leiser hinzu.
Margreth stand auf und ging in die Kammer. Nach einer Weile kam sie heraus, mit einem harten, finstern Ausdruck in den Mienen. So, Friedrich, sagte sie, laß den Jungen gehen, daß er seine Bestellung machen kann. — Junge, was liegst du da in der Asche? hast du zu Hause nichts zu thun?
Der Knabe raffte sich mit der Miene eines Verfolgten so eilfertig auf, daß ihm alle Glieder im Wege standen und die Holzschenvioline bei einem Haar ins Feuer gefallen wäre.
Warte, Johannes, sagte Friedrich stolz, ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es ist mir doch zu groß, die Mutter schneidet allemal übers ganze Brod.
Laß doch, sagte Margreth, er geht ja nach Hause.
Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um sieben Uhr. Margreth wandte sich zu dem Knaben: Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer sorgt für dich? Niemand, stotterte das Kind. — Niemand? wiederholte sie; da nimm, nimm! fügte sie heftig hinzu; du heißt Niemand und Niemand sorgt für dich! Das sei Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörst du, geht nicht zusammen durchs Dorf. Ich will ja nur Holz holen aus dem Schuppen, antwortete Friedrich. — Als beide Knaben fort waren, warf sich Margreth auf einen Stuhl und schlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefsten Jammers zusammen. Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. Ein falscher Eid, ein falscher Eid! stöhnte sie. Was ist's? Simon, Simon, wie willst du vor Gott bestehen!
So saß sie eine Weile starr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geistesabwesenheit. Friedrich stand vor ihr und hatte sie schon zweimal angeredet. Was ist's? was willst du? rief sie auffahrend. — Ich bringe Euch Geld, sagte er, mehr erstaunt, als erschreckt. — Geld? wo? Sie regte sich, und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob sie auf. — Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun selber was verdienen. —
Margreth legte das Gesicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Last getragen, ihres Mannes üble Behandlung, noch schwerer seinen Tod, und es war eine bittere Stunde, als die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläubiger zur Nutznießung überlassen mußte und der Pflug vor ihrem Hause stille stand. Aber so war ihr nie zu Muth gewesen; dennoch, nachdem sie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht hatte, war sie dahin gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne so gottlos nicht sein, der Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen nichts beweisen. Hatte sie doch selbst vor vierzig Jahren ein Schwesterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man so wenig hat und durch Unglauben dies Wenige verlieren soll.
Von dieser Zeit an war Friedrich selten mehr zu
In seinem achtzehnten Jahre hatte Friedrich sich bereits einen bedeutenden Ruf in der jungen Dorfwelt gesichert durch den Ausgang einer Wette, in Folge deren er einen erlegten Eber über zwei Meilen weit auf dem Rücken trug, ohne abzusetzen. Indessen war
Um diese Zeit wurden die schlummernden Gesetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blaukittel alle ihre Vorgänger so weit an List und Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigsten zu viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen Stand der Dinge, wo man die stärksten Böcke der Herde mit dem Finger
Von einigen Dörfern ward mit Bestimmtheit gesagt, daß sie nicht zu den Blaukitteln gehörten, aber keines konnte als dringend verdächtigt bezeichnet werden, seit man das verdächtigste von allen, das Dorf B. freisprechen mußte. Ein Zufall hatte dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der fast alle Bewohner dieses Dorfes notorisch die Nacht zugebracht hatten, während zu eben
Der Schaden in den Forsten war indeß allzugroß, deßhalb wurden die Maßregeln dagegen auf eine bisher unerhörte Weise gesteigert; Tag und Nacht wurde patrouillirt, Oberknechte, Hausbediente mit Gewehren versehen und den Forstbeamten zugesellt. Dennoch war der Erfolg nur gering, und die Wächter hatten oft kaum das eine Ende des Forstes verlassen, wenn die Blaukittel schon zum andern einzogen. Das währte länger als ein volles Jahr, Wächter und Blaukittel, Blaukittel und Wächter, wie Sonne und Mond, immer abwechselnd im Besitz des Terrains und nie zusammentreffend.
Es war im Juli 1756 früh um drei Uhr; der Mond stand klar am Hinunel, aber sein Glanz fing an zu ermatten, und im Osten zeigte sich bereits ein schmaler gelber Streif, der den Horizont besäumte und den Eingang einer engen Thalschlucht wie mit einem Goldbande schloß. Friedrich lag im Grase, nach seiner gewohnten Weise, und schnitzelte an einem Weidenstabe, dessen knotigem Ende er die Gestalt eines ungeschlachten Thieres zu geben versuchte. Er sah übermüdet aus, gähnte, ließ mitunter seinen Kopf an einem verwitterten Stammknorren ruhen und Blicke, dämmeriger als der Horizont, über den mit Gestrüpp und Aufschlag fast verwachsenen Eingang des Grundes streifen. Ein paarmal belebten sich seine Augen und
Aus dem Walde drang von Zeit zu Zeit ein dumpfer, krachender Schall; der Ton hielt nur einige Secunden an, begleitet von einem langen Echo an den Bergwänden, und wiederholte sich etwa alle fünf bis acht Minuten. Friedrich achtete nicht darauf; nur zuweilen, wenn das Getöse ungewöhnlich stark oder anhaltend war, hob er den Kopf und ließ seine Blicke langsam über die verschiedenen Pfade gleiten, die ihren Ausgang in dem Thalgrunde fanden.
Es fing bereits stark zu dämmern an; die Vögel begannen leise zu zwitschern, und der Thau stieg fühlbar aus dem Grunde. Friedrich war an dem Stamm hinabgeglitten und starrte, die Arme über den Kopf verschlungen, in das leise einschleichende Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über sein Gesicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Secunden mit vorgebeugtem Oberleib, wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann schob er schnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. — Fidel, du verfluchtes Thier! Ein Steinwurf traf die Seite des unbesorgten Hundes, der vom Schlafe aufgeschreckt, zuerst um sich
In demselben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüsches fast ohne Geräusch zurückgeschoben, und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den silbernen Wappenschild am Arm, die gespannte Büchse in der Hand. Er ließ schnell seine Blicke über die Schlucht fahren und sie dann mit besonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüsch, und allmählich wurden sieben bis acht Männer sichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Waidmesser im Gürtel und die gespannten Gewehre in der Hand.
Friedrich, was war das? fragte der zuerst Erschienene. — Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle crepirte! Seinetwegen können die Kühe mir die Ohren vom Kopfe fressen. — Die Canaille hat uns gesehen, sagte ein Anderer. —
Morgen sollst du auf die Reise mit einem Stein am Halse, fuhr Friedrich fort und stieß nach dem Hunde. — Friedrich, stell dich nicht an wie ein Narr! Du kennst mich und du verstehst mich auch! Ein Blick begleitete diese Worte, der schnell wirkte. — Herr Brandes, denkt an meine Mutter! — Das thue ich. Hast du nichts im Walde gehört? — Im Walde? — Der Knabe warf einen raschen Blick auf des Försters Gesicht. — Eure Holzfäller, sonst nichts. — Meine Holzfäller!
Die ohnehin dunkle Gesichtsfarbe des Försters
Als einer nach dem andern im Dickicht verschwunden war, trat Brandes dicht vor den Knaben: Friedrich, sagte er mit dem Ton unterdrückter Wuth, meine Geduld ist zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr seid ihr auch nicht werth. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, Gottlob, bald gebracht, und an meiner Thür soll deine Mutter, die alte Hexe, keine verschimmelte Brodrinde bekommen. Aber vorher sollt ihr mir noch Beide ins Hundeloch. Friedrich griff krampfhaft nach einem Aste. Er war todtenbleich, und seine Augen schienen wie Krystallkugeln aus dem Kopfe schießen zu wollen. Doch nur einen Augenblick. Dann kehrte die größte, an Erschlaffung grenzende Ruhe zurück. Herr, sagte er fest, mit fast sanfter Stimme, Ihr habt gesagt, was Ihr nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegen einander aufgehen lassen, und nun will ich Euch sagen, was Ihr verlangt. Wenn Ihr die Holzfäller nicht selbst bestellt habt, so müssen es die Blaukittel sein; denn aus dem Dorfe ist kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja vor mir, und vier Wagen sind es. Ich habe sie nicht gesehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören. Er stockte einen Augenblick.
Könnt Ihr sagen, daß ich je einen Baum in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich je anderwärts gehauen habe, als auf Bestellung? Denkt nach, ob Ihr das sagen könnt?
Ein verlegenes Murmeln war die ganze Antwort des Försters, der nach Art der meisten rauhen Menschen leicht bereute. Er wandte sich unwirsch ab und schritt dem Gebüsche zu. — Nein, Herr, rief Friedrich, wenn Ihr zu den andern Förstern wollt, die sind dort an der Buche hinaufgegangen. — An der Buche? sagte Brandes zweifelhaft; nein, dort hinüber, nach dem Mastergrunde. — Ich sage Euch, an der Buche; des langen Heinrich Flintenriemen blieb noch am krummen Ast dort hängen; ich hab's ja gesehen!
Der Förster schlug den bezeichneten Weg ein.
Friedrich hatte die ganze Zeit hindurch seine Stellung nicht verlassen, halb liegend, den Arm um einen dürren Ast geschlungen, sah er dem Fortgehenden unverrückt nach, wie er durch den halbverwachsenen Steig glitt, mit den vorsichtigen weiten Schritten seines Metiers, so geräuschlos wie ein Luchs die Hühnerstiege erklimmt. Hier sank ein Zweig hinter ihm, dort einer; die Umrisse seiner Gestalt schwanden immer mehr. Da blitzte es noch einmal durchs Laub. Es war ein Stahlknopf seines Jagdrocks; nun war er fort. Friedrichs Gesicht hatte während dieses allmählichen Verschwindens den Ausdruck seiner Kälte verloren, und seine Züge schienen zuletzt unruhig bewegt. Gereute es ihn viel-
Um Mittag saß Frau Margreth am Herd und kochte Thee. — Friedrich war krank heimgekommen, er klagte über heftige Kopfschmerzen und hatte auf ihre besorgte Nachfrage erzählt, wie er sich schwer geärgert über den Förster, kurz, den ganzen eben beschriebenen Vorgang, mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten, die er besser fand, für sich zu behalten. Margreth sah schweigend und trübe in das siedende Wasser. Sie war es wohl gewohnt, ihren Sohn mitunter klagen zu hören, aber heute kam er ihr so angegriffen vor, wie fast nie. Sollte wohl eine Krankheit im Anzuge sein? Sie seufzte tief und ließ einen eben ergriffenen Holzblock fallen.
Mutter! rief Friedrich aus der Kammer. — Was willst du? — War das ein Schuß? — Ach nein, ich weiß nicht, was du meinst. — Es pocht mir wohl nur so im Kopfe, versetzte er. Die Nachbarin trat herein und erzählte mit leisem Flüstern irgend eine unbedeutende Klatscherei, die Margreth ohne Theilnahme anhörte. Dann ging sie. —
Mutter! rief Friedrich. Margreth ging zu ihm hinein. Was erzählte die Hülsmeyer? — Ach, gar nichts, Lügen, Wind! — Friedrich richtete sich auf. — Von der Gretchen Siemers; du weißt ja wohl die alte Geschichte; und ist doch nichts Wahres dran. —Friedrich legte sich wieder hin. Ich will sehen, ob ich schlafen kann, sagte er.
Margreth saß am Herde; sie spann und dachte wenig Erfreuliches. Im Dorfe schlug es halb zwölf; die Thüre klinkte, und der Gerichtsschreiber Kapp trat herein. —
Guten Tag, Frau Mergel, sagte er; könnt Ihr mir einen Trunk Milch geben? Ich komme von M. — Als Frau Mergel das Verlangte brachte, fragte er: Wo ist Friedrich? Sie war gerade beschäftigt, einen Teller hervorzulangen, und überhörte die Frage. Er trank zögernd und in kurzen Absätzen. Wißt Ihr wohl, sagte er dann, daß die Blaukittel in dieser Nacht wieder im Masterholze eine ganze Strecke so kahl gefegt haben, wie meine Hand? — Ei, du frommer Gott! versetzte sie gleichgültig. — Die Schandbuben, fuhr der Schreiber fort, ruiniren Alles; wenn sie noch Rücksicht nähmen auf das junge Holz, aber Eichenstämmchen wie mein Arm dick, wo nicht einmal eine Ruderstange drin steckt! Es ist, als ob ihnen anderer Leute Schaden eben so lieb wäre, wie ihr Profit! — Es ist Schade! sagte Margreth. Der Amtsschreiber hatte getrunken und ging noch immer nicht. Er schien etwas auf dem
Margreth schlug die Hände zusammen. — Gott im Himmel, geh nicht mit ihm ins Gericht! er wußte nicht, was er that! — Mit ihm! rief der Amtsschreiber, mit dem verfluchten Mörder, meint Ihr? Aus der Kammer drang ein schweres Stöhnen. Margreth eilte hin, und der Schreiber folgte ihr. Friedrich saß aufrecht im Bette, das Gesicht in die Hände gedrückt, und ächzte wie ein Sterbender. — Friedrich, wie ist dir? sagte die Mutter. — Wie ist dir? wiederholte der Amtsschreiber. — O mein Leib, mein Kopf! jammerte er. — Was fehlt ihm? — Ach, Gott weiß es, versetzte sie; er ist schon um vier mit den Kühen heimgekommen, weil ihm so übel war. — Friedrich, Friedrich, antworte doch, soll ich zum Doctor? — Nein, nein, ächzte er, es ist nur Kolik, es wird schon besser.
Er legte sich zurück; sein Gesicht zuckte krampfhaft vor Schmerz; dann kehrte die Farbe wieder. Geht, sagte er matt; ich muß schlafen, dann geht's vorüber.—
Frau Mergel, sagte der Amtsschreiber ernst, ist es gewiß, daß Friedrich um vier zu Hause kam und nicht wieder fortging? — Sie sah ihn starr an. Fragt jedes Kind auf der Straße. Und fortgehen? Wollte Gott, er könnt' es! — Hat er Euch nicht von Brandes erzählt? — In Gottes Namen, ja, daß er ihn im Walde geschimpft und unsere Armuth vorgeworfen hat, der Lump! Doch Gott verzeiht mir, er ist todt! Geht! fuhr sie heftig fort; seid Ihr gekomnmen, um ehrliche Leute zu beschimpfen? Geht! — Sie wandte sich wieder zu ihrem Sohne; der Schreiber ging. — Friedrich, wie ist dir? Schrecklich, schrecklich! ohne Beichte und Absolution! —
Mutter, Mutter, um Gotteswillen, laß mich schlafen; ich kann nicht mehr!
In diesem Augenblicke trat Johannes Niemand in die Kammer; dünn und lang wie eine Hopfenstange, aber zerlumpt und scheu, wie wir ihn vor fünf Jahren gesehen. Sein Gesicht war noch bleicher als gewöhnlich. Friedrich, stotterte er, du sollst sogleich zum Ohm kommen; er hat Arbeit für dich; aber sogleich. — Friedrich drehte sich gegen die Wand. — Ich komme nicht, sagte er barsch, ich bin krank. — Du mußt aber kommen, keuchte Johannes; er hat gesagt, ich müßte dich mitbringen. —
Friedrich lachte höhnisch auf: Das will ich doch sehen! — Laß ihn in Ruhe, er kann nicht, seufzte Margreth, du siehst ja, wie es steht. — Sie ging auf
Die gerichtliche Untersuchung hatte ihren Anfang genommen, die That lag klar am Tage; über den Thäter aber waren die Anzeigen so schwach, daß, obschon alle Umstände die Blaukittel dringend verdächtigten, man doch nicht mehr als Muthmaßungen wagen konnte. Eine Spur schien Licht geben zu wollen, doch rechnete man aus Gründen wenig darauf. Die Abwesenheit des Gutsherrn hatte den Gerichtsschreiber genöthigt, auf eigene Hand die Sache einzuleiten. Er saß am Tische; die Stube war gedrängt voll von Bauern, theils neugierigen, theils solchen, von denen man in Ermangelung eigentlicher Zeugen einigen Aufschluß zu erhalten hoffte. Hirten, die in derselben Nacht gehütet, Knechte, die den Acker in der Nähe bestellt, Alle standen stramm und fest, die Hände in den Taschen, gleichsam als stillschweigende Erklärung, daß sie nicht einzuschreiten gesonnen seien.
Acht Forstbeamten wurden vernommen. Ihre Aussagen waren völlig gleichlautend: Brandes habe sie am zehenten Abends zur Runde bestellt, da ihm von einem Vorhaben der Blaukittel müsse Kunde zugekommen sein;
Die Zögerung habe sie verdrossen, und nach etwa zehn Minuten seien sie weiter gegangen und so bis an den Ort der Verwüstung. Alles sei vorüber gewesen, kein Laut mehr im Walde, von zwanzig gefällten Stämmen noch acht vorhanden, die übrigen bereits fortgeschafft. Es sei ihnen unbegreiflich, wie man dieses ins Werk gestellt, da keine Wagenspuren zu finden gewesen.
Auch habe die Dürre der Jahreszeit und der mit
Dies waren die Aussagen der Förster; nun kamen die Bauern an die Reihe, aus denen jedoch nichts zu bringen war. Manche behaupteten, um vier Uhr noch zu Hause oder anderswo beschäftigt gewesen zu sein, und sie waren sämmtlich angesessene, unverdächtige Leute. Man mußte sich mit ihren negativen Zeugnissen begnügen.
Friedrich ward herein gerufen. Er trat ein mit einem Wesen, das sich durchaus nicht von seinem gewöhnlichen unterschied, weder gespannt noch keck. Das Verhör währte ziemlich lange, und die Fragen waren mitunter ziemlich schlau gestellt; er beantwortete sie jedoch alle offen und bestimmt und erzählte den Vorgang zwischen ihm und dem Oberförster ziemlich der
Der Förster lag am Ausgange des Masterholzes; über dreiviertel Stunden Weges von der Schlucht, in der er Friedrich um vier Uhr angeredet und aus der dieser seine Heerde schon zehn Minuten später ins Dorf getrieben. Jedermann hatte dies gesehen; alle anwesenden Bauern beeiferten sich, es zu bezeugen; mit diesem hatte er geredet, jenem zugenickt.
Der Gerichtsschreiber saß unmuthig und verlegen da. Plötzlich fuhr er mit der Hand hinter sich und brachte etwas Blinkendes vor Friedrichs Auge. Wem gehört dies? — Friedrich sprang drei Schritte zurück. Herr Jesus! ich dachte, Ihr wolltet mir den Schädel einschlagen. Seine Augen waren rasch über das tödtliche Werkzeug gefahren und schienen momentan auf einem ausgebrochenen Splitter am Stiele zu haften. Ich weiß es nicht, sagte er fest. — Es war die Axt, die man in dem Schädel des Oberförsters eingeklammert gefunden hatte. — Sieh sie genau an, fuhr der Gerichtsschreiber fort. Friedrich faßte sie mit der Hand, besah sie oben, unten, wandte sie um. Es ist eine Axt wie jede andere, sagte er dann und legte sie gleichgültig auf den Tisch. Ein Blutfleck ward sichtbar; er schien zu schaudern, aber er wiederholte noch einmal sehr bestimmt: Ich kenne sie nicht. Der Gerichtsschreiber seufzte vor Unmuth. Er selbst wußte um nichts mehr, und
Denjenigen, die vielleicht auf den Ausgang dieser Begebenheit gespannt sind, muß ich sagen, daß diese Geschichte nie aufgeklärt wurde, obwohl noch viel dafür geschah und diesem Verhöre mehrere folgten. Den Blaukitteln schien durch das Aufsehen, das der Vorgang gemacht und die darauf folgenden geschärften Maßregeln der Muth genommen; sie waren von nun an wie verschwunden, und obgleich späterhin noch mancher Holzfrevler erwischt wurde, fand man doch nie Anlaß, ihn der berüchtigten Bande zuzuschreiben. Die Axt lag zwanzig Jahre nachher als unnützes corpus delicti im Gerichtsarchiv, wo sie wohl noch jetzt ruhen mag mit ihren Rostflecken. Es würde in einer erdichteten Geschichte Unrecht sein, die Neugier des Lesers so zu täuschen. Aber dies Alles hat sich wirklich zugetragen; ich kann nichts davon oder dazu thun.
Am nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh auf, um zur Beichte zu gehen. Es war Mariä Himmelfahrt und die Pfarrgeistlichen schon vor Tagesanbruch im Beichtstuhle.
Nachdem er sich im Finstern angekleidet, verließ er so geräuschlos wie möglich den engen Verschlag, der ihm in Simon's Hause eingeräumt war.
In der Küche mußte sein Gebetbuch auf dem Sims liegen, und er hoffte, es mit Hülfe des schwachen Mond-
Beide schwiegen. — Ohm, wie kommt Ihr darauf? sagte Friedrich dann; Eu'r Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen. — Ich? so? — Wo ist Eure Axt? — Meine Axt? auf der Tenne. — Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte? — Den kannst du heute bei Tage im Holzschuppen finden.
Geh, fuhr er verächtlich fort, ich dachte, du seiest ein Mann; aber du bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr Feuertopf raucht. Sieh, fuhr er fort, wenn ich mehr von der Geschichte weiß, als der Thürpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. Längst war ich zu Haus, fügte er hinzu. — Friedrich stand beklemmt und zweifelnd. — Er hätte
Ich habe schwere Schuld, seufzte Friedrich, daß ich ihn den unrechten Weg geschickt, — obgleich — doch dies hab ich nicht gedacht, nein, gewiß nicht. Ohm, ich habe Euch ein schweres Gewissen zu danken. — So geh, beicht! flüsterte Simon mit bebender Stimme; verunehre das Sacrament durch Angeberei und setze armen Leuten einen Spion auf den Hals, der schon Wege finden wird, ihnen das Stückchen Brod aus den Zähnen zu reißen, wenn er gleich nicht reden darf — geh!
Friedrich stand unschlüssig; er hörte ein leises Geräusch; die Wolken verzogen sich, das Mondlicht fiel wieder auf die Kammerthür: sie war geschlossen. Friedrich ging an diesem Morgen nicht zur Beichte.
Der Eindruck, den dieser Vorfall auf Friedrich gemacht, erlosch leider nur zu bald. Wer zweifelt daran, daß Simon Alles that, seinen Adoptivsohn dieselben Wege zu leiten, die er selber ging? Und in Friedrich lagen Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit, und vor Allem ein grenzenloser Hochmuth, der nicht immer den Schein verschmähte und dann Alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpirten möglicher Beschämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande der äußeren vorzu-
Diese unglückliche Wendung seines Charakters war indessen das Werk mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margreth immer stiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen Zustand der Verkommenheit versank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde scheu, saumselig, sogar unordentlich, und Manche meinten, ihr Kopf habe gelitten. Friedrich ward desto lauter; er versäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein sehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Mißbilligung Mancher nicht übersehen ließ, war er gleichsam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht sowohl Trotz zu bieten, als sie den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüchtern, anscheinend treuherzig, aber listig, Prahlerisch und oft roh, ein Mensch, an dem Niemand Freude haben konnte, am wenigsten seine Mutter, und der dennoch durch seine gefürchtete Kühnheit und noch mehr gefürchtete Tücke ein gewisses Uebergewicht im Dorfe erlangt hatte, das um so mehr anerkannt wurde, je mehr man sich bewußt war, ihn nicht zu kennen und nicht berechnen zu können, wessen er am Ende fähig sei. Nur ein Bursch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtsein seiner Kraft und guter Verhältnisse ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in Worten war, als Friedrich, und immer, wenn der Stachel saß, einen Scherz daraus zu
Vier Jahre waren verflossen; es war im October; der milde Herbst von 1760, der alle Scheunen mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte seinen Reichthum auch über diesen Erdwinkel strömen lassen, und man sah mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen Streichen, als je. Ueberall gab's Lustbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme, und wer ein paar Thaler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute essen und morgen hungern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine tüchtige, solide Hochzeit, und die Gäste durften mehr erwarten, als eine verstimmte Geige, ein Glas Branntwein und was sie an guter Laune selber mitbrachten. Seit früh war Alles auf den Beinen; vor jeder Thüre wurden Kleider gelüftet, und B. glich den ganzen Tag einer Trödelbude. Da viele Auswärtige erwartet wurden, wollte Jeder gern die Ehre des Dorfes oben halten.
Es war sieben Uhr Abends und Alles in vollem Gange; Jubel und Gelächter an allen Enden, die niedern Stuben zum Ersticken angefüllt mit blauen, rothen und gelben Gestalten, gleich Pfandställen, in denen eine zu große Heerde eingepfercht ist. Auf der Tenne ward getanzt, das heißt, wer zwei Fuß Raum erobert hatte, drehte sich darauf immer rund um und suchte durch Jauchzen zu ersetzen, was an Bewegung fehlte. Das Orchester war glänzend, die erste Geige
Friedrich stolzirte umher wie ein Hahn, im neuen himmelblauen Rock, und machte sein Recht als erster Elegant geltend. Als auch die Gutsherrschaft anlangte, saß er gerade hinter der Baßgeige und strich die tiefste Saite mit großer Kraft und vielem Anstand.
Johannes! rief er gebieterisch, und heran trat sein Schützling von dem Tanzplatze, wo er auch seine ungelenken Beine zu schlenkern und eins zu jauchzen versucht hatte. Friedrich reichte ihm den Bogen, gab durch eine stolze Kopfbewegung seinen Willen zu erkennen und trat zu den Tanzenden. Nun lustig, Musikanten: den Papen van Istrup! Der beliebte Tanz ward gespielt, und Friedrich machte Sätze vor den Augen seiner Herrschaft, daß die Kühe an der Tenne die Hörner zurückzogen und Kettengeklirr und Gebrumme an ihren Ständern herlief. Fußhoch über die Andern tauchte sein blonder Kopf auf und nieder, wie ein Hecht, der sich im Wasser überschlägt; an allen Enden schrieen Mädchen auf, denen er zum Zeichen der Huldigung mit einer raschen Kopfbewegung sein langes Flachshaar ins Gesicht schleuderte.
Jetzt ist es gut! sagte er endlich und trat schweißtriefend an den Credenztisch; die gnädigen Herrschaften
In diesem Augenblick erhob sich ein Getümmel am Ende der Tenne, Geschrei, Schelten, Gelächter, alles durcheinander. Butterdieb, Butterdieb! riefen ein paar Kinder, und heran drängte sich, oder vielmehr ward geschoben, Johannes Niemand, den Kopf zwischen die Schultern ziehend und mit aller Macht nach dem Ausgange strebend. — Was ist's? was habt ihr mit unserm Johannes? rief Friedrich gebieterisch.
Das sollt Ihr früh genug gewahr werden, keuchte ein altes Weib mit der Küchenschürze und einem Wischhader in der Hand. — Schande! Johannes, der arme Teufel, dem zu Hause das Schlechteste gut genug sein mußte, hatte versucht, sich ein halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre zu sichern, und ohne daran zu denken, daß er es, sauber in sein Schnupftuch gewickelt, in der Tasche geborgen, war er ans Küchenfeuer getreten, und nun rann das Fett schmählich die Rockschöße entlang.
Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen sprangen zurück, aus Furcht, sich zu beschmutzen, oder stießen den Delinquenten vorwärts. Andere machten Platz, sowohl
Eine prächtige Uhr! sagte der Schweinehirt und schob sein Gesicht in ehrfurchtsvoller Neugier vor.
Was hat sie gekostet? rief Wilm Hülsmeyer, Friedrichs Nebenbuhler. — Willst du sie bezahlen? fragte Friedrich. — Hast du sie bezahlt? antwortete Wilm. Friedrich warf einen stolzen Blick auf ihn und griff in schweigender Majestät zum Fidelbogen. — Nun, nun, sagte Hülsmeyer, dergleichen hat man erlebt. Du weißt wohl, der Franz Ebel hatte auch eine schöne Uhr, bis der Jude Aaron sie ihm wieder abnahm. — Friedrich antwortete nicht, sondern winkte stolz der ersten Violine, und sie begannen aus Leibeskräften zu streichen.
Die Gutsherrschaft war indessen in die Kammer
Dummes Zeug! sagte der Gutsherr verdrießlich und trat in die Kammer, um sich umzukleiden. Am andern Morgen wollte die Fontäne im Garten nicht springen, und es fand sich, daß Jemand ein Rohr verrückt hatte, augenscheinlich um nach dem Kopfe eines vor vielen Jahren hier verscharrten Pferdegerippes zu suchen, der für ein bewährtes Mittel wider allen Hexen- und Geisterspuk gilt. Hm, sagte der Gutsherr, was die Schelme nicht stehlen, das verderben die Narren.
Drei Tage später tobte ein furchtbarer Sturm. Es war Mitternacht, aber Alles im Schlosse außer dem Bett. Der Gutsherr stand am Fenster und sah besorgt ins Dunkle nach seinen Feldern hinüber. An den Scheiben flogen Blätter und Zweige her; mitunter fuhr ein Ziegel hinab und schmetterte auf das Pflaster des Hofes. Furchtbares Wetter! sagte Herr von S. Seine Frau sah ängstlich aus. Ist das Feuer auch gewiß gut verwahrt? sagte sie; Gretchen, sieh noch einmal nach, gieß es lieber ganz aus! Kommt, wir wollen das Evangelium Johannis beten. Alles kniete nieder, und die Hausfrau begann:
Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. — Ein furchtbarer Donnerschlag. Alle fuhren zusammen; dann furchtbares Geschrei und Getümmel die Treppe heran. — Um Gotteswillen! brennt es? rief Frau von S. und sank mit dem Gesichte auf den Stuhl. Die Thüre ward aufgerissen, und herein stürzte die Frau des Juden
Es war nur zu wahr, und die nachfolgende Untersuchung bewies, daß der Jude Aaron durch einen Schlag an die Schläfe mit einem stumpfen Instrumente, wahrscheinlich einem Stabe, sein Leben verloren hatte, durch einen einzigen Schlag. An der linken Schläfe war der blaue Fleck, sonst keine Verletzung zu finden. Die Aussagen der Jüdin und ihres Knechtes Samuel lauteten so: Aaron war vor drei Tagen am Nachmittage ausgegangen, um Vieh zu kaufen, und hatte dabei gesagt, er werde wohl über Nacht ausbleiben, da noch einige böse Schuldner in B. und S. zu mahnen seien. In diesem Falle werde er in B. beim Schlachter Salomon übernachten. Als er am folgenden Tage nicht heimkehrte, war seine Frau sehr besorgt geworden und hatte sich endlich um drei Uhr Nachmittags in Begleitung ihres Knechtes und des großen Schlächterhundes auf den Weg gemacht. Beim Juden Salomon wußte man nichts von Aaron; er war gar nicht da gewesen. Nun waren sie zu allen Bauern gegangen, von denen sie wußten, daß Aaron einen Handel mit ihnen im Auge hatte.
Nur zwei hatten ihn gesehen, und zwar an demselben Tage, an welchem er ausgegangen. Es war
Dies war die Angabe des Knechtes, von der Frau nur im Allgemeinen unterstützt; ihre übergroße Spannung hatte nachgelassen, und sie schien jetzt halb verwirrt oder vielmehr stumpfsinnig. Aug' um Auge, Zahn um Zahn! dies waren die einzigen Worte, die sie zuweilen hervorstieß.
In derselben Nacht noch wurden die Schützen aufgeboten, um Friedrich zu verhaften. Der Anklage bedurfte es nicht, da Herr von S. selbst Zeuge eines Auftrittes gewesen war, der den dringendsten Verdacht auf ihn werfen mußte; zudem die Gespenstergeschichte von jenem Abende, das Aneinanderschlagen der Stäbe im Brederholz, der Schrei aus der Höhe. Da der
Sucht ihn, antwortete sie und setzte sich auf einen Stuhl. Der Gutsherr zögerte noch einen Augenblick.
Herein, herein! sagte er dann barsch; worauf warten wir? Man trat in Friedrichs Kammer. Er war nicht da, aber das Bett noch warm. Man stieg auf den Söller, in den Keller, stieß ins Stroh, schaute hinter jedes Faß, sogar in den Backofen; er war nicht da. Einige gingen in den Garten, sahen hinter den Zaun und in die Apfelbäume hinauf; er war nicht zu finden.
Entwischt! sagte der Gutsherr mit sehr gemischten Gefühlen: der Anblick der alten Frau wirkte gewaltig auf ihn. Gebt den Schlüssel zu jenem Koffer. — Margreth antwortete nicht. — Gebt den Schlüssel! wiederholte der Gutsherr und merkte jetzt erst, daß der Schlüssel steckte. Der Inhalt des Koffers kam zum Vorschein; des Entflohenen gute Sonntagskleider und seiner Mutter ärmlicher Staat; dann zwei Leichenhemden mit schwarzen Bändern, das eine für einen
Im Schlosse angelangt, fand der Gutsherr den Amtsschreiber, der schon am vorigen Abend heimgekommen war und behauptete, die ganze Geschichte verschlafen zu haben, da der gnädige Herr nicht nach ihm geschickt.
Sie kommen immer zu spät, sagte Herr von S. verdrießlich. War denn nicht irgend ein altes Weib im Dorfe, das Ihrer Magd die Sache erzählte? und warum weckte man Sie dann nicht? Gnädiger Herr, versetzte Kapp, allerdings hat meine Anne Marie den Handel um eine Stunde früher erfahren als ich; aber sie wußte, daß Ihre Gnaden die Sache selbst leiteten, und dann, fügte er mit klagender Miene hinzu: daß ich so todtmüde war! — Schöne Polizei! murmelte der Gutsherr, jede alte Schachtel im Dorf weiß Bescheid, wenn es recht geheim zugehen soll. Dann fuhr er heftig fort: Das müßte wahrhaftig ein dummer Teufel von Delinquenten sein, der sich packen ließe!
Beide schwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt, hob der Amtsschreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu sehen. Da sagte der Kutscher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muthe wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen. — Das war in der That kein Spaß, versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.
Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels so tief drin steckten. — Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,
Die Juden der Umgegend hatten großen Antheil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von Jammernden und Rathenden.
Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen worden.
Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs Aeußerste erbittert, hatten sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für einen besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der Thäter nur mit guter Beihilfe entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver-
Nein, Ihro Gnaden, sie muß stehen bleiben im Winter und Sommer, so lange ein Span daran ist. — Aber, wenn ich nun den Wald hauen lasse, so schadet es dem jungen Aufschlag. — Wollen wir sie doch nicht um gewöhnlichen Preis. Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward geschlossen und allen Förstern streng eingeschärft, die Judenbuche auf keine Weise zu schädigen.
Darauf sah man an einem Abende wohl gegen sechzig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze in das Brederholz ziehen, alle schweigend um mit gesenkten Augen.
Sie blieben über eine Stunde im Walde und kehrten dann ebenso ernst und feierlich zurück, durch das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo sie sich zerstreuten und Jeder seines Weges ging.
Am nächsten Morgen stand an der Buche mit dem Beil eingehauen:
אם תעמוד במקום תות יפגע בך כאשר אתת עשית לי
Und wo war Friedrich? Ohne Zweifel fort, weit genug, um die kurzen Arme einer so schwachen Polizei nicht fürchten zu dürfen. Er war bald verschollen und vergessen. Ohm Simon redete selten von ihm und dann schlecht; die Judenfrau tröstete sich am Ende und nahm einen andern Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröstet.
Etwa ein halbes Jahr nachher las der Gutsherr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des Amtsschreibers.
Sonderbar, sonderbar! sagte er. Denken Sie sich, Kapp, der Mergel ist vielleicht unschuldig an dem Morde. So eben schreibt mir der Präsident des Gerichtes zu P.: Le vrai n’est pas toujours vraisemblable; das erfahre ich oft in meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wissen Sie wohl, daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag eben so wenig erschlagen haben, als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweise, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß. Ein Mitglied der Schlemming'schen Bande (die wir jetzt, nebenbei gesagt, größtentheils unter Schloß und Riegel haben), Lumpenmoises genannt, hat im letzten Verhöre ausgesagt, daß ihn nichts so sehr gereue, als der Mord eines Glaubensgenossen, Aaron, den er im Walde erschlagen und doch nur sechs Groschen bei ihm gefunden habe.
Leider ward das Verhör durch die Mittagsstunde unterbrochen, und während wir tafelten, hat sich der Hund von einem Juden an einem Strumpfbande erhängt.
Was sagen Sie dazu? wiederholte der Gutsherr: und weßhalb wäre der Esel von einem Burschen denn davongelaufen?
Der Amtsschreiber dachte nach. — Nun, vielleicht der Holzfrevel wegen, mit denen wir ja gerade in Untersuchung waren. Heißt es nicht: der Böse läuft vor seinem eigenen Schatten? Mergels Gewissen war schmutzig genug auch ohne diesen Flecken.
Dabei beruhigte man sich. Friedrich war hin, verschwunden und — Johannes Niemand, der arme, unbeachtete Johannes, am gleichen Tage mit ihm.
Eine schöne, lange Zeit war verflossen, achtundzwanzig Jahre, fast die Hälfte eines Menschenlebens; der Gutsherr war sehr alt und grau geworden, sein gutmüthiger Gehülfe Kapp längst begraben. Menschen, Thiere und Pflanzen waren entstanden, gereift, vergangen, nur Schloß B. sah immer gleich grau und vornehm auf die Hütten herab, die wie alte hektische Leute immer fallen zu wollen schienen und immer standen.
Es war am Vorabende des Weihnachtsfestes den 24. December 1788.
Tiefer Schnee lag in den Hohlwegen, wohl an zwölf Fuß hoch, und eine durchdringende Frostluft machte die Fensterscheiben in der geheizten Stube gefrieren. Mitternacht war nahe, dennoch flimmerten überall matte
An der Mitte des Hanges stand er still, lehnte sich auf seinen Krückenstab und starrte unverwandt auf die Lichtpunkte. Es war so still überall, so todt und kalt; man mußte an Irrlichter auf Kirchhöfen denken. Nun schlug es zwölf im Thurm; der letzte Schlag verdröhnte langsam, und im nächsten Hause erhob sich ein leiser Gesang, der, von Hause zu Hause schwellend, sich über das ganze Dorf zog:
Der Mann am Hange war in die Kniee gesunken und versuchte mit zitternder Stimme einzufallen: es
Was ist denn das? sagte drinnen eine Frauenstimme; die Thüre klappert, und der Wind geht doch nicht. — Er pochte stärker. — Um Gotteswillen, laßt einen halberfrornen Menschen ein, der aus der türkischen Sklaverei kommt! — Geflüster in der Küche. Geht ins Wirthshaus! antwortete eine andere Stimme; das fünfte Haus von hier. — Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich ein! Ich habe kein Geld. —
Nach einigem Zögern ward die Thüre geöffnet, und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. — Kommt nur herein, sagte er dann, Ihr werdet uns den Hals nicht abschneiden.
In der Küche befanden sich außer dem Manne eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter und fünf Kinder. Alle drängten sich um den Eintretenden her und musterten ihn mit scheuer Neugier. Eine armselige Figur! mit schiefem Halse, gekrümmtem Rücken, die ganze Gestalt gebrochen und kraftlos; langes, schneeweißes Haar hing um sein Gesicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging schwei-
Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des so lange Verschollenen.
Jeder wollte den Mann aus der Türkei sehen, und man wunderte sich beinahe, daß er noch aussehe, wie andere Menschen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten fanden seine Züge noch ganz Wohl heraus, so erbärmlich entstellt er auch war.
Johannes, Johannes, was seid Ihr grau geworden! sagte eine alte Frau. Und woher habt Ihr den schiefen Hals? — Vom Holz und Wasser tragen in der Sklaverei, versetzte er.
Und was ist aus Mergel geworden? Ihr seid doch zusammen fortgelaufen?
Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er ist, wir sind von einander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn, fügte er hinzu, er wird es wohl nöthig haben!
Man fragte ihn, warum Friedrich sich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht
Er hatte zuletzt Bettelbrod gegessen und war in einem fremden Schuppen auf dem Stroh gestorben. Margreth hatte länger gelebt, aber in völliger Geistesstumpfheit.
Die Leute im Dorf waren es bald müde geworden, ihr beizustehen, da sie Alles verkommen ließ, was man ihr gab, wie es denn die Art der Menschen ist, gerade die Hülflosesten zu verlassen, solche, bei denen der Beistand nicht nachhaltig wirkt und die der Hülfe immer gleich bedürftig bleiben; die Gutsherrschaft sorgte sehr für sie, schickte ihr täglich das Essen und ließ ihr auch ärztliche Behandlung zukommen, als ihr kümmerlicher Zustand in völlige Abzehrung übergegangen war. In ihrem Hause wohnte jetzt der Sohn des ehemaligen Schweinehirten, der an jenem unglücklichen Abende Friedrichs Uhr so sehr bewundert hatte. —
Alles hin, Alles todt! seufzte Johannes.
Am Abend, als es dunkel geworden war und der
Beim Eintritt in das Wohnzimmer sah er scheu umher, wie vom Licht geblendet, und dann auf den Baron, der sehr zusammengefallen in seinem Lehnstuhl saß, aber noch immer mit den hellen Augen und dem rothen Käppchen auf dem Kopfe, wie vor achtundzwanzig Jahren; neben ihm die gnädige Frau, auch alt, sehr alt geworden.
Nun, Johannes, sagte der Gutsherr, erzähl mir einmal recht ordentlich von deinen Abenteuern. Aber, er musterte ihn durch die Brille, du bist ja erbärmlich mitgenommen in der Türkei. —
Johannes begann: wie Mergel ihn Nachts von der Heerde abgerufen und gesagt, er müsse mit ihm fort. — Aber warum lief der dumme Junge denn? Du weißt doch, daß er unschuldig war? — Johannes sah vor sich nieder: Ich weiß nicht recht, mich dünkt, es war wegen Holzgeschichten. Simon hatte so allerlei Geschäfte; mir sagte man nichts davon, aber ich glaube nicht, daß Alles war, wie es sein sollte. — Was hat denn Friedrich dir gesagt? — Nichts, als daß wir laufen müßten, sie wären hinter uns her. So liefen
Wir sprangen auf und liefen was wir konnten in Gottes Namen gerade aus, und wie es dämmerte, waren wir wirklich auf dem rechten Wege nach P.
Johannes schien noch vor der Erinnerung zu schaudern, und der Gutsherr dachte an seinen seligen Kapp und dessen Abenteuer am Heerser Hange. —
Sonderbar! lachte er, so nah war't ihr einander! Aber fahr fort. —
Johannes erzählte nun, wie sie glücklich durch P. und über die Grenze gekommen.
Von da hatten sie sich als wandernde Handwerksbursche durchgebettelt bis Freiburg im Breisgau. Ich hatte meinen Brodsack bei mir, sagte er, und Friedrich ein Bündelchen; so glaubte man uns. — In Freiburg hatten sie sich von den Oestreichern anwerben lassen: ihn hatte man nicht gewollt, aber Friedrich bestand darauf. So kam er unter den Train. Den Winter über blieben wir in Freiburg, fuhr er fort, und es ging uns ziemlich gut; mir auch, weil Friedrich mich oft erinnerte und mir half, wenn ich etwas verkehrt machte. Im Frühling mußten wir marschiren, nach
Er schwieg eine Weile.
Ja, sagte er dann, es ging über Menschenkräfte und Menschengeduld; ich hielt es auch nicht aus. — Von da kam ich auf ein holländisches Schiff. — Wie kamst du denn dahin? fragte der Gutsherr. — Sie fischten mich auf aus dem Bosporus, versetzte Johannes. Der Baron sah ihn befremdet an und hob den Finger warnend auf; aber Johannes erzählte weiter.
Auf dem Schiffe war es ihm nicht viel besser gegangen. Der Scorbut riß ein; wer nicht ganz elend war, mußte über Macht arbeiten, und das Schiffstau regierte eben so streng, wie die türkische Peitsche.
Endlich, schloß er, als wir nach Holland kamen, nach Amsterdam, ließ man mich frei, weil ich unbrauchbar war, und der Kaufmann, dem das Schiff gehörte, hatte auch Mitleiden mit mir und wollte mich zu seinem Pförtner machen. Aber — er schüttelte den Kopf — ich bettelte mich lieber durch bis hieher. — Das war
Du bist wohl noch sehr müde? — Sehr müde, versetzte Johannes; und, er deutete auf seine Stirn, meine Gedanken sind zuweilen so curios, ich kann nicht recht sagen, wie es so ist. — Ich weiß schon, sagte der Baron, von alter Zeit her. Jetzt geh. Hülsmeyers behalten dich wohl noch die Nacht über, morgen komm wieder.
Herr von S. hatte das innigste Mitleiden mit dem armen Schelm; bis zum folgenden Tage war überlegt worden, wo man ihn einmiethen könne; essen sollte er täglich im Schlosse, und für Kleidung fand sich auch wohl Rath. — Herr, sagte Johannes, ich kann auch noch Wohl etwas thun; ich kann hölzerne Löffel machen, und Ihr könnt mich auch als Boten schicken.
Herr von S. schüttelte mitleidig den Kopf: Das würde doch nicht sonderlich gut ausfallen. — O doch, Herr, wenn ich erst im Gange bin — es geht nicht schnell, aber hin komme ich doch, und es wird mir auch nicht so sauer, wie man denken sollte. — Nun, sagte der Baron zweifelnd, willst du's versuchen? Hier ist ein Brief nach P. Er hat keine sonderliche Eile.
Am folgenden Tage bezog Johannes sein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe.
Er schnitzelte Löffel, aß auf dem Schlosse und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging's ihm leidlich; die Herrschaft war sehr gütig, und Herr von S. unterhielt sich oft lange mit ihm über die Türkei, den östreichischen Dienst und die See.
Der Johannes könnte viel erzählen, sagte er zu seiner Frau, wenn er nicht so grundeinfältig wäre. — Mehr tiefsinnig als einfältig, versetzte sie; ich fürchte immer, er schnappt noch über. — Ei bewahre! antwortete der Baron, er war sein Lebenlang ein Simpel; simple Leute werden nie verrückt.
Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war sehr besorgt um ihn und wollte schon Leute aussenden, als man ihn die Treppe heraufstelzen hörte.
Du bist lange ausgeblieben, Johannes, sagte sie; ich dachte schon, du hättest dich im Brederholz verirrt.
Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.
Das ist ja ein weiter Umweg; warum gingst du nicht durchs Brederholz?
Er sah trübe zu ihr auf: Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und duselig, fügte er langsam hinzu. — Sahst du wohl, sagte Frau von S.
Indessen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen, und mancher Hektische fühlte die Scheere an seinem Lebensfaden. Auch Johannes schien unter dem Einflüsse des nahen Aequinoctiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagten, er habe auffallend verstört ausgesehen und unaufhörlich leise mit sich selber geredet, was er auch sonst mitunter that, aber selten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hause. Man dachte, die Herrschaft habe ihn verschickt, am zweiten auch nicht, am dritten ward seine Hausfrau ängstlich. Sie ging ins Schloß und fragte nach. — Gott bewahre, sagte der Gutsherr, ich weiß nichts von ihm; aber geschwind den Jäger gerufen und Försters Wilhelm! Wenn der armselige Krüppel, setzte er bewegt hinzu, auch nur in einen trockenen Graben gefallen ist, so kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von seinen schiefen Beinen gebrochen hat! — Nehmt die Hunde mit, rief er den abziehenden Jägern nach, und sucht vor Allem in den Gräben; seht in die Steinbrüche! rief er lauter.
Die Jäger kehrten nach einigen Stunden heim, sie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: Wenn ich mir denke, daß Einer so liegen muß, wie ein Stein, und kann sich nicht helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hält's ein Mensch
Wenn nur das verdammte Buschwerk nicht so dicht wäre! Da kann keine Seele hindurch, sagte der Gutsherr. Man trieb die Hunde in den jungen Schlag; man blies und hallohte und kehrte endlich mißvergnügt heim, als man sich überzeugt, daß die Thiere den ganzen Wald abgesucht hatten. — Laßt nicht nach! laßt nicht nach! bat Frau von S.; besser ein paar Schritte umsonst, als daß etwas versäumt wird. Der Baron war fast ebenso beängstigt wie sie. Seine Unruhe trieb ihn sogar nach Johannes' Wohnung, obwohl er sicher war, ihn dort nicht zu finden. Er ließ sich die Kammer des Verschollenen aufschließen. Da stand sein Bett noch ungemacht, wie er es verlassen hatte, dort hing sein guter Rock, den ihm die gnädige Frau aus dem alten Jagdkleide des Herrn hatte machen lassen; auf dem Tische ein Napf, sechs neue hölzerne Löffel und eine Schachtel.
Der Gutsherr öffnete sie; fünf Groschen lagen darin, sauber in Papier gewickelt, und vier silberne Westenknöpfe; der Gutsherr betrachtete sie aufmerksam. Ein Andenken von Mergel, murmelte er und trat hinaus, denn ihm ward ganz beengt in dem dumpfen, engen Kämmerchen.
Die Nachsuchungen wurden fortgesetzt, bis man sich überzeugt hatte, Johannes sei nicht mehr in der Gegend, wenigstens nicht lebendig.
So war er denn zum zweitenmal verschwunden; ob man ihn wiederfinden würde — vielleicht einmal nach Jahren seine Knochen in einem trockenen Graben? Ihn lebend wieder zu sehen, dazu war wenig Hoffnung, und jedenfalls nach achtundzwanzig Jahren gewiß nicht.
Vierzehn Tage später kehrte der junge Brandes Morgens von einer Besichtigung seines Reviers durch das Brederholz heim. Es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich heißer Tag; die Luft zitterte, kein Vogel sang, nur die Raben krächzten langweilig aus den Aesten und hielten ihre offenen Schnäbel der Luft entgegen. Brandes war sehr ermüdet. Bald nahm er seine von der Sonne durchglühte Kappe ab, bald setzte er sie wieder auf. Es war Alles gleich unerträglich, das Arbeiten durch den kniehohen Schlag sehr beschwerlich. Rings umher kein Baum außer der Judenbuche. Dahin strebte er denn auch aus allen Kräften und ließ sich todtmatt auf das beschattete Moos darunter nieder.
Schändliche Pilze! murmelte er halb im Schlaf.
Es giebt nämlich in jener Gegend eine Art sehr saftiger Pilze, die nur ein paar Tage stehen, dann einfallen und einen unerträglichen Geruch verbreiten. Brandes glaubte solche unangenehme Nachbarn zu spüren, er wandte sich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht aufstehen; sein Hund sprang unterdessen umher, kratzte am Stamm der Buche und bellte hinauf. Was hast du da, Bello? eine Katze? murmelte Brandes. Er öffnete die Wimper, und die Judenschrift fiel ihm ins Auge, sehr ausgewachsen, aber doch ganz kenntlich. Er schloß die Augen wieder, der Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich seinem Herrn die kalte Schnauze ans Gesicht.
Laß mich in Ruh! was hast du denn? Hiebei sah Brandes, wie er so auf dem Rücken lag, in die Höhe, sprang dann mit einem Satze auf und wie besessen ins Gestrüpp hinein.
Todtenbleich kam er auf dem Schlosse an: in der Judenbuche hänge ein Mensch; er habe die Beine gerade über seinem Gesichte hängen sehen. — Und du hast ihn nicht abgeschnitten, Esel? rief der Baron.
Herr, keuchte Brandes, wenn Ew. Gnaden da gewesen wären, so wußten Sie wohl, daß der Mensch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es seien die
Sie waren unter der Buche angelangt. Ich sehe nichts, sagte Herr von S. - Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle! - Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe.
Gott, es ist Johannes! — Setzt die Leiter an! — so — nun herunter! — sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! — Lieber Himmel, die Würmer sind schon dran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde. Eine breite Narbe ward sichtbar; der Gutsherr fuhr zurück.
Mein Gott! sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile mit tiefer Erschütterung.
Dann wandte er sich zu dem Förster: Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schuldigen leide; sage es nur allen Leuten: Der da — er deutete auf den Todten — war Friedrich Mergel.
Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt.
Dies hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahres 1788.
Die hebräische Schrift an dem Baume heißt:
Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast.